Muss man immer das neueste Hightech-Fahrzeughaben, wenn man auf Reisen geht? Oliver und Christian waren mit der aktuellen BMW R 1200 GS und einer alten Yamaha XTZ 750 Ténéré in Marokko. Lest selbst …
aus Kradblatt 9/15
von Oliver Jochens und Christian Kolhoff
Mit BMW R 1200 GS (neu) und Yamaha XTZ 750 Ténéré (alt) nach Marokko
Marokko – prima Touren-Vorschlag von Freund Christian, der entspannt an seiner nagelneuen BMW R 1200 GS der aktuellen Modellreihe lehnt. Ein Hightech-Traum wie aus einem Aluminiumblock gefräst. Beim Kauf hatte ihn der BMW-Händler vorsichtshalber auch in die angrenzende Kleiderkammer geschickt, wo er von Quartiermeister Q mit allem ausgestattet wurde was die BMW eigene Forschungsabteilung bereit hält, um den GS-Agenten vor feindlichen Umwelteinflüssen zu bewahren. Atmungsaktive Textilkombi (100% wasserdicht natürlich), Endurostiefel mit Nagelbesatz, Handschuhe für jede Saison plus dem obligatorischen Klapphelm, den ein offensichtlich Strafzettel erprobter Designer mal für Motorradpolizisten erdacht hat, damit diese sich schneller mit den gestellten Verkehrssündern auf ein Strafmaß verständigen können. Für die zivile Version dieses Helmes steht natürlich ein zu integrierendes Bluetooth Headset zur Verfügung, um den Kontakt zur Sozia nicht abreißen zu lassen und auch via iPhone der Liebsten zu melden, wann der Abenteurer wieder zu Hause erwartet werden kann. Für die grobe Vorbereitung einer Marokko Tour würde also ein Dreh am Zündschlüssel genügen.
Aber nun zu mir: Wie alle Benzinenthusiasten um die 40 betreiben auch wir eine kleine Garage, in der wir unsere kleinen Zweiradträume pflegen. Auf der Suche nach dem passenden Begleitfahrzeug für die GS geht unser Blick dennoch ins Leere. Denn was für eine stilsichere Cappuccino-Anfahrt passt, hat am Rande der Wüste, wie wir bis jetzt noch glauben, absolut keine Existenzberechtigung. Da hilft also nur investieren in eine neue, für dieses Projekt passende Mopete. Neu heißt bei Old- und Youngtimer Aficionados wie uns natürlich mindestens 20 Jahre alt. Noch ist es Anfang Dezember, also bester Käufermarkt auf den bekannten Onlinebörsen. Eine feine Aufgabe, der wir uns gerne zwischen den Vorbereitungen des Weihnachtsfestes stellen. Das Projekt bekommt ja jetzt eine gewisse Dringlichkeit, die auch unseren nicht so zweiradaffinen Partnerinnen leicht zu vermitteln ist.
Während Christian und ich noch via Mail von einer 900er Cagiva Elefant schwärmen und uns vorstellen wie rustikale marokkanische LKW-Schrauber das filigrane Ducati Triebwerk wieder in Stand setzten, hat Marc, der dritte im Garagen-Bunde, schon zugeschlagen: Anfang Dezember wird eine Yamaha Super Ténéré aus den goldenen 90ern vor unserer Garage abgelassen. Auch wenn die Wettbewerbsmaschine nicht wirklich viel mit dem Serienmodell gemeinsam hatte, kann der 89er Dakar Gewinner Stefan Peterhansel nicht ganz falsch gelegen haben mit seiner Wahl. Und optisch performt sie neben der GS erstmal sehr gut.
„Die Benzinpumpe muss getauscht werden, so springt sie schlecht an. Ansonsten ist alles ok” – hatte der Vorbesitzer uns mit auf den Weg gegeben. Zwischen dem Benzinpumpentausch und dem Anspringen lagen wie immer in solchen Fällen noch zahlreiche Besuche beim Hamburger Yamaha Spezialisten Kedo, der ebenfalls sehr von unserem Kauf profitiert hat. Und natürlich einige Schrauberstunden, in denen wir unsere Lernkurve mit Blick auf den Abreisetermin immer steiler anstellen mussten. Zum Finale ziehen wir mit einem 99 € Elektroschweißgerät noch schnell unsere erste Schweißnaht, um dem Gepäckträger die nötige Stabilität für die gebrauchten Alukoffer zu verleihen, die dem Verkaufsgespräch nach bereits Argentinien gesehen haben sollen. Plug-and-play gehört eben doch mehr in die GS Ära von Touratech & Co. Bei der finalen technischen Durchsicht und dem Einstellen des Ventilspiels verlassen wir uns dann aber doch auf die Kompetenz von Ingenieur und Meister Thomas Harms (TwoWheel Hamburg). Das gibt Sicherheit.
Also packen wir’s. Am Sonntag, den 19. April stehen die ungleichen Brüder zur Abfahrt bereit. Rational betrachtet wirkt die GS mit ihren Features übermächtig. Ein elektronisch einstellbares Fahrwerk, ABS, 125 PS, ein kommodes Sitzmöbel, Alukoffer wie aus einem Guss und eine gut dimensionierte Frontscheibe stehen einem analogen Zentralfederbein (das bereits 66.000 Kilometer abgefedert hat), 70 PS, mit Muskelkraft betriebenen Bremsen, einer Standard-Sitzbank und einer kurzen Scheibe gegenüber, auf die der Begriff Windschutz nicht so recht passen will. Emotional betrachtet fühlt man sich auf der Super Ténéré aber immer noch wie ein Dakar-Gewinner. Was nicht nur an dem original Dakar Aufkleber liegt sondern auch an dem Arrows Auspuff, von dem wir nicht lassen konnten und der die Fahrt zum Güterzugbahnhof Altona nun mit professionellem Sounddesign in Szene setzt.
Ankunft Altona. Und das erste Mal … warten. Trotz aller Apps und aller Elektronik ist Schlange stehen auch 2015 noch eine Konstante in unserem Reisealltag. Warten auf das Verladen unserer Bikes. „Marokko? – schönes Land! Aber alles Kanaken“ ruft ein vor uns wartender Mitreisender in bajuwarischer Mundart mitten in unsere Vorfreude.
Die Altherren auf ihren Touren-Bikes sind offenbar auf dem Weg zurück in die bayerische Heimat. Das hebt bei uns die Vorfreude auf drei noch unbekannte Mitreisende, mit denen wir laut Reisebuchung das fünf Mann-Liegewagen-Abteil teilen werden.
Zum Glück haben die aber ihren Zug verpasst. Wir genießen das Abteil für uns alleine und sammeln bei Nürnberger Rostbratwürstchen aus der Mikrowelle Kraft für die große Tour. Serviert von einem der letzten gut gelaunten und mit sozialverträglichen Umgangsformen ausgerüsteten Schaffner der Deutschen Bahn. Respekt! Von dem Bahnstreik auf der Rückreise können wir ja jetzt noch nichts ahnen.
Am nächsten Morgen folgt von Lörrach aus eine Verlegefahrt Richtung Genua mit dem Ziel nach Tanger überzusetzen. Alles funktioniert, auch wenn sich in den zum Teil sehr langen Tunnelpassagen zumindest beim Yamahafahrer wegen der LKW-Scheinwerfer im Rückspiegel und der knappen Testfahrten rund um Hamburg ein laues Gefühl einstellt, denn: Hier möchte man nicht liegenbleiben. Da hilft nur die GS als Besenwagen – sie verfügt im Falle eines Falles wenigstens über eine Warnblinkanlage. Sorgen, die sich aber als völlig unbegründet erweisen sollten. Mit jedem gefahrenen Kilometer gewinne ich Vertrauen in die Zuverlässigkeit unserer Super Ténéré.
Wer das richtige Fährterminal im Hafen von Genua gefunden hat ist ein ordentliches Stück weiter auf dem Weg nach Afrika. Tipp: Weder den Reedereimitarbeitern trauen noch den umherirrenden holländischen Motorradclubs. Einfach verschiedene Absperrungen umfahren, dort wo eine drei Meter breite Lücke im Bauzaun klafft verbirgt sich das Ziel.
Hier besteht die lange Schlage der motorisierten Afrikareisenden zum Großteil aus GS-Modellen der letzten Jahrzehnte. So ganz falsch kann das Zweiradkonzept von BMW nicht sein. Die zweite Gruppe stellen bis zum Achsbruch mit Wohlstandsmüll überladene LKWs, bei denen sich die Rahmen biegen, dass der Rost schon rieselt. Wer als Motorradfahrer auf offener Straße solchen überladenen KFZ-Ruinen ins Gehege kommt hat verloren – egal ob mit oder ohne ABS.
Nach 48 Stunden Überfahrt stürzen ca. 50 Motorräder in einer Wolke aus Abgasen und Testosteron über die Laderampe in den neuen Fährhafen Tanger-MED, wo wir nach 300 Metern vom Zoll abgekocht werden. Es heißt wieder warten. Was den Systemvergleich angeht: Bis jetzt erstmal Gleichstand. Dass die GS anspringt stand außer Frage, doch die Yamaha zieht gleich, da sie vor dem Abstellen auf der Fähre noch bei abgedrehtem Benzinhahn sorgfältig „leergefahren“ wurde. Das ist notwendig, weil der linke Zylinder bei längeren Standzeiten auf dem Seitenständer zum Absaufen neigt. Kein Problem, solange die Batterie noch Saft hat.
Nach einer Nacht in Tanger geht es über einen Ausläufer des Rifgebirges nach Fes und somit weiter Richtung Sahara. In den engen Serpentinen braucht die Ténéré deutlich mehr Zuneigung als die GS, was sicher auch an den Koffern liegt. Die sind zwar stabil angebracht, aber eben nicht so betonfest an der Yamaha fixiert wie an der GS. Das bringt Unruhe ins Fahrwerk und es fühlt sich an als müsse man die gesamte Masse etappenweise in Schräglage bringen.
Auf dieser Strecke wird es das erste Mal richtig staubig, bis die Straße kilometerweise endgültig zur miesen Piste wird. GS Fahrer Christian bleibt munter, drückt verschiede Knöpfchen am Lenker und wählt dabei aus dem reichhaltigen Menü die Dämpferstellung „soft“ und den „Enduromodus“ aus. Das Dämpferbein hat er bereits vor Abfahrt per Knopfdruck auf „eine Person mit Gepäck“ vorgespannt. Ich entspanne mich erst, als sich ganz langsam das Vertrauen in den selbstgeschweißten Kofferträger einstellt. Ab dem Zeitpunkt macht es richtig Spaß, gemeinsam erhöhen wir die Geschwindigkeit. Jetzt lebt die Yamaha Super Ténéré mit ihren langen Federwegen und dem 21-Zoll Vorderrad richtig auf. Paris Dakar lässt grüßen.
Generell müssen Überholvorgänge, Bremsungen und Kurven mit der Yamaha besser geplant werden. Während Christian im 6. Gang den Gashahn aufmacht und vorbeizieht, muss ich das Gelände sondieren und ein bis zwei Gänge runterschalten. Die Kraft reicht dabei immer, wobei die Yamaha beim Bremsen tief eintaucht und während ich auf der Suche nach der Ideallinie durch die Kurven schunkele, macht Christian noch mit der rechten Hand bei eingeschaltetem Tempomat ein paar schöne Landschaftsaufnahmen in Schräglage. Dennoch macht das Fahren Spaß, auch wenn ich abends gerne absteige, während GS und Fahrer noch Reserven für ein paar Kilometer hätten.
Über Midelt und Erfoud gelangen wir an die Ausläufer der Sahara. Ausflüge in die Dünen sind kurz, dafür sind uns die Maschinen mit und auch ohne Gepäck zu schwer, aber über unbefestigten Untergrund kommen wir beide gut voran. ABS und ASR der GS werden hier abgeschaltet, und mehr als 30 PS können hier ohnehin auch keinen Grip finden. Das 21 Zoll Vorderrad der Yamaha sucht sich auf Sandpassagen im Vergleich zur GS etwas unaufgeregter seinen Weg und es ist erstaunlich wie weit man mit etwas Zug auf Kette und Kardan sowie heruntergesetztem Reifendruck kommt. Als wir bei Sandsturm mit Windgeschwindigkeiten um 50 km/h ohne Sturz und Umfaller wieder in unserer Unterkunft ankommen, sind wir von unseren Offroad-Fähigkeiten erstmal begeistert. Wie man mit einem Zweirad auf Sand fährt zeigt uns übrigens Mubarak. Der fliegende Fossilien-Händler überholt uns auf seinem Mofa und bewegt sich trotz funktionsloser Bremsen und gerissenem Kupplungszug langsam aber unaufgeregt durch den weichen Sand der Dünen.
Auf dem Weg aus der Wüste nach Marrakesch überqueren wir den Atlas. Hier tauschen wir das erste Mal die Motorräder. Ich muss sagen: Man kann sich das Leben auf so einer GS ja wirklich einfach machen! Ein entspannter Kniewinkel, ein ernstzunehmender Windschutz und der von mir vorher verspottete Tempomat lösen die Krämpfe der letzten Tage. Fahrwerk zielsicher, Überholen ein Kinderspiel. Auch kehrt langsam die Erinnerung wieder zurück, wie sich Motorradfahren mit stabilem Geradeauslauf anfühlt.
Christian hat in der Zwischenzeit richtig Spaß und fliegt mit der Yamaha durch die Landschaft. „Das Biest muss man ja richtig reiten! Ich weiß zwar Mangels Infodisplay weder, wieviel Bar ich auf dem Vorderreifen habe, noch wie hoch wir sind. Aber wenn man klargestellt hat, wer hier wen verprügelt …“, jubelt er beim Zwischenstopp und erbittet eine zweite Runde.
Richtung Casablanca haben wir die ersten kleineren Probleme: Die Batterie der Yamaha hat Hitze und Schüttelei nicht vertragen, weshalb Christian mich ab jetzt anschiebt, bis wir in Genua eine neue Batterie bekommen. Auch sind die Frontscheinwerfer ausgefallen, was sich aber durch Anzapfen der Bordsteckdose beheben lässt. Bei der BMW wäre hier rein gar nichts zu improvisieren gewesen.
Etwas Angstschweiß treibt uns die nicht funktionierende Batterie dann am Morgen der Anreise zur Fähre doch noch auf die Stirn. Wir sind zwar gut in der Zeit aber die letzten 40 Kilometer bis zum Fährhafen Tanger MED müssen eben doch noch zurückgelegt werden. Trotz Christians Starthilfe per Muskelkraft will die Super Ténéré einfach nicht anspringen. Die letzte verbliebene Spannung scheint nicht mal mehr für einen ersten Zündfunken auszureichen. Kein Wunder, denn dank der überbrückten Stromversorgung für die Lichtanlage belastet nicht nur das Abblendlicht, sondern auch das Fernlicht die Restspannung der Batterie. Schnell umgesteckt und der Ténéré Sound pulverisiert die morgendliche Stille in dem gemütlichen Strandvorort von Tanger.
Ein Zwischenfall der, im Vergleich zu dem Bahnstreik der, nach zwei Tagen Überfahrt und zwei weiteren entspannten Ferientagen in Genua erwartet, als Kleinigkeit zu bewerten ist. Der Autoreisezug fällt also aus und wir müssen die 1250 km von Genua nach Hamburg auf eigenen Rädern in Angriff nehmen. Das Navigationssystem zeigt uns als Route einen schnurgeraden Süd-Nord-Strich durch ganz Europa an.
Fazit: Nach 500 Kilometern Tagespensum ist es völlig wurscht auf welcher Motorradgeneration man sich fortbewegt. Alle Fasern des Körpers schreien nur noch „Absteigen”. Auf langen Etappen verschafft eine GS ihrem Fahrer natürlich deutliche Konditionsreserven. Auf engen kurvigen Passstraßen und im Gelände steht der Spaßfaktor unserer 1990er Super Ténéré dem einer BMW GS aber in nichts nach.
Noch mehr Bilder findet ihr im Fotologbuch unter www.hamburgloerrachmarrakesch.com – klickt mal rein …
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Mit BMW R 1200 GS (neu) und Yamaha XTZ 750 Ténéré (alt) nach Marokko”
Hallo,
toller Bericht mit einem schönen Schuss Selbstironie. Werde neidisch!
Muss aber sagen, dass ich für so eine Tour die GS zu schade finde. Da hätte ich permanent Angst die zu zerlegen. Mit einem alten Gerät kann man da sogar entspannter fahren (wenn man Vertrauen in die Haltbarkeit gewonnen hat).
Viel Spaß auf euren nächsten Touren
Matthias