Weniger kann auch mehr sein

aus Kradblatt 6/25 von Konstantin Winkler

Konstantin hat mit seiner Moto Morini 3 1/2 Spaß in den Alpen
Konstantin hat mit seiner Moto Morini 3 1/2 Spaß in den Alpen

Es macht natürlich Spaß, mit viel Hubraum und einer Leistung im oberen zweistelligen Bereich durch die Alpen bergauf und bergab zu fahren. So habe ich den höchsten Pass Italiens, das 2.758 m hohe Stilfser Joch, schon mit diversen BMW von 800 bis 1.100 ccm bezwungen. Aber mit keinem Motorrad hat mir diese extreme Bergstrecke so viel Freude bereitet, wie mit der kleinen Moto Guzzi V 35 (allerdings mit dem größeren 500er Motor, siehe Ausgabe 5/22 auf www.kradblatt.de). 

Möglichst viele italienische Momente im Leben wollte ich auch bei meiner nächsten Alpentour mit einer kleinen, attraktiven Italienerin erleben. Moto Morini 3 ½ hieß das Objekt meiner Begierde, die auf den ersten Blick (ja, es war Liebe auf den ersten Blick) viel gemeinsam mit meiner Guzzi hat. Bei näherer Betrachtung allerdings nur die Farbe Rot und den V-Motor und der ist zudem längs statt quer eingebaut.  Statt wartungsfreiem Kardan treibt dann auch noch eine Kette das Hinterrad an.

Bei diesem Bike ist vieles anders, als bei anderen Motorrädern jener Epoche. Angefangen bei der Typenbezeichnung 3 ½ (italienisch: Tremezzo), die in großen Lettern auf dem massiven Seitendeckel aus Metall (kein Plastik) prangt. Der Hubraum von 350 ccm sollte so eindrucksvoll gezeigt werden. 

Legendär - der Reschensee ist immer ein Foto wert
Legendär – der Reschensee ist immer ein Foto wert

Eindrucksvoll waren auch die Fahrleistungen. Mit 174 km/h Topspeed auf dem Nürburgring war sie 1975 die schnellste 350er. Das war allerdings die Sportversion. Ich muss mich mit 27 statt 35 PS be- und vergnügen.  Es gab parallel mit dem V2 noch eine 500er.

Auch im Motor war etwas einmalig und das gab es bis dato noch nicht: Einen Zahnriemen, der die Nockenwelle antreibt. Allerdings eine unten liegende, die die vier Stößelstangen des 72-Grad V-Motors bewegt. Die Ventile waren nicht V-förmig, sondern parallel im Zylinderkopf angeordnet. Der Brennraum war in den Kolbenboden integriert. Dieses sogenannte „Heron“- Prinzip wurde als Grund für die Sparsamkeit der Morinis genannt.

Firmengründer Alfonso Morini (Jahrgang 1898) stellte bereits 1924 sein erstes Modell vor, einen zweitaktenden 125er Einzylinder. 1973 startete dann die Produktion des neuen V-Motors mit 350 ccm Hubraum.

Eigentlich trinke ich lieber Bier als Wein und mag Kartoffeln, aber keine Pasta. Und der hohe Norden begeistert mich mehr als Dolce Vita. Dennoch zog ich es vor, mit dieser schönen, rassigen Italienerin in das Land zu reisen, wo sie 1976 das Licht der Motorradwelt erblickte.

Auf geht’s! Der Benzinhahn braucht nicht geöffnet (elektronisch), nur der Choke an beiden 25er Dell’Orto-Vergasern aktiviert werden. Nach wenigen beherzten Tritten auf den Kickstarter springt sie an. Durch das österreichische Bergedorf Nauders und über den vielbefahrenen Reschenpass ging es nach Italien. Das fotogene Highlight in diesem Teil Südtirols ist der alte Kirchturm von Graun. Als trauriger Rest des versunkenen Dorfes ragt er aus dem Wasser des aufgestauten Reschensees. Im Hintergrund sieht man den schneebedeckten 3.905 m hohen Ortler. 

Tolles Motiv vor tollem Panorama
Tolles Motiv vor tollem Panorama

Durch das Vinschgau auf der vielbefahrenen Straße Richtung Bozen heißt es mit den anderen Verkehrsteilnehmern zügig mithalten. Kein Problem mit der 150 Kilo leichten Morini!

Das Schnalstal ist eine der schönsten Sackgassen Italiens. Kurz vor Meran geht es Richtung Norden ab. Die Straße legt sich mächtig ins Zeug. Kurven und Tunnel. Letztere versprechen ein Surround-Sound-Erlebnis dank der Lafranconi-Auspuffanlage. Röhren durch die Röhre, bis der Putz von der Decke fällt. Egal ob Ferrari oder Morini, die Carabinieri freuen sich, wenn sie ihr kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut hören und sehen.

Wir fahren an einer Kirche vorbei, die wie ein Adlerhorst hoch oben auf einem Felsen steht und durch Ortschaften mit Namen wie „Unser Frau Madonna in Senales“. Bis auf 2.000 m führt die Straße an den Rand des Schnaltaler Gletscher.

Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Stilfser Joch. Leider machte ein frühzeitiger Wintereinbruch die Straße unpassierbar. 

Um trotzdem schon mal den nahenden Winter hautnah zu erleben, führte uns unsere letzte hochalpine Tour ins Land der Eidgenossen. In Graubünden wartete der Flüelapass auf uns. 

Eigentlich eine gut ausgebaute und auch für schwere LKW gut befahrbare Hauptverbindungsstraße zwischen dem Unterengadin und Davos, sollte sie es aber dennoch in sich haben. Jetzt hieß es fast 1.000 Höhenmeter überwinden, rauf auf 2.383 Meter. Serpentinen, kurze Geraden, etwa 10% Steigung und viele Schlaglöcher durch Frostaufbrüche. Trotzdem ging es zügig im 2. und 3. Gang voran. Welch ein Kontrast: Im Tal Spätherbst und auf der Passhöhe tiefster Winter bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. 

Passabfahrten mit alten italienischen Motorrädern haben auch ihre Tücken und verlangen nach voller Konzentration. Weniger wegen der Bremsen – die vordere Scheiben- und die hintere Trommelbremse verzögern hervorragend – sondern wegen der bauartbedingten Lage von Fußbremse und Schaltung. Letztere befindet sich nämlich auf der rechten Seite und gebremst wird folglich mit dem linken Fuß. Da sind fatale Fahrfehler vorprogrammiert. 

3 ½ Ave Maria für ein Halleluja
3 ½ Ave Maria für ein Halleluja

Die kleine Alpenrundfahrt endete ohne irgendwelche Unpässlichkeiten der italienischen Lady dort, wo sie begonnen hatte: Im empfehlenswerten und preiswerten Wellnesshotel Lafairs, schön gelegen im österreichischen Oberinntal.

Ob möglicherweise auch noch weniger italienische Pferdchen aus viel weniger Hubraum für fast ebensolche Glücksmomente sorgen können, erfahrt ihr demnächst im KRADblatt – mein Fuhrpark hat noch einige Schätzchen, die artgerecht bewegt werden möchten …