aus bma 9/10

von Jens Rademaker, Fotos Kerstin Rademaker

MV Agusta F4 1000 Modell 2010Für ein paar Tage eine italienische Schönheit als Begleitung haben, die alles mitmacht und die man anschauen und anfassen kann soviel und solange man möchte. Was sich jetzt anhört wie ein schlüpfriger Groschenroman, kann in unserem Job etwas ganz anderes bedeuten, als man jetzt meinen könnte. Über ein schönes und warmes Wochenende bekamen wir die aktuelle MV Agusta F4 für einen ausgiebigen Test, und das versprach nun mal echte Emotionen.

Allein der Anblick der wohl gestalteten Maschine jagt einem warme Schauer über den Rücken. Wie auch bei den Vorgängerinnen, hier noch mal der obligatorische Kniefall vor dem Designer dieser Linien. Getrübt wird die rassige Optik nur von der neuen Auspuffanlage. Nicht dass diese jetzt ein säuerliches Aufstoßen wie bei manch anderen Herstellern bewirkt, nur hatte man etwas anderes erwartet. Wo sind die wunderschönen Auspuff-Orgeln der typischen F4 hin? Zwar sind es immer noch vier Endrohre, und sie hängen immer noch unter dem Heck der Göttin, allerdings sind sie nun viereckig. Gut, gut, das Aussehen hat sie etwas eingebüßt, doch die Wärmeableitung gegenüber den älteren F4 hat man hinbekommen. Der MV-Reiter bekommt nun keinen heißen Popo mehr, wenn er langsam durch die Stadt brummelt. Die Anlage hat nun etwas mehr Luft zum Heck und sorgt so für besseres Abziehen der Hitze. Der Sozius bekommt nun aber ab 140 km/h die wohlige Wärme der Töpfe zu spüren. Zum Glück betrifft das also nur gemeinsame Ausfahrten auf der Autobahn, die sich ja in Grenzen halten werden.

MV Agusta F4 1000 Modell 2010Die neue F4 ist mehr für die breite Masse konzipiert, als vorher. So sind beide Fußhebel sowie Brems- und Kupplungs­hebel individuell verstellbar. Der Lenkungsdämpfer ist natürlich auch wieder im Einsatz und kann der Fahrweise oder dem Einsatzgebiet nach angepasst werden. Leider gehört die verstellbare Fußrastenanlage jetzt zum Zubehör, dafür legt man im Vergleich aber auch knapp 4000 Euro beim Kauf weniger auf die Theke als früher: 18.500 statt 22.600 Euro!

Der neue Tank passt sich prima in die Formen der F4 ein, und fühlt sich auch besser a,n als das hohe Modell der Vorgängerin. Der Tank ist nun kürzer und auch niedriger und mit einer sanft ansteigenden Wölbung versehen. Drückte vor einem Jahr noch die hohe Kante des Tanks in die Plautze des Piloten, braucht man sich nun nicht mehr so weit nach vorn zu beugen, um die tief sitzenden Griffe zu erreichen. Beste Vorraussetzungen für die schnelle und kurze Hatz der erwählten Opfer.

Beim Start des wassergekühlten Vierzylinder-Reihenmotors springt dem Fahrer das Display ins Auge. Bike-Testing… Bike testing OK… 350 km/h… in dieser Reihenfolge! Dann offenbaren sich weitere Details, die man verändern bzw. kontrollieren kann: Traction-Contol, Reifenluftdruck, Tag-/Nacht Einstellung, Lap-Counter. Was braucht man mehr?

Brummelnd erwacht nun das Triebwerk der Italienerin. Eine Ausgleichswelle sorgt dafür, das nicht mehr so viele Vibrationen an den Fahrer weitergegeben werden. Eigentlich schade, aber gut gegen kribbelnde Fußsohlen und Hände. Zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen treiben die vier Ventile je Zylinder in höhere Dimensionen, während zwei Einspritzdüsen pro Zylinder den nötigen Treibstoff zur Verfügung stellen. 186,3 PS bei 12.900 U/min ist die Marke, die MV mit der neuen F4 auf die Messlatte drückt.

MV Agusta F4 1000 Modell 2010Wie schon gewohnt dümpelt die schlanke Dame bei unter 5000 Touren eher gemächlich dahin, doch das ändert sich schlagartig, wenn diese Marke dann überschritten wird. Bis 8000 Touren werden die Arme arg in die Länge gezogen, während dann in noch höheren Drehzahlbereichen der Horizont in des Fahrers Gesicht springt. Ich liebe es! Das Getriebe und die Kupplung der neuen F4 arbeiten gefühlt nicht mehr ganz so „flutschig“ zusammen, wie in den vergangen Jahren. Zwar ist das Hochschalten immer noch sehr präzise möglich, aber beim schnellen Runterschalten brauch man manchmal etwas Gefühl.

Das Fahrwerk entspricht genau dem, was wir erwartet haben: Extrem spurstabil, auf Wunsch knüppelhart und präzise wie ein Skalpell des Chef-Chirurgen im OP. Der Stahl-Gitterrohrahmen mit dem mittragenden Motor, die Einarmschwinge aus Aluminium mit dem Federbein mit Hebelsystem und die Marzocchi Upside-down-Gabel mit 50 mm Durchmesser arbeiten perfekt zusammen. Für den persönlichen Bedarf lässt sich die Gabel und das Zentralfederbein in der Federbasis und der Druck- und Zugstufe verstellen.

MV_Agusta_F4_CockpitBesonders fein sind mal wieder die Schweißnähte geworden, da können sich einige Hersteller eine ordentliche Scheibe von Abschneiden. Im Übertragenden Sinne natürlich.

Soll das Vorstürmen dann einmal abrupt gestoppt werden, hilft hierbei vorn die Nissin Vierkolben-Festsattel Bremse an den 320 mm Scheibenbremsen und hinten (ebenfalls Vierkolben-Festsattel) die 210 mm durchmessende Scheibenbremse. Die Bremse lässt sich sehr leicht dosieren und liefert beste Rückmeldung an den Fahrer. Ein sehr beherzter Griff in die vorderen Anker bringt das Hinterrad schon mal leicht in die Luft, sollte aber niemanden überfordern.

MV_Agusta_F4_HeckDie formschönen Spiegel mit den integrierten Blinkern ermöglichen tatsächlich etwas von der Straße zu sehen. Es ist zwar wie immer bei den Supersportlern eine Fummelarbeit, aber nach einigem hoch-runter-links-rechts passen die Spiegel, so dass man an den Armen vorbei etwas sehen kann. Geht doch. Wo wir gerade vorne sind: Die neue Scheibe an der F4 erübrigt einen Griff in das Zubehörsortiment. Sie ist in der Form einer Racingscheibe – zwar nicht ganz so hoch wie z.B. eine MRA-Racingscheibe, erfüllt diesen Zweck aber auch so wunderbar. Und nun noch der Scheinwerfer, oder vielmehr das Hauptlichtsegment: Vier Leuchtdioden bilden das Standlicht, während das Xenon-Auge die Nacht zum Tag macht. Der neue Scheinwerfer mit dem weißen Licht leuchtet aber nicht nur die Straße bei Dunkelheit viel besser aus, sondern fällt auch tagsüber besser auf, was den Nur-Autofahrern ja ab und an schwer fällt.

MV_Agusta_F4_BremseZur Soziustauglichkeit meint die Kamera­frau: Es sitzt sich besser als auf allen bis­her getesteten Sportlern der 1000er Klasse. Das Abstützen beim Bremsen ist mit der neuen Tankform viel besser möglich. Einzig die höheren Sitztemperaturen bei höheren Geschwindigkeiten sind weniger schön.

Wenn man dies jetzt alles einmal zusammenfasst, hat man mit der neuen MV Agusta F4 eine echte Rennstreckenrakete für die Straße auf die Räder gestellt, die nun eine viel breitere Masse an Fahrern ansprechen wird. Alles ist irgendwie leichter oder besser. Leichteres Handling, moderater Motor, gute Bremsen und vor allem der Preis. Selbst lange Fahrten sind kein Problem mehr. Meines Erachtens nach, das beste Stück, was MV Agusta für die Masse zugänglich gemacht hat.

Wer sich das Vergnügen mit der flotten Italienerin einmal gönnen möchte, dem kann z.B. Didi’s Motorradcenter in Bremervörde bestimmt helfen (Telefon. 04761/71190), denn von dort haben wir unsere Testmaschine bekommen.

 

Technische Daten:

Motor: Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor mit Ausgleichswelle; zwei oben liegende kettengesteuerte Nockenwellen; vier Ventile pro Zylinder; Tassenstößel; Nasssumpfschmierung; Doppeleinspritzung je Zylinder; geregelter Katalysator; hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung; Sechsganggetriebe; Hubraum 998 ccm; 137 kW bei 12.900 U/min; Drehmoment 114 Nm bei 9.500 U/min

Fahrwerk: Stahl Gitterrohrrahmen mit mittragendem Motor; 50mm Upside-down-Gabel; Aluminium Gussräder; Reifen 120/70 ZR 17 und 190/55 ZR 17

Maße und Gewichte: Radstand 1430 mm; Lenkkopfwinkel 66 Grad; Nachlauf 100 mm; Federweg 120 mm; Trockengewicht 192,5 kg; Tankinhalt 19 Liter.

Farben: schwarz; rot-silber; anthrazit-silber; Preis: 18500 Euro