aus Kradblatt 11/16
von Felix Hasselbrink
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Moto Guzzi V9 Roamer & Bobber …

Moto Guzzi V9 Bobber Modell 2016Moto Guzzis Neuheiten 2016 hießen V9 Bobber und V9 Roamer. Die extravagante MGX-21 wurde erst im Spätsommer vorgestellt. Die V9-Modelle sind aus der V7-Baureihe entstanden und verfügen dank vier Millimetern mehr Bohrung und drei Millimetern mehr Hub über 853 anstatt 744 Kubikzentimeter.

850 Kubikzentimeter ist bei Moto Guzzi eine klassische Größe: Bereits 1971 entstand aus der damaligen 750er die V7 850 GT mit nominellen 54 PS. Weitere Modelle wie 850 T, California 850-T3 oder Le Mans folgten mit diesem Zylindervolumen. Damals galt eine 850er als große Guzzi, kleine Guzzis hatten in den siebziger Jahren 350 oder 500 Kubikzentimeter. Knapp 45 Jahre nach der V7 850 GT haben nun die sogenannten kleinen Guzzis die 850 Kubikzentimeter erreicht, während die großen Guzzis im Laufe der Jahre bis auf 1.400 Kubik aufgebohrt wurden.

Die V9 Bobber und die V9 Roamer verfügen über 853 Kubikzentimeter, also ein halbes Schnapsglas mehr als die 850 GT mit 844 cm³. Das Verhältnis von Hub und Bohrung unterscheidet sich zwischen dem Oldtimer und den Neuvorstellungen nur geringfügig. Der Zylinderdurchmesser der V9 ist mit 84 Millimetern um einen Millimeter größer als bei der V7 850 GT, der Kolbenweg beträgt dafür nur noch 77 anstatt 78 Millimeter.

Moto Guzzi V9 Roamer Modell 2016Der grundsätzliche Aufbau der Motoren ist relativ identisch mit einer halbhohen Nockenwelle, langen Stößelstangen, Kipphebeln und zwei Ventilen pro Brennraum. Aber beide Triebwerke haben unterschiedliche Urahnen: Der V2 der 850 GT mit einteiligem Tunnelgehäuse war eine Weiterentwicklung der V7 von 1966. Der aktuelle V9-Triebling geht zurück bis auf die V 35/V 50, die beide im Herbst 1976 ihre Premiere feierten, also vor immerhin vierzig Jahren.

Damals war der neue Motor eine fortschrittliche Konstruktion mit horizontal geteiltem Gehäuse, kontaktloser Zündanlage und Zylinderköpfen nach dem Heron-Prinzip. Hierbei ist die Unterseite der Zylinderköpfe fast plan, und der Brennraum befindet sich in den Kolbenböden. Die Ventile stehen parallel zueinander.

Die letzte Ausbaustufe bis jetzt war die V7 II mit 744 Kubikzentimetern. Bis zur V9 hielt Moto Guzzi bei allen kleinen Zweiventil-Modellen am Heron-System fest, aber für die V9 konstruierte man nun komplett neue Zylinderköpfe mit entsprechend anders geformten Kolben. Die Kolbenböden sind nur ganz leicht gewölbt. Im kugelförmigen Brennraum stehen die Ventile in einem Winkel von 56 Grad zueinander. Zwei Luftkanäle führen durch die Zylinderköpfe hindurch von vorne nach hinten um den Brennraum herum und sollen die Kühlung verbessern. Wie gewohnt erfolgt die Ventilbetätigung über Stößelstangen und Kipphebel mit Einstellschrauben.

Moto Guzzi V9 Modell 2016 ZylinderkopfAber nicht nur Zylinder, Kolben und Köpfe sind neu, auch Motorgehäuse und Ölwanne wurden nicht unverändert vom Vorgängermodell übernommen. Der überarbeitete Ölkreislauf mit Spritzdüsen für die Kolbenböden soll die Hitze besser abführen und den inneren Reibungsverlust reduzieren. 

Als aktuelle Leistungsdaten nennt Moto Guzzi für die V9-Modelle 55 PS bei 6.250 U/min. Im Vergleich zur V7 II sind das sieben Pferde mehr bei gleicher Drehzahl. Das maximale Drehmoment stieg von 60 Nm bei 2.800 U/min auf 62 Nm bei 3.000 U/min. Hier hatten sich Guzzi-Fans sicherlich vom neuen Modell etwas mehr Power erhofft: Die Moto Guzzi 850-T3 hatte 1976 bereits 59 PS bei 6.900 U/min! Die Euro-4-Norm macht Leistungsgewinnung teurer und schwieriger. Daneben lässt schon die Verwendung der zentralen Drosselklappe aus der V7 II mit den langen Ansaugwegen erahnen, dass maximale Power im Leistungsheft der Entwickler nicht oberste Priorität hatte.

Vergleicht man die V9 mit zweizylindrigen Mitbewerbern, stellt man fest, dass sich die Guzzi in guter Gesellschaft befindet:
Harley-Davidson 883, 53 PS, 265 kg
Harley-Davidson 750, 57 PS, 232 kg
Honda NC 750 S, 55 PS, 228 kg
Honda VT 750, 46 PS, 262 kg
Honda CTX 700 N, 48 PS, 227 kg
Triumph Scrambler, 59 PS, 235 kg
Yamaha XV 950, 52 PS, 252 kg
Aber eine Guzzi kauft man sowieso nicht wegen der Maximalleistung …

Moto Guzzi V9 Bobber Modell 2017 auf der IntermotWie viele neue Modelle, welche die Norm Euro 4 erfüllen, ist auch die V9 schwerer als das Vorgängermodell geraten: Mit 199 kg fahrfertig ohne Benzin legte sie gegenüber der V7 II um gut zehn Kilogramm zu. Anscheinend ist es bei einigen Herstellern ein Trend, das Benzinvolumen zu reduzieren: So fassen Bobber und Roamer jeweils nur noch 15 Liter, die Reichweite fällt dementsprechend geringer aus. Vollgetankt dürfte die V9 also etwa 214 kg wiegen und ist damit leichter als die meisten Konkurrenten.

Moto Guzzi lud zur Pressepräsentation nach Mandello del Lario ein. Für eingefleischte Guzzisti ein magischer Ort: Das Mekka des V2 am Ufer des Lago di Como. Hier entstand die allererste Guzzi – und die Firma hat eine lange Tradition zurück bis 1921. Der legendäre Windtunnel und das Werksmuseum zeugen von glorreichen, vergangenen Zeiten. In den 1950ern arbeiteten hier etwa 1.500 Mitarbeiter und mehr als 30.000 Zweiräder verließen pro Jahr die heiligen Hallen. Rund um Moto Guzzi hatten sich verschiedene Zulieferbetriebe wie Gilardoni und Lafranconi angesiedelt. In fast jeder Familie am Ostufer des Comer Sees arbeitete mindestens eine Person direkt oder indirekt für Moto Guzzi. Die Begeisterung für diese Marke ist hier immer noch zu spüren.

Moto Guzzi V9 Modell 2016 CockpitDie V9 ist ein klassisches Motorrad, klar, an Einspritzung und ABS führt heute kein Weg mehr vorbei. Und wenn diese beiden Features mit ihren ganzen Sensoren schon an Bord sind, ist das Programmieren einer Traktionskontrolle kein Hexenwerk mehr. Die V9 stellt zwei verschiedene Stufen, eine für trockene und eine für nasse Straßen, zur Verfügung. Auf Ride-by-Wire mit unterschiedlichen Kennfeldern verzichtet Moto Guzzi.

Die zentrale Drosselklappe wird mittels Gaszug direkt betätigt. Der Motor hängt sauber am Gas, die Leistungsentfaltung ist sehr linear, die Drehmomentkurve eher eine Gerade im Bereich zwischen 2.000 und 5.500 Umdrehungen pro Minute. Willenloses Ausdrehen und ewiges Hin- und Herschalten bringt einen nicht wirklich schneller voran. Auf den kurvigen Sträßchen rund um den Comer See ist der dritte Gang sozusagen die richtige Fahrstufe für fast alle Gelegenheiten. Der V2 schiebt ordentlich nach vorne, ist aber nicht besonders drehfreudig. Für besseren Rundlauf und sanfteres Ansprechverhalten des Motors erhöhten die Techniker die Masse von Kurbelwelle und Schwungscheibe um 30 Prozent. Man kommt sich aber nicht untermotorisiert vor.

Moto Guzzi V9 Roamer Modell 2016 HeckSeit der V7 Due verfügen die kleinen Modelle über ein Sechsganggetriebe. Für die V9 änderten die Techniker die Übersetzung der ersten und der sechsten Fahrstufe, diese beiden Gänge sind länger. Neu ist die Einscheibenkupplung mit einem Durchmesser von 170 Millimetern. Sie lässt sich etwas leichter betätigen und gut dosieren.
Der erste Gang rastet butterweich, ohne Nebengeräusch, ein. Weitere Gangwechsel sind zwar hörbar, aber die Schaltung funktioniert einwandfrei.

Im gewissen Sinn tritt die V9 Roamer die Nachfolge der Nevada an, die immerhin seit 1989 im Moto Guzzi-Programm zu finden war.
Wie die Nevada verfügen beide V9-Modelle über ein 16 Zoll-Hinterrad. Mit 150 Millimetern ist der Reifen jedoch zwei Zentimeter breiter geworden und der Querschnitt beträgt nun 80 Prozent. Der Durchmesser des Vorderrades ist bei der Roamer von 18 auf 19 Zoll gewachsen, die Reifengröße 100/90 entspricht der Nevada. Die neuen Modelle rollen auf Gussrädern mit 22 dünnen Speichen.

Bobber sind Motorräder mit breiten Vorderradreifen. Daher rollt die so benannte V9 auf 16-Zoll-Gummis mit 130 bzw. 150 Millimetern Breite. Die dunkel gehaltene Maschine verzichtet weitgehend auf Chrom. Das Fahrwerk veränderte Moto Guzzi in einigen Punkten. Der Lenkkopf steht nun 0,6 Grad steiler. Durch die unterschiedlichen Vorderraddurchmesser ergeben sich für beide Modelle unterschiedliche Nachläufe. Bei der V9 Roamer beträgt dieser 125,1 Millimeter, bei der V9 Bobber sind es neun Millimeter weniger.

Moto Guzzi V9 Modell 2016Beide Maschinen verfügen über eine konventionelle Vorderradgabel mit 40 Millimetern Durchmesser und einem Federweg von 130 Millimetern. Bei den neuen Hinterradstoßdämpfern aus dem Hause Kayaba fällt der Federweg mit 97 Millimetern recht knapp aus. Als einzige Einstellmöglichkeit kann man die Federvorspannung hinten ändern.

Mit einer längeren Schwinge wuchs der Radstand von 1.449 auf 1.465 Millimeter. Weil die unteren Befestigungspunkte der Stoßdämpfer nun weiter hinten sind, wanderten auch die oberen Verschraubungen am Rahmen ein Stück Richtung Rücklicht. Die neue Schwinge ist nicht nur länger, was die Lastwechselreaktionen des Kardanantriebs ein wenig reduziert, sie war auch erforderlich, um dem breiteren Hinterradreifen den nötigen Platz einzuräumen. Dadurch verläuft die Kardanwelle nicht mehr in Flucht mit der Getriebeausgangswelle, was zwei Kreuzgelenke nötig macht, um den Versatz zu ermöglichen.

Moto Guzzi V9 Modell 2016 MotorDas Fahrverhalten der neuen Guzzis ist trotz der geringen Unterschiede doch recht anders. Die Roamer glänzt mit einer unerwarteten Agilität und ist erstaunlich handlich, ohne nervös oder kippelig zu wirken.
Die Bobber liegt satter auf der Straße und verlangt mehr Kraft, wenn man sie durch die Serpentinen der kleinen Berg­straßen rund um den Comer See hinaufscheucht.

Hauptunterschied neben den Vorderrädern sind die Lenker. Die geradere Stange der Bobber ist zwar niedriger als der geschwungene Roamer-Lenker, doch höhere Lenkerhalter gleichen das größtenteils wieder aus. Die Kröpfungen der Lenkerenden sind unterschiedlich.

Die kurzen Sitzbänke hat Moto Guzzi auch unterschiedlich gestaltet: Die der Roamer ist deutlich weicher als die der Bobber. Aber beide sind nach längerer Fahrzeit nicht besonders bequem.
Die längere Schwinge und die neuen Stoßdämpfer hinten erhöhen den Komfort der Federung und reduzieren die Lastwechselreaktionen, das ist ein deutlicher Unterschied gegenüber der V7.

Die Bremsanlage wurde unverändert übernommen. Einerseits wünscht man sich manchmal eine kräftigere Verzögerung, andererseits bekommt man problemlos das ABS zum Einsatz, wenn man mal richtig in die Eisen langen muss.

Wie es sich für ein klassisches Motorrad gehört, findet man wenig Plastik an der Maschine, stattdessen Aluminium und Stahl. So sind Tank und Kotflügel aus Blech gefertigt. Seitendeckel, Fußrasten und Teile der neuen Lenkerarmaturen bestehen aus Aluminium.

Zur Serienausstattung gehören Warnblinkanlage, Knickventile in den Reifen und eine USB-Steckdose. An dieser kann man zum Beispiel sein Handy (Apple oder Android) anschließen und mit der Multimediaplattform verbinden. Dann dient es als zweites Display und zeigt die verschiedensten Daten an: Gang, Volt, Temperatur, Schräglagenwinkel, Benzinverbrauch, aktuelle Leistung und vieles mehr wie zum Beispiel die letzte Parkposition oder die aktuelle Entfernung zum Werk in Mandello del Lario.

Die V9 Roamer bietet Moto Guzzi in den Farben Gelb, Rot und Weiß an. Die unverbindliche Preisempfehlung beträgt 9.990 Euro. Die V9 Bobber ist in Dunkelgrau oder Schwarz erhältlich. Hier beträgt der Preis 10.390 Euro.