Grenzsuche im Harz …
aus Kradblatt 9/24 von Torsten Thimm & Carmen Zornmüller
Fast jeder Arbeitnehmer in Deutschland, außer in Bayern und Sachsen (Stand 8/24), hat einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub. Eine sehr gute und vor allem sinnvolle Sache, denn gezielte Bildung kommt gerade bei uns Älteren manchmal zu kurz, außer man kümmert sich natürlich selbst darum.
In unserem Fall haben wir nach einigem Suchen mit Britta und ihrem Team von „Motorradfahren bildet“ tatsächlich eine Einrichtung gefunden, bei der man nicht nur ausschließlich etwas lernt, sondern zwischen den Etappen auch die Landschaft auf dem Motorrad genießen kann. Am Ende also eine Win-win-win-Situation für alle Beteiligten, auch wenn der Weg dorthin unverständlicherweise von einigen Arbeitgebern nur zähneknirschend akzeptiert wird.
Grenzen 1 oder doch ganz anders?
So hieß die Veranstaltung, die wir bei Motorradfahren bildet im Harz gebucht hatten.
Dass Grenzen sehr viel bedeuten können, wurde schon in den ersten Stunden deutlich. Denn anders als so mancher Teilnehmer anfangs dachte, ging es eher um Grenzen in den Köpfen als um die Grenze, die unser Land jahrzehntelang teilte und so viel Leid verursachte. Wer sich mit diesen Grenzen beschäftigen möchte, kann mit „Grenzen 2“ seine Perspektiven im historischen Harz von 1930 bis heute erweitern.
Wir jedoch ließen uns auf die oben bereits erwähnten Grenzen ein und als Geschichtsfreak öffnete sich im Laufe des Seminars eine Schublade nach der anderen in meinem Kopf und schnell waren die Namen und Taten der Protagonisten wieder präsent.
Martin Luther, Thomas Müntzer und alles, was mit der Reformation und den Bauernkriegen zu tun hatte, wurde zum Mittelpunkt der Geschichte, deren Schauplätze wir nach und nach mit dem Motorrad durch den Harz ansteuerten. An den einzelnen Stationen fanden dann Vorträge, Führungen und Workshops mit diversen Aufgaben statt. Dabei bildete der Harz den Bilderrahmen rund um die Lebenswege der Menschen im Mittelalter und zugleich unseren ganz eigenen Rahmen für die Tour.
Beginnend mit Martin Luthers Wohnhaus in Mansfeld und dem dazugehörigen Museum ging es nach einigen Lernstunden weiter in die Lutherstadt Eisleben, wo er 1540 starb. Im Gegensatz zu Müntzer war Luther am Ende aber eher ein sanfter Reformator, der im Laufe seines Lebens an Zug für die eigentliche Sache verlor und immer versuchte der weltlichen Obrigkeit nahe zu sein. Für ihn war klar, dass die Freiheit und die Grenzen, die er den Bauern und Bürgern aufzeigte, erst nach deren Tod gelten würden.
Am nächsten Tag folgten wir den Spuren des zweiten Reformators, Thomas Müntzer, der insgesamt radikaler als Luther in die Geschichte eingriff und schließlich nach der verlorenen Bauernschlacht bei Bad Frankenhausen im Mai 1525 in Mühlhausen ziemlich kopflos sein Leben ließ. Seinen Spuren in der Geschichte zu folgen, war dennoch äußerst interessant, denn mit seinen ins Deutsche übersetzten Predigten und Kirchenliedern durchbrach er bei den Menschen seiner Zeit sehr viele Grenzen und machte sie von einfachen und meist gehorsamen Statisten der Obrigen zu einem denkenden Volk mit Wünschen und Forderungen. Für ihn war Freiheit und Gleichheit ein Grundgesetz der Menschheit und es galt aus seiner Sicht nicht erst nach dem Tod.
Von Stolberg, dem Geburtsort Thomas Müntzers (1489), bis zur verlorenen Schlacht bei Bad Frankenhausen begleiteten uns die beiden Reformatoren ebenso wie die teilweise doch erschreckend kahle Landschaft des Harzes, die Carmen und mich schon 2023 in ihren Bann zog. Ja, noch immer sind viele Flächen kahl, von Sturm und Borkenkäfer gezeichnet, aber wenn man genau hinschaut, tut sich etwas und die Natur gewinnt langsam, aber sicher wieder die Oberhand über die vom Menschen verursachte Katastrophe. Doch werden sicherlich noch viele Jahrzehnte vergehen, bis sich alles wieder zum Guten gewendet hat. Motorrad bildet hat aber auch dazu den passenden Bildungsurlaub parat. Der Wald im Spannungsfeld zwischen Nationalpark, Landesforsten und privaten Wirtschaftswäldern.
Recht und Sicherheit. Aber auch abseits der beiden Herren und ihrer Geschichte gab es viel zu sehen und vor allem zu erfahren. Denn tatsächlich blieb eine Schublade in meinem Kopf geschlossen, als ich das Wort Sachsenspiegel hörte. Erschreckenderweise kannte ich ihn nicht oder hatte ihn so weit verdrängt, dass nichts mehr da war. Auf der Burg Falkenstein bekamen wir daher dann ein Update und einen genaueren Einblick in das Rechtsbuch des Eike von Repgow aus dem 13. Jahrhundert (1220–1235). Auch mit ihm wurden bereits Grenzen überwunden, gilt es doch als bedeutendes Werk für die beginnende Vereinheitlichung des deutschen Schrifttums und als Grundlage für die Rechtsanwendung und Rechtsprechung im europäischen Raum.
Mit dieser Erkenntnis endete der vorletzte Tag unserer Exkursion in den Harz und Carmen und ich nutzten die verbliebene freie Zeit, um Goslar noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn, obwohl wir in der Harzlodge unweit des Stadtzentrums wohnten, stand die Stadt und ihre Geschichte nicht auf dem Programm der Tour. Aber auch sie hat mit ihrer historischen Innenstadt und der Kaiserpfalz viel Geschichte zu bieten und kann zum Thema Grenzen jede Menge beitragen.
Fazit: Wer meint, eine Bildungsreise mit dem Motorrad sei nur eine Hobbyfahrt, um seiner Leidenschaft zu frönen, der kann sich vom Gegenteil überzeugen und selbst einmal an einer solchen Veranstaltung teilnehmen, um sich bilden. Für uns war es ein lehrreiches Erlebnis unter Gleichgesinnten, die am Ende alle ein Fazit zogen. Motorradfahren bildet und überwindet dabei so manche Grenze, die sich vielleicht im Laufe der Lebensjahre aufgebaut hat. Menschen aus unterschiedlichen Gegenden haben unterschiedliche Ansichten, die im Austausch auf einer solchen Veranstaltung jeden Teilnehmer weiterbringen. Aus unserer Sicht bekommt die ganze Veranstaltung das Prädikat sehr gut und Carmen und ich werden das im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder machen.
Neben den geschichtlichen und ökologischen Themen ist für viele sicherlich auch das Bildungsthema „Stressprävention“ interessant. Alle Infos zu Terminen und Themen gibt es online unter www.motorradfahrenbildet.de.
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