aus bma 11/12
von Frank Sachau

DoemitzGondelt man gedankenverloren über die Landstraße, fallen einem besondere Kennzeichen ins Auge. Etwa die der historischen Hansestädte an Deutschlands Küsten: Bremen, Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund. 

Mit Salzwedel in Sachsen-Anhalt erreichen wir den ersten von acht wenig bekannten Orten, die fernab der Meere im 15. Jahrhundert den Altmärkischen Städtebund bildeten und auch zur Hanse gehörten, der ersten europäischen Wirtschaftsvereinigung, in der es schon damals wie heute um Handel, Politik und Macht ging. Salzwedel bildet als zweitgrößte Stadt der Altmark nicht nur den nordwestlichen Eckpfeiler der Region, sondern gilt auch als Heimat des Baumkuchens. Im Café unterm Rathausturm hält der König der Kuchen Hof: Am offenen Feuer gebacken, ständig mit neuem butterreichen Teig übergossen, nimmt die Kalorienbombe ihre typische Form an. Damit sich diese Leckerei nicht auf unseren Hüften niederlässt, und zur Beruhigung des schlechten Gewissens, besteigen wir nach dem Genuss den Turm und lassen unsere Blicke über den flachen Landstrich wandern. 

Wieder on the road, schwingen wir an wogenden Feldern entlang, an niedrigen Wäldern vorbei nach Diesdorf und bummeln dort durch das Altmärkische Bauernhausmuseum. Würden wir weiter westwärts reisen, kämen wir schon in die Ausläufer der Lüneburger Heide. Am Rand des gewundenen Asphaltbandes leuchtet roter Mohn, bis sich vor Gardelegen erste Hügel zeigen. 

Stadttor-SalzwedelStadttor-SalzwedelDurch das Salzwedeler Tor mit seinen zwei mächtigen Rundbastionen rollen wir in das einstige Hansestädtchen, das, anders als Salzwedel, nicht Süßes anbietet, sondern eher Herbes: Im Süden der Altmark wird seit 1314 „Garley“ gebraut, die älteste Biermarke der Welt. Wenig später scheuchen wir die Maschinen gen Osten, unser Ziel ist ein weiteres ehemaliges Hansemitglied: Tangermünde an der Elbe. Das schmucke Fachwerkstädtchen war im Mittelalter die Residenz Kaiser Karl IV., daher auch die wuchtige Stadtbefestigung, die bis an die träge dahinfließende Elbe reicht. Und mit der lassen wir uns auf einsamen Nebenstrecken stromabwärts treiben, vorbei an der Fähre Arneburg, über Hindenburg nach Werben, wo am Ende einer beinharten Kopfsteinpflasterstraße die Fähre zur Domstadt Havelberg wartet, dem einzigen Mitglied des Altmärkischen Städtebundes östlich des Stroms. Aus den Hansezeiten blieb im kleinen Werben nur das Elbtor als trauriger Rest der einstigen Verteidigungsanlagen erhalten. Aus allen Himmelsrichtungen laufen Straßen sternförmig in Seehausen zusammen, das einst von Holländern gegründet wurde und in Hansezeiten als schwer reich galt. Der stark gewundene Lauf der Biese und die mit dem Lineal gezogene B 189 verbinden den Ort mit dem nächsten Städtebundmitglied Osterburg, das in einem ausgedehnten Spargelanbaugebiet liegt. 
Nach gut zwanzig Kilometern erreichen wir das achte und letzte Mitglied des Altmärkischen Städtebundes, die Metropole der Altmark, die Stadt der Backsteingotik Stendal. Der Dom St. Nikolai und das Uenglinger Tor sind Paradebeispiele, was man Tolles aus roten Ziegeln bauen konnte. An Wochenenden ist das Tor geöffnet, die Mühe, den 28 Meter hohen Turm zu besteigen, wird mit einer wunderschönen Aussicht auf Stendal und seine Umgebung belohnt. Sehenswert ist auch der historische Marktplatz mit seinem besonderen Trio: Der Marienkirche, dem gotischen Rathaus und dem Roland von 1525. Rolande sind aus der Hansezeit stammende Symbolfiguren, der Stendaler gehört mit seinen 7,80 m Höhe schon zu den Riesen. 

Ein politischer Riese, der „Eiserne Kanzler“, wird im kleinen Bismarck-Museum im Bismarker Ortsteil Poritz verehrt. Die Familie der von Bismarcks stammt aus der Region, die Wurzeln lassen sich bis ins 14. Jahrhundert zurück verfolgen. In der Zeit taucht erstmalig der Begriff „Altmark“ auf: Aus den alten, bereits befestigten und christianisierten Gebieten wurden weite Teile östlich der Elbe erschlossen, die neue Mark Brandenburg, das spätere Preußen. Von Kalbe aus reiten wir über den Höhenzug Kalbescher Werder, dessen Gipfel, der Dolchauer Berg, mit fast 100 Höhenmetern für hiesige Verhältnisse mächtig was her macht. In jedem noch so kleinen Dorf haben wehrhafte Feldsteinkirchen bis zum heutigen Tag überdauert. Dank langer Federwege, guter Sitzmöbel und trainierter Gesäßmuskeln biegen wir, ohne nennenswerte Blessuren, kurz vor Seehausen links ab. Ein kleiner, verträumter Umweg führt uns am Zehrengraben entlang, durch die Hintertür gelangen wir zum Arendsee, der Perle der Altmark, ein beliebtes Ausflugsziel mit wunderschönem Strandbad. 

TangermündeVon hier aus ist es nur noch ein Katzensprung bis Salzwedel. Was ist aus dem Altmärkischen Städtebund geworden? Die Mitglieder legten sich mit ihrem mächtigen Kurfürsten an, der die Hanseherrlichkeit brutal beendete und den Orten zahlreiche Rechte entzog. Vom Handel ausgeschlossen, verblasste der Reichtum, die herrlichen Bauten aber blieben bis heute erhalten. 

Unser ausgedehnter Fahrtag neigt sich dem Ende entgegen, Zeit, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Schnell ist das Handy aus dem Tankrucksack gekramt und Frau Steffen angerufen. Eine wirklich liebe Seele, die in ihrer Pension „Zur Festung“ bisher immer ein Zimmer frei hatte (Anmerk. d.Red.: Nach Auskunft von Frau Steffen betreibt sie die Pension „Zur Festung“ nicht mehr, dafür aber die www.radlerpension-doemitz-elberadweg.de in Dömitz wo auch Motorradfahrer willkommen sind). Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wir Dömitz am mecklenburgischen Elbufer. Im 16. Jahrhundert wurde hier eine gewaltige Verteidigungsanlage aus dem Boden gestampft: Die fünfeckige Festung Dömitz, deren mächtige Mauern und mit Geschützen gespickten Bastionen den Lauf der Elbe beherrschen sollte. 

Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir die Maschinen, queren den behäbig dahin fließenden dunklen Strom und gelangen schließlich auf dem niedersächsischen Elbdeich nach Gorleben, dem bundesweit bekannten und umstrittenen Atommülllager. Zuckende Blaulichter, behelmte Polizeihundertschaften, selbst gestrickte Pullover und langhaarige Atomkraftgegner, so sehen meine Erinnerungen an die ersten Demonstrationen im Wendland Ende der 1970er Jahre aus. Überdimensionale, gelbe Kreuze drängen sich heute auf: „Tag X – wir stellen uns quer“. Im Gegensatz dazu bewundern wir toll herausgeputzte Häuser, eine Art stiller Protest – nun erst recht! Dann folgt Gartow, jener Flecken des Wendlandes, der in alten Zeiten unmittelbar an der Grenze zur damaligen DDR lag und nun unseren imaginären Wendepunkt bildet. Wir treiben unsere Kräder durch flott zu fahrende Alleen, deren lückenhaftes Blätterdach gleißendes Sonnenlicht in unsere Helme flackern lässt. Wie dünn die Landschaft Gartower Tannen bevölkert ist, belegen die zahllosen Warnschilder, die auf die permanente Wildwechselgefahr hinweisen. 

Kirche von LemgowIn der Nähe Schweskaus gibt uns ein netter Dorfbewohner den Tipp, die Hohe Kirche zu besuchen. Gesagt, getan. Das aus dem 14. Jahrhundert stammende Gotteshaus liegt einsam und erhaben auf einem Hügel und gilt als Wahrzeichen des Ortes. Als wir unseren Vorrat an Stille gedeckt haben, begleiten uns Felder, Wälder und Wiesen rund um den Thurauer Berg bis nach Lüchow. Dort entdecken wir zwei bronzene Leinenweberinnen vor dem Brunnen auf dem Marktplatz. Sie erinnern an die Zeit, als die Region mit wendländischem Qualitätsleinen einen gewissen Wohlstand erreichte. Kaum haben wir die Jeetzel auf ihrem Weg zur Elbe gequert, geraten wir in das Gebiet der rätselhaften Rundlinge. Dahinter verbergen sich uralte Dörfer, deren Häuser sternförmig um den Dorfplatz angeordnet sind. Warum und wieso, darüber sind die Gelehrten sich noch nicht einig. Ein Rätsel, das uns den ganzen Tag beschäftigen wird, kommt in Form eines Spiegeleies daher, das auf einem Stein am Straßenrand appetitlich angerichtet ist. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich die Ungenießbarkeit heraus, weil es aus Zement zu sein scheint. Nach dem Motto: „Da back ich mir ein Ei drauf“ ziehen wir von dannen. Wenig später haut mich ein unscheinbares Schild aus dem Sattel – Groß Sachau – kein Stern der deinen Namen trägt, sondern ein Ort der meinen trägt. Also nichts wie hin. 

Mit meinen 204 Zentimetern Körpergröße scheine ich dort richtig zu sein. Bis ich auf den Abzweig nach Klein Sachau stoße, das mehr für meinen Sohn Finn Lasse gedacht scheint. So richtig rund geht es dann im Höhenzug Drawehn weiter – schön kurvig über sanfte Hügel. In der Clenzer Schweiz, wer nimmt nicht gern den Begriff „Schweiz“ für seine wohlgeschwungene Region in Anspruch, stoppen wir am Findlingspark und staunen über die riesigen Hinterlassenschaften der letzten Eiszeit.

Roland-in-StendalNach so vielen Unterbrechungen wollen wir Meilen machen. Wir erklimmen die mit über 100 Metern Schwindel erregende Braudeler Höhe, reiten ein Stück der Niedersächsischen Spargelstraße ab und schwingen durch Wiesen und Wälder nach Dahlenburg. Die Terrasse des Cafés am Markt lädt zur Pause ein, die Kräder parken in Sichtweite. Gestärkt tingeln wir in Richtung Neuhaus, um hinter Tosterglope zum Kovahler Turm rechts abzubiegen. Die Etappe zum und am Aussichtspunkt vorbei offenbart ungeahnte Berg- und Talfahrten im Hügelzug Klötzie, der zum Naturpark Elbhöhen-Wendland gehört. Ebenfalls dazu gehört der Göhrde-Forst, seines Zeichens größter Mischwald Norddeutschlands. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, das schmale und pflegebedürftige Teerband befördert meine Mitreisenden und mich immer weiter in die Tiefen des Naturparks. Dann umrunden wir den Hohen Mechtin, mit 142 Metern die höchste Erhebung im Wendland, und nehmen Kurs auf Hitzacker an der Elbe. Die Straße hält, was der grüne Beistrich auf der Karte verspricht – mächtig viel Fahrspaß in schönen Landschaften. Plötzlich bekommen wir aus heiterem Himmel was auf die Ohren: Am nahen Elbufer schmettert ein vielstimmiger Shanty-Chor handfeste Seemannslieder. 

Hitzackers Marktplatz wird von hübschen Fachwerkhäusern eingerahmt. Dort drehen wir eine Ehrenrunde um einen kleinen Brunnen, in dem ein viel zu großer Fisch Wasser speit: Der „Grode Butt“ erinnert an holländische Gastarbeiter, die im 12. Jahrhundert erste Elbdeiche errichteten. Der Sage nach gingen sie bei ihrer Arbeit nicht gerade zimperlich vor. Als sie den Flusskönig und seine Nixen vertrieben, kam der Riesenfisch und zerstörte die eben erbauten Deiche. Auf den neuen reisen wir stromaufwärts bis zur weit gespannten Brücke hinüber nach Dömitz. Als die Sonne den Horizont berührt, strahlt sie wie ein überdimensionierter „Atomkraft-nein-danke!“-Button und kippt einen großen Eimer Abendrot aus. 

 
Reiseinfo:

Allgemeines: Die Altmark erstreckt sich über 5000 Quadratkilometer im nördlichen Sachsen-Anhalt. Das Wendland erstreckt sich ebenfalls westlich der Elbe und zwar zwischen Dahlenburg und Schnackenburg. Nur wenige Hauptstraßen durchziehen das verkehrsarme, leicht hügelige Tourengebiet. Herausragende Höhenzüge sind die Klötzie und der Drawehn. Zahlreiche Ortskerne schmücken sich mit reichem Fachwerk oder kunstvollen Backsteinfassaden. Ein dichtes Netz von Nebenstrecken führt durch kleinere Waldgebiete und weite Agrarlandschaften.

Literatur und Karten: HB-Bildatlas Band 286 „Sachsen-Anhalt“. ISBN 361606192X und Band 333 „Lüneburger Heide“. ISBN 3616065917. Über 100 Seiten reich bebilderte, geballte Informationen für den ersten Überblick. Zahlreiche Straßenkarten. Preis je 8,50 Euro. 

ADAC Kartenset Deutschland 2010/2011. 10 Doppelblätter im Set von MairDumont. Maßstab 1 : 200.000. Im Buchhandel oder über www.adac.de. ISBN 9783826422058. 14,95 Euro.

Informationen: Tourismusverband Altmark e.V., Marktstraße 13, 39590 Tangermünde, Fon 039322 3460, www.altmarktourismus.de

Landkreis Lüchow-Dannenberg, Königsberger Str. 10, 29439 Lüchow (Wendland), Fon 05841 1200, www.luechow-dannenberg.de
 
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