aus Kradblatt 1/22, von Felix Hasselbrink, www.motalia.de

Geboosterter Adler:
mehr Hubraum und mehr Leistung

Die aktuelle Moto Guzzi V7-Baureihe existiert bereits seit 2008, damals stellte die Marke mit dem Adler die V7 Classic mit 49 PS zu einem Preis von 7.950 € vor. Im Laufe der Jahre stieg die Motorleistung auf 52 Pferdestärken und die Palette vergrößerte man am Comer See kontinuierlich. 2020 umfasste das Programm die Modelle: V7 III Stone (7.900 €), V7 III Night Pack (8.650 €), V7 III Rough (8.650 €), V7 III Special (8.800 €), V7 III Stone S (9.150 €) und V7 III Racer (9.950 €).

Moto Guzzi V7 Stone mit markantem Tagfahrlicht
Moto Guzzi V7 Stone mit markantem Tagfahrlicht

Für die Saison 2021 strich man das Angebot auf zwei Typen zusammen und erhöhte Hubraum, Motorleistung und Preis.

Die V7 Stone und die V7 Special besitzen nun einen Motor, welcher aus der Reiseenduro V85 TT abgeleitet ist. In den Retro-Bikes leistet dieser aber nicht 85 sondern „nur“ 65 PS. Vielleicht wäre das Fahrwerk der V7 mit der vollen Power überfordert und dann hätte man sicherlich die Bremsanlage mit einer zweiten Scheibe vorne aufwerten müssen. 

So halten sich die Veränderungen am Fahrwerk in Grenzen. Der Rahmen wurde an ein paar Punkten verstärkt und die V7 hat nun ein breiteres Hinterrad mit einem Reifen der Dimension 150/70 anstatt 130/80. Damit dieser passt, verbaute man eine Hinterradschwinge, die aus den V9-Modellen (gleicher Hubraum wie V7) abgeleitet ist. Hierdurch vergrößert sich der Radstand um 15 Millimeter und die neuen Stoßdämpfer sind in einem flacheren Winkel als bisher montiert. Zudem erhöht sich der Federweg am Hinterrad von 93 auf 120 Millimeter. Für die konventionelle Telegabel gibt das Werk einen Federweg  von 130 Millimeter an.

Sondermodell V7 Stone Centenario zum 100-jährigen Jubiläum
Sondermodell V7 Stone Centenario zum 100-jährigen Jubiläum

Zur Pressepräsentation hatte Piaggio zu einem Fahrtermin in die Nähe von Rom eingeladen. Nach der technischen Einweisung am Abend des Anreisetages geht es am zweiten Tag gemeinsam auf Tour – vorneweg ein Guide, dem wir folgen, und am Ende unserer Gruppe ein paar Angestellte von Piaggio, um uns unterwegs bei den Stopps unsere Fragen zu beantworten. Am Morgen ist es mit etwa sechs Grad noch frisch und auf den Straßen liegt reichlich viel Dreck. 

Der Motor hat nun 853 anstatt 750 Kubikzentimeter, das garantiert schon fast mehr Drehmoment und ein entspannteres Fahren. In Zahlen definiert sind es jetzt 73 Newtonmeter, die bei moderaten 5.000 U/min zur Verfügung stehen. Vorher waren es derer 60. Die Motorleistung hat um 13 PS zugelegt. Und beides merkt man: Der V2 ist agiler und durchzugsstärker, man hat mehr Reserven beim Überholvorgang – auch im höheren Drehzahlbereich. Es steht einem in jedem Gang ein breites, nutzbares Drehzahlband zur Verfügung. Am wohlsten fühlen sich Fahrer und Motor im mittleren Drehzahlbereich.

Aber zum Glück hat der Zweizylinder nicht seinen Charakter verloren, wie so manche anderen V2-Aggregate, die heute fast schon so sanft laufen wie ein Reihenvierzylinder. Nein, die kleine Guzzi schüttelt sich immer noch und neigt sich beim Gasgeben leicht nach rechts. Der Motor spricht weiterhin das Herz an. Die Fahrerfußrasten sind neuerdings in Gummis gelagert, aber von den „Good Vibrations“ bleiben genug übrig.

Die neue Sitzbank lässt den Fahrer in einer kleinen Kuhle guten Halt finden. Wie schon zuvor ist die Sitzposition sehr entspannt. Die Federelemente geben aber so manche Bodenunebenheit recht deutlich an das Rückgrat weiter.

Moto Guzzi V7 Classic mit Klarglasscheinwerfer und Speichenrädern
Moto Guzzi V7 Classic mit Klarglasscheinwerfer und Speichenrädern

Dialog zwischen den Journalisten beim ersten Stopp: Journalist 1:
„Ich vermisse verstellbare Handhebel.“ Journalist 2: „Ich vermisse Fahrwerk und Bremse.“ Journalist 3: „Ja, eine Vorderradbremse wäre nicht schlecht.“ Journalist 2: „Nicht schlecht wäre eine fahrzeuggerechte Fahrweise.“ Journalist 3: „Der Tourguide denkt wohl, wir hätten genauso wie er 20 PS mehr und zwei Bremsscheiben.“ Journalist 4: „Ja, wenn wir langsamer fahren würden, würde das besser zum Charakter der Guzzi passen.“ Journalist 1: „Und ich wünsche mir bessere Straßen.“ Journalist 3: „Man sollte dem Guide mal sagen, dass wir nicht so viel Schräglagenfreiheit haben wie er auf seiner V85.“ …

Moto Guzzi V7 Classic Modell 2021
Moto Guzzi V7 Classic Modell 2021

Bei diesen Pressepräsentationen ist man immer sehr flott unterwegs. Als ob der Guide zeigen will, wie gut er fahren kann, oder das Motorradhobby nur aus Rasen bestehen würde.

Das passt in diesem Fall überhaupt nicht zum Charakter und der Auslegung dieser klassischen Moto Guzzi. Auf der letzten Rille und gleichzeitig schlechten Straßen sind das Fahrwerk und die Bremsanlage etwas überfordert. Immerhin ist die Motorleistung um etwa 25 Prozent gestiegen, während sich die Verbesserungen am Fahrwerk in Grenzen halten.

Als Vorderradführung verbaut Moto Guzzi seit 13 Jahren in der V7 eine konventionelle Telegabel mit einem Standrohrdurchmesser von 40 Millimetern. An dieser gibt es keinerlei Verstellmöglichkeiten. Im Heck der Maschine befinden sich zwei Stoßdämpfer, an denen man wenigstens die Federn etwas vorspannen kann. Der Hinterradantrieb per Kardan verfügt über keine Momentabstützung, so dass die Lastwechselreaktionen die Hinterradfederung beeinflussen. Dazu diese schlechten Straßen mit vielen Unebenheiten und Dreck … das kann bei schnellem Tempo einfach nicht befriedigend funktionieren.

Moto Guzzi V7 mit LED Rückleuchten
Moto Guzzi V7 mit LED Rückleuchten

Das ist aber auch nicht das Metier der V7. Dieses Modell lädt zum genussvollen Cruisen ein.

Bei solchen Presseterminen wechseln wir Journalisten gerne für die Fotos die Motorräder untereinander, so dass man mehrere Lackierungen auf den Bildern hat. Hierbei macht sich eine deutliche Serienstreuung bemerkbar. Fünf Motorräder, die ich an diesem Tag fahre, haben unterschiedliche Druckpunkte an der Vorderradbremse, nur eine Bremse kann mich überzeugen, die anderen vier machen den Eindruck, als wenn sie nochmal ordentlich zu entlüften wären. Auch ist bei fast jeder V7 das Spiel des Gasbowdenzugs anders eingestellt und noch ein paar Kleinigkeiten. Aber das sind wie gesagt alles Kleinigkeiten und ein guter, erfahrener Händler überprüft solche Punkte vor der Auslieferung des Fahrzeugs an den Kunden und sorgt für Abhilfe.

Die V7 Special behält den normalen Klarglasscheinwerfer mit einer H4-Lampe. Aber das Rücklicht und die Blinker leuchten in moderner LED-Technik. Das runde Rücklicht ist sehr gelungen und lichtstark, die Blinker könnten aber ruhig etwas heller sein.

Die V7 Stone hat eine größtenteils neue Elektrik erhalten. Hier entdeckt man einen LED-Scheinwerfer mit einem Tagfahrlicht, das stilistisch an den Firmen­adler angelehnt ist. Diese neue Lampe soll die Straße wesentlich besser ausleuchten, als das Pendant an der Special. Ein einfaches Nachrüsten an der Special ist aber nicht möglich, weil man hierfür einen anderen Kabelbaum und den linken Lenkerschalter benötigt.

Links das Cockpit der V7 Stone, rechts die Classic
Links das Cockpit der V7 Stone, rechts die Classic

Die Stone hat außerdem ein komplett neues LCD-Cockpit, welches mehr Informationen liefert als die Special mit ihren beiden klassischen Rundinstrumenten. Und die Stone ist, aufgrund der neuen Elektrik die einzige V7, die mit der Multimediaplattform MIA als Zubehör kompatibel ist. Aber keine Angst, die V7 ist immer noch ein Klassiker mit wenig Elektronik und keine Gamebox auf Rädern. Es gibt ein ABS und eine zweistufige Traktionskontrolle, aber nicht unendlich viele Assistenzsysteme, für welche man erst die Bedienungsanleitung auswendig lernen muss, bevor man losfahren kann.

Gummigelagerte Fußrasten
Gummigelagerte Fußrasten

Für ein verbessertes Handling sollen neue, leichtere Gussfelgen, welche nur die Stone besitzt, sorgen. Die Special rollt auf Drahtspeichenrädern mit polierten Aluminiumfelgenringen, die machen Schläuche in den Reifen erforderlich.

Trotz der Preis­erhöhung ist die Ausstattung der Motorräder im Detail nachbesserungswürdig: Beide V7-Modelle haben weder verstellbare Handhebel noch Winkelventile (Stone) zum einfacheren Überprüfen des Luftdrucks. So etwas sollte mittlerweile in dieser Preisklasse selbstverständlich sein.

Die Preispolitik von Moto Guzzi ist überhaupt ein wenig unverständlich. Die V7 Special hat den neuen Motor, eine andere Schwinge mit anderen Stoßdämpfern und einen breiteren Hinterradreifen. Für diese paar Änderungen muss man jetzt 1.300 € mehr als vorher bezahlen.

Die V7 Stone hat auch den anderen Motor, die andere Schwinge und andere Stoßdämpfer. Dazu hat sie neue, leichtere Felgen, einen LED-Scheinwerfer, der als Ersatzteil alleine schon 450 € mehr kostet als der Special-Scheinwerfer und ein neues, MIA-taugliches Cockpit. Das aufpreispflichtige Moto Guzzi MIA Multimedia System ermöglicht es dem Fahrer sein iOS- oder An­­droid-Smartphone über Bluetooth mit dem Cockpit zu verbinden. Aber obwohl die Stone mehr Verbesserungen als die Special besitzt, kostet sie nur 1.200 € Aufpreis. Das heißt, die moderner ausgestattete V7 Stone steht mit 9.100 € in der Preisliste. 10.100 € sind für die V7 Special zu bezahlen – wobei die mit klassisch schönen Speichenrädern punktet.  Die Nebenkosten sind in den Guzzi-Preisangaben bereits enthalten. 

Moto Guzzi V7 Stone - cruisen auch zu zweit
Moto Guzzi V7 Stone – cruisen auch zu zweit

Als Fazit kann man sagen, die V7 ist ein authentischer Klassiker, der über die Jahre stetig weiterentwickelt wird. Wie ein Wein der langsam reift. Der Motor hat ein Niveau erreicht, mit dem das Fahrwerk nicht mehr so ganz mithalten kann. Für noch mehr Leistung müsste man hier ansetzen. Aber für das gemütliche Cruisen, das entspannte Gleiten durch die Landschaft und das Genießen des Hobbys ist nach dieser Steigerung auf nunmehr 65 PS genug Leistung vorhanden. Auch wenn viele Hersteller über die immer strenger werdenden Zulassungsbestimmungen jammern, kann Moto Guzzi trotz 25 Prozent mehr Leistung weiterhin den luftgekühlten V2-Motor verwenden – noch dazu Euro 5-konform!

Sowohl die V7 Special als auch die V7 Stone lassen sich auf A2-taugliche 48 PS drosseln. 

Am Schluss bleibt die Wahl zwischen Special und Stone wohl Geschmackssache. Der Klassikerfreund greift vermutlich eher zur chromblitzenden Special, wer etwas mehr Technik möchte, für den passt die Stone. Die Stone ist einmal komplett in Schwarz lieferbar alternativ mit Tank und Vorderradschutzblech in den Farben Blau oder Orange. Bei der Special hat der Kunde die Wahl zwischen Blau und Silber. Zum 100-jährigen Moto Guzzi Jubiläum wurde außerdem für 9.300 € eine speziell lackierte Ausführung der V7 Stone in Grün/Silber aufgelegt, die auf den Namen Centenario hört.


Alles hat ein Ende - die letzte Motalia erschien im Dezember 2021
Alles hat ein Ende – die letzte Motalia erschien im Dezember 2021

Tschüss, Motalia! Mit der Dezember-Ausgabe 2021 hat Felix die Motalia nach fast 33 Jahren eingestellt. Passend zur bald anstehenden Rente bleibt jetzt endlich wieder mehr Zeit zum Motorradfahren und -schrauben – der Italo-Szene geht Felix also nicht verloren. Das Kradblatt-Team wünscht Felix und Susanne viel Freude im nächsten Lebensabschnitt, so ganz ohne monatliches Zeitungmachen …