aus Kradblatt 9/19, von Wilhelm Stark

Motorradfahren, die beste Seelen-Massage

Wilhelm und Max auf Tour

Max ist auf mysteriöse Weise um drei Ecken mit meiner Frau verwandt. Irgendwie ist seine Frau die Cousine meines Schwiegervaters oder so. In unserem Dorf ist jeder auf irgendeine Art und Weise mit jedem verwandt. Für eine zugereiste Stadtpflanze wie mich ist das Netzwerk nicht zu durchschauen.

Außerdem ist Max 80 Jahre alt und spult immer noch jeden Tag, den er für geeignet hält, seine Kilometer runter. Am liebsten fährt er früh morgens in das 20 Kilometer entfernte Weil der Stadt zum Café Diefenbach, trinkt seinen Kaffee und fährt dann wieder zurück. Aus den 20 Kilometern pro Strecke werden auch manchmal 30, 40 oder mehr. Über das Jahr verteilt kommt er auf 5000 km. Das ist mehr als mancher Junghüpfer abspult.

Auf gehts - Max startet seine BW R 1100 RHeute habe ich mich mit ihm verabredet. Max sitzt in der aufgehenden Sonne vor seinem Haus und legt die Apotheken-Umschau zur Seite, als mich kommen hört. Er wirkt sehr zufrieden und genießt den Morgen. Ich freue mich ebenfalls und frage mich, ob ich mit 80 ebenfalls in der glücklichen Lage sein werde, Motorrad fahren zu dürfen. Seine Frau Doris kommt auch kurz zur Tür, um mich zu begrüßen. Sie ist eine liebenswerte und fröhliche Frau. Will heißen, sie passt zu ihm. Als wir losfahren wollen, ruft sie ihrem Gatten noch zu, ob er auch sein Halstuch dabei habe. Klar, hat er. Nervt ihn das? Nö.

Max fährt entspannt, aber man sieht ihm die Routine der vielen Jahre als Motorradfahrer an. Er hat seinen ersten Führerschein mit 16  gemacht und fuhr ein paar Jahre mit einer Triumph BDG 125 durch die Gegend. 1952 muss das gewesen sein, wenn ich richtig gerechnet habe. Dann kam ein Goggomobil und anderes vierrädriges Zeugs daher und die Zweiradkarriere hibernierte ausgiebig. Erst mit 40 Jahren nahm er dieselbe wieder auf, dieses Mal in Person einer Honda CB750 Four. Es fing damit an, dass ihm die Frau seines Chefs immer die neueste MOTORRAD mitbrachte. Sie arbeitete für die Motorpresse und da ihr Mann nichts für diese Höllenmaschinen übrig hatte, wurde halt Max mit gutem Stoff versorgt. Später fuhr er dann mal eine Honda Hawk GT, lt. Max „so eine Revere mit Kette halt“. Zu guter Letzt ist er bei seiner BMW R 1100 R angekommen, „weil die ein ABS hat“. Ein Opa-Motorrad in Bordeauxrot, wie es im Buche steht. Fast jedenfalls, eine R 850 R in ebendieser Farbe wäre noch Opa-mäßiger. Aber es passt zu ihm, er ist ja auch Opa. Die Four ist nach wie vor in Familienbesitz. Sein ältester Sohn hat sie übernommen und sie teilt sich die Garage mit drei weiteren Motorrädern.

In Weil der Stadt, kurz vor dem großen Wasserfall, der am Rande der Erde ins große Nichts stürzt, parken wir unsere Motorräder stilvoll vor Max’ Lieblingscafé im pittoresken Gewerbegebiet auf dem Abstellplatz für Fahrräder. Max begutachtet meine Reifen und ich erwarte jetzt ein „Wow, keine Angstrille!“, aber Max meint lediglich: „Hast ja noch genug Profil. Ich muss bald zum Reifenhändler.“ Na dann.

Motorradtour - Plaudern beim Kaffee Beim Kaffee plaudern wir über dies und jenes. Auffällig dabei ist, dass Max kaum von früher erzählt. Er lebt genau jetzt und ist zufrieden mit dem, wie es gerade ist. Wenn man ihn fragt, berichtet er schon aus der Zeit, als er noch gearbeitet hat, aber ohne Wehmut. Eben nur als Bericht. Max ist von der Ausbildung her Maler und Lackierer, hat dann aber einen Wechsel zum Feldschütz der Stadt Stuttgart vollzogen. Seine Karriere lief sehr zu seiner Zufriedenheit, er konnte ein paar Jahre früher als geplant in Rente gehen und das war’s. Punkt! Keine Heldenberichte nach dem Motto „The older I get the better I was“ oder so. Vielmehr spricht er darüber, wann er zuletzt geschraubt hat, welches Öl er bevorzugt verwendet, wo er am liebsten hinfährt und in welches Café er auch sonst ganz gerne geht, das allerdings leise hinter vorgehaltener Hand. Man will sich ja hier keine Feinde machen. 

Max hat Freude am FahrenAuch Geschichten übers Zipperlein oder wer gerade aktuell verstorben ist, bekommt man von Max nicht zu hören, allenthalben berichtet er etwas besorgt, dass ihm das Aufsteigen aufs Motorrad in letzter Zeit schwerer fällt. Von einem kleineren, leichteren Motorrad will er nichts wissen, das bekomme er bei seiner Frau nicht durch. Dabei ist er viele Jahre eins gefahren. Als sein ältester Sohn den Motorradführerschein hatte, war es vorbei mit den rassigen 67 Pferden. Die fuhr fortan der Erstgeborene, während Max mit dessen 27-PS-Gurke durch die Gegend rollen durfte. Dabei gibt es doch jetzt so herrlich leichte Motorräder mit niedrigerem Sitz und ABS. Ich werde das mal mit Doris klären. Eine Harley wäre dem Alter entsprechend. Zwar nicht leicht, aber der Sitz ist niedrig. OK, so ein Teil wird nicht unter bayrischer Flagge produziert, aber man will ja auf die alten Tage nicht wählerisch sein. Und wenn ich der Doris verkaufe, dass so ein Eisenhaufen nicht so schnell kann, ergibt sich vielleicht eine Chance.

Max scheint ein richtiger Kaffee-Racer zu sein. Seine Frau und er haben einen durchgetakteten Zeitplan, wann sie sich mit wem in welchem Café treffen. Dann jedoch steigen sie ins Auto. Das Motorradfahren ist seine Domäne, die er hochhält. Hier ist er für sich, ganz mit allen Sinnen im hier und jetzt und ohne Ablenkung. Das Motorradfahren ist sein tägliches Fitnessprogramm und Morgenmeditation in einem, so verrät er mir, eine Art Yoga auf 2 Rädern. Er schwört auf diese Medizin, so wie andere vielleicht auf Appetitzügler, Ginseng-Extrakt, Darmspülung oder Haftcreme. Der Erfolg gibt ihm Recht. Das läuft unter der Rubrik „Alles richtig gemacht“.

Nach so viel Erzählen werden wir eine Zeit lang still. Ich leihe mir seine Apotheken-Umschau aus und er bekommt dafür die Motorradzeitschrift, dich ich mitgebracht habe. Sein Kaffee mit Kondensmilch ist kalt geworden, ebenso mein Cappuccino. So ist es halt, wenn Männer sich mal unbeobachtet fühlen. Hab schon lange kein Kreuzworträtsel mehr gemacht. Hmmm, anderes Wort für Motorradfahren, das mit „…eelenmassage“ endet. Da muss ich mal den Max fragen, er macht sowas öfter. Die FUEL scheint ihm zu gefallen. Vor allem der Artikel über die Rennweste. „Die war bei uns sehr begehrt.“ – „Gibt’s wieder!“ – „Ach was.“ Alles gesagt.

Mensch Max, das lässt mich echt hoffen. Man hört nicht auf, Motorrad zu fahren, wenn man alt ist, sondern man ist alt, wenn man aufhört Motorrad zu fahren. Oder so. Du bist der lebende Beweis dafür. Ich wünsche mir, dass ich mit 80 auch noch Motorrad fahren werde. Dein Fitnessprogramm kenne ich ja jetzt.