aus Kradblatt 7/24, von Torsten Thimm
Gelungene Neuauflage
Stelvio, ein Name, der in den Köpfen der Motorradfahrer ebenso präsent ist, wie der bewährte V2-Antrieb mit 90° Zylinderwinkel und längsliegender Kurbelwelle der Maschinen aus Mandello de Lario. Sowohl mit dem Pass wie auch mit der Motorradmarke sind Emotionen pur verbunden. Denn sowohl der Pass in den Ortler Alpen mit seinen berühmten 48 Kehren der Nordost-Rampe auf der Südtiroler Seite – 34 Kehren hat die Westseite – wie auch die neue Moto Guzzi Stelvio 1000 haben jede Menge davon. Doch im Gegensatz zu ihrer optisch etwas zu sehr polarisierenden Vorgängerin, die sich sicherlich auch sehr gut fuhr, ist die neue Stelvio nun gefälliger anzusehen, ohne dabei ihre Eigenständigkeit im Feld der Reiseenduros zu verlieren. Allerdings ist auch klar, dass sich Optik allein nur bedingt verkauft und es gerade im Reiseenduro-Segment auch auf die inneren Werte der Maschine ankommt. Also rauf auf den Sattel um diese Qualitäten der Stelvio auf der Straße herausfinden.
Die Stelvio 1000. Ein Druck auf den Startknopf und der mächtige V-Zwei erwacht zum Leben. Und das mit einer Vehemenz und einem wohlwollenden Sound, dass man im ersten Moment kaum glauben mag, dass die Maschine eine Euro-5-Zulassung hat. Gleichzeitig erwacht mit dem Motor aber auch der Spirit Moto Guzzi, den so viele treue Anhänger und Fans der Marke über Generationen schätzen und lieben gelernt haben. Ja, die Stelvio lebt und bebt, und so soll es auch sein, liebe Leserinnen und Leser.
Der Hebel der leichtgängigen, hydraulisch betätigten Kupplung ist gut zu erreichen. „Klonk“, der erste Gang sitzt im noch kalten Getriebe und die Fahrt geht los.
Bis zum Erreichen der Betriebstemperatur zeigt der 1042 ccm große Antrieb noch etwas deutlicher seinen Charakter, danach werden sowohl die Schaltvorgänge als auch der Motorlauf geschmeidiger – man vergisst nie, was man hier gerade fährt und aus welchem Haus die Stelvio kommt. Das bereitet Freude.
Zwei Abbiegungen noch und die Tour führt raus aus dem Ort und auf die Landstraße. Hier kommt die Stelvio erst richtig in Fahrt, denn das ist ihr Revier. Leider ist die von mir gefahrene Maschine nicht mit dem aufpreispflichtigen bidirektionalen Quickshifter für runde 200 € ausgestattet. Aber auch konventionell geschaltet flutschen die Gänge ungemein flink durch das Sechsganggetriebe und lassen bei 6500 Umdrehungen das maximale Drehmoment von 105 Nm auf das Hinterrad los. Die Maximalleistung von 115 PS kommt etwas später, nämlich bei 8500 Umdrehungen zum Tragen. Natürlich, wie sollte es bei Guzzi auch anders sein, überträgt der Motor seine Kraft über einen stabilen Kardanantrieb auf das Hinterrad. Gegen groben Unfug und vor zu viel Drehmoment auf rutschigem Untergrund schützt eine mehrstufig einstellbare Traktionskontrolle. Bei trocknen Straßenverhältnissen arbeitet sie, wie auch das Kurven-ABS und das PFF Rider Assistance System (mit dem die Probefahrtmaschine ausgestattet ist), als Sicherheits-Backup versteckt im Hintergrund.
Sicherheit und Elektronik. Hinter PFF verbirgt sich das 4D-Radarsystem der Piaggio-Mutter mit Front- und Heckradar. Es verfügt über eine Kollisionswarnung nach vorne (FCW), einen Toter-Winkel-Assistenten (BLIS) und einen Spurwechsel-Assistenten (LCA) und warnt den Fahrer bei Bedarf über Signal-LEDs in den Spiegeln und ein rotes Dreieck im 5-Zoll-TFT-Farbdisplay über Gefahren. Optional gibt es noch eine Abstands-Geschwindigkeitsregelanlage (FCC), die durch aktiven Eingriff in die Motorbremse die Entfernung der Maschine zum vorausfahrenden Fahrzeug regelt. Das TFT lässt in Sachen Anzeigen und Ablesbarkeit keine Fragen und Wünsche offen.
Die Stelvio 1000 verfügt über fünf Fahrmodi, die sich bequem über einen Taster am rechten Lenkerende auswählen lassen. Den deutlichsten Unterschied zwischen den Modi, wie sollte es auch anders sein, spürt man im Rain Mode, denn hier macht sich die reduzierte Gasannahme am stärksten bemerkbar. Der Offroad-Mode deaktiviert für das Gelände das hintere ABS und stellt die Traktionskontrolle automatisch auf Stufe 1. Auf Knopfdruck ist diese auch vollständig abschaltbar. Alle anderen Modi werden ihren Bezeichnungen Sport, Road und Tour sehr gut gerecht und sind individuell auf der Tour je nach Gusto anpassbar.
Ergänzt wird die technische Ausstattung der Stelvio durch eine rundum installierte LED-Beleuchtung mit adaptivem Kurvenlicht und dem angedeuteten Adler als Tagfahrlicht, wie man ihn schon aus der V 100 Mandello und der V85TT kennt. Hübsch aufbereitet sowohl an der Front wie auch am markanten Heck.
Komfort und Ausstattung. In Sachen Anpassung kann die Stelvio 1000 auch beim Sitzkomfort punkten. Neben der Standardsitzhöhe gibt es sowohl höhere als auch niedrigere Sitzbänke mit und ohne Sitzheizung (jeweils 2 cm Höhenunterschied). Bei einer Körpergröße von 170 cm passt mir die niedrige Sitzbank wahrscheinlich noch ein wenig besser als die Standardsitzbank, die ich bei der Probefahrt testen durfte. Der Kniewinkel auf der Standardhöhe ist entspannt, was das Dahingleiten über die schmalen Gassen in meinem heimischen Odenwald definitiv fördert. Aber natürlich kann die Stelvio auch richtig feuern, wenn man sie lässt. Dabei entlässt der kurze Auspuffstummel rechts sein fröhliches Lied in die Umgebung und sagt deutlich: „hier komme ich“.
Mit jeder Kurve steigt das Vertrauen in die Fahrqualitäten der Moto Guzzi. Der breite, für kurze Arme etwas zu weit vorne montierte Lenker ist dabei keine wirkliche Spaßbremse, etwas weiter nach hinten gedreht wäre er in meinem Fall aber einfach angenehmer. Für größere Einstellarbeiten fehlte aber leider die Zeit. Bei ganz kurzen Armen helfen auch Pullback-Riser aus dem Zubehör, um die Ergonomie den persönlichen Bedürfnissen anzupassen.
Alle Schalter und Knöpfe sind leicht zu erreichen und man spürt ihre Druckpunkte, was gerade mit dickeren Handschuhen ein Vorteil ist. Lediglich der Blinkerschalter sitzt aus meiner Sicht zu weit zum Fahrer hin montiert, sodass ich mit kurzen Fingern etwas mehr Fingerfertigkeit beweisen muss. Apropos Schalter, hier kommen wir in der Klasse der Reiseenduros zu einer mittlerweile echten Seltenheit. Über das Multifunktions-Schalterkreuz am linken Lenkerende lässt sich der elektrisch stufenlos verstellbare Windschild bequem bedienen und somit auch während der Fahrt an so gut wie jeden Fahrer und jede Geschwindigkeit anpassen.
Fahrwerk und Bremsen. Das Fahrwerk der Stelvio verzichtet auf die semiaktive Variante der V100 Mandello. Das kann man so machen, in diesem Segment haben die Mitbewerber aber ordentlich vorgelegt. Zumindest optional könnte Guzzi das ruhig mit anbieten. Ein guter Kompromiss in der Abstimmung ist das Fahrwerk allerdings auch so, denn sowohl die 46er Sachs-Gabel wie auch das KBY-Federbein haben die fahrfertig 246 kg schwere Maschine gut im Griff und können beide in der Vorspannung und der Zugstufendämpfung manuell angepasst werden. Mit 463 Kilogramm zulässigem Gesamtgewicht kann es auch auf große Tour gehen.
Auch die Bremsen haben damit kein Problem, denn die Brembozangen beißen sehr gut in die 320er Scheiben an der Front und bieten in Verbindung mit dem Kurven-ABS ein hohes Maß an Sicherheit. Und Sicherheit, verbunden mit Zuverlässigkeit, ist immer eine gute Kombination, denn die Stelvio ist ein Motorrad für Reiselustige, das steht fest. Ihr 21 Liter fassender Tank und ihr sparsamer Verbrauch (Werksangabe 5,1 Ltr/100 km nach WMTC) erlauben bei fröhlicher Fahrt zwischen 3500 und 7000 Umdrehungen locker Reichweiten zwischen 350 bis 370 Kilometern.
Fazit. Bei unserer Probefahrt durch den Odenwald fiel auf, dass die neue Moto Guzzi Stelvio extrem viel Emotionen versprüht. Sie fährt sich, trotz ihres Gewichts, extrem handlich und lässt sich auch nicht von groben Fahrbahnbelägen aus der Ruhe bringen. Eine Ruhe, die Sicherheit garantiert und die dem Fahrer immer wieder ein Lächeln unter den Helm zaubert. Neben dem gelungenen Fahrwerk passt auch der Komfortfaktor auf der Maschine perfekt für lange Touren und auch der Preis ist für das Gebotene fair kalkuliert. Die Basisvariante kostet in Deutschland 16.499 €, die besser ausgestattete „PFF Rider Assistance Solution“ Variante 17.299 €. Nach oben bleibt auch bei Moto Guzzi noch Luft, denn man hat jede Menge Zubehör parat, um die Maschine weiter zu individualisieren und den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen.
Mehr Infos und Probefahrten gibt’s bei den Moto Guzzi Vertragshändlern.
—
Kommentare