aus Kradblatt 10/22 von Marcus Lacroix
Nachschub für die Mittelklasse
Moto Morini – der Name atmet Geschichte. Wer heute schon etwas länger Motorrad fährt, hat sicher direkt die V-Zweizylinder-Modelle 3 1/5 und 5 1/5 aus den 1970er Jahren vor Augen. Dabei wurde Moto Morini schon 1937 von Alfonso Morini im italienischen Bologna gegründet. 1986 übernahmen die Gebrüder Castiglioni (damals Cagiva, Ducati und Husqvarna) Morini, 1991 wurde die Produktion eingestellt, 1999 der Name verkauft. 2004 war Motori Franco Morini mit neuen Modellen wieder am Start, die 9 1/2 und die 1200er Corsaro waren tolle Fahrmaschinen, brachten aber nicht den finanziellen Erfolg. Nach einem weiteren Zwischenschritt wurde Moto Morini im Oktober 2018 Teil der chinesischen, 1988 gegründeten, Zhongneng Vehicle Group. Statt radikaler Powerbikes stehen jetzt bezahlbare Motorräder für die Mittelklasse im Lastenheft, womit wir auch schon bei der Moto Morini X-Cape 650 angekommen sind.
Die X-Cape 650 soll das beliebte Segment der „Adventure Bikes“ bedienen, also Motorräder, die hierzulande vorwiegend auf der Straße bewegt werden, die aber auch mal einen Offroad-Abstecher problemlos wegstecken.
Optisch gelingt der Spagat schon mal ausgezeichnet. Die sportliche, rallylike Linienführung in Verbindung mit den recht grob profilierten Pirelli Scorpion STR macht an. Das 19 Zoll Vorderrad dürfte offroad mehr Stabilität bringen als die üblichen 17 Zoll Straßenräder. „Adventouring“ verspricht außerdem ein Aufkleber am Heck.
Das hochbeinige wirkende Fahrwerk bietet hingegen eher moderate Federwege. 160 mm vorne und 135 mm hinten, dazu eine Bodenfreiheit von 190 mm. Die X-Cape dürfte also auch für kleinere Menschen gut passen, was sich bei der ersten Sitzprobe bestätigte. Trotz moderater 175 cm Körperlänge und nicht gerade langen Beinen komme ich bequem mit beiden Füßen auf den Boden, die Knie sogar leicht angewinkelt. Dabei lässt sich die X-Cape noch mit einer niedrigeren Sitzbank ausstatten, die die Sitzhöhe um 25 mm auf 820 mm senkt. Das schafft Vertrauen, zumal die Maschine mit einem angegebenen Trockengewicht von 213 kg nicht gerade ein Leichtgewicht ist. Der Kraftstofftank fasst 18 Liter, mit weiteren Flüssigkeiten und ggfs. Zubehör kommt da schon etwas zusammen. Beim Fahren ist das Gewicht – wie auch sonst bei schwereren Bikes – kein Problem, bei kniffligen Rangiermanövern oder engen Offroad-Passagen merkt man es hingegen schon.
Das Gewicht summiert sich, da bei den Komponenten nicht gerade auf Leichtbau geachtet wurde. Der Rahmen aus Stahlrohr und Pressteilen wirkt sehr solide, der Motorblock – ein Lizenzbau des bekannten Kawasaki-Zweizylinders – sehr massiv. Der Stahlblechtank verbirgt sich hinter Kunststoffblenden und selbst der Kennzeichenhalter ist aus Stahlblech statt Kunststoff gefertigt. Unter der Schwingenaufnahme versteckt sich ein großer Vorschalldämpfer, der einen recht kleinen Endtopf ermöglicht. Die Zweiarm-Schwinge besteht aus Aluminiumdruckguss, eine massive 50 Millimeter Upside-down-Gabel von Marzocchi übernimmt die Vorderradführung.
Nach dem Aufsitzen fällt zunächst das gigantische Farb-TFT-Display ins Auge – in dieser Fahrzeugklasse sicherlich einzigartig. 7 Zoll Diagonale, auf dem Tablett könnte man glatt das Kradblatt lesen (eine gratis App hätten wir dafür). Beim Einschalten der Zündung wird etwas verspielt erst das Moto Morini und dann das X-Cape Logo eingeblendet. Das Schauspiel muss man aber nicht abwarten, gestartet werden kann direkt.
Doch blicken wir erst noch mal auf das TFT. Der Bildschirm ist bei jedem Licht wirklich gut abzulesen. Die gebotenen Informationen sind allerdings nicht so mannigfaltig, dass die Displaygröße damit erklärt werden kann. In der Bedienungsanleitung findet man aber den Hinweis, dass die Navigation (noch) nicht in jedem Land verfügbar ist. Das lässt auf ein Update hoffen, denn als Cockpit inkl. Navi wäre das Display genial. Aktuell gibt es schon eine Bluetooth-Anbindung ans Smartphone, rudimentäre Musik- und Telefon-Funktionen lassen sich über die linke Lenkerarmatur bedienen. Insgesamt ist die Steuerung durchs Display und die wenigen Einstellmenüs sehr intuitiv. Pfeil rauf und runter, Back und Set – mehr Tasten braucht es nicht. Zwei Fahrmodi stehen zur Verfügung: Ride und Offroad, wobei sich im Geländemodus das ABS am Hinterrad ausschalten lässt (wichtig bei steilen Hangabfahrten!). Eine klasse Sache ist die Reifendruckkontrolle. Sind die Werte, die man sich über den Info-Screen auch anzeigen lassen kann, außerhalb des Soll-Bereichs, gibt es eine Warnung. Bordspannung, nächste Wartung (alle 6000 km) und Kühlmitteltemperatur werden ebenfalls dort angezeigt.
Der Motor startet problemlos auf Knopfdruck, eine Bosch Motronic übernimmt die Benzineinspritzung. Die Handkraft an der Kupplung ist moderat, der Hebel (wie auch bei der Bremse) ist einstellbar. Das 6-Gang-Getriebe schaltet sich sauber, wenn auch nicht butterweich. Gut gefällt mir das hohe Anfahrdrehmoment des Motors – ohne Gas zu geben kann man im ersten Gang die Kupplung einrücken und die X-Cape tuckert los. Im Alltagsbetrieb brauchte ich aber doch etwas Zeit, um mich an die Motorcharakteristik zu gewöhnen.
Die X-Cape 650 sieht – speziell in „Red Passion“ – deutlich sportlicher aus, als sich der Motor fahren lässt. Mit anderen Worten: sie ist etwas träge. Mit der hohen Schwungmasse lässt es ich zwar angenehm cruisen, doch auch durch fleißiges Runterschalten lässt sich kein Feuerwerk entfachen. 60 PS (44 kW) leistet das Aggregat bei 8250 U/min, 54 Nm Drehmoment liegen bei 7000 U/min an. Oberhalb von 6.000 U/min schiebt der 650er zwar besser, ein Sprinter ist er aber auch dann nicht. Das Fahrzeuggewicht dürfte an den Fahrleistungen seinen Anteil haben, und dass die X-Cape – sicher auch aufgrund der Euro5 Norm – lang übersetzt ist, merkt man auch auf der Autobahn. Bei Topspeed Tacho 185 (170 km/h laut Papieren) ist der Drehzahlmesser noch 1000 U/min vom roten Bereich entfernt.
Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht, das Fahren mit der X-Cape hat mir viel Spaß gemacht. Es lässt sich aufgrund der angenehmen Sitzposition stressfrei mit ihr auf Landstraßen touren, locker auf der Autobahn mitschwimmen und auch flotte Feldwegpassagen steckt sie problemlos weg. Der Motor erzeugt dabei über das ganze Drehzahlband Vibrationen, an die man sich aber schnell gewöhnt.
Gut gefällt mir der Sound der X-Cape: sie ist recht leise. Dreht man kräftig am Gas, ist es vor allem das Ansauggeräusch, das einem sportlich vorkommt. Davon bekommt die Umwelt aber eher wenig mit.
Der Durst der 650er fällt moderat aus. Bei der ersten Tankfüllung inkl. BAB-Vollgastest genehmigte sie sich 4,82 Ltr./100 km, die nächste Tankfüllung, fast ausschließlich auf Landstraßen gefahren, ohne bewusst zu bummeln, ergab 4,03 Ltr./100 km. Weniger und mehr ist in beiden Fällen sicher drin. Im Alltag sind mit einer Tankfüllung somit locker Etappen zwischen 300 und 450 km möglich.
Gut gefallen haben mir Fahrwerk und Bremsen. Die Marzocchi-Gabel ist voll einstellbar (Federbasis, Zug- und Druckstufe) und gab sich on- wie offroad keine Blöße. Nur das Federbein schlug bei einem fiesen Feldwegloch einmal durch. Beim Federbein ist die Federbasis leider nur nach Abnahme der Sitzbank per Hakenschlüssel justierbar. Wer oft mit wechselndem Gepäck/Sozius fährt, investiert hier am besten in ein Federbein mit Fernverstellung. Die Zugstufenverstellung ist hingegen gut erreichbar. Die Bremsanlage stammt von Brembo und macht – wie zu erwarten – einen guten Job. Das Bosch ABS regelt etwas grob aber zuverlässig. Eine Traktionskontrolle ist nicht vorhanden, und wurde auch nicht vermisst.
Was mir sonst noch so auffiel: Die Sitzbank hätte ich im vorderen Teil gerne etwas straffer bzw. nach hinten flacher, was ein Sattler für kleines Geld schnell erledigt. Durch die abfallende Form kann man schlecht nach hinten rutschen bzw. die Sitzposition verändern. Der Soziusplatz ist knapp bemessen und ebenso knapp gepolstert.
Klasse ist die Möglichkeit, die Riser des Lenkers in drei Positionen passend zur Armlänge zu platzieren.
Lebt man auf großem Fuß – also bei der Schuhgröße – kollidieren die Hacken beim Fahren auf den Fußballen mit dem Soziusrastenausleger. Da sollte man bei einer Probefahrt drauf achten, ob es einen stört (danke an Horst für den Hinweis, ich habe ja nur Gr. 42).
Fährt man gerne Offroad, sollte man aus dem Moto Morini Zubehörprogramm auf jeden Fall den Motorschutz ordern, der Ölfilter ist sonst durch Steinschlag gefährdet.
Eine 2-fach USB-Steckdose für Smartphone & Co. ist gut erreichbar links neben dem Cockpit platziert. Die Schaltereinheiten sind beleuchtet. Unterschiedliche Hintergründe im TFT lassen sich kurioserweise aktuell nur im Nacht-Modus auswählen, da ist ein Update fällig.
Richtig gut ist die Verstellung des Windschilds gelöst: Knebel um 90 Grad drehen und es lässt sich stufenlos und wirkungsvoll in der Höhe verschieben – auch während der Fahrt. Ein größeres Touring-Windschild gibt es als Extra, der Windschutz des kleinen ist aber schon erstaunlich gut. Ein Trägersystem mit Alukoffern und Topcase ist ebenso lieferbar wie Sturzbügel und Handprotektoren.
Die Moto Morini X-Cape 650 ist außer in Red Passion noch in den Farben Smoky Anthracite und Carrara White erhätlich. Der Preis beginnt bei 7.985 € (inkl. Nebenkosten) für die Version mit Gussrädern – passend für alle, die doch nie ins Gelände wollen. Die von mir gefahrene Speichenrad-Variante kostet 8.285 € und für 300 € mehr, kommt die Rote jetzt auch mit extrem schicken goldenen Felgen. Eine Führerschein A2 taugliche Variante, die über ein anderes Mapping gedrosselt wird, ist ebenfalls lieferbar.
Mehr Infos gibt’s bei den Moto Morini Vertragshändlern (siehe Seite Ausgabe 10/22). Das Händlernetz wird beständig weiter ausgebaut, alle Händler findet man online unter www.motomorini.eu.
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