aus Kradblatt 03/17
Text: Alexander Stiehle, Fotos: Audi
Zuerst erschienen auf http://blog.audi.de

Er hat gewagt, was sich nicht jeder trauen würde:
Blogautor Alexander Stiehle ist mit einer Ducati XDiavel S auf eines der größten Harley-Fantreffen gefahren, den Harley Days in Hamburg. Wie er sich am Ende unter „Feinden“ doch Freunde gemacht hat, erzählt er hier.

Es ist heiß heute. Sehr heiß. Ich stelle meine Ducati XDiavel S ab und hole mir etwas zu trinken. Als ich zurückkomme hat sich eine kleine Menschentraube um die Maschine gebildet. Interessierte Blicke mustern den italienischen Cruiser und wie aus dem Nichts steht Melanie vor mir. „Ich liebe Motorräder und bin ein absoluter PS-Freak“, sagt die 18-jahrige Schülerin aus Gütersloh. „Deine Ducati sieht wirklich cool aus … würdest du mich ein paar Runden mitnehmen?“

Die Ducati scheint erste Freunde gefunden zu haben. Also nehme ich die rothaarige Schönheit mit auf eine kurze Spitztour durch Hamburg. Auf einer Geraden drehe ich das Gas auf, Melanies Haare flattern im Wind und sie schreit vor Freude, während ihre tätowierten Arme mich fest umschließen.

Die Harley Days – es geht los

Eine Stunde zuvor: In lässiger Lederjacke cruise ich auf meiner XDiavel S durch die Alsterstadt zu den 14. Hamburg Harley Days. 400.000 Harley-Davidson Fans frönen hier drei Tage lang, auf dem Gelände des Hamburger Großmarkts, der amerikanischen Kultmarke. Im sogenannten Harley Village bieten mehr als 100 Händler ihre Produkte an und auf einer Open-Air-Bühne spielen verschiedene Rockbands.

Kurzum: Für diese drei Tage steht Hamburg im Zeichen von Harley-Davidson. Doch mit der XDiavel S hat Ducati ein Motorrad gebaut, das es mit einer Harley-Davidson durchaus aufnehmen kann: ewig langer Radstand, extrem flache Sitzposition, breiter Lenker und nach vorne gelegte Fußrasten. Alles gepaart mit einem enormen Drehmoment von 129 Newtonmetern und gewaltigen 152 Pferdestärken.

Ich mache noch einige Platzrunden mit Melanie, und wir rollen durch ein Meer von Kuttenträgern. Als sie schließlich vor den Harley-Fahrern von meiner Maschine steigt, ernte ich neidische Blicke.

Plötzlich springt mir ein älterer Mann in den Weg. Er nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas, zeigt mit dem Finger auf mich und grölt: „Was zum Teufel sucht diese Ducati hier? Das ist eine Harley-Veranstaltung!“ Ich weiche aus, gebe Gas und lasse den immer lauter schimpfenden Mann schnell hinter mir.

Die Ride-In Bike Show: Wer hat die schönsten Harleys?

Am nächsten Tag findet ein Highlight der Harley Days statt: die Ride-In Bike Show in der Innenstadt mit anschließender Prämierung der schönsten Custom-Bikes auf einer großen Bühne. Es regnet in Strömen, dennoch tummeln sich viele Schaulustige um die zahlreichen Cruiser. „Die Motorräder sind zwischen 15.000 und 90.000 Euro wert und die Besitzer investieren bis zu 600 Arbeitsstunden in ihre Maschinen“, sagt Chief-Judge Frank Sandner, während wir unter einem Zelt stehen, auf das der Regen laut niederprasselt. „Wir Judges bewerten den Stil, die Verarbeitung und die Fahrbarkeit der Harleys und prämieren die schönsten Maschinen in unterschiedlichen Kategorien“, erklärt er mir.

Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Meine Ducati gehört auf diese Bühne! Ich frage Sandner, ob es möglich sei, mit einem Preisträger zusammen hochzufahren. Sein grimmiger Blick lässt mich einen Schritt zurückweichen. Botschaft angekommen. Aber so leicht gebe ich nicht auf.

Ich eile durch den Regen. Vielleicht spielt ja einer der Preisträger bei meiner Idee mit. Ich treffe auf Arne Hunke. Er hat den dritten Platz in der Kategorie Radical Custom belegt. Und tatsächlich ist er bereit, mit mir zusammen auf die Bühne zu fahren, wenn er seinen Preis in Empfang nimmt.

Die Ducati XDiavel S auf der großen Harley-Bühne

Die Preisverleihung hat begonnen, und ich rolle langsam durch die dichte Menschenmenge, um mich in Position zu bringen. Die verwunderten Blicke der Zuschauer sind mir etwas unangenehm.

Als Arne mir ein Zeichen gibt, rolle ich durch die Absperrung, und wir fahren zusammen auf die Bühne. „Was zum Teufel sucht diese Ducati hier? Das ist eine Harley-Veranstaltung!“, schreit jemand ins Mikrofon. Irgendwie kommt mir der Satz bekannt vor …

Ich mache mich schnell wieder aus dem Staub. Aus dem Augenwinkel hatte ich gesehen, wie sich zwei Schränke in Lederjacken auf mich zu bewegten. Längeres Verweilen auf der Bühne wäre meiner Gesundheit wahrscheinlich nicht zuträglich gewesen.

Motorenkonzert auf der Reeperbahn

Abends cruise ich auf meiner XDiavel S durch die Hamburger Innenstadt Richtung Reeperbahn. Wenn die Party auf dem Gelände des Großmarktes zu Ende ist, geht es im Vergnügungsviertel von St. Pauli weiter. Kurz vor Ende der Reeperbahn entdecke ich eine Tribüne, die direkt an der Straße steht und von wo aus sich viele Menschen das Spektakel anschauen. Harley-Fahrer, die daran vorbeiknattern, lassen den Motor nochmal kurz aufheulen und die Menge entlohnt sie mit lautem Beifall. Der Sound ist beeindruckend.

Den für Ducati typischen Desmosound, unter Kennern auch „Pompone“ genannt, mochte ich den Zuschauern aber nicht vorenthalten. Also schwinge ich mich wieder auf meine XDiavel S, halte vor der Tribüne an und starte mein Motorenkonzert. Ein tiefes Donnergrollen brandet den Zuschauern entgegen und der Motor bebt zwischen meinen Beinen. Plötzlich tippt mir ein Finger auf die Schulter. Ich drehe den Gashahn wieder zu und schaue nach links. „Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte!“

Ein Polizist steht neben mir und schaut mich finster an. Mit zittrigen Händen gebe ich ihm das Gewünschte. „Was glauben Sie denn, wer Sie sind? Wieso veranstalten Sie hier so einen Höllenlärm?“, fragt er, während er meine Papiere kontrolliert. Ich gebe mich reuig, höre mir noch eine kleine Schimpftirade an, kann dann aber weiterfahren. Die Menge klatscht und johlt, als ich die Reeperbahn entlangbrause.

Krönender Abschluss: die Fahrer­parade

Nächster Tag, 11 Uhr vormittags, auf dem Großmarktgelände: Bei schönem Wetter stehe ich mit meiner Ducati inmitten Tausender Harleys. Wir warten auf den Beginn der Fahrer-Parade, die den Abschluss der Hamburg Harley Days bildet.

Dann ist es soweit: 8.000 Motorräder rollen langsam an und beginnen die 33 Kilometer lange Tour durch die Hamburger Innenstadt. Als wir wieder auf dem Großmarktgelände ankommen und ich von meiner XDiavel S absteige, klopft mir jemand kurz auf die Schulter: „Bist du nicht der Typ, der gestern mit seiner Ducati auf die Bühne gefahren ist?“ „Ja“, antworte ich ihm. „Krasse Aktion! Du hast hier ganz schön für Furore gesorgt“, sagt er anerkennend und lacht. Meine XDiavel S hat sich offenbar einen Namen auf den Harley Days gemacht. Mission accomplished.