aus bma 6/12

von Michael Przibilski

Mars A20 - die weiße MarsSeit der Erfindung des Motorrades wurden nur einige wenige Maschinen gebaut, von denen die Aura des Außergewöhnlichen ausgeht. Zu diesen Fahrzeugen gehören technische Meilensteine wie „Hildebrand & Wolfmüller”, „Megola”, „Windhoff” oder die „Weiße” Mars. Gerade die „Weiße” Mars, die es außerdem auch in rot und grün gegeben hat, symbolisiert mit ihrer außergewöhnlichen Bauweise, Gestaltung sowie ihrer Leistung, den Aufbruch in eine neue Ära des Motorradbaus nach 1918. Über diese Ikone soll es in diesem Beitrag gehen.

Die MARS-WERKE AG in Nürnberg-Doos begannen bereits 1903 mit dem Bau von Motorrädern. Für die Fahrgestelle, höchst wahrscheinlich eine Lizenz von Puch, kauften sie Ein- und Zweizylindermotoren der Hersteller Fafnir, Zedel und Puch ein, in 1910 gab MARS die Fertigung von Motorrädern dann vorerst auf.

Nach 1918 begannen zahlreiche ehemalige Rüstungsbetriebe mit der Fertigung von Produkten des täglichen Bedarfs. Für die feinmechanischen Firmen kamen natürlich nur hochwertige technische Güter in Betracht. Neben den großen Firmen versuchten auf diesem Sektor aber auch zahlreiche kleine Hersteller ihr Glück. In ihren Hinterhöfen schraubten diese meistens kleine und unzureichend erprobte Kleinmotorräder zusammen. Diese Firmen waren häufig schon wieder Pleite, als deren Werbung von der Druckerei angeliefert wurde.

Mars A20 - die weiße Mars PrototypZurück zu Mars. Ingenieur Claus Franzenberg erhielt 1919 von der Geschäftsleitung der MARS-Werke AG die Aufgabe, ein gutes Motorrad zu entwickeln. Dieses Motorrad sollte einen leistungsfähigen Motor mit einer modernen Linienführung besitzen und dem Käufer lange Zeit treue Dienste leisten. Während das angesprochene Gros der Hersteller mit kleinen und billigen Produkten auf den Markt strömte, gab sich Mars folgendem Motto hin: „Klotzen – nicht kleckern”! Immerhin hatte die Mars in dieser Liga nur einen Konkurrenten: die NSU 8 PS mit einem 996 ccm großen V2-Motor und 12 PS Leistung. Strategisch gesehen hatten die MARS-Werke ihre Lücke gefunden.

Anstelle der teuren Rohrrahmenkonstruktion entwickelte Franzenberg einen „Balkenrahmen”. Dieser Kastenrahmen wies ein U-Profil auf, in dem der zehn Liter fassende Benzintank einen geschützten Platz fand. An den Rahmen wurde auch der Motor hängend angeschraubt.

Am A 20-Prototypen wurde das Motorrad von einer geschobenen Kurzschwinggabel mit einer zentralen oberen Feder vor dem Steuerkopf abgefedert. Deren Konstruktion erinnerte stark an Henderson. Als dieser Prototyp erstmals der Fachpresse vorgestellt wurde, hatten die Mars-Werker keine eigene Gabel zur Verfügung. Vielleicht war die Präsentation überhastet? Wie dem auch sei, man verwendete kurzerhand den kompletten Vorderbau der NSU 3 PS inklusive Lenker und Bedienhebeln. In der Serienversion erhielt die MARS dann natürlich einen eigenen Lenker sowie die eigene Vorderradfederung mit einer gezogenen Kurzschwinge. Zudem spendierte man dem Serienmodell ein gefälligeres Schutzblech, die Beinschützer erhielten eine weniger rundliche Form und waren weiter vorne im Bereich des Steuerkopfes am Rahmen angebracht worden. Der bei Maybach gefertigte Motor wanderte etwa fünf Zentimeter weiter zum Hinterrad. Dieses waren die auffälligsten Veränderungen gegenüber dem der Presse vorgestellten MARS-Motorrad.

Lichtmaschine auf Trittbrett - Mars A20 - die weiße MarsIng. Franzenberg hatte die Bauform mit gegenüberliegenden Zylindern bewusst im Auge. Über 40% aller Motorradfahrer in Deutschland wählten in Umfragen den Boxer-Motor als die beliebteste Motorenbauart. So zeichnete Franzenberg einen Motor nach seinen Idealvorstellungen. Mit 956 ccm wies der seitengesteuerte Boxermotor ein eher ungewöhnliches Maß auf, in seiner Leistungsausbeute war er ebenfalls ungewöhnlich niedrig, nur 7½ ADAC-PS versprach das Verkaufsprospekt. Für die damaligen Straßenverhältnisse war die Leistung von echten 12 Pferdestärken aber durchaus reichlich bemessen. Es kam nicht auf eine möglichst hohe Geschwindigkeit an, sondern auf eine gleichmäßige Kraftentfaltung und eine geringe Defektanfälligkeit. Der Motor wurde von der renommierten Motorenschmiede Maybach in Friedrichshafen am Bodensee gefertigt. Ab 1925 entstanden alle nachfolgenden Motorengenerationen in der Maschinenfabrik Immendingen sowie bei Mehne in Schwenningen.

Vorderrad Tonnenfeder - Mars A20 - die weiße MarsMit einer Bohrung von 80 mm und einem Hub von 95 mm war der Motor recht langhubig ausgelegt. Drehmoment statt Drehfreude, so wie es lange die vorherrschende Idealvorstellung war. Ebenfalls dem Zeitgeist entsprechend waren die Zylinder als Sackzylinder konzipiert worden, bedeutet: der Zylinderkopf ist untrennbar mit dem Zylinder verbunden. Große Kühlrippen sorgten für einen ausgeglichenen Temperaturhaushalt. Zusätzlich wurde das große Schwungrad als Lüfterrad ausgebildet, das auch im Stand nach dem Ventilatorprinzip kühlende Luft zu den Zylindern schaufelte. Neben der Kühlung ist eine ausreichende Ölversorgung von entscheidender Wichtigkeit. Eine BOSCH-Ölpumpe versorgte alle Schmierstellen mit Schmierstoff.

Vom außergewöhnlichen Motor und dem ungewöhnlichen Rahmen kommen wir nun zur Kupplung und dem Getriebe, von den Mars Werken als „Wechselwerk“ bezeichnet. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass auch in diesen Punkten Ing. Franzenberg eigene Lösungen fand. Eine Kupplung und ein Getriebe nach unseren, wie auch den damaligen Verständnissen suchen wir in der Mars vergebens! Das „Getriebe” bestand aus zwei voneinander unabhängigen Kupplungen, welche ähnlich den Innenbackenbremsen die Kraft des Motors über eine Kette an das Hinterrad weitergaben. Über den Schaltstock an der rechten Rahmenseite schaltet und kuppelt der Fahrer die inneren Spreizringe der jeweils gewünschten Kupplungstrommel zu, indem er den Schaltstock aus der Mittelposition langsam nach links oder rechts dreht. Die Kupplungen dienen gleichzeitig als Bremse für das Hinterrad. Dabei wird ein Bremsband um die Außenseite der Kupplungstrommel gespannt. Ein Bremsband wird vom Fußbremspedal auf dem rechten Trittbrett über ein Gestänge betätigt, die zweite Bremse durch den Handbremshebel, welcher sich unmittelbar vor dem Fahrersattel befindet.

Tank - Mars A20 - die weiße MarsPraxisnähe bewies Franzenberg bei den untereinander austauschbaren Rädern. Deshalb machte ein echtes Reserverad wirklich Sinn. Bei eine Reifenpanne wurde einfach das neben dem Hinterrad angebrachte Reserverad gegen das defekte Rad getauscht. Eine stundenlange Schlauchflickerei entfiel, zur Freude der Besitzer.

1920 kommt die MARS A 20 zum Verkauf. Die deutsche Presse überschlug sich mit Lobgesängen über ihre edle Erscheinung. In der teuersten aller lieferbaren Farben lackiert, erhielt sie schnell ihren mystischen Namen: „Weiße” Mars. Zahlreiche Erfolge bei den beliebten Zuverlässigkeitsfahrten festigten ihren Nimbus.

Der Besitzer der hier vorgestellten Mars heißt Mark Schaller und wohnt im schönen Vogtland. Er beschäftigt sich seit seinem 14. Lebensjahr mit alten Fahrzeugen. Damals bekam er dank finanzieller Unterstützung der Eltern, ein D-Rad R 0/5, welches er alleine drei Jahre lang restaurierte. Nach und nach gesellten sich weitere Spandauer Modelle dazu. Dabei entwickelte sich Mark Schaller zum ausgesprochenen Kenner der Marke! Doch nicht nur die D-Räder haben es ihm angetan, auch für die Motorräder und Automobile aus dem Sachsenland schlägt sein Herz. Ein Wanderer W-10/II, der als Eigenbautraktor umgebaut war, wurde eines Tages angeschafft. Der Holzrahmen für die Phaeton-Karosserie wurde als Meisterstück für die 1996 anstehende Prüfung zum Tischlermeister ausgewählt.

Mars A20 - die weiße Mars CockpitNun ruht der Sammler nicht, wenn er ein paar schöne Dinge sein Eigen nennt, er braucht etwas Neues. So lief ihm eines Tages ein guter MARS MA 25-Motor über den Weg. Gesehen – gekauft! Doch nun stand die nächste Frage im Raum: Woher kommt der Rest? Und wie lange wird es dauern? Es dauerte nicht lange. Neun Monate später fand sich im Schwarzwald ein Fahrgestell, es war gestrahlt und grundiert, die Anbauteile waren im Originallack erhalten. Dieses Fahrgestell konnte Mark glücklicherweise käuflich erwerben. Daraus entstand dann die hier vorgestellte aufregende Mixtur aus Alt und Neu, wobei Mark Schaller bei der neun Monate dauernden Restaurierung ein sehr glückliches Händchen bewies. Auf meine Frage nach kniffligen Arbeiten und grauen Haaren verwies Herr Schaller auf den Pallas-Vergaser. Erst der dritte Vergaser konnte zufriedenstellend mit dem Motor harmonieren. Graue Haare hätten ihm die Instandsetzung und die Einstellung der Schaltwellen beschert.

Im Juni 2011 hatte Mark Schaller seine Mars fertig. Auf der „Kriebstein-Rallye“ konnte das Motorrad seine erste Bewährungsprobe bestehen. Mark Schaller dazu: „Technisch hat sie wunderbar funktioniert, nur den Handbremshebel habe ich wohl etwas stark beansprucht, der Nickel ist dabei etwas abgeplatzt.” Ich fragte ihn, warum er gerade den Handbremshebel etwas stärker benützt habe? Mark Schaller: „Weil wir zwei gut wiegen, und weil die Handbremse besser bremst!” Dabei muss er schmunzeln…

Mars A20 - die weiße MarsAls wir uns auf die Fahraufnahmen vorbereiteten, fragte ich Mark nach einem zeitgenössischen Anzug und Schuhen. Mark entgegnete spontan: „99 Prozent meiner Zeit stecke ich im Blaumann. Der gehört einfach zu mir!” Zustimmung, ich möchte niemanden zu etwas überreden, womit er sich nicht identifizieren kann.

Bei den anschließenden Fahraufnahmen wurde mir nicht nur optisch sondern auch akustisch ein außerordentlicher Hörgenuss beschert. Schon als Mark den Motor mittels der Handkurbel andrehte, sprang bei mir der Funke sofort über. 1000 Kubik sind eben 1000 Kubik.

Nach einem zweistündigen Ausflug saßen wir beim Kaffee in Marks kleinem Privat-Museum. Wir schwatzten über seine Lieblingsmotorräder, seine Träume, sein „wichtigstes” Motorrad und über seine interessanteste Maschine. Ohne großartig überlegen zu müssen nannte er mir die Wanderer 4,5 PS als sein wichtigstes Motorrad. Warum: „Die Wanderer ist in einem sehr schönen Originalzustand, bei diesem Fahrzeug sind auch solche Sachen wie Bowdenzüge oder Zündkabel noch die ersten”. Und welche mag er gar nicht? „Die K 500, an dieser Maschine erkennt man, warum Wanderer die Motorradproduktion einstellen mus­ste.” Das beste Fahrmotorrad sei für ihn die Indian Chief aus dem Jahre 1941. Mit diesem Motorrad fährt Mark recht häufig.

Informationen über Nürnberger Motorräder erhält man auf: www.meisterdinger.de

Fahrzeugdaten:

  • Hersteller: MARS-Werke A.G.
  • Typ: M.A. 25
  • Bauzeit: ges. 1920 bis 1932, in mehreren Ausbaustufen
  • Rahmen: Kastenrahmen aus U-Profil
  • Gabel: gezogene Kurzschwinggabel mit zentraler Feder
  • vor dem Steuerkopf
  • Räder: untereinander auswechselbar, Reifen Wulst 28×3
  • Motor: hergestellt bei Maybach, später auch
  • Maschinenfabrik Immendingen und
  • Mehne in Schwennigen
  • Bauart: 2 Zylinder-sv-Boxer mit Sackzylindern,
  • Kurbelwelle quer eingebaut
  • Bohrung x Hub: je 80 mm x 95 mm
  • Hubraum: 956 ccm
  • Leistung: 12 PS, später 18 PS
  • Gewicht: 140 kg, Motor alleine 49 kg
  • Höchstgeschwindigkeit: normal 80 km/h
  • Verbrauch: 4 Liter
  • Tankinhalt: 10 Liter