aus Kradblatt 4/19, von Frank Sachau

Harzhafter Genuss …

Teufel am Hexentanzplatz - Foto Frank Sachau

Das nicht nur bei Küstenkradlern beliebte Mittelgebirge verbindet im Dreiländer­eck Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Klassik und Moderne: Unterwegs zwischen historischen Bauten, neuzeitlicher Architektur und richtungsweisender Technik. Mit im Gepäck sind neben Kaisern und Königen auch dunkle Mächte und ein Ketzer.

Trübe Aussichten: Anders als in den vergangenen Jahren präsentiert sich mir der Harz als Regenfänger. Statt Sonnenschein kündigt der Wetteronkel zähen Hochnebel, niedrige Temperaturen und einzelne Schauer an. Doch ich lasse den behelmten Kopf nicht hängen und starte voller Optimismus die Maschine. 

Entlang der Gleise der Selketalbahn schwinge ich von Gernrode am nördlichen Harzrand hinauf in das höchste Gebirge Norddeutschlands. Bei Mägde­sprung erreiche ich das tief eingeschnittene Tal der Selke, hier ist kaum Platz für Wasserlauf, Straße und Schienenstrang. 

Die Selketalbahn - Foto Frank Sachau Ende des 19. Jahrhunderts nahm die älteste, dampfbetriebene Schmalspurbahn des Harzes ihren Betrieb zwischen Quedlinburg und Hasselfelde auf, um Bergwerke und Fabriken in Orten wie Drahtzug und Stahlhammer mit Menschen und Material zu versorgen. 

Nachdem ich mehrere Bahnübergänge passiert habe, biege ich in Silberhütte ab und genieße den anhaltenden Schräglagenwalzer auf der verkehrsarmen und waldreichen Nebenstrecke über Hayn nach Roßla. 

Aus den einsamen Hochebenen des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz gelange ich hinunter in das von der Helme durchflossene Tal der goldenen Aue, natürliche Grenze zwischen Harz und Kyffhäuser, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 

Weil hartnäckige Nebelfetzen das mir bestens bekannte Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem über 400 Meter hohen Kyffhäuserburgberg nur schemenhaft erkennen lassen, steuere ich stattdessen die Kaiserpfalz Tilleda an. Im frühen Mittelalter wohnten in der Region weilende Kaiser und Könige in der repräsentativen und zugleich wehrhaften Residenz am Fuße des Gebirgszuges. 

Pranger an der Wasserburg Egeln - Foto Frank SachauIm Regenschatten des Osthanges besuche ich das kleine Besenbinderdorf Udersleben, das mit der Herstellung des größten Besens der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde kam: Das monströse Kehrgerät ist 35 Meter lang und 3,8 Tonnen schwer. 

Von ebenfalls riesigen Ausmaßen ist das in elf Jahren Arbeit entstandene Monumentalgemälde im nicht weit entfernten Bauernkriegsdenkmal oberhalb von Bad Frankenhausen. Das an eine übergroße Keksdose erinnernde Gebäude zeigt auf einem über 1700 m² großen Wandbild Szenen des blutigen Kampfes des von wirtschaftlicher Not und sozialem Elend bedrohten kleinen Mannes gegen Adel und Klerus. 

Nur wenige Jahre nach Beginn der friedlichen Reformation unter Martin Luther erhoben sich zwischen Harz und Alpenrand Rechtlose und Ausgebeutete, um für bessere Lebensbedingungen zu streiten. Der gewaltbereite Priester Thomas Müntzer wandte sich von Luthers Lehre ab, scharte ein Bauernheer um sich und führte es hier vor rund 500 Jahren in eine ausweglose Schlacht gegen kampferprobte Landsknechte. Nach der Niederlage gefangen genommen, wurde der Rädelsführer in der nahen Wasserburg Heldrungen eingekerkert und kurz darauf vor den Toren der Stadt Mühlhausen öffentlich hingerichtet. Heute toben Schulkinder um das an den Revolutionär erinnernde Denkmal im Inneren der Heldrunger Festungsanlage, die nun als Jugendherberge dient. 

Bei Kindelbrück stoße ich auf die Wipper und folge dem windungsreichen Flusslauf stromaufwärts nach Rottleben im Kyffhäuser. 

Kaum habe ich die Hauptstraße gequert, senkt sich die schmale Asphaltdecke hinunter zur geheimnisvollen Barbarossahöhle, die zu den größten Höhlen Europas zählt. 

Ein paar Schaltvorgänge später weist ein Straßenschild an der ausgedehnten Wasserfläche der Talsperre Kelbra entlang nach Sondershausen, wo ich auf die vom Schwerlastverkehr gebeutelte B4 treffe, die mich in weiten Bögen hinunter nach Nordhausen am südlichen Harzrand geleitet. 

Bedrückend, das KZ Mahnmal Dora Mittelbau - Foto Frank Sachau Die bleigraue Wolkendecke über meinem Helm bildet die passende Einstimmung auf den Besuch des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Zwischen 1943 und 1945 verlagerten die braunen Machthaber kriegswichtige Fertigungsanlagen bombensicher unter Tage. Im Kohnstein trieben Zwangsarbeiter umfangreiche Stollensysteme in den Berg, Tausende fanden dabei den Tod. 

Festnahme Thomas  Müntzer - Foto Frank Sachau Das Licht der Welt erblickte Thomas Müntzer im Jahre 1489 in der Niedergasse 2 im nicht weit entfernten Fachwerkstädtchen Stolberg. Im historischen Ortskern besuche ich das anlässlich seines 500. Geburtstags aufgestellte Denkmal, bevor ich beherzt am rechten Griff drehe und himmelwärts zur Harzhochstraße beschleunige. 

Im beschaulichen Stiege biege ich zwischen Schloss, Kirche und See nach Friedrichsbrunn ab. 

So wie Hubraum und Drehmoment gehören auch Harz und Hexen zusammen: Hoch über dem Bodetal stoppe ich am Hexentanzplatz, einer uralten heidnischen Kultstätte, wo sich alljährlich in der Walpurgisnacht, vom 30. April auf den 1. Mai, die dunklen Mächte zum großen Gelage treffen. Und das ist noch längst nicht alles! Ganz in der Nähe soll sich vor langer, langer Zeit folgendes Drama abgespielt haben: Königstochter Brunhilde flieht auf ihrem Pferd vor dem bösen Böhmenkönig Bodo. Die wilde Hetzjagd endet am Rande einer tiefen Schlucht. Brunhilde setzt vor lauter Verzweiflung alles auf eine Karte. Sie springt – gerettet. An der Roßtrappe ist bis heute ein Hufabdruck im Fels zu sehen. Der fiese Bodo lässt nicht locker, gibt seinem Pferd die Sporen – und stürzt in die Tiefe. Seither trägt der Fluss seinen Namen. 

Einen hab ich noch! Im nicht weit entfernten Timmenrode ragt ein bizarrer Sandsteinkamm aus dem Boden, die sogenannte Teufelsmauer. Der Sage nach wollten Gott und Teufel die Welt unter sich aufteilen. Dem Gehörnten sollte all das gehören, was er in der Nacht bis zum ersten Hahnenschrei mit einer Mauer umfassen konnte – doch der Hahn krähte zu früh! Vor Wut außer sich, riss er die unvollendete Mauer wieder ein. Wie beruhigend, dass ich noch vor Einbruch der Dämmerung Gernrode erreiche. Stutzig werde ich allerdings, als ich am Hoteleingang gleich zwei Hexenbesen entdecke. 

Wasserburg Heldrungen, Kerker Thomas Müntzers - Foto Frank SachauKeine zwölf Stunden ist es her, dass über mir ein laues Lüftchen raschelnd durch das dichte Blätterdach des Biergartens strich und ein kühles Blondes vor mir stand, zu meinen Füßen die erwachenden Lichter von Gernrode und fern am Horizont ein verblassendes Abendrot. Der kleine Ort am Nordrand des Harzes scheint noch zu schlafen, als ich meine GS gen Osten lenke, der aufgehenden Sonne entgegen. Linker Hand zieht die Roseburg vorbei. Um 1000 errichtet, dann vergessen und verfallen, erst vor hundert Jahren in verschiedensten Baustilen als romantisch verträumte Anlage mit Park wieder aufgebaut. 

Ein paar Schaltvorgänge später verbirgt sich am rechten Blinker hinter dichten Baumbeständen das aus dem 18. Jahrhundert stammende Residenzschloss Ballenstedt, vorzeigbares Wahrzeichen der Stadt. 

Vorerst sollen es die letzten historischen Bauten sein, denn auf den nun folgenden 80 Kilometern bis Dessau gehört meine volle Aufmerksamkeit einzig und allein der Straße. Oft in luftiger Höhe mit herrlichen Blicken übers Land unterwegs, bremst so manche verzwickte Ortsdurchfahrt meine flotte Gangart. 

Weite Agrarflächen und imponierende Windparks liegen hinter mir, als ich Alsleben an der sächsischen Saale erreiche. Links abgebogen und unter der Brücke hindurch, finde ich die mittelstreifenlose und menschenleere Trasse nach Gnölbzig. Dabei komme ich nicht nur dem zweitlängsten Nebenfluss der Elbe sehr nahe, sondern stoße auch tief ins Zentrum des hiesigen Naturparks vor, der sich von Halle im Süden bis Nienburg im Norden erstreckt. 

Nach der Saalequerung bei Könnern verströmt ein großes Teilstück der Deutschen Alleenstraße bis Dessau-Roßlau gute Laune. 

Hugo Junkers-Technikmuseum in Dessau - Foto Frank Sachau In der drittgrößten Stadt Sachsen-Anhalts stoppe ich den Bayern-Boxer auf dem Gelände der ehemaligen Junkers-Flugzeugwerke vor dem Technikmuseum „Hugo Junkers“. Der luftfahrtbegeisterte Konstrukteur verdrängte mit seinem Ganzmetallflugzeug JU 52, die bis dahin üblichen Modelle aus Holz und Leinwand. Als Pazifist den Kriegsvorbereitungen der braunen Machthabern im Wege, wurde er 1933 enteignet. Der geniale Ingenieur stand in regem Gedankenaustausch mit Walter Gropius, dem im Ort ansässigen Leiter des berühmten Bauhauses, Kinderstube und Ideenschmiede der modernen Architektur aus Glas, Stahl und Beton. Doch weil die avantgardistischen Bauten nicht den Vorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen, wurde der Schulbetrieb eingestellt. 

Ganz in der Nähe strömt die aus der Dübener Heide kommende Mulde in die Elbe, kühne Brücken lassen mich mit trockenen Reifen beide Wasserläufe überqueren. 

Der Roland in Zerbst - Foto Frank Sachau Kaum im Stadtteil Roßlau angelangt, entführt mich die Nebenstrecke nach Steutz in die stille Auenlandschaft des Biosphärenreservats Mittelelbe. Allzu gern treibe ich meine Maschine über holprigen Patchwork-Teer durch Kiefernwäldchen und an Wiesen und Feldern vorbei nach Zerbst. Denn ich kann nicht mit dem Motorrad in Sachsen-Anhalt unterwegs sein, ohne die von mir geliebten Rolande zu besuchen, die es hier in großer Zahl zu bestaunen gibt; edle Recken aus Stein, die im Mittelalter für Zoll- und Marktfreiheit standen. Das stattliche Exemplar in Zerbst scheint buchstäblich auf den Hund gekommen zu sein und birgt ein Geheimnis: Niemand kennt heute noch die Bedeutung des Vierbeiners, der unter dem rechten Fuß des mit Schild und Schwert bewaffneten Ritters liegt. 

Nur ein paar Minuten später rolle ich auf die Gierseilfähre nach Breitenhagen, die mich lautlos, nur die natürliche Strömung ausnutzend, ans westliche Elbufer übersetzt. 

Die gelben Linien der Generalkarte meinen es weiterhin gut mit mir, als ich durchs reizvolle Osternienburger Land nach Bernburg kurve. Dort thront hoch über der Saale die Krone Anhalts, wie das beeindruckende Renaissanceschloss gerne genannt wird und bietet einen prima Aussichtspunkt. 

Deutlich bescheidener, aber nicht schlechter ist das Postkartenmotiv, das ich kurz darauf in einer kleinen Nebenstraße im benachbarten Nienburg entdecke. Im Halbschatten eines Baumes lädt mich eine gemütliche Holzbank zum Verweilen ein, die aus dem Harz stammende Bode strömt vor meinen staubigen Stiefeln in die Saale. Der ernüchternde Blick auf die Uhr lässt mich aber schon bald aufbrechen, weil ich gegen den Lauf der Bode zurück in das norddeutsche Mittelgebirge finden möchte. 

Wasserburg Egeln - Foto Frank Sachau Teiche, Tümpel und Bäche ziehen vorüber, bis ich die 1000 Jahre alte Wasserburg in Egeln erreiche. Einst galt es die nahe Heer- und Handelsstraße zwischen Magdeburg und Goslar zu schützen, die eine Furt in der Bode passierte. Eine mit knackigen Kurven gespickte Chaussee lässt mich über Hügel und Kuppen springen und meinem Ziel rasch näher kommen. Im fahlen Gegenlicht erkenne ich am Horizont nicht nur den Brocken, den 1141 Meter hohen sagenumwobenen Harzgipfel, sondern auch die von spitzen Türmen geprägten Silhouetten Halberstadts und Quedlinburgs. 

Mit dem Abschied von der Bode erwacht meine Vorfreude auf das, wie ein Schwalbennest am Harzhang klebende, Hotel Stubenberg mit seinem einladenden Biergarten und dem einzigartigen Panorama. 

Unterkunft auf dieser Tour: 

Hotel Stubenberg, 06485 Gernrode:
Das imponierende Stubenberg-Panorama allein ist schon ein triftiger Grund für einen Aufenthalt im Harz. Gut betreut von Wirt Henry Keilwitz und seinem gastfreundlichen Team bieten sich von hier aus auch Fahrten in die Magdeburger Börde, das Mansfelder Bergland und den Westharz an. Tourenkarte, Garage und WLAN kostenlos. Telefon: 039485-919151, www.hotel-stubenberg.de

Weitere Harz-Infos:
• Harzer Tourismusverband: www.harzinfo.de
• IMG – Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH www.sachsen-anhalt-tourismus.de

Besuchte Museen:
• Panorama Museum, 06567 Bad Frankenhausen, www.panorama-museum.de
• Technikmuseum Hugo Junkers, 06846 Dessau-Roßlau, www.technikmuseum-dessau.de