aus bma 11/12
von Theresa Kaufbold

Race ResaDas erste Mal Rennstrecke und dann gleich die Nordschleife?! 20,832 Kilometer, 73 Kurven, Steigungen von 18 Prozent, Gefälle von 11 Prozent und viele Mythen und Schicksale beschreiben die legendäre „Grüne Hölle”, die Nordschleife des Nürburgrings. Jeder Motorsportfan, sei es Auto- oder Motorradrennen, kennt diesen Mythos. Im September sollte es soweit sein, dass auch ich ihm erliege.
Ich hatte mir mit meiner Honda CBR 600 RR einen Traum erfüllt: Schon immer wollte ich einen Supersportler mein Eigen nennen. Bis zu jenem September sind wir zwei viel durch die Republik gefahren, über Landstraßen und Autobahnen. Ich nutzte die Drehfreude des Motors aus, aber auch die Möglichkeit des ruhigen Gleitens. Es war toll, hat immer Spaß gemacht, aber mir fehlte irgendetwas!
Anfang September schnallte ich meine gepackten Taschen ans Heck der Maschine und fuhr Richtung Nürburg. Auf dem Weg dorthin begleiteten mich Gefühle von Aufregung und Neugierde: „Was mich da wohl erwarten wird?”

Angekommen am  „Dorinth” Hotel, welches sich direkt an der Grand Prix Strecke befindet, empfing ich meinen Zimmerschlüssel und spürte die stetig steigende Nervosität. Ich  befreite meinen „kleinen Packesel” von seiner Last und lief mit meinem Gepäck völlig aufgeregt durch das Hotel, das einen unglaublichen Charme auf mich ausübte. Überall roch es förmlich nach Benzin. Bilder von Rennlegenden, verschiedene Fahrzeuge und Pokale zierten das gesamte Hotel. Mit einem Blick auf mein Motorrad merkte ich: Hier sind wir richtig! 

Nachdem ich das Zimmer bezogen hatte, ging es gegen 12 Uhr wieder ins Foyer, denn dort war die Anmeldung für das Training auf der Nordschleife. Gegen Unterschrift bekam ich einen Transponder und meine Startnummer. Die  „16” sollte meine erste Startnummer und meine Glückszahl werden. Die Transponder brauchten wir für die Messung und Zuordnung der Lautstärke der einzelnen Motorräder. Auch auf der Nordschleife gelten feste Regeln, die Lautstärke darf 98 dB nicht überschreiten

Im Anschluss an die Anmeldung ging es zur ersten Fahrerbesprechung. Der Ablauf des Tages wurde dort besprochen und die einzelnen Gruppenmitglieder bekamen die Gelegenheit sich vorzustellen. Dabei wurde schnell klar, dass sehr viele verschiedene Motorradfahrtypen aufeinander trafen und unterschiedliche Ziele im Raum standen. Ich für meinen Teil wollte mehr Vertrauen und Sicherheit in die Einheit „CBR 600 RR und Theresa” bringen und einfach mal „angasen”.

Die Verwandlung der HondaNach der Vorstellungsrunde ging es zu den Motorrädern. Da war er dann, der besondere Moment, der aus einer Straßenmaschine eine Rennmaschine macht. Ich nahm meine Eins und positionierte sie etwas links auf der Verkleidungsscheibe und dann die Sechs, etwas weiter rechts daneben. „WOW“ dachte ich, „so eine Zahl steht meiner CBR nicht schlecht!“
Dann ging es auch endlich los! Zunächst wurden ein paar Aufwärmübungen gemacht. Wer schon mal bei einem Sicherheitstraining war, der kennt diese gymnastischen Übungen auf dem Motorrad. Angefangen vom einhändigen Fahren übers Hinstellen bis zum Damensitz war alles dabei. Sehr schön war dabei für mich zu erkennen, dass mein Motorrad und ich stärkeres Vertrauen zueinander fanden. Jetzt wollten wir zwei aber langsam Nordschleifenluft schnuppern. 

Gedacht, getan. Unsere Gruppe fuhr geschlossen zur Döt­tinger Höhe, die neue Einfahrt der Nordschleife. Dort waren bereits einige andere Gruppen zu finden, die schon ihre ersten Runden drehten. Motorengeräusche, echter Benzinduft, Motorräder über Motorräder zierten die Einfahrt und steigerten meine Freunde und Aufregung auf die Nordschleife. Ich verspürte leichtes Kribbeln im Bauch, wie bei einem ersten Date. Unsere Gruppe wurde noch einmal geteilt und jeweils sechs bis acht Fahrer einem Instruktor zugeordnet. Und dann ging es recht schnell. Wir haben uns eingeordnet und rollten auf die Zufahrt zu. Dann gab es ein Handzeichen vom Streckenposten. Erster, zweiter, dritter, vierter Gang. Meine kleine CBR fühlte sich direkt wohl.

Okay, jetzt hieß es dran bleiben. Das erste Mal auf der Rennstrecke ist schon Adrenalin pur. Nichtsdestotrotz wollte ich mir die legendäre Strecke erst einmal anschauen und erfahren im doppelten Sinne. Vom Einprägen des Rundkurses kann man bei 73 Kurven und vor allem bei der ersten Fahrt nicht sprechen. Nicht umsonst sagt man, dass man sich erst ab 100 gefahrenen Runden um die Nordschleife erlauben darf zu behaupten, dass man sie kennt.
Von der Döttinger Höhe aus geht es durch den Tiergarten zur ersten kleinen Schikane, der Hohenrein. Der 4. Gang ist gut für die erste Besichtigungsrunde, ich muss die ganze Runde nicht ein Mal schalten. Weiter geht es über die Kurvenkombination am Hatzenbach rüber zum Flugplatz. Ein leichtes Grinsen setzt unter meinem Helm ein. Rechts, links, rechts, links und noch eine rechts. Freie Sicht, kein Gegenverkehr. Man hat die ganze Fahrbahn für sich. Vertrauensvoll zieht man hinter dem Instruktor her und fährt auch auf der linken Seite der Fahrbahn. Schließlich ist die Nordschleife die längste Einbahnstraße Deutschlands. Schon nach den ersten Kurven bekommt man ein Gefühl dafür, was es heißt, die richtige Linie zu fahren.

Gas ist rechtsWeiter geht es über den Flugplatz zum Schwedenkreuz, hier kann man etwas Tempo machen. Mein Tacho zeigte inzwischen entspannte 140 km/h. Nicht vergessen: Einfahren und kennenlernen waren angesagt und das war auch gut so.

Dann geht es durch eine Senke in die Fuchsröhre und über den Adenauer Forst, Metzgesfeld, Kallenhard durch die Exmühle. Dort stehen einige Zuschauer, die ich aber nur  im Augenwinkel wahrnehme, da ich selbst mit der anspruchsvollen Strecke beschäftigt bin. Nach der Exmühle geht es steil bergauf zum Bergwerk hoch. Damit habe ich nicht gerechnet, die Nordschleife ist ja eine ständige Berg- und Talfahrt! Es hatte was und ich sollte es später noch besser spüren. Im Durchschnittstempo von circa 120 km/h geht es weiter übers Klostertal zum Karussell. „Hui, was ist das denn!“, denke ich mir, als wir auf das Karussell zufahren. Dort sind in einer Steilkurve lauter Betonplatten. Na, mal sehen wie wir da durchfahren. Okay, einfach rein da und mittig der Platten bleiben. Ich spüre eine ungewöhnliche zwanghafte Schräglage und immer wieder dieses Humpeln der einzelnen Betonplatten. Darum ist das hier auch eine Fahrwerksteststrecke, in diesem Moment habe ich etwas Mitleid mit meiner kleinen Honda. Aber da ist es auch schon vorbei, raus aus dem Karussell und hoch zur Hohen Acht, dem höchsten Punkt der Nordschleife. Im Anschluss geht es über Wippermann, Eschbach ins Brünnchen. Moment, das kenne ich! Viele Zeichnungen von Fans zieren dort den Asphalt und einige Zuschauer stehen hinter dem Zaun. Ja die Stelle habe ich schon mal im Fernsehen gesehen. 
Keine Zeit zum Nachdenken, es geht schon wieder weiter über die Eiskurve zum Pflanzgarten und Schwalbenschwanz. Oh je, wieder so Betonplatten sind in der Kurve am Schwalbenschwanz oder auch dem 2. Karussell zu finden. Augen zu und durch. Lieber nicht, denn Augen auf und durch ist hier einfach besser angebracht! Der Schwalbenschwanz ist nicht so unruhig wie das Karussell. Danach geht es wieder über den Galgenkopf zur Döttinger Höhe, noch einmal etwas den Gashahn aufdrehen und die Einfahrt nicht verpassen.

MotorsportflairDas war sie also, meine erste Runde „Grüne Hölle”. Sie war sehr viel versprechend, sie fühlte sich an wie eine freie Landstraße mit Curbs und ohne Gegenverkehr. Das gefällt uns doch, dachte ich mir und ich konnte kaum die folgenden und immer schneller werdenden Runden erwarten. Es folgte noch eine weitere Runde dieser Art und dabei näherte sich das Ende des ersten Trainingstages.

Im Hotel klang der Tag bei einem leckeren Büffet und angeregten Gesprächen gemütlich aus und endete frühzeitig im Bett.
Am nächsten Morgen sollten wir nach dem Frühstück ganz entspannt um 8 Uhr an der Döttinger Höhe sein. Dort wurden wir mit Lockerungsübungen auf dem Motorrad in den Tag geschickt. Nun hieß es, die Nordschleife schneller zu durchfahren. Ich wurde einer anderen Gruppe zugeteilt, die dann recht zügig, aber sicher ihre Runden drehte. Mir war klar, dass heute auf dem Motorrad mehr gearbeitet würde, die ruhige Runde im vierten Gang war vorbei und das war auch gut so.

Wir starteten gleich in die Vollen, raus auf die Döttinger Höhe: 130, 140 km/h, abbremsen, runterschalten durch die Kurven bei der Hohenrain. Geht ja fix voran, dachte ich, irgendwie ist die Straße gefühlt schmaler geworden. Die nächsten Kurven folgten, dann eine Gerade über den Flugplatz wenn man die Linie erwischt. Hochschalten, Gas geben, Drehzahlbegrenzer, schalten und weiter. Die Augen waren  immer wieder auf das Motorrad des Instruktors gerichtet. Der wird schon wissen was er tut. Er bremst, ich bremse, zwei Gänge runter. Es geht rechts durch den Aremberg und wieder beschleunigen. Die Fuchsröhre lese ich. Es geht durch eine Senke, sie drückt mich und mein Bike Richtung Boden, eine Kompression, die man bis in den Magen spürt. Fahre ich Motorrad oder Achterbahn?

Keine Zeit zum Denken, ich sehe nur noch Bremslichter. Also Anker werfen und das richtig. So ging es durch den Adenauer Forst. Das war knapp, aber ich weiß warum mein Vordermann so gebremst hat. Da heißt es blind vertrauen, er kennt die Strecke, ich noch nicht. So ging es diese Runde weiter durchs Kesselchen und beim Klostertal blieb der Instruktor links. Oh je, ich sehe die Kurve nicht, okay er fährt sie links an, also muss es gleich nach rechts gehen und dem war auch so. Jetzt war wieder das Karussell zu sehen. Ich war schneller als beim ersten Mal, es rappelte weniger im Fahrwerk, aber ich war schräger. Jetzt hieß es noch einmal Gas geben und den Moment nutzte ich, um zu realisieren, wie viel Spaß es macht. Ich lobte mein Motorrad mit einem zärtlichen Klopfen auf der Verkleidung. Dafür wurde sie also gebaut, dachte ich.
Endlich bekommt sie Auslauf und es macht einfach nur Spaß. Nächste rechts, wieder am Brünnchen vorbei, durch den Schwalbenschwanz und die lange Gerade der Döttinger Höhe kam zum Vorschein. Jetzt noch die Ausfahrt bekommen. Die war nötig. 

Ein kleiner Vernunftsstreifen darf bleiben...Ich stieg ab und mein Körper schüttete Glückshormone über Glückshormone aus. Mein Grinsen tat fast schon in den Wangen weh. Jetzt hieß es, das Geschehene erst einmal verarbeiten und jede noch kommende Runde einfach nur genießen und mit allen Sinnen aufsaugen.

Die folgenden Runden verliefen ähnlich und jede ein wenig schneller und damit immer etwas intensiver. Dazwischen gab es immer wieder Pausen, da die Konzentration merklich nachließ. Man hatte an einigen Stellen dann das Gefühl die Kurven zu kennen und konnte dementsprechend tiefer und schneller durch fahren. Aber auch am Ende von diesem Tag konnte ich sagen: Alle Kurven kenne ich bei weitem noch nicht, geschweige denn weiß ich, wie man sie richtig anfährt. Darum nutze ich die Gelegenheit hier und möchte mich für die Arbeit der Instruktoren bedanken.
So schnell der Tag begonnen hatte, eben so schnell neigte er sich im Hotel dem Ende zu. Beim Abendessen schloss man noch ein paar neue Bekanntschaften und freute sich insgeheim auf das Bett.

Am nächsten Tag ging es wieder nach Hause, meine Sportlerin wurde mit ihren Satteltaschen wieder zum Touringbike und brachte mich wohlbehütet in die Heimat. Auf dem Weg dorthin bin ich mit einem sehr sicheren Gefühl nach Hause gefahren. Meine Erwartungen an das Training auf der Nordschleife wurden mit diesem Gefühl in Gänze erfüllt und der Mythos Nordschleife hatte nun auch mich ergriffen.

Im Ergebnis bleibt mir nur zu sagen, mein Vernunftsstreifen ist merklich geschmälert und ich selbst bin mir sicher, dass ich mich zu einem Wiederholungstäter ent­wickeln werde, denn die Nordschleife hat unglaublich hohes Suchtpotenzial. Ich hoffe nur, dass sie uns Motorsportsfans erhalten bleibt.

Wenn ich ehrlich bin, hat mich sogar der Rennstreckenvirus befallen. Seit diesem prägenden Erlebnis auf der Nordschleife konnte ich schon im LUK-Driving Center am Baden Airpark fahren und vor kurzem konnte ich ein paar Runden in Hockenheim drehen.

Man hat auf der Rennstrecke das Gefühl sicherer zu sein. Man kann dort schneller fahren, hat keinen Gegenverkehr und wenn etwas sein sollte, gibt es viel Auslaufzone. Diese Grenzerfahrungen auf der Rennstrecke tragen dazu bei, dass ich mich wesentlich gelassener und auch sicherer durch den öffentlichen Straßenverkehr bewege.

Es reicht völlig aus, für sich zu wissen, dass man schnell fahren kann, dass man das Motorrad tief in die Kurve schieben kann. Darum ist all das auf der Straße völlig überflüssig und unnötig, dort heißt es immer mit Reserven fahren. Wenn man dem Mythos Nordschleife verfällt, hat man dabei sogar einen Sicherheitsgewinn. Also lasst euch einfach Anstecken!

Info – Die Autorin: 
 
Theresa ist Jahrgang 1984 und machte bereits mit 20 Jahren den Motorradführerschein. Die erste Saison begann 2005 mit einer blauen Kawasaki GPZ 500S. Die ersten Jahre war sie im Harz, Kyffhäuser und im Weserbergland unterwegs. Nach Beendigung des Studiums zur Diplom Verwaltungswirtin, zog sie ins Rhein-Main-Gebiet. Dort ist sie nun seit 2010 mit der Honda CBR 600RR im Odenwald, Taunus und am Rhein unterwegs. Ab und zu geht sie auch auf die Rennstrecke. Dabei kommen im Jahr knapp 10 000 Kilometer zusammen.
 
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