aus Kradblatt 2/16
Text: Marcus Lacroix
Fotos: Friedrich Weisse, Jan Starck, Johannes Richardt, ML

Welchen Klassiker hätten’s denn gern?
BMW R nineT oder Moto Guzzi V7 II Special ABS?

Guzzi und BMWDie Motorrad-Klassiker-Welle rollt unvermindert, immer mehr Motorradfahrer – auch jĂĽngere – finden wieder die Freude am „normalen“ Motorrad, die Hersteller präsentieren passende Retro-Modelle. Klassiker bringen einen zurĂĽck in (zumindest in der Erinnerung) bessere Zeiten, man koppelt sich bewusst ab vom Leistungswahn, muss niemandem etwas beweisen und setzt sich am Bikertreff eher durch stilvollen Auftritt oder einen coolen Umbau in Szene, als durch vermeintliche GoPro-dokumentierte Heldentaten auf der LandstraĂźen-Rennstrecke. Aber das nur am Rande …
BMW oder Guzzi?

Die BMW R nine T mit der Moto Guzzi V7 II (Due) Special ABS zu vergleichen, ist dann aber doch etwas unfair, wird manch einer einwerfen. Das Kradblatt bringt doch auch sonst keine Vergleichstests. Wie kommt man also auf so eine beknackte Idee, Ă„pfel mit Birnen zu vergleichen?

BMW R nineT linksGut, mal abgesehen davon, dass beides Obst ist, liegt die „Schuld“ eigentlich bei Metzeler. Die wollten im Januar in Andalusien beim Almeria-Pressevent nämlich ihren Reifen Metzeler Sportec Klassik schön in Szene setzen. Und da die Location, das BMW Motorrad Test-Camp (www.bmw-motorrad-test-camp.com), natürlich nur mit topaktuellen BMWs ausgestattet ist, von denen keine auf einem Klassik-Reifen rollt, brachte man ein paar 2016er Moto Guzzi V7 mit. Die Pressemeute stürmte mit den grundverschiedenen Klassikern los und unterwegs wurde getauscht.

BMW R nineT KardanSo kam ich zunächst in den Genuss – und das meine ich nicht ironisch – die BMW R nineT bewegen zu dürfen. Die Maschine, für die der freundliche BMW-Vertragshändler gerne Bestellungen und 14.900 Euro (plus Nebenkosten) entgegen nimmt, ist nicht das, was man sich gemeinhin unter einem Klassiker vorstellt. Zumindest verbinde ich, als 1967er Jahrgang, mit dem Wort Klassik vor allem Motorräder aus den 1980er Jahren. Mit etwas gutem Willen auch die der 1970er, bei BMW also beginnend mit den Zweiventil-Stricher-Modellen ab R /5. Diese echt klassischen Geräte sind in jeder Hinsicht Lichtjahre von der R nineT entfernt, die das Thema Klassik auf eine eigene, moderne Art interpretiert.

BMW R nineT HeckDie Ninette, wie die nineT auch liebevoll genannt wird, ist technisch ein Motorrad auf dem (fast) aktuellen Berliner Stand. Zwar rollt dort bei BMW schon seit einer kleinen Weile der modernere flüssiggekühlte Boxermotor von den Bändern, doch der luftgekühlte 1200er Motor der R nineT hat eine große Fanbase. Es dürfte für BMW schwer werden, das Feeling, das der exakt 1170 ccm messende Flattwin optisch wie technisch vermittelt, in einem neuen klassischen Modell mit dem „Wasserboxer“ zu realisieren. Das sehen wohl auch andere Motorradfahrer so und es dürfte einer der Gründe für den Verkaufserfolg der R nineT sein. Wer weiß schon, wie lange dieser famose, für mich persönlich beste Boxermotor aller Zeiten noch gebaut wird. BMW legt deshalb für 2016 auch flugs noch eine Scrambler-Version nach.

Modern ist die R nineT in allen technischen Details. Zwei 320er Doppelscheiben vorne mit radialen Bremszangen, eine fette Upside-Down-Gabel, ein mehrteiliger Rahmen mit

BMW R nineT Front

dem Motor als mittragendes Element, ein Kardanantrieb mit der bewährten Paralever-Momentabstützung, Schwinge mit Mono-Federbein, gut ablesbares LCD-Display mit Ganganzeige usw. Immerhin haben aber Tacho und Drehzahlmesser noch Zeiger. Der Motor leistet 110 PS (81 kW) bei 7500 U/min und stemmt maximal 119 Nm bei 6000 U/min. Papierwerte, in der Praxis irrelevant wie auch bei der Guzzi.
Drückt man den Starterknopf an den dankenswerterweise eher spärlich ausgestatteten Armaturen (wer mal eine voll ausgestattete BMW gefahren hat, weiß was ich meine), brabbelt der Motor in fast obszöner Weise aus dem serienmäßigen Doppelrohrauspuff. Eine Klappensteuerung macht’s möglich, wobei die bei neuen Typprüfungen ja bald Geschichte ist (siehe Seite 24). Genießen wir also den aktuell besten Boxersound, solange es geht. Mit dem ab Werk lieferbaren Akrapovič-Endtopf wird’s mir dann allerdings fast zu prollig.

BMW R nineT CockpitDie Sitzposition auf der R nineT passt, die Gänge rasten bauartbedingt BMW-typisch mal mehr oder weniger geräuschvoll im grundsätzlich aber gut zu schaltenden Sechsganggetriebe ein und die Fahrt geht druckvoll los. Klassisch ist das was folgt dann allerdings nicht. Die R nineT fährt klasse, keine Frage, aber eben nicht klassisch. Alles funktioniert so geschmeidig, wie man es heutzutage erwartet. Der Motor macht richtig Spaß, ist dabei aber nicht so weichgespült wie sein modernerer Nachfolger. Die Bremsen ankern echt gut, das straff aber nicht unkomfortabel abgestimmte Fahrwerk lädt auch zum kräftigen Angasen in kurvigem Geläuf, ohne zum dauerhaften Schnellfahren zu verleiten. Dem steht nämlich der allgegenwärtige Winddruck entgegen und man lässt es meist bei 130 km/h gut sein. Darüber wird es auch aufgrund von Jethelm mit Brille ungemütlich. Alles toll also, oder?!

Dann kam die Mittagspause – schön mit jeder Menge leckerer Tapas und allem, was sonst noch so dazu gehört, die Motorräder stilecht vor der kleinen spanischen Bar geparkt – und der Fahrzeugwechsel.

Moto Guzzi V7 II ABS Spezial rechtsNun saß ich also auf der „neuen“ Moto Guzzi V7 und musste erst mal schmunzeln. DAS ist wirklich Klassik, schon bei der ersten Sitzprobe. Noch bevor der Motor lief, stand ein schweizer Ehepaar neben mir und er schwärmte von seiner verflossenen, legendären Moto Guzzi California. Das die V7 nagelneu war, konnte er kaum glauben und so geht es wohl vielen beim ersten Blick auf die zierlich wirkende Guzzi.

Moto Guzzi V7 II ABS Spezial linksSie nimmt alle klassischen Stilelemente nahezu unverfälscht mit in die Gegenwart. Die 40er Gabel mit den Faltenbälgen, die hübschen Rund­instru­mente mit dezent untergebrachten LCD-Anzeigen, die eine Scheibenbremse vorne, die beiden Federbeine, die den schlichten Kardan in der Zweiarmschwinge am Rahmen abstützen. Die Sitzposition ist ebenso klassisch wie die für meinen Geschmack etwas zu weich gepolsterte Sitzbank.

Moto Guzzi V7 II ABS Spezial HeckModern wird es allenfalls bei der Gemischaufbereitung, die wie heute ĂĽblich per Einspritzung arbeitet. Und die beiden gelborangen landmaschinentauglichen Kontrollleuchten im Cockpit signalisieren bei eingeschalteter ZĂĽndung: ABS und (abschaltbare) Traktionskontrolle sind an Bord. Bei der Traktionskontrolle musste ich dann doch lachen – was soll so eine neumodische Spielerei an einem 48 PS Klassiker? Ein Kollege klärte mich darĂĽber auf: Zum einen ist es ein gutes Verkaufsargument, denn schaden tut die Traktionskontrolle ja nicht und viele Fahranfänger kennen so was aus der Fahrschule. Zum anderen hätte er sie auf nassen römischen StraĂźen schon zu schätzen gewusst. Ok, das kann man gelten lassen. Die BMW R nineT hat sie aktuell ĂĽbrigens nicht, fĂĽr die neue R nineT Scrambler wird eine Traktionskontrolle (ASC) aber auch optional angeboten – muss wohl was dran sein an den Argumenten …
Gestartet gefällt der angenehme Sound der Guzzi. Nicht so aufdringlich wie die BMW aber stets präsent. Das Ganze kombiniert mit dem schönen Pulsieren des Motors – das hat was.

Moto Guzzi V7 II ABS Spezial SoziaBeim Anfahren fühlt sich die Due fast kippelig an. Die schmalen Reifen werden eher der Grund sein, als die 24 kg weniger Gewicht (222 kg zu 198 kg fahrfertig lt. Herstellern). Das Gefühl verschwindet aber alsbald und die V7 fährt sich dann einfach nur leicht. Alles passt und man hat auch auf ihr schnell das Grinsen im Gesicht – das allerdings ein anderes Grinsen ist, als bei der BMW. Die Guzzi spricht mich gefühlsmäßig auf einer anderen Ebene an, irgendwie nostalgischer, schwer zu erklären.

Draußen auf der spanischen Landstraße war die erste Sorge natürlich: kann man mit „nur“ 48 PS (= 35 kW bei 6250 U/min, 58,8 Nm bei 3000 U/min) stressfrei an einer Gruppe Ninetten dran bleiben? Antwort: man kann – und das sogar zu zweit auf der Guzzi, wie ­Christoph (aka „K.OT“ von 1000PS.de) samt Sozia bewies. Sein runder Fahrstil mit dem neuen Italoklassiker war echt schön anzuschauen.

Moto Guzzi V7 II ABS Spezial CockpitNatürlich muss man die Guzzi dafür höher drehen und machen die BMW-Fahrer ernst, ist es vorbei mit dem Dranbleiben. Zumindest bis zur nächsten Kreuzung. Aber im Alltag wird man sich als V7-Fahrer kaum im Januar mit wintergeschädigten Presseleuten im frühlingshaften Andalusien batteln sondern genussvoll über Landstraßen schwingen.

Im Geschwindigkeitsbereich 80–110 km/h fühlte ich mich mit der Guzzi am wohlsten. Sie schaltet sauber, bremst passabel (wenn auch auf ganz anderem Niveau als der 2-Finger-Stopper der BMW), zieht ordentlich durch und, für mich persönlich ganz wichtig: sie entspannt den Fahrer, verleitet nicht zum Heizen. Der Kardan ist nicht reaktionsfrei und die Traktionskontrolle greift (auf einem Sandweg getestet) recht hart ein. Na und?! Die V7 kauft man nicht, weil man Highend-Technik sucht.

Metzeler Sportec Klassik
Moto Guzzi V7 II ABS Spezial KardanZum Fahrspaß beigetragen hat ganz klar – und das sage ich jetzt nicht, weil Metzeler das wohl auch gerne so hören möchte – der Sportec Klassik. Der Reifen macht genau das, was ich von einem Reifen erwarte: er ist da, ohne dass ich über ihn nachdenken muss. An Handling und Grip gab es nichts zu meckern und was viele Klassiker-Fans freuen wird: er ist jetzt auch in „alten“ Größen wie 3.25-19 / 4.00-18 und verschiedenen 17, 18 und 19 Zoll Durchmessern verfügbar. Alle Infos zum Metzeler Sporttec Klassik gibt’s unter www.metzeler.com und natürlich im Reifenfachhandel.

Apfel oder Birne?
Moto Guzzi V7 II ABS Spezial FrontUnd was ist jetzt mit den Äpfeln und Birnen? Der modernen Klassik-Interpretation von BMW und dem ins Heute geretteten Klassik-Gefühl von Guzzi? Welche Maschine soll sich der geneigte Leser nun kaufen? Ihr habt es sicher geahnt, man kann die beiden Motorräder nicht sinnvoll vergleichen. Bei zwei Rädern, zwei Zylindern und einem Kardan enden die Gemeinsamkeiten fast schon. Noch dazu kostet die Moto Guzzi V7 II Special ABS mit 9190 Euro inkl. NK immerhin 5710 Euro weniger als die BMW R nineT ohne NK. Das ist eine Hausnummer, bei der man eh nicht mehr objektiv vergleicht sondern einfach nach dem „Habenwollen-Faktor“ kauft. Jede für sich spricht andere Sinne an, beide Maschinen machen auf ihre eigene Art richtig viel Spaß und am besten probiert man bei einer Probefahrt aus, welche zu einem passt. Und vergesst dabei nicht die Retros von Triumph, Kawasaki, Ducati usw. Euer Fazit würde uns interessieren – kommentiert diesen Artikel oder schickt uns einen Leserbrief per Post/E-Mail.

PS: ihr möchtet in der gleichen tollen Landschaft alle BMW Motorräder fahren?
Klickt mal rein: www.bmw-motorrad-test-camp.com

Passender Kopfputz

Nolan N21Was trägt der Klassik-Fan auf dem Kopf? Klar, einen Jethelm. Diskussionen über maximalen Unfallschutz schenken wir uns – take it or leave it!

Von Nolan konnte ich beim Pressevent den N21 fahren, der schon im letzten Jahr vorgestellt wurde. Für 2016 gibt es echt tolle neue Dekore, z. B. dieses richtig geile „scratched“ silber, rechts im Bild.

Fährt man den N21 mit dem kleinen Visier (ab 149,99 Euro), geht das bis 80 km/h ganz gut, zieht mir dann aber zu sehr an den Augen. Es gibt ihn aber auch als N21 VISOR mit längerem Visier und integrierter Sonnenblende. Alternativ (meine Empfehlung) schafft man sich eine Schutzbrille an. Das sieht nicht nur cooler aus sondern bringt auch noch mehr authentischen Klassik-Spaß.

Nolan X201Noch cooler ist natürlich der neue Nolan X-201, der in diesem Frühjahr in den Handel kommt – auch wenn man keinen Vollbart trägt, wie Christoph. Die Helmschale ist schmaler geschnitten, trotzdem hat der 201er das ECE-Siegel. Man kann ein Visier oder einen Schirm anknöpfen, der Doppel-D Kinnriemen-Verschluss ist eh der beste, das Innenfutter trägt sich sehr angenehm und die Ränder sind in Leder eingefasst. Der X-201 ist in 16 Farb- und Designvarianten in den Größen XXS bis XXXL erhältlich. Der UVP liegt zwischen 269,99 Euro und 389,99 Euro. Beim X-201 Ultra Carbon kann zwischen den Lackierungen „Willow Springs“ mit Zielflaggen-Muster (339,99 Euro) und dem „Puro“ in edler Voll-Carbon-Optik (379,99 Euro), gewählt werden. Als Zweithelm für die Genusstour zu einem Tourenhelm eine ideale Ergänzung.

Ich habe bei der Klassik-Tour den N21 mit der Retro Cross Brille Barstow 100 % „Ascott“ gefahren, die mir sehr gut gefallen hat. Auch Tags drauf bei der Offroad-Tour schlug sich die Ascott bestens. Angenehmer Sitz auch für Brillenträger, großes Gesichtsfeld, getöntes Austauschvisier im Lieferumfang, zugfreie Belüftung, gummiertes rutschfreies Brillenband. Für 99,90 Euro bekommt man sie im Motorrad-Fachhandel.