aus bma 10/07

von Klaus Herder

Moto Guzzi 1200 Sport (Mod. 2007) Mein Freund Uli ist ein noch größerer Motorradsammler und -Jäger als ich, was an sich schon eine respektable Leistung ist. In regelmäßigen Abständen, also mindestens wöchentlich, beichten wir uns gegenseitig, was wir in den einschlägigen Internet-Börsen entdeckt und ins Visier genommen haben. Regelmäßige Besuche bei den Händlern des Vertrauens („Was tut richtig weh und muß dringend weg?”) sowie natürlich die intensive Zeitungs-Lektüre gehören ebenfalls zu unserem Schnäppchenjäger-Ritual. So alle zwei, drei Monate schlagen wir dann tatsächlich zu, und jeder hat eine diebische Freude daran, über die Kaufentscheidung des anderen kräftig zu lästern. Das war bislang nicht besonders schwer, denn wir beackerten völlig unterschiedliche Sammlerfelder. Während in meiner Garage eine „Kollektion des Grauens” mit so wunderbaren Marken wie Buell, Jawa, MZ oder auch ausgewählten Standuhren aus dem BMW- und Harley-Programm zusammenkam, war Uli bislang ausschließlich auf Japaner fixiert. Auf Vernunft-Japaner vom Schlage eine Honda VFR, Kawasaki Versys oder auch Yamaha XJ 900.
Uli und ich hatten neulich unabhängig voneinander drei Wochen Urlaub, es gab also eine Menge zu erzählen. Ich hatte mich zwischenzeitlich von meiner BMW K 75 getrennt, Ulis Garage bereichert seit jüngstem eine Kawasaki Zephyr 1100. Soweit alles ganz normal. Doch zum Ende unseres Telefonats ließ Uli die Bombe platzen: Er war beim Moto-Guzzi-Händler und verhandelt nun ernsthaft auf ein italienisches Schätzchen. BMW, Harley – hätte ich alles verstanden, aber Uli und Moto Guzzi? Undenkbar! In knapp 30 Jahren Motorradfahrer-Dasein habe ich mich schon an fast jedes Fabrikat inklusive Ural herangetraut, doch Moto Guzzi war selbst mir bislang zu heftig. Aber warum eigentlich? Meine letzten Moto Guzzi Fahrberichts-Erfahrungen (V 11 in 2000 und Griso Anfang 2006) waren doch gar nicht so übel. Vielleicht hat meine tief sitzende Guzzi-Abneigung gar nichts mehr mit den Produkten zu tun. Wahrscheinlich sind traumatische Treffen-Erlebnisse aus den 80er Jahren schuld daran, als mir mattschwarze Jethelme und schmierige Wachscotton-Jacken tragende Fusselbärte stundenlang mit Litaneien über ihre Verschlimmbesserungen am „Kultbike” aus Mandello del Lario das Ohr abkauten und technische Unzulänglichkeiten mit italienischer Lebensart oder gar Charakter verwechselten. Klarer Fall: Was ich an Guzzi nie mochte, waren nicht die Motorräder, sondern ihre Fahrer.

 

Moto Guzzi 1200 Sport (Mod. 2007) Nun steht mein Freund Uli nicht in Verdacht, irgendwann mit mattschwarzem Jethelm und Fusselbart aufzutauchen, es hat sich also vermutlich auch bei den Guzzi-Fans eine Menge getan. Spätestens seit 2004, als die Übernahme durch Piaggio bei Guzzi die Motorrad-Neuzeit einläutete. Seitdem präsentierten die Italiener eine Menge gelungener und vor allem alltagstauglicher Neuheiten, wie zum Beispiel den Allrounder Breva, die nackte und böse Griso oder auch den komplett ausgestatteten Tourer Norge. Dadurch kam ein nett gefüllter und hochwertig bestückter Baukasten zusammen, aus dem sich die Guzzi-Techniker und -Designer nun mit gutem Gewissen bedienen können. Ein typisches Baukasten-Bike ist die Moto Guzzi 1200 Sport. Sie ist eine Kreuzung aus Breva, die das Fahrwerk und die meisten Designelemente spendierte, und der Norge, die den 1200er-V-Zweizylinder lieferte, der für die Sport aber noch etwas modellgepflegt und von 93 auf 95 PS gehievt wurde. Überarbeitete Steuerzeiten und etwas Feintuning an Airbox, Auspuff und Motorsteuerung machten es möglich.
Die mit 23 Litern vollgetankt immerhin 250 Kilogramm schwere 1200er trägt den Namenszusatz „Sport”. Und die Startnummernfelder auf der Bikini-Verkleidung und der Soziussitz-Abdeckung machen auch schwer auf Rennstrecke, doch das sollte man nicht überbewerten. Zum Vergleich: Die direkte Konkurrentin BMW R 1200 S ist rund 30 Kilogramm leichter und 27 PS stärker, aber auch nicht als ultimatives Renntrainings-Gerät verschrien. Selbst die hauseigenen Schwestermodelle Breva und Griso sind leichter als die 1200 Sport. Aber wer sich für eine Guzzi interessiert, will bewußt keine Vierventil-Hightech-BMW, sondern handfesten, urigen italienischen Maschinenbau. Und den bekommt er, denn für Vortrieb sorgt immer noch und glücklicherweise ein Bollermann, dem zwei Ventile pro Zylinder, eine unten liegende Nockenwelle und ellenlange Stoßstangen zur Ventilbetätigung völlig reichen. Und das spürt und hört man sofort. Ein kurzer Druck aufs Knöpfchen: Der Anlasser rödelt selbständig so lange, bis der luftgekühlte V-Twin zum Leben erwacht. Und wie er erwacht: Wenn die Doppelzündung Funken schlägt, röchelt es heiser aus der Airbox, aus der Edelstahl-Auspuffanlage bollerts bassig, die Trockenkupplung rasselt bei gezogenem Hebel, die Ventile tickern aufgeregt, und der Lenker kommt heftig in Schwingungen. Dieser Verbrennungsmotor lebt gewaltig!
Das ist der Zeitpunkt, zu dem auch der Fahrer im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Kreuz kommen muß. Er darf zwar kleine Hände haben, denn beide Handhebel sind einstellbar, doch seine Arme sollten etwas länger und das Kreuz etwas breiter sein. Der Alulenker ist nämlich verflucht weit vorn montiert und fast schon überbreit geraten. Daran ist das besagte, grundsätzlich durchaus sinnvolle Baukastensystem nicht ganz schuldlos. Der lange und breite Tank stammt nämlich von der Breva, doch die hat einen höheren Lenker. Damit die niedrigere Sport-Stange nicht mit dem Benzinfaß kollidiert, kam man um die vorgerückte Montageposition und das XXL-Format wohl nicht herum. Doch ausgewachsene und zupackende Einsachtzig-Kerle kommen nach etwas Eingewöhnungszeit gut damit klar. Spätestens dann, wenn der erste Muskelkater in der Kupplungshand verklungen oder die Sehnenscheidenentzündung ausgeheilt ist, findet man das alles völlig normal. Mit den für Sportlerverhältnisse etwas zu weit vorn montierten Fußrasten können sich Hardcore-Kurvenkratzer vielleicht erst etwas später anfreunden. Bis dahin darf man sich aber mit der Verstellbarkeit von Bremspedal und Schalthebel trösten.
Moto Guzzi 1200 Sport (Mod. 2007) Das Rühren im gut gestuften Sechsganggetriebe geschieht nicht immer ganz lautlos, das Geklonke ist für BMW-Zweiventiler-Kenner und natürlich für alle Alt-Guzzisti aber völlig undramatisch. Wer vom Japaner kommt, muß sich etwas umgewöhnen. Das Schalten an sich klappt gut, nämlich leicht und exakt, wenngleich mit etwas langen Wegen. Und überhaupt: Aufs Getriebe hört bei dieser Moto Guzzi garantiert kein Mensch. Das herrliche Bollern und Patschen im Schiebebetrieb, das gierige Auspuffgrollen beim Gasanlegen und das ständig präsente mechanische Mahlen und Schaben aus den Tiefen des Motorgehäuses schaffen eine Klangkulisse, die eigentlich allein schon Grund genug wäre, wenigsten einmal im Leben eine Guzzi zu kaufen. Dazu stampft, poltert und vibriert die ganze Fuhre wunderbar tieffrequent. Good vibrations? Die Guzzi liefert sie, besonders im mittleren Drehzahlbereich
Doch es gibt gottlob auch genug fahrdynamische Gründe, die für die 1200 Sport sprechen. Während die Fünfzentner-Wumme beim Schieben und Rangieren noch jedes Kilo spüren läßt, wirkt sie im Fahrbetrieb wie ausgewechselt. Okay, eine 150-Kilo-Gazelle ist sie natürlich nicht, doch es kann ihr gar nicht kurvig genug sein, so spielerisch leicht biegt sie ums Eck. So nervig die breite Segelstange bei der ersten Sitzprobe noch war und auf Autobahn-Langstrecke auch dauerhaft ist, so sehr erleichtert sie das lustvolle Kurvenschwenken. Während die Gebückten auf ihrer Duc, Blade oder Gixxer angestrengt am Stummellenker arbeiten, vollstreckt der Guzzi-Pilot recht entspannt im Winkelwerk. Einlenken? Ganz locker. Kurskorrektur in voller Schräglage? Kein Problem. Unglaublich zielsicher, jederzeit gut berechenbar donnert die überraschend handliche Guzzi durch Biegungen aller Art.
Moto Guzzi 1200 Sport (Mod. 2007) Die Federelemente überzeugen mit einer gelungenen, nicht übertrieben harten Grundabstimmung, der verwindungssteife Stahlrohrrahmen erlaubt sich keine Schwäche. Die ultraklebrigen Metzeler Sportec M3 (klassenübliche 120/70 ZR 17 und 180/55 ZR 17) bieten dazu einen perfekten Haftgrund. Wer partout an den Federelementen spielen möchte, findet dazu ausreichend Gelegenheit. Die mit fetten 45-mm-Standrohren bestückte Telegabel läßt sich in Zug- und Druckstufe verstellen, am Zentralfederbein kann in Sachen Federbasis und Zugstufendämpfung experimentiert werden. Muß aber nicht, zumindest nicht für den normalen Straßenbetrieb. Irgendwelche hinterhältigen Kardanreaktionen sind nicht zu befürchten, der Wellenantrieb agiert erfreulich neutral. Die Momentabstützung an der Alu-Einarmschwinge leistet gute Arbeit. Was aber durchaus spürbar ist, ist das große Spiel im Antriebsstrang, das sich bei etwas unsensibler Arbeit der Gashand durch starke Lastwechselschläge bemerkbar macht. Aber irgendwie gehört das sogar dazu, die hemdsärmelige Guzzi zeigt ihrem Fahrer recht deutlich, wie sie es am liebsten hat. Für Grobmotoriker gibts Automatikroller. Für übertrieben heftig zupackende Hände oder zutretende Füße sind auch die Guzzi-Bremsen nichts. Der famose Vierkolben-Festsattel-Anker im Vorderrad braucht nur zwei Finger am Auslöser, die übertrieben bissige Einzelscheibe im Hinterrad sollte lieber nur scharf angeschaut werden, das dürfte reichen. Wer etwas zu stark zutritt, steht ungewollt quer.
Selbst bei zügiger Gangart hat der Guzzi-Pilot ausreichend Muße, den Drehzahlmesser im Auge zu behalten. Das sollte er auch lieber, denn entgegen landläufiger Meinung bieten Guzzi-Twins nicht unbedingt den ganz großen Bumms aus dem Drehzahlkeller. Der V-Zwo hat es gern, wenn die Kurbelwelle ordentlich rotiert. Nur bitte nicht so sehr häufig zwischen 3000 und 4000 Touren, dort gönnt sich der Bollermann einen kleinen Hänger. Macht nichts, das maximale Drehmoment von 100 Nm liegt ohnehin erst bei 6000 U/min an, die vollen 95 PS stehen dann bei 7800 U/min zur Verfügung. Keine Panik: Drehzahlfest sind die 90-Grad-Twins seit jeher. Wer immer schön zwischen 4000 und 7000 Touren unterwegs ist, hat mit der 1200er sehr viel Spaß.
Und der hört auch dann nicht auf, wenn es um ganz pragmatische Dinge der Alltagstauglichkeit geht. Der Windschutz hinter der kleinen Verkleidung ist nämlich überraschend gut, die Vmax-Angabe von 215 km/h muß also kein theoretischer Wert bleiben. 228 Kilogramm Zuladung sind erfreulich viel (BMW R 1200 S: 190 Kilo), der Soziusplatz hat nicht nur Alibifunktion. Das Licht ist sehr gut und der Verbrauch mit rund fünf Litern im flotten Landstraßenbetrieb angenehm niedrig. Die Verarbeitung stimmt, das Zubehörangebot ist üppig (u.a. ein umfangreiches Gepäckprogramm, Hauptständer, niedrigere Sitzbank und „Racing-Kit”). Die Italienerin muß nur alle 10000 Kilometer zum Service, die Inspektionskosten sind dann eher unterdurchschnittlich, Kardanwelle und Hydrostößeln sei Dank. Wer 12.100 Euro beim Guzzi-Dealer läßt, erhält eine 1200 Sport in Rot oder Schwarz. Wer 710 Euro mehr auf den Tresen legt, bekommt die 1200 Sport sogar mit ABS. Wobei diese Werte wohl nur grobe Richtpreise darstellen dürften, denn in der Praxis stehen die Moto-Guzzi-Kunden nicht gerade Schlange. Und wie gesagt: Mein Freund Uli wurde ja schon in einer norddeutschen Moto-Guzzi-Vertretung gesichtet, was sich stark preismindernd auswirken dürfte. Noch hat er nicht zugeschlagen, aber wenn er es macht, werde ich ein Problem haben: Es wird schwer, gute Gründe zum Lästern zu finden.