aus bma 01/05

von Martin Mönnich

Auf nach TurkuDer Aufruf zu dieser Reise erfolgte in Form eines Anrufs aus Den Haag/NL. Harold, einer der erprobten Reisegefährten, teilte mir so ganz nebenbei mit, in einer Woche nach Südfinnland aufzubrechen, um wieder das Treffen des lokalen Motorradclubs aus Turku heimzusuchen. Kurz darauf hatte ich das Reisebüro am Hörer. Harold war bereits in Besitz eines Fährscheines, aber für mich lautete die Information: „Keine Tickets mehr für Verbindungen direkt nach Finnland.” So besorgte ich mir eines für einen Tagestrip Stockholm-Turku und überließ das ungläubige Kopfschütteln meinen Bekannten, die die Distanz Mainz-Stockholm in einem Tag bereits verworfen hatten.
Doch wo ein Wille ist … war in diesem Fall auch ein Weg nach Norden. Ich traf Harold in Hamburg-Stillhorn, stilecht in einem Motel, und wir fuhren Tags darauf zusammen eine Etappe über 50 km. Wir waren wieder unterwegs. Allerdings zunächst nur bis Lübeck-Sereetz. Dort trennten wir uns um 11 Uhr Ortszeit. Harolds umgebaute Honda Shadow folgte dem Weg zur Fähre Rostock-Hanko (24 Std. Überfahrt) und ich hatte den Landweg nach Stockholm vor mir und Zeit bis anderntags um sieben in der Früh am Silja-Terminal zu sein. Wiedersehen würden wir uns am Freitag, den 12.07., um 21 Uhr finnischer Zeit an einer Tankstelle unweit von Sauvo. Von dort wollten wir die letzten Kilometer wieder gemeinsam bestreiten.

 

Ich kam gut voran, meine Triumph Trophy spürte förmlich die Freuden einer erneuten Gewalttour und spulte ihr Autobahnprogramm mit gewohnter Zuverlässigkeit ab.
Von Dänemark blieb diesmal auf der Durchreise nicht viel an Eindrücken hängen. Vielleicht ist aber ab und zu die alte Route Helsingør – Helsingborg als Alternative zur Øresund-Brücke zwischen København-Kastrup und Malmö-Lernacken wieder empfehlenswert. Man kann sich die Beine für einen Moment vertreten, den Seewind unter den Helm lassen und die beiden Städte sind auch durchaus sehenswert.
Ich verbrachte den späten Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein in Helsingborg. Eilig hatte ich es nicht, der Zeitplan ließ nämlich keine Übernachtung mehr zu und ich hatte für die 600 km nach Stockholm noch 12 Stunden Zeit.
An dieser Stelle möchte ich explizit den schwedischen Kaffee loben! Selbst an Autobahntankstellen ist recht guter Café Latte erhältlich. Er hat mich später vermutlich am Leben gehalten und ist nicht zu vergleichen mit dem üblen dosenmilchgebleichten Filtergebräu deutscher Pensionstraditionen.
BadespaßJener besondere Hanse-Flair der nordeuropäischen Hafenstädte glänzte in Helsingborg im späten Abendlicht und ich konnte mich kaum losreißen. Wer den Weg nach Schweden über diese Stadt wählt, sollte wenigstens einmal zum Kärnan hochsteigen. Von dort bietet sich eine einmalige Aussicht über den Stortorg (Marktplatz) hinunter zum Hafen und mit Glück bis zur dänischen Küste. Der Rest meiner Nachtfahrt durch das Land der Elche ist schnell erzählt. Alle halbe Stunde traf ich auf einen LKW. Der Überholvorgang dauerte eine kleine Ewigkeit (LKW mit 90 km/h, ich mit 100 km/h), danach sah ich für weitere 30 Minuten die christbaumgleiche Leuchtfront im Rückspiegel bis mich die Einsamkeit wieder hatte. Ansonsten Wald, ab und zu ein See und dann wieder Wald. Gegen fünf Uhr erreichte ich die Suburbs of Stockholm und sah meine ersten echten Elche. Nach 500 km Wald standen sie im Vorgarten der Hauptstadt, toll.
Ab halb sechs wurde gewartet. Zusammen mit einer Schar russischer Autohändler versuchte ich für eine Stunde die Augen zu schließen, machte es mir neben meiner Maschine gemütlich und wartete auf die Fähre.
Nach einer weiteren Ewigkeit war dann der Verladevorgang trotz unerwartet „mediterranem Chaos” abgeschlossen. Ich suchte mir einen Platz auf dem Sonnendeck und hoffte auf überfallartige Müdigkeit in den nächsten Stunden.
Dann runter vom Schiff und ab nach Sauvo, wo Harold bereits seit einer Stunde wartete. Die Freude fiel angemessen aus, hatte doch alles fahrplanmäßig geklappt.
Der große Moment stand aber noch bevor. Wir begaben uns nach zwei Zigarettenlängen auf die letzten Kilometer zum Treffen. Dort begegneten wir den ersten Bekannten am Eingang. Es wurden massenhaft Schultern und Sprüche geklopft, Hände geschüttelt und ein Gefühl der Rührung mit den ersten Dosen Bier herunter gespült.
Die „Saaristoralli” in Sauvo ist ein Ereignis innerhalb der finnischen Biker-Szene. Jedes Jahr strömen aus allen Ecken des Landes viele hundert Motorradfahrer in die Nähe der westlich von Turku gelegenen Kleinststadt. Der Zeltplatz selbst hat unmittelbaren Zugang zum Wasser und damit Anbindung an das weltweit größte Schärengebiet mit etwa 40.000 Inseln und Klippen. Ansonsten ist er im Wald gelegen und von der Infrastruktur her perfekt. Selbst bei Regen gibt es genügend überdachte Feiermöglichkeiten. Der lokale MC aus Turku (Torun Mottoripyörällijät – das muss man sich auf der verknoteten Zunge zergehen lassen) sorgt im Rahmen der 25 Euro Eintritt für vier Mahlzeiten, eine geführte, landschaftlich reizvolle Ausfahrt, zwei ständig beheizte Saunen, ein attraktives Rahmenprogramm mit teilweise nicht ganz jugendfreien Wettbewerben, Live-Musik, 24-Stunden Ambulanz vor Ort, Kondome, Knäckebrot, Verleihung von Pokalen für weite Anreisen (lohnt sich für Kontinental-Europäer!) und angenehm entspannte Atmosphäre. Letzteres hat seinen Grund auch in der Tatsache, dass die Saaristoralli ein Familientreffen ist. Alle Altersgruppen sind vertreten, und Kinder sind nicht nur gern gesehen, sondern sogar erwünscht.
TreffenSo ergibt sich eine lockere Mischung, die bei erhöhtem Alkoholgenuss leicht positiv explodieren kann. Ist das Wetter dann auch noch fett wie in diesem Sommer, spielen sich bereits tagsüber temperamentvolle Szenen am Strand ab. Besonders „Ausländer” genießen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit – sei es, dass Mann/Frau versucht finnische Rituale weiterzugeben, Sprachübungen exerziert werden oder schlicht im internationalen Biker-Esperanto Öl gequatscht wird. Das Finnische ist nämlich so eine Sache. Selbst dem sprachlich geschulten Hörer bleibt nicht der Hauch einer Chance abzugreifen, worum es sich bei Sätzen wie „Opasteet kaikilta sisääntuloväylilta“ handelt…
Gerade deswegen aber sind die multikulturellen Begegnungen so wertvoll. Wer bereits einigermaßen auf finnisch fluchen kann, findet schnell Anschluss und häufig benutzte Redewendungen wie „Scheiße das Bier ist alle!” lernt man hinter jedem Zelt. Überhaupt ist die offene Gastfreundschaft ein Grund, jedem die lange Fahrt nach Sauvo zu raten. Auch wer hier keine Sau kennt, bleibt nicht lang allein und wird sich köstlich amüsieren – garantiert!
Über die Jahre bin ich etwas ruhiger geworden, und so verzichtete ich diesmal auf Branntwein-Experimente und Tänze auf anderer Leute Tische. Dafür beobachtete ich meine Zeltnachbarn bei ihren Gleichgewichtsübungen und sah Öde und Tuomas noch am anderen Morgen in exakt der selben schwankenden Haltung um exakt dasselbe Lagerfeuer stehen.
Bei Temperaturen jenseits der 30 Grad tauten auch die schweigsamsten Vertreter Lapplands auf und belehrten die ewigen Nörgler eines Besseren, die da behaupten, „Finnen” würden jede Stunde einen Satz sagen (wenn überhaupt…). Aber hier im Süden war sowieso alles ein bisschen anders. Es kommt einem auch ein wenig schwedisch vor und das mit Recht, lebt hier doch der schwedisch sprachige Teil der Bevölkerung, was schon an der zweisprachigen Ausschilderung unschwer zu erkennen ist.
Dieses Mal lernte ich neben echten Einheimischen den Bruno kennen. Er stammte aus Bordeaux, lebte in Turku und fuhr dieselbe Maschine wie ich. Am Sonntag waren wir zu Gast im Garten seiner Freundin. Es gab Barbecue und Bier und wir saßen hinter einem dieser Bilderbuchhäuschen aus Holz.
Längst war beschlossene Sache, dass wir die Rückreise zusammen antreten. So standen wir Dienstags für die Nachtfähre Turku-Stockholm an und wurden kurz vor Verladeschluss an Bord gelassen. Für ein paar Motorräder mehr ist in der Regel immer Platz. Vorher hatte ich noch Harold, Tua und Raikku in Helsinki verabschiedet. Ihre Fähre verließ Finnland schon vormittags.
Einen Tag brauchten wir wieder retour durch Schweden. Kurze Stopps an einigen einsamen Schlössern und in Eksjö machten den Trip jedoch diesmal etwas entspannter als auf der Hinreise. Außerdem waren wir zu zweit unterwegs. Zunächst bis Malmö, wo Bruno eine Unterkunft bei einem Freund aufgetan hatte. Am nächsten morgen streiften wir noch zwei Stunden durch København und beobachteten im Hippie-Viertel Christiania die ersten Kiffer beim Aufwachen. Auf der Weiterreise schlossen sich uns ein paar Finnen an und zusammen fuhren wir noch bis Bremen, wo ich mich für dieses Mal von Bruno und den anderen verabschiedete. Vielleicht bis nächstes Jahr… In Sauvo.
Für weitere Infos über die Saaristoralli in Sauvo oder andere Treffen in Finnland einfach eine E-Mail an: moennich@gmx.de