aus bma 1/13
Text & Fotos von Wilfried Baum
Wir geben es zu – die Kuh (Anmerk. d. Red.: der Autor meint seine BMW) und ich sind eher Warmduscher. Schieben wir es mal auf das Alter – zusammen sind wir 79 Jahre alt. Also buchen wir Fähre statt selber zu schwimmen und ein Dach über dem Kopf statt zu Zelten.
An einem Sonnabend, Ende Juli, rutschen wir nach Hirtshals und sehen, was die „Norönna“ ausspuckt – so ca. 20 abenteuerliche, eingesaute Bikes. Eine, die mit dem legendären Namen einer Wüste, lahmt ganz fürchterlich. Die Kuh schaut nachdenklich. Wir rollen trotzdem drauf, ich beziehe eine Vierpersonen Innenkabine und treffe Collin aus Belgien – er ist auf einer BMW R 1200 GS unterwegs. Das Restaurant ist gut bestückt & bezahlbar, der Duty Free Shop auch und so vergeht der Tag. Die Nacht ist nicht ganz störungsfrei – in der Kabine haben alle außer mir, kräftig gesägt.
Nach dem Frühstück kommen die Shetland-Inseln in Sicht. Ich komme mit einem Mädel aus der Crew ins Gespräch. Sie studiert und arbeitet im Sommer auf der Fähre, 6 Wochen arbeiten, 2 Wochen frei, 10 Stunden pro Tag, freie Unterkunft, Verpflegung und Kleidung bringen 2500 Euro im Monat.
Abends, gegen 21 Uhr, rollen wir in Thorshavn, Färöer Inseln, an Land und machen bei Frau Jacobina Hansen B&B fest. Es gibt noch Kaffee und Keks; das Bett ist etwas kurz, aber sehr ok.
Frühstück um 8.30 Uhr – Frau Hansen serviert gut und reichlich, exotisch fleischlastig. Draußen ist es nass, Nieselregen, Nebel und kalt – für einen Färinger kein Problem, selbst die Hauskatze liegt völlig ungerührt im nassen Gas. Also Stadtbummel, alles sehr überschaubar. Gegen 18 Uhr klart es auf und wir nehmen die Straße nach Kirkjubor und Syoradalur. Tolles Licht und mystischer Ausblick auf die Nachbarinseln. Zurück bei Frau Hansen liegt schon wieder alles im Nebel.
Am nächsten Tag schüttet es richtig, so gegen 11 Uhr wird es klar. Wir nehmen Kurs West, fahren durch Täler und Tunnel, über Berge und erleben dann ein Kinderfest mit allem Zick und Zack – allerdings findet es in einem Bach statt. Am Rand stehen die Mütter mit Handtüchern und wenn ein Kind allzu blau wird, fangen sie es raus und ruffeln es ab. Die Fähringer sind echt zäh es mögen so 14°C sein, ich lasse die ganze Zeit die Jacke zugeknöpft. In einem Cafe turtelt Collin mit einer Wandermaus – da störe ich nur.
Sonne am Morgen, jetzt wird der Kurs nach Osten genommen, noch eine Nachbarinsel umrundet. Es sind erstaunliche 600 km auf diesen winzigen Inseln zusammengekommen. Am Nachmittag rollen wir wieder auf die „Norönna“. Später kommen noch ein paar Wale vorbei, sonst ist es ereignislos.
Um 5.30 Uhr wird geweckt, zwei Stunden später begrüßt uns Island mit kuscheligen 7°C, über Null versteht sich. Es geht bergauf, Richtung Egilsstadir, die Temperatur hingegen fällt bis auf 3°C ab. Dann die Ringstraße, Nr. 1 im Uhrzeigersinn – und schon werden wir übermütig – die Nr. 939 verspricht eine Abkürzung über den „Öxi“ – 30 km schmieriger Schotter, Serpentinen, 17% Steigung rauf und wieder runter. Gelobt sei die Nr. 1, die hat meistens Asphalt. Die Landschaft wird grandios, Bäche, Gletscher, Wasserfälle und zunehmend Sonne. Ein Abstecher zum Gletscher Flaajökull bringt noch mal 20 km Schotter – bei Sonne ist alles halb so wild. Eine Wasserdurchfahrt lächelt uns an – wir winken ab – als Norddeutscher weiß man ja, was „Koole Feut un Norden Wind…“ anrichten können. Abends ins Gästehaus Laerkjarhus – Einzelzimmer, perfekt und sauber. Es fallen noch 8 Franzosen ein, unterhaltsam und laut.
Gegen 6 Uhr werde ich vom Regen wach. Mein Frühstück, Tee, Skyr (ein leckerer, fester Joghurt), Haferkeks und Marmelade schmeckt dann gar nicht. Es schüttet den ganzen Tag. Über Höfn, Vik durch eine Geröllebene geht’s bis zum Gletschersee Jökulsarlon – kleine Eisberge auf dem Weg zum Meer. Es schüttet heftig, da bleibt sogar der Helm drauf und die Kamera im Tankrucksack. Collin fährt gegen den Uhrzeigersinn, wir tauschen nachher Fotos.
Abends dann das Gästehaus Stora Mörk III – wunderbar und warm. Die Wirtin steht gut im Futter und so ist denn auch das Abendessen. Ein Paar aus Berlin, ein Schweizer und ein Isländer, der Abend ist gerettet.
Wunderbar geschlafen – wieder Einzelzimmer, obwohl ich für die ganze Reise Schlafsackunterkunft gebucht hatte. Die Sonne scheint – zurück zur Nr. 1 fahre ich an drei beachtlichen Wasserfällen, Seljalandsfoss, vorbei. Gestern im Regen habe ich die gar nicht wahrgenommen – war auch ziemlich fertig. In Selfoss auf die Nr. 38 und zur Nr. 427, die Küste lang. Zur Abwechslung mal etwas Sand statt Schotter. Ein Geothermalgebiet bei Kleivarvatr – da könnte man die Schäden von „Koole Feut …“ wieder beheben. Eine Trockenanlage für Schellfischköpfe macht mich nachdenklich – wer braucht so etwas. Später erfahre ich, dass damit Afrika ernährt wird.
Reykjavik naht, wir haben bei der Heilsarmee eingecheckt. Das wird ein international (Italien, Frankreich, Japan) besetztes 6-Bettzimmer. Alk ist nicht erlaubt, aber so gegen 21.30 Uhr schaut ein Knecht ins Zimmer und fragt, ob auch wirklich alle genug für die Nacht gebunkert haben. Warum wir so früh auf dem Zimmer sind? Es ist Sonnabend, draußen ist jeder blau und die Isländer sind nicht unbedingt rücksichtsvoll. Raus aus Reykjavik – für mich die Enttäuschung der Reise – ich nehme wirklich gern einen, aber hier gehe ich glatt als Abstinenzler durch. Auf die Nr. 1 Richtung Borganes – Isländer fahren auch Motorrad, Sonntagmorgen auf der Harley, zur nächsten Tanke. Die sind hier ziemlich weit auseinander, 50 – 70 km, und vollständig ausgerüstet mit Restaurant und Minimarkt.
Zum Abend noch mal 30 km Schotter auf Nr. 711 zum Gästehaus Osar, wieder ein feines Einzelzimmer. Es ist ein altes Bauernhaus, der Bauer schaut ziemlich lange auf die Kuh und fragt, was so etwas in Deutschland kostet. Die Wiese runter ans Meer – auf einer Sandbank lungern ca. 50 Seehunde rum. Der Bauer hat unten eine Hütte, da übernachtet er im Sommer und passt auf, dass sich der Fuchs nicht an den Eiderenten vergeht – deren Federnester sind seine dritte Einnahmequelle.
Ein Paar aus Israel ist mit dem Rucksack unterwegs – solche Abende eröffnen Blickwinkel, die nicht unbedingt mit der Berichterstattung unserer Presse übereinstimmen.
9°C am Morgen, keine Eile also. Wir nehmen die Nr. 711 zur Felsenburg Borgarvirki – ganz klein, bergauf, bergab und fein geschottert. Irgendwann dann wieder die Nr. 1. Bei Varmahlid auf die Nr. 76 an der Küste entlang um die Halbinsel Skagi, durch ein paar Einspurtunnel mit Ausweichbuchten über Dalvik zum Gästehaus Skeiö. Die Wirtin ist Deutsche und der Liebe wegen hier hängen geblieben. Außer mir wohnt noch eine Frau hier. Sie brauchte mal Abstand vom Alltag und hat an einem Aufforstungsprojekt teilgenommen – netter Abend.
Die Wirtin hat’s drauf – sehr feines Frühstück mit selbstgebackenem Brot. In einem Kinderwagen räkeln sich zwei fette Kater – ein paar Kinder wieseln auch rum, man mag gar nicht aufstehen.
Bei Akureyri erreichen wir wieder die Nr. 1, bald darauf eine Vollbremsung. Collin kommt mir entgegen. Er hat für die Runde etwas mehr Zeit eingeplant und will noch in die Westfjorde.
Der Wasserfall Godafoss ist zwar nicht sehr hoch, aber ungemein eindrucksvoll – wie eigentlich alle Flüsse hier, schäumendes Wasser, grau, wohl wegen der Bodenerosion. Schon Mittags am Ziel – Myvatn, der Mückensee. Die Unterkunft ist unterirdisch; sechs Betten auf 10 m² und es riecht nach Tigerkäfig. Die Mädels an der Rezeption sind einsichtig und für mein zartestes Lächeln gibt’s wieder eine Einzelkammer in der Angestelltenunterkunft. Die Gegend ist Geothermalgebiet und im “Myvatn Nature Bath“ kann man sich bei ca. 40°C im blauweißen Wasser garen lassen.
Abends ist ein Grillfest der Angestellten, Saisonkräfte aus den verschiedensten Ländern. Ich schwatze länger mit einem Iren. Eigentlich hatte nur seine Freundin einen Arbeitsvertrag – da er aber alles kann, wurde er Universalreparierer, zuerst gegen Kost und Logis, nach ersten Erfolgen gibt’s jetzt auch Lohn. Die Mücken wollen auch mit grillen – mein Autan nötigt ihnen nur ein Lächeln ab.
Morgens Strahlewetter, das Futter der Kombi kann endlich mal raus. Rundfahrt durch das Geothermalgebiet, überall zischt Wasserdampf. Er wird aus mehreren Quellen gesammelt, zu einem Kraftwerk geführt und zu Strom gemacht. Maximal umweltfreundlich, allerdings auch geruchsintensiv, so ein bisschen nach Vorhölle.
Irgendwann kommt ein Abzweig auf die Nr. 901 – 50 km Schotter – nur zwei Fahrzeuge begegnen mir. Wieder auf der Nr. 1 treffe ich zwei GS-Biker, die die Motorräder per Frachtschiff ins Land gebracht haben. Sie selbst sind dann hinterher geflogen, das spart 5 Tage.
Aus purem Übermut nehmen wir noch die Schleife Nr. 925-927, Schotter mit Spurrillen und schaffen es dann tatsächlich, uns grässlich zu verfahren. Abends dann das Gästehaus Skipaläkur in Egilstadir. Wieder ein Einzelzimmer in einer vollständig eingerichtet Wohnung mit Bildern, Fotoalben, usw. Keine Ahnung, wo die ursprünglichen Bewohner sind.
Frühstart um 5.30 Uhr, 3°C zum Abschied. Es sind noch 27 km im dichten Nebel bis zur Fähre. Wir treffen einen Holländer auf KTM – hat unterwegs reichlich Anbauteile eingebüßt. Vier Italiener aus Verona auf Vespas nötigen uns einigen Respekt ab.
Mit in der Kabine sind Vater und Sohn auf Ducati Multistrada. Wir haben uns unterwegs mehrmals gesehen und können jetzt 2 Tage lang den Urlaub verdauen. Motorradbedingt sind sie kaum Schotter gefahren, haben dafür andere Dinge gesehen.
Rückreisen machen mich immer wehmütig – grauer Himmel, noch nicht einmal Wale. Ich treffe einen Österreicher, Rentner, auf einer Yamaha Ténéré 1200. Die Islandreise hat er an eine Ostseeumrundung angeschlossen. Er ist geschieden, die Tochter passt auf Haus und Hund auf. Ein Paar aus Essen auf Suzuki SV 650 sind einmal komplett die Nr. 1 gefahren. Ihr hat es nicht so gefallen, er würde gern mit einem leichteren Motorrad wiederkommen. Ich stimme ihm zu, die Kuh hört es ja nicht.
Pünktlich in Hirtshals – die Kuh ist genauso eingesaut wie die Bikes vor zwei Wochen. Die letzten Kronen investieren wir in einen HotDog für mich und Sprit für die Kuh – die 450 km bis ins gelobte Land darf sie dann mal wieder richtig wetzen.
Wer auch mal nach Island will: die Fähre und Unterkünfte wurden bei Contras Travel gebucht. Dort werkelt eine fleißige Biene – zu beanstanden war lediglich der Tigerkäfig in Myvatn. Im Sommer waren die Preise moderat auf Deutschland-Niveau, Alkohol ausgenommen. Dagegen kann man den aber auf der Fähre günstig bunkern.
Für Leute, die unserer norddeutschen Sprache nicht mächtig sind: „Koole Feut un Norden Wind mok en krusen Büdel un lütten Pint“ soll ausdrücken, dass das Urinieren mit Motorradklamotten extrem schwierig wird.
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