aus bma 12/05

von Wolf-Ulrich Cropp
www.wolf-ulrich-cropp.de

Mit dem C1-Roller von BMW erschließt man sich Marokko normalerweise nicht. Zwei Hamburger: Ein Schriftsteller und ein Betriebs- leiter versuchten es und waren begeistert! Über 11.000 km legten sie pannenlos mit ihren beiden Scootern zurück – ganz nebenbei ein Langstrecken-Rekord für diesen Fahrzeugtyp.

Marokko mit BMW C1Luken knallten, Bremsen quietschten, Menschen rannten und schrien. Dann hatten wir afrika- nischen Boden unter den Rädern. Algeciras – Tanger, die Überfahrt mit der Fähre CF Al Mansour dauerte zwei Stunden. Und die einfache Fahrt kostete pro Person mit Roller 53 Euro. Afrika! Tanger empfing uns mit orientalischem Gewimmel. Alles gestikulierte, lamentierte, hilfreiche Geister umschwirrten uns wie Wespen. Es ging um Zollformalitäten, Fahrzeugeinfuhrpapiere, Deklarationen. Mustafa heftete sich an unsere Fersen. Bakschisch beherrschte von nun an das Streben der Menschen. Erst wurde ich abgezockt, dann noch Werner, mein Kumpel, der Motorenfreak. Immerhin, kaum 10 Minuten später rollten wir aus dem Hafen. Das war das 30-Euro-Bakschisch wert! „Zehn für Mustafa, zehn für Mustafas Boss (dem Zöllner) und zehn für Allah,” lachte der Marokkaner und rannte freudig voraus. Für heute hatte er genug verdient.
Tanger: Den Rauschgifthandel hatte der Menschenhandel abgelöst. In Stundenhotels der Medina warten Hunderte, wenn nicht Tausende Schwarzafrikaner auf ihre Schlepper, um nach Spanien geschmuggelt zu werden. Wir mußten weiter. Das Etappenziel hieß Rabat. Ab Asilah führte nahe der Küste eine Autobahn in Richtung Südsüdost. Aus dem Nichts tauchte Polizei auf. Schon war die Kelle draußen. Wir mußten halten. Falsch gefahren? Strafe? Bakschisch? Ganz im Gegenteil! Man interessierte sich für unsere Scooter, die C1. Wollte sie aus der Nähe sehen. Das sollte ab jetzt täglich einige Male passieren. Und das Frage-Antwortspiel war immer das gleiche: „O la la, BMW! Bien?” – „Wir können nicht klagen.” „Preis?” „6.000 Euro.” „Geschwindigkeit?” „Bis 125 Kilometer” „Stärke?” „176 ccm bringen 13 kW.” „Verbrauch?” „Im Schnitt 3,2 Liter Super auf 100 Kilometer.” „Merci monsieur, bonne route. Au revoir.”

 

Man winkte sich zu. Weiter ging’s – bis zum nächsten Stop… Bevor es in den großen Süden ging, wollten wir in einem Hotel in Rabat noch etwas Bequemlichkeit genießen. Wir hielten, wurden von Neugierigen umringt, fragten in die Menge: „Hotel Ibis?” Antwort: „Wie teuer?” „Boulevard ad-Doustour?” „Wie schnell?”
Herrje, drehte sich hier alles nur um die Roller? Ein Vater bat mich abzusteigen, damit er seinen Jungen hinterm Lenker knipsen konnte. Erst als das Bürschchen Gas geben wollte, wurde ich etwas ungehalten. Gerade wurde das Ibis Hotel von einer Horde englischer Motorradfahrer heimgesucht. Zweiundzwanzig Marsmenschen stampften ins Foyer. Dem kleinen, süßen Mädchen an der Rezeption wurde Angst und Bange.
Marokko mit BMW C1Ein Ausflug nach Casablanca ließ uns die Große Moschee Hassan II bestaunen. Der sakrale Monumentalbau faßt 100.000 Gläubige. Leider war das Gotteshaus infolge Renovierungsarbeiten geschlossen. Der Muezzin hatte ein Herz für C1-Cruiser. Wir konnten einen Blick in die gigantische Säulenhalle werfen. Beeindruckt wollte ich dem Mann das obligate Bakschisch zustecken. Er wehrte entgeistert ab. Na nu? Ein Marokkaner, der Trinkgeld verpönt? Wir traten ins Freie, da zupft mich der Kirchenmann am Arm und hielt die Hand auf. „Draußen schaut Allah weg,” meinte er und warf einen verstohlenen Blick himmelwärts.
Was fällt dem Besucher zu Casablanca ein? Richtig: „Schau mir in die Augen, Kleines.” Es kam uns vor, als warben alle Bars der „Weißen Stadt” mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann. Am eindrucksvollsten pflegte die Pianobar des Hyatt Regency Nostalgisches mit Fotos, Regenmantel, Hut und SS-Uniformen. Kaum bekannt ist, daß der Film „Casablanca” nie in dieser Stadt, sondern in den Studios Hollywoods gedreht wurde!
Den Horizont beherrschte jetzt, majestätisch und eisig-schön, die Kette des 2.000 bis 4.000 Meter mächtigen Gebirges des Hohen Atlas. Davor karges Land mit schlanken Palmen, aufgelockert von braunen Lehmquadern. Wir rollten durch die Vororte von Marrakesch. Das Tor zum Süden: Marrakesch. Ein Ort aus „1.000 und einer Nacht”. Eine eng verwunschene Medina öffnete sich, und der gesuchte Place Jemaa el-Fna („Versammlungsplatz der Toten”) lag vor uns. Einst waren dort zur Schau gestellte Schädel der Hingerichteten die Attraktion. Heute sind es Schlangenbeschwörer, Wahrsager, Märchenerzähler, Wasserverkäufer, Gaukler, Akrobaten, doch besonders wir, mit den exotischen Rollern. Der Trubel war ungeheuer. Taschendiebe hatten alle Hände voll zu tun.
Hitze dampfte auf der Fläche. Strenge Gerüche drangen in die Nase, nicht nur von orientalischen Gewürzen. Abends legte sich beißender Holzkohlenqualm der vielen Garküchen auf den ganzen Platz. Uns zog es weiter über den Hohen Atlas.
Kehre um Kehre nahmen die Scooter in beruhigender Verläßlichkeit. Keine Anzeichen von Schwäche, nichts Unrundes im Motorensound. Auf 1.500 Meter verschwanden die schneebedeckten Gebirgsflanken im Nebel. Wir glitten wie in einen Sog dichter Wolkenfetzen mit Nieselregen und Kälte. Von Zeit zu Zeit schickte ich Stoßgebete an Petrus: „Bitte, verschone uns mit Schnee!”. Augenscheinlich halfen diese.
Tizi-n-Tichka heißt der Scheitelpunkt auf 2.260 Meter des westlichen Passes. Regen und kalter Wind umtoste das Café dort oben, aber kein Schnee. Wir wärmten uns bei heißem Tee. Erteilten geduldig Auskünfte zum Roller. Dann stiegen wir auf der N 9 hinab, in Richtung Quarzazatre.
Tuareg In der Hochebene von Khela Tasserda, auf der anderen Seite, empfing uns Seitenwind von ungeahnter Heftigkeit. Er warf sich gegen die Frontscheibe und mißbrauchte sie als Spinnaker. Um uns herum war das Land sandig, steinig, kaum besiedelt. Es roch nach Sand. Man konnte die nahe Sahara ahnen. Im Süden quoll eine düster-graue Wand auf. Sah bedrohlich aus. Wuchs größer und größer. Sandsturm! Der orgelte über die N 9 heran, warf sich grimmig gegen uns. Sturm drückte die Roller in atemberaubende Schräglage. Die Straße bestand aus konturenlosem Nichts. Sand peitschte in Augen, Nase und Mund.
Endlich. Schemenhaft tauchten Häuser auf. Quarzazate war erreicht. Der Sandsturm hielt uns noch Tage im Bann. Immer ab Nachmittag bis in die Nacht hinein. Ab heute folgten wir der N 10, der berühmten „Straße der tausend Kasbahs” nach Osten, durch eine karge, wildromantische Landschaft, durchsetzt mit verfallenen Wehrdörfern aus roter Stampferde. Ein Abstecher führte in die bizarre Schlucht Georges du Todra, wo sich Dattel-, Oliven- und Granatapfelhaine am Fuße von 300 Meter senkrecht aufragenden Felsen krallen. Wände, an denen Freeclimber aus aller Welt ihre Kletterkünste beweisen. Schließlich hielten wir vor Kasbahs, verfallen, wie frühmittelalterliche Burgruinen, umkreist von Falken, Turm- und Mauerstümpfe von Störchen bevölkert. Und der Mensch? Der hat sich in die hintersten, kühlen, noch intakten Räume zurückgezogen. Dort leben mehrere Generationen in ärmlichen Verhältnissen, wie Höhlenkinder. Doch ihre herzliche Gastlichkeit beschämte uns.
Vor uns lag die Sahara. Im Osten flankierte das Erg Chebbi, Marokkos größtes Sandgebiet mit 100 Meter hohen Dünen, unsere Piste. Im Westen erstreckte sich eine riesige, flache Ebene, übersät mit schwarzen, scharfen Basaltsteinen. Die Schotter- oder Serirwüste. Was wie eine Fata Morgana am Horizont tanzte, entwickelte sich zu einem tatsächlichen See mit Schilf und leibhaftigen Flamingos. Aus dem Süden zog eine Karawane heran, begleitet von stumm schreitenden Männern, deren schlanke Gestalten in blaue, weiße und schwarze Gewänder, die Gandurah, gehüllt waren. Stolze Tuareg aus dem fernen Mauretanien auf dem Weg zu den Oasen Rissani und Dar Kaoua, wo sie den Marokkanern Waren anbieten. Leder-, Knüpf-, Metallarbeiten für den Tourismus.
Die Schotterwüste beutelte uns wie ein Schüttelsieb. Wie lang würden die Reifen wohl halten? Und die Piste wurde immer sandiger. Wir glitten über Verwehungen wie über Eisflächen. Für die C1 mit uns im Sattel war das Reiz, Abenteuer und Herausforderung in einem. Plötzlich tauchte in einer Kurve ein hoher, gelber Sandberg auf. Rechts umfahren, dachte ich. Da saß ich schon drin. Die kleinen Reifen bohrten sich in den weichen Sand. Festgefahren. Die Düne hatte die Piste abgeschnitten und in allen Richtungen unpassierbar gemacht. So abrupt hatten wir uns das Ende nicht vorgestellt. Bei Khemliya mußten wir kapitulieren. Wind riß Sand vom Dünenkamm. Ein letzter, trauriger Blick nach Süden.
Marokko mit BMW C1 „Tauschen wir die Roller gegen geländegängige Transportmittel,” schlug ich vor. Am Nachmittag standen die Scooter unter einem windgeschützten Verschlag. Der Dromedar- Mann Mohammad erschien mit zwei gesattelten Wüstenschiffen. Auf schaukelnden Rücken ging’s ab in den ewigen Sand des Erg Chebbi, nach Osten an die algerische Grenze. Ein grandioser Ritt in die Stille der Wüste. Das Nachtlager schlugen wir in einem Dünental auf, in dem eine einzige Dattelpalme ums Überleben kämpfte. Wüstennächte sind berauschend schön und klar, als sei man in ein Meer von Sternen gebettet. Aber auch kalt. Mohammad warf uns Kameldecken über, schwer wie Zementsäcke. Neben mir lagen die Dromedare, kauten und rülpsten. Ihre Mägen arbeiteten wie eine Toilettenspülung. Vor Sonnenaufgang weckte uns das Trällern einer Wüstenlerche. Spuren an den Sandflanken zeugten von besonderer Nachtaktivität. Mohammad zeigte uns Abdrücke von Schwarzkäfern, Wüstenspringmäusen, Fenneks (Wüstenfüchsen) und Wüstenwaranen. Die Wüste lebt tatsächlich, man muß nur hinschauen. Mit dem Sonnenaufgang floß gleißendes Licht über die Dünen, und mit dem Licht Wärme, aus der rasch bedrohliche Hitze entstand. Wir tranken Unmengen Tee. Irgendwo vor uns lag unsere Oase, dort warteten die Roller, die uns zurück nach Deutschland bringen sollten. Wehmut kam auf. Die Wüste hatte uns Stärke und Grenzen gezeigt, aber auch ihre erhabene Schönheit. 5.500 km waren wir gereist um hierher zu gelangen, in ein Gelände, das für den C1 das Äußerste war. Die Roller hatten durchgehalten. Nun hieß es an die Rückreise denken.
Hoch auf dem Dromedar schreckte mich plötzlich das Handy auf. Verfluchte Zivilisation! Meine Frau erkundigte sich nach unserem Ergehen. Mohammad drehte sich langsam um, und fragte mich durch seinen blauen Litham (Gesichtsschleier): „Soll Ali Baba jetzt zum Essen kommen?”
Zurück gings in wildem Ritt durch Schneefelder des östlichen Hohen Atlas nach Fès. Noch heute habe ich den bestialischen Gestank von Taubenkot in der Nase, denke ich an das Gerberviertel. Und in der Altstadt sicherten wir uns ängstlich ab, als litten wir an Verfolgungswahn, so penetrant wurden wir von selbsternannten Fremdenführern in die Mangel genommen. Dann grüßte der Atlantik wieder, mit Tanger. Und über der Bucht lag jener Hauch von Verruchtheit, der allen morbiden Hafenstädten eigen ist. Eugène Dalacroix kam mir in den Sinn: „Ich fühlte mich im Augenblick wie ein Träumer, der Dinge sieht, von denen er befürchtet, sie könnten ihm entschwinden.”
Der Wind der Freiheit umspielte Kopf, Haare und Körper, nicht Helm und Lederpanzer. C1 cruisen – das ist echtes Motorradfahren. Auf dem Ufer-Boulevard kam die Sonne heraus, warm und schön, wie eine alte Freundin. Ich lehnte mich zurück, stellte die Füße über die Verkleidung und ließ die Luft durch die Hosenbeine fegen. Die Fahrt durch Marokko war schon bald vorbei, doch sie war verdammt schön und sie bräuchte niemals enden.