aus Kradblatt 11/20 von Hermann Franck

Ein paar Tage raus …

Motorradtour zwischen Elbe und Oder

Das alljährliche Frauenwochenende der „besten Ehefrau von allen“ fand mal wieder in unserem Haus statt. Das bescherte mir vier freie Tage um auf Tour zu gehen. Da ich an dunklen Novembertagen als Antidepressivum immer Touren am PC plane, war schnell eine Rundtour zusammengestellt und aufs Navi geladen. 

Tag 1 führte von Ritterhude über Rothenburg ins Wendland, dann durch das Elbtal in die Mecklenburger Seenplatte nach Neustrelitz. Die Strecke zur Elbe findet meine XT schon fast von alleine, so oft fahre ich dort hin. Die Tour durch die Waldgebiete, die Lüneburger Heide zum Elbtal sorgt schon auf den ersten Kilometern für Tiefenentspannung und Urlaubsgefühle. 

Im Wendland sind noch viel Erinnerungen an den Kampf gegen die Atomkraft zu finden, unter anderem ein Greenpeace Schiff mitten im Wald.

Halt am Torii Tower
Halt am „Torii Tower“

 Direkt an der Elbe, in Gusborn sieht man schon von weitem eine skurril anmutende Antenne. Es handelt sich um einen sogenannten „Torii Tower“. Eine 98 Meter hohe Antenne, die von den USA für den Einsatz für den Vietnamkrieg gebaut, dann aber 1972 an der Elbe montiert wurde um den Funkverkehr des Ostens abzuhören. 

Nur wenige Kilometer entfernt, in der Nähe von Gatow, sticht ein sehr hoher Antennenmast ins Auge. Es handelt sich um den einen der beiden verbliebenen „Gatower Riesen“. Der 344 Meter hohe Mast wird noch genutzt, der zweite Riese wurde gesprengt, da er nicht mehr benötigt wurde. In der Nähe des Turms gibt es einen hölzernen Aussichtsturm den man erklettern kann. Von diesem Turm hat man einen herrlichen Ausblick über das Elbtal und es gibt Informationen über den „Gatower Riesen“, über den zur Zeit des kalten Krieges die handvermittelten Telefonate nach Berlin abgewickelt wurden. 

Antennenanlage Gatower Riese
Antennenanlage „Gatower Riese“

In Lenzen geht es mit der Fähre über die Elbe. Über die Elb- und Weserfähren könnte man ein Buch schreiben. Es gibt die abenteuerlichsten Konstruktionen, von der motorlosen Seilfähre bzw. Gierfähre über Plattformen an die man Motoren geschraubt hat bis hin zu modernen Autofähren. Auf einer dieser Seilfähren versuchten wir während einer Tour dem Fährmann Details über sein Gefährt zu entlocken. Unsere anfängliche Irritation über seine merkwürdige Aussprache klärte sich nach Anblick der fast leeren Kiste Bier im Fahrstand! In Perleberg auf dem Marktplatz neben einem Bruder des Bremer Rolands war dann ein Kaffeestopp fällig. Nach 380 km war das Tagesziel Neustrelitz erreicht.

Am Tag 2 ging es dann bei bedecktem Himmel weiter Richtung polnische Grenze. Frühes Aufstehen muss man mögen, man wird aber belohnt durch leere Straßen und tiefenentspanntes Fahren durch nicht enden wollende Waldgebiete. Einziger Wermutstropfen ist die Angst vor Wildschweinen und anderem Getier. Das führt zu eine Vmax von 80 km/h und dazu, dass die Finger der rechten Hand immer auf dem Bremsgriff ruhen. 

Alleen in Ostdeutschland
Schöne Alleen in Ostdeutschland

Die Tour führte durch die Schorfheide, den ehemaligen Privatforst und das Jagdgebiet von Erich Honecker & Co., dann einmal rund um den Werbelinsee. Es gibt dort eine Stelle wo man direkt mit dem Motorrad ans Wasser fahren und sich erfrischen kann. Bei 16 Grad Außentemperatur ist dafür aber kein Bedarf.

 Einige Kilometer später gibt es wieder einen dieser Zufallsfunde, die auf solchen Touren das „Salz in der Suppe“ darstellen. Ein Hinweisschild auf das Luftfahrtmuseum Finowfurt. Das Museum entsprach dann allerdings dem, was das Schild schon vermuten ließ. Ein ehemaliger NVA Fliegerhorst mit herumstehenden, zum Teil stark korrodierten Erinnerungstücken. Die 10 Euro Eintritt blieben in der Reisekasse.

 Weiter ging die Reise durch wunderschöne Alleen bis wieder ein Hinweisschild einen Zufallsfund lieferte. Nach einigen Kilometern ins Tal der Oder präsentierte sich das Schiffshebewerk Niederfinow. Ein 1934 in Betrieb genommener Koloss aus Stahl (die Ausgleichsgewichte wiegen 4290 Tonnen) der die Binnenschiffe in einem Trog mit Wasser 36 Meter anhebt bzw. absenkt. Neben dem stählernen Bau entsteht gerade das neue Hebewerk aus Beton.

Eine von vielen Fähren auf der Tour
Eine von vielen Fähren auf der Tour

Nach einer kurzen Rast wurde die polnische Grenze und damit die Oder überquert. Der weitere Weg verlief längs der Oder Richtung Süden. Schon nach wenigen Kilometern führte ein an der Straße stehender Panzer zu einem Fotostopp. Leider waren alle Hinweisschilder, auch die an den noch kommenden Mahnmalen und Soldatenfriedhöfen stehenden Hinweise, ausschließlich in polnischer Sprache. Aber Frau Google liefert die Informationen: In diesem Bereich an der Oder fanden zum Ende des zweiten Weltkrieges die letzten verheerenden Schlachten statt. 

Das Schiffshebewerk Niederfinow
Das Schiffshebewerk Niederfinow

Auf Straßen, die für das gute Fahrwerk der XT dankbar sein ließen, führte die Tour durch kleine Ortschaften weiter südwärts. Nach 290 gefahrenen Kilometern wurde in Słubice die Oder und damit auch die Ländergrenze ins Zentrum von Frankfurt/Oder überquert. Für mich, der sich noch an Grenzkon­trollen erinnern kann, die alles anders als spaßig waren, ist es immer noch ein berührender Moment quasi ohne runterschalten zu müssen die Ost-Westgrenze zu überfahren. 

 Der Anblick der Plattenbauskyline von Frankfurt/Oder führte aber sentimentale Gedanken sofort zurück in die Realität. Der abendliche Rundgang durch Frankfurt lieferte auch die Erkenntnis, dass ich hier nicht unbedingt wieder hin muss. Die Stadt erschien mir trotz des inzwischen sommerlichen Wetters trost- und charakterlos. Der Anblick des „Lichtspieltheaters der Jugend“ war auch kein Stimmungsaufheller. 

Am Tag 3 führte die Tour aus Frankfurt heraus Richtung Westen. Ein kurzer Halt im Spreewald um die dort überall fahrenden Kähne zu fotografieren und ein paar Spreewaldgurken zu verdrücken und weiter. Vom Spreewald ging es durch den Fläming, einem Eldorado für Radfahrer und Inlineskater. Es gibt dort ein weites Netz aus topfebenen Radwegen. An den Straßen stehen sogar Schilder, die vor Wildwechsel mit Inlineskatern warnen!

Der Skywalk an der Weser
Der Weser-Skywalk zwischen Würgassen und Bad Karlshafen

Die Tour ging weiter Richtung Harz, über blühende Felder, bis wieder ein Hinweisschild mich neugierig machte: Auf dem Flugplatz von Dessau, der Wirkungsstätte von Hugo Junkers, war Flugtag. Das versprach viel interessantes fliegendes Gerät und eine Bratwurst. Das mit der Bratwurst klappte, aber das fliegende Gerät war sehr übersichtlich. Es war mehr ein Rummel mit Kettenkarussell und Auto­scootern am Flugplatz. Immerhin konnte ich den Start einer Antonow AN-2 , dem größten fliegenden einmotorigen Doppeldecker sehen und hören. Die Tages­tour endete nach 340 Kilometern in einem für Harzer Verhältnisse hellen und freundlichen Hotel in Hohegeiß.

Der Tag 4 begann in Hohegeiß mit sehr frühem Aufstehen. Um 6 Uhr begann im Nachbarort Benneckenstein das Finkenmanöver, ein „immaterielles Kulturerbe“ das sogar von der UNESCO anerkannt wurde. Bei dieser Veranstaltung mit einer über 100-jährigen Tradition treten die Finken im Sing-Wettstreit gegeneinander an.

Das Finkenmanöver in Benneckenstein
Das Finkenmanöver in Benneckenstein

Das Programm beginnt um 6 Uhr mit dem Schönheitssingen. Dabei steht der Fink in einem mit Tuch umhüllten Käfig in der Mitte eines Platzes und drei Kampfrichter hören sich den Gesang an und vergeben Punkte. Es folgen die Disziplinen Kampf- und Kreissingen. Das Ganze wird eingerahmt mit vielen kleinen Feuern, dem Ausschank von Getränken und dem Genuss einer speziellen „Pfingstwurst“. Nach diesem aufregendem Event führt die Reise über den Solling weiter Richtung Weser zum „Weser Skywalk“, einer bei Bad Karlshafen hoch über der Weser montierten stählernen Aussichtsplattform. Von dort hat man einen fantastischen Blick ins Wesertal. 

Nach der Überquerung der Weser mit einer Seilfähre ging es immer direkt entlang der Weser Richtung Zuhause, wo die Tour und der vierte Tag mit weiteren 380 Kilometern auf dem Zähler der XT ihr Ende fand. Es waren wieder schöne entspannte Tage auf dem Motorrad mit Eindrücken die bleiben.