aus Kradblatt 5/23 von Oliver Spille

Corona is a bitch …

Die Restaurierungsgeschichte von Oliver und seiner Guzzi fängt definitiv ungewöhnlich an …

Moto Guzzi Galletto 192 A.E.
Moto Guzzi Galletto 192 A.E.

Als ich mich im Januar 2022 mit Corona infizierte, änderte sich mein/unser Leben spontan. Nichts ging mehr, viele Stellen im Körper wurden vom Virus befallen und bei mir besonders das Nervensystem/Kleinhirn. Ich konnte nicht mehr richtig gehen, Fahrrad- oder gar Motorradfahren, es ging gefühlt rein gar nichts mehr. Fünf Wochen war nur noch liegen angesagt, die Gleichgewichtsstörungen, Gedächtnisprobleme, Taubheitsgefühle und massive Erschöpfungserscheinungen sind die größten Probleme. 

Man beachte die Einarmschwinge!
Man beachte die Einarmschwinge!

Meine erste Konsequenz nach dem Liegen war: zwei der drei Motorräder wurden im März verkauft. Es war wie Ballast abwerfen, damit hatte ich für mich ein besseres Gefühl.

Im Juni änderte ich an meiner gebliebenen Moto Guzzi California III die Sitzbank und stellte fest, dass ich große Probleme mit der Feinmechanik meiner Finger hatte. So blieb alles vorerst liegen …

Mit viel Übung klappte es dann ab Juli halbwegs mit dem Schrauben und ich konnte zumindest für kurze Strecken wieder mit dem Fahrrad oder dem Motorrad fahren. Befriedigend war das nicht, aber zumindest ein wenig Normalität im Alltag.

Im September wurde meine Krankheit als chronisch anerkannt, ich habe nun Post Covid. 

Meine Ergotherapeutin schlug mir vor, das Schrauben zu verstärken, um wieder eine bessere Konzentration und Fingerfertigkeit zu bekommen.

Motor-Überarbeitung
Motor-Überarbeitung

Was nun? Arbeit ins Haus holen, Geld verbrennen und vielleicht ist es ja auch zum Scheitern verurteilt?! Die Selbstzweifel waren da, aber der Ehrgeiz war geweckt! Es geht immer weiter im Leben, egal was dich aufhalten will.

Im Internet fand ich das, was mir eine Kindheitsurlaubserinnerung zurückbrachte: eine Art Motorrad/ Roller mit einem Rad zwischen Vorderrad und Sitz, das wunderbar geknattert hatte. Ich liebte 1977 mit sieben Jahren schon alles, was per Motorkraft und „wohlklingendem Ton“ bewegt wurde.

Die Suche begann und ich fand heraus, dieses Ding war eine Moto Guzzi Galletto, auf deutsch Hahn bzw. Hähnchen. Sie ist ein von Carlo Guzzi entworfenes Motorrad im Rollerstil als Gegenpol zu Vespa und Lambretta mit ihren Zweitaktmotoren.  Sie wurde zur damaligen Zeit, oft als Behördenfahrzeug oder für die Postzustellung geordert. Als Zubehör gab es z. B. Beiwagen oder Anhänger. 

Frisch lackierte Teile
Frisch lackierte Teile

Die Verkaufszahlen waren nicht aufregend, ca. 71.000 Stück wurden von allen Varianten gebaut. Die von Vespa und Lambretta waren um vieles höher gewesen. Das Problem war der damalige Preis von ungefähr 265.000 Lira, ca. doppelt so teuer wie die beiden Mitbewerber und sie wurde ausschließlich in Italien verkauft. Vespa und Lambretta gingen da ganz andere Wege, ob nun weltweit im Verkauf oder mit Lizenzen.

Aber die Ersatzteilsituation bei der Galletto ist soweit gut. Man bekommt – zumindest in Italien – so gut wie alles, ob als Nachbau oder Gebrauchtteil.

Bei eBay Kleinanzeigen setzte ich im September eine Suchanfrage und nach ein paar Tagen tauchten die ersten beiden Verkäufer auf. Ich wurde mit einem einig und die Galletto wurde mir Anfang Oktober geliefert. Vor dem Kauf setzte ich mich mit meiner Zulassungsstelle in Verbindung und ließ die Fahrgestellnummer europaweit abklopfen. Vorsicht ist besser, es gab nämlich keine Papiere, nur die letzte italienische Steuermarke von 1982.

Ein hübscher klassischer Roller
Ein hübscher klassischer Roller

Die Galletto war eine angefangene Restauration, die vor knapp dreißig Jahren zum Stillstand kam. Ein Ford-Werkstattmeister hat sie sich gebraucht in Italien gekauft, irgendwann um 1990. Er startete mit der Restauration bis er dann schwer erkrankte. 2002 wurde die Galletto komplett auseinandergebaut und in Kisten an einem Guzzi Liebhaber im Stuttgarter Raum verkauft. Dort lag sie in ihren Einzelteilen 20 Jahre im Lager.

Somit bekam ich viele Kisten. Manches war restauriert, manches wieder dem Verfall preisgegeben oder musste noch restauriert werden.

Ich sortierte die Teile auf einen Haufen mit „ist in Ordnung“, einen Haufen mit „muss überarbeitet werden“ und einem „Müllhaufen“ was ausgetauscht bzw. erneuert werden musste.

Dann ging das Elend los. Ich hatte also etwas gekauft, was ich nicht selbst auseinander genommen hatte. Grundsätzlich weiß man, wo was hinkommt, aber bei den vielen Kleinteilen wurde es zum Puzzle und ich hatte nur italienische Dokumentationen aus den 1950er–1960er Jahren, die nicht wie „Jetzt helfe ich mir selbst“ Werkstattbücher aussahen. Es gab kein Spezialwerkzeug und keine Drehmomentangaben, nur wirre Bilder was irgendwie zusammen gehört.

Der Zusammenbau begann im Wohnzimmer (Vorschlag meiner Frau); mit dem Rahmen, Fahrwerk, Rädern und ein paar Anbauteilen haben wir zusammen Weihnachten gefeiert. Die Restarbeiten wurden dann in der Garage fertiggestellt. 

Alles in einem hat es erstaunlicherweise nur fünf Monate mit allen drum und dran gebraucht, bis die Galletto fertig war.

Männertraum - der Zusammenbau erfolgte im Wohnzimmer
Männertraum – der Zusammenbau erfolgte im Wohnzimmer

Dann folgte der erste Startversuch und nach ein bisschen mit den zwei Hebeln spielen (Frühzündung & Choke), dem Starterknopf und dem Gasgriff, dauerte es knapp eine Minute und sie gab nach ca. 40 Jahren Laut. Eine kleine, unerlaubte Straßenrunde rundete die Freude und das Glück ab!

Die TÜV Abnahme war mit Fahr- und Geräuschprüfung nur noch Nebensache. Ich stand mit dem Ingenieur im engen Kontakt und er wurde mit Informationen und Fotos über die Restauration auf dem Laufenden gehalten. 

Lange Vorrede: Sie ist wieder auf der Straße, wo sie auch hingehört! Und ich hab mit viel Kraft und Geduld, meine Fingerkoordination und mein Covid-Hirn trainiert. Nun hoffe ich auf die Saison 2023, dass es mit dem Fahren auch wieder besser wird und ich mit meiner chronischen Erkrankung weiterhin gut zurechtkommen werde!

Die Daten meiner Moto Guzzi Galletto in Kurzform: Motorrad (Zwitter wurde bei der Vorstellung geschrieben) im Roller Stil. Baujahr 3/1961 (letzte Serie), ca. 11.500 km Laufleistung, letzte Zulassung 1982 in Italien. Liegender, luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit 2 hängenden Ventilen und außenliegendem Schwungrad. 192 ccm, ca. 7,7 PS bei ca. 5000 Umdrehungen. Druck-Umlaufschmierung, separater Öltank. Höchstgeschwindigkeit ca. 85 km/h, Leergewicht 134 kg. Antrieb Kette, Kurzschwinggabel vorne, Einarmschwinge hinten. 17 Zoll Bereifung, vorne/hinten Trommelbremse, das Reserverad ist gleichzeitig ein Rahmenschutz – heute würde man wohl „Sturzpad“ dazu sagen. 12 Volt und Dynamotor (Anlasser und Lichtmaschine in einem).