aus Kradblatt 2/15
von Jörg „Jogi“ van Senden
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Motoröl ist Lebenssaft – aber der Stand muss auch stimmen

 

zu voll Schauglas Yamaha XJ 600Neulich berichtete uns ein Motorradhändler, dass er eine Yamaha mit Trockensumpfschmierung in die Werkstatt bekommen hätte, die aus allen Motoröffnungen Öl spuckte, auch aus den Öffnungen, die definitiv nicht dazu vorgesehen sind. Während der Fehlersuche wurden vom Mechaniker 8,5 Liter Öl abgelassen (in Worten: achteinhalb!) Das hätte uns bei einer Boss Hoss mit V8 Motor nicht gewundert, aber da die meisten Motorräder selten mehr als 3,5 Liter Motoröl benötigen, erscheint dieser Öl-Pegel rekordverdächtig hoch.

Wie konnte das passieren?
Schaugläser oder Peilstäbe mit Markierungen zur Messung des Ölstandes, die an jedem Motorrad zu finden sind, sollten doch eigentlich über die richtige Füllmenge Auskunft geben. Fatalerweise befindet sich das Öl jedoch nicht immer da, wo es auch gemessen werden kann. Um das zu verstehen, müssen wir ein wenig in die Technik der unterschiedlichen Schmiersysteme des Motors und das Motorenöl an sich eintauchen.

Restoel im Motor auch nach laengerer StandzeitMotoröl ist heute ein komplexes und aufwendiges Produkt, das nicht nur aus dem eigentlichen mineralischen oder synthetischen Öl besteht, sondern auch aus bis zu 20 % beigemischten Additiven, die unterschiedlichste Aufgaben zu erfüllen haben. Zur Viskositätsverbesserung finden wir Polyester, wie Poly Isobutyl im Öl, Detergenzien zur Motorreinigung, Korrosions- und Oxidations-Inhibitoren, Reibungsminderer und Schaumdämpfer – ein richtiger Cocktail.

Manche Motoren sind als eine Einheit mit dem Getriebe konstruiert und besitzen außerdem auch noch eine Ölbadkupplung. In diesem Falle werden die Additive zur Reibwertminderung reduziert und dafür Hochdruck-Additive zugefügt, die die Scherkräfte der Getriebezahnräder für das Öl erträglicher machen. Allen Motorölen ist zumindest gemein, dass sie Pleuel- und Kurbelwellenlager, Nockenwellen und Zylinderlaufflächen schmieren und den Motor kühlen sollen. Läuft der Motor mit zu wenig Öl, führt das zu erhöhtem Verschleiß in Ermangelung ausreichender Schmierung, bis hin zum Festfressen von beweglichen Komponenten.

Im umgekehrten Fall, wenn der Motor zu viel Öl bekommt, verliert er an Leistung, weil das Öl den bewegten Teilen eine nicht unerhebliche, bremsende Dämpfung beschert. Das Öl kann durch aufschlagende Kurbelwellen, Pleuel und Kolbenböden schaumig werden und reduziert dadurch seine Schmierfähigkeit mit verheerenden Folgen. Letztendlich erhöht sich der Öldruck im Inneren des Motors. Dieser zerstört Dichtungen oder entlädt sich über die Kurbelwellenentlüftung in den Luftfilter. Deshalb ist die korrekte Öl-Menge so extrem wichtig.
Unsere heutigen 4-Takt Motoren werden über Umlaufschmierungen mit Öl versorgt, die man in Nass- oder Trockensumpf-Schmierung unterteilt.

Der Nasssumpf
Peilstab HD Sporty 883Bei der Nasssumpfschmierung sammelt sich das Motoröl unten in der Ölwanne, wird von dort mit einer Pumpe gefördert und oben im Motor auf die zu schmierenden und kühlenden Motorteile gespritzt. Danach läuft es selbstständig wieder zurück in die Ölwanne. Bei ex­trem erhöhter Schräglage und an langen Steigungen könnte sich die Öl-Menge in der Wanne jedoch so ungünstig verlagern, dass die Pumpe nur noch Luft ansaugt und die Schmierung temporär versagt. Dieser unerwünschte Effekt kann durch Schwallbleche im Inneren der Wanne zumindest beim Bremsen und Beschleunigen weitgehend unterbunden, aber nicht völlig ausgeschlossen werden.

Der Trockensumpf
Das inspirierte die Ingenieure zur Konstruktion der Trockensumpfschmierung.
Bei dieser kommen zwei Pumpen zum Einsatz. Die sogenannte Förderpumpe saugt das Öl aus der Ölwanne und befördert es in einen separaten Ölvorratsbehälter. Man kann bei den Modellen von Harley-Davidson mit balanciertem Big-Twin diesen Ölbehälter sehr gut sehen. Er wird wegen seiner Form Horse-Shoe (Hufeisen) genannt und sitzt unter dem vorderen Teil der Sitzbank. Durch diesen Absaugvorgang sammeln sich keine großen Öl-Mengen mehr in der Wanne, daher die Bezeichnung Trockensumpf.

Eine zweite Pumpe, Druckpumpe genannt, spritzt das Öl an die zu schmierenden und zu kühlenden Stellen. Danach läuft es zurück in die Wanne, um erneut von der Förderpumpe abgesaugt zu werden. Da die Förderpumpe eine höhere Saugleistung als die Druckpumpe besitzt, steht im separaten Ölvorratsbehälter immer mehr Öl zur Verfügung, als wirklich benötigt wird und von der Druckpumpe verspritzt werden kann. Diese Reserve macht ein Versagen des Schmiersystems nahezu unmöglich, selbst wenn die Förderpumpe kurzzeitig Luft ansaugen würde.

Gruenes MotoroelDie Trockensumpfschmierung ist zwar aufwendiger und bringt zusätzliches Gewicht mit sich, ermöglicht jedoch, abgesehen von der höheren Betriebssicherheit, eine flachere Ölwanne und verringert somit die Bauhöhe des Motors. Er kann deshalb mit tieferliegendem Schwerpunkt in den Rahmen montiert werden. Weil der Öl-Vorratsbehälter bevorzugt hinter dem Motor positioniert wird, bekommt dieser nach oben mehr Platz für Ventile und Nockenwellen.

Die Messung
Der Motorölstand wird bei der Nasssumpfschmierung per Schauglas oder Peilstab anhand daran gemessen, wie hoch das Motoröl in der Ölwanne steht. Der Eindruck, dass zu wenig Öl vorhanden ist kann entstehen, wenn man direkt nach der Fahrt nicht wartet, bis das gesamte Öl aus den zu schmierenden Bereichen des Motors zurück in die Ölwanne gelaufen ist. Eine Messung bei laufender Maschine wird noch weniger Öl anzeigen, da eine erhebliche Menge davon im Motor gerade dabei ist seine Arbeit zu verrichten, anstatt sich zu Messungszwecken in der Ölwanne auszuruhen.

Bei der Trockensumpfschmierung hingegen hilft auch kein Abwarten. Sobald der Motor abgestellt wird, hört auch die Förderpumpe auf Öl in den separaten Ölbehälter zu pumpen. Alles was jetzt noch aus dem Motor zurück in die Wanne läuft, kann im Ölbehälter nicht mehr gemessen werden. Das Öl ist noch da, aber es fehlt zur Messung. Das scheinbare Fehlen führt oft zu irrtümlichem Nachfüllen und damit zum Überfüllen des Motors mit Öl.

Peilstab Honda SH 125 iFast alle Motoren die mit der falschen Öl-Menge betrieben werden wurden überfüllt, die wenigsten leiden unter Öl-Mangel.
Der thermische Ausdehnungskoeffizient des Motoröls ist sortenabhängig und liegt irgendwo zwischen Gamma 0,0009 und 0,0007, je nach Schwere und zugefügten Additiven. Das bedeutet, dass wir bei einem durchschnittlichen Motor mit 3 Litern Öl, einer durchschnittlichen Starttemperatur von 15 Grad und einer Betriebstemperatur von 85 Grad, rund 120 ccm Differenz zwischen heißem und kaltem Öl unterstellen können. Das ist an den Peilstäben und Schaugläsern kleinerer Motoren bereits die Menge zwischen maximalem und minimalem Ölstand. Fehldeutungen können die Folge sein. Der korrekte Ölstand kann deshalb bei kaltem Öl nie an der Maximalmarke stehen, es sei denn, dass die Marke falsch positioniert ist oder sich das Motorrad nicht in richtig ausgerichteter Lage befindet. Sinnvoll sind Messungen am warmen, aber nicht zu heißem Motor. Damit hat man dann die thermische Ausdehnungsdifferenz zumindest gemittelt.

korrekter Oelstand Kawasaki W 800Der Stand des Motorrades ist bei Messungen von wichtiger Bedeutung. Ein ebener Untergrund ist immer notwendig. In den meisten Handbüchern wird darauf verwiesen, das Motorrad zur Ölmessung auf dem Hauptständer, einem Montageständer, oder durch Festhalten gerade zu stellen. Letzteres erscheint recht unsicher und akrobatisch, weil man zum Messen meistens auch noch in die Hocke gehen muss. Es ist sicherer eine zweite Person um Hilfe zu bitten.
Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Bei einigen Harley Modellen soll auf ebener Fläche, auf dem Seitenständer gemessen werden.

Während das Schauglas an sich unmissverständlich ist, lässt der Peilstab weitere Fehlerquellen zu. Einige Peilstäbe werden herausgedreht und sollen zur Messung nach der Reinigung mit einem Tuch wieder ganz hinein gedreht werden. Andere hingegen sollen nur bis zum Gewinde wieder eingeführt werden. Wohl dem, der sein Handbuch studiert hat, denn bei einem Zentimeter Gewindelänge am Peilstab, könnte unten in der Wanne irrtümlich schon einmal 1 Liter Öl unbemerkt bleiben.
Generell gilt es das Handbuch genau zu lesen, um solche Fehler zu vermeiden.

Beratung im FachhandelWer der Genauigkeit der Marken für den maximalen und minimalen Ölstand an Schauglas und Peilstab nicht traut, es aber genau wissen möchte, wie der korrekte Ölstand bei seinem Motorrad tatsächlich angezeigt wird, kann wie folgt vorgehen.
Direkt nach einer Inspektion, wenn zweifelsfrei frisches Öl in korrekt abgemessener Menge im Motor vorhanden ist, kann eine Referenz-Messung vorgenommen werden. Dazu muss das Motorrad zuerst ca. 10 Kilometer in moderatem Fahrstil bewegt werden, damit das Öl eine durchschnittliche Betriebstemperatur erreicht und auch der ggf. ersetzte Ölfilter sich mit Öl füllen kann.

Danach wird die Maschine auf ebener Fläche aufrecht in einer klar definierten Lage positioniert, die für spätere Messungen problemlos wiedergefunden werden kann. Auch die Lenkerstellung hat Einfluss auf die Lage, insbesondere bei Fahrzeugen, bei denen auf dem Seitenständer gemessen werden soll. Das Motoröl benötigt nach Ausschalten des Motors einige Minuten Zeit, um zurück in die Ölwanne laufen zu können. Nun erst darf gemessen werden. Da wir sicher sein können, dass die vorhandene Öl-Menge absolut korrekt ist, auch wenn wir nicht genau wissen, wo sich das Öl, außer an der Messungsstelle, innerhalb des Motors noch herum treibt, bekommen wir so den Pegel für die exakt vorgeschriebene Öl-Menge.
Wenn der Pegel nicht in der Mitte zwischen den Maximum- und Minimum-Markierungen liegt, markieren wir selber den korrekten Ölstand mit einer Kerbe auf dem Peilstab oder einem Strich neben dem Schauglas.
Der Vorgang sollte vorsichtshalber wiederholt werden. Bei der Trockensumpfschmierung kann es durch drehzahlbedingt unterschiedliche Fördermengen der Förderpumpe zu Differenzen zwischen den gemessenen Öl-Mengen im Vorratsbehälter kommen.

Wir erinnern uns, die Förderpumpe hat eine höhere Leistung als die Druckpumpe. Die Förderpumpe kann jedoch nur das Öl in den Vorratsbehälter befördern, welches gerade aus dem Motor in den Trockensumpf geflossen ist.
Pöttert die Maschine vor dem Abstellen etwas länger im Leerlauf herum, wird dabei zur Motorschmierung nur wenig Öl benötigt und von der Druckpumpe aus dem Vorratsbehälter gesogen. Entsprechend wenig Öl befindet sich deshalb im Motor, dafür umso mehr im Vorratsbehälter.

Nach Fahrten mit hohen Drehzahlen verhält es sich genau umgekehrt. Wegen des hohen Schmierungs- und Kühlungsbedarfs wird viel Öl auf die arbeitenden Motorteile gespritzt. Nach dem Abstellen der Maschine läuft also auch eine größere Menge Öl in den Trockensumpf, von wo es nicht mehr zur Messung in den Vorratsbehälter gefördert wird. Es ist sinnvoll sich diesen Spielraum zu markieren.

Das Ergebnis der wiederholten Messung an einem Motor mit Nasssumpfschmierung hingegen sollte identisch sein, vorausgesetzt, dass dem Öl genug Zeit gegeben wurde, zurück in die Wanne zu laufen.
Und noch etwas zum Abschluss: Wenn ihr gar nicht klar kommt, fragt bitte den Motorradhändler eures Vertrauens!