aus bma 03/92

von Yogi

Einerseits kann ich es kaum erwarten, endlich loszukomrnen, andererseits graust mir schon jetzt vor dem folgenden Kampf um jeden Kilometer. In hektischer Geschäftigkeit treffe ich die letzten Vorbereitungen für die Abfahrt.
Eigentlich ist es ja gar nicht so weit bis nach Nordhorn. Und doch weiß ich schon jetzt, daß sich die Strecke unterwegs als scheinbar endlos entpuppen wird. Egal, die Freunde rechnen mit mir, Leute, die um des Winters ungnädigem Fahrtwind Bescheid wissen. Diese grausamen Minusgrade, die dafür sorgen, daß man sein Ziel mit Eiswürfeln in der Hose erreicht. Na ja, da muß das Herz halt wieder als Durchlauferhitzer fungieren. So, schnell noch ein kurzer Check der Finanzen – ok, genügend Scheine auf Tasche. Dann wollen wir uns mal einpacken.
Rein in den „Frostpanzer”. Über die Jeans ziehen wir uns die dicke, weite Lederhose. Halt, vorher noch den Gürtel aus der Jeans, damit auch nichts drückt.
Solange wir uns noch bücken können, schnell die dicken Wollsocken über die Strümpfe gezogen. Nun schlüpfen wir in die extra polierten, bequemen Stfefel. Deren Glanz wird sich schon nach der ersten Salz/-Schneematschpfütze in dezentes elefantengrau verwandeln. Aber was soll’s, positiv muß man denken! Das fällt mir leicht, ich mag Elefanten unheimlich gern. (Nein, nicht mit Ketchup auf Toast!) Na, das sitzt soweit doch schon ganz gut.
Jetzt erstmal Helm, Sturmhaube, Woll- und Stulpenhandschuhe, Nierengurt, zwei Schals und den Zündschlüssel bereitgelegt. Sobald Hemd, Sweatshirt und Pullover über das T-Shirt gezogen sind, läuft das Ultimatum. Je mehr ich in der warmen Wohnung ins Schwitzen komme, um so mehr muß ich draußen gleich frieren.
So, nun den Nierengurt um, die Lederjacke an und die Sturmhaube auf. Vor dem Zuziehen des Reißverschlusses, den Hals mit Schal 1 abdichten. Es folgt der Akt überhaupt: Rein in den Taucheranzug! Verdammt, so eine Regenkombi kann aber auch widerspenstig sein ! Dabei habe ich mit Blick auf solche Aktionen doch schon das Modell „Gummizelt” gewählt. Abschließend noch den zweiten Schal um und bis kurz vor Tom Dooley zuziehen. Muß schon ein echt hinterlistiger Wind sein, der da noch eine Ritze zum Durchschlüpfen findet. Trotzdem sitzt alles noch so locker, daß sich isolierende Luftpolster bilden können. Zuletzt den Helm auf. Das war’s. Fertig ist der Gummibär! Ein Gummibär, der sich schon bald in einen Eisbären verwandeln wird. Der einsame Kampf gegen den großen Unsichtbaren kann beginnen. Frost ich komme!
Als ich mich dann auf das vollgetankt wartende Motorrad setze, den Zündschlüssel herumdrehe, den Motor zum Leben erwecke und den ersten Gang einlege, da möchte ich mit niemandem tauschen. Kupplung kommen lassen, der Ruck in den Armen reißtmich in ein weiteres Abenteuer…
Endlich ‚raus aus der Stadt. Fern grauer Städte, Mauern und so. Aha, kaum lasse ich es etwas mehr geh’n, da beginnt Väterchen Frost auch schon damit, mir millimeterweise die Finger anzuknabbern. Bis in den Handschuhen schließlich nur noch beißende Kälte ist. Die kläglichen Bewegungsübungen können das auch nur verzögern, aber nicht aufhalten. Wenig später sickert die Kälte auch in die Stiefel Mann – ich muß nachher mal durchzählen. Fühlt sich an, als seien keine Zehen mehr vorhanden!
Nun fangen auch die Knie langsam an zu versteinern. Positiv denken Mann, das warme Ziel immer vor Augen halten! Doch das scheint momentan unerreichbar. Für warme Gedanken ist die Helminnentemperatur bereits zu weit gesunken. Also erreichbare Ziele setzen. Der fällige Tankstopp, jawoll! Bald muß das ersehnte Schild „Rheine 13 km” kommen. Straßenhonig. Zähflüssig kriechen die Kilometer dahin. Mein innerer Schweinehund will mich unbedingt überreden doch einfach jetzt schon anzuhalten, einfach hier. Ich widerstehe heldenhaft. Weiter, nur weiter!
Rheine, endlich. Ob ich an der Tanke wohl eine freie Wand finden werde, an der ich mich mitsamt dem Moped anlehnen kann? Absteigen und wie üblich aufbocken erscheint mir jedenfalls unmöglich.
Als ich dann jedoch eine weitere kleine Ewigkeit später vor den Zapfsäulen zum Stehen komme, lassen sich die glashart gefrorenen Knochen erstaunlicherweise doch noch bewegen. Angespornt durch die Gedanken an die beheizte Toilette, in der ich die Düse des Lufttrockners nach dem Händewaschen ein paar Minuten in die Regenkomi blasen lassen werde, schaffe ich es, den Bock tatsächlich auf den Ständer zu zerren. Mit gruselig verkrümmten Klauen vollführe ich rein mechanisch den Tankvorgang. Robotergleich entnehme ich der Zapfsäule nun den Kassenzettel. Auf zum Bezah- len, die wohltemperierten Sanitäranlagen warten schon, Eisbärensauna.
Ein Griffzur Gesäßtasche – NEIN! Ich Idiot. Die Geldbörse befindet sich wie immer „griffbereit” an ihrem Fleck – allerdings unter der Regenkombi, dem Nierengurt und der Lederhose. Zornig lasse ich meine tiefgefrorene Faust auf die völlig unschuldige Sitzbank meines treuen Mopeds niedersausen.
Inzwischen ist der Tankwart auf mich aufmerksam geworden. Schaut mich von der beheitzten Seite der Glasscheibe her skeptisch an und wartet darauf, daß ich endlich bezahlen komme.
Unmöglich mich hier soweit auszuziehen, mit den gefrorenen Händen würde ich die Klamotten nie wieder anständig anbekommen.
Interessierte Beifahrerinnenblicke verfolgen nun all‘ mein Tun. Die Mädels harren wacker aus, und warten auf die Rückkehr ihrer Fahrer. Bei Automodellen dieser Art surrt bei ruhendem Motor keine Standheizung weiter. Schließlich wird es deshalb nach drei Minuten schon recht frisch in der Karosse. Wie gut, daß es da draußen einen Motorradfahrer gibt, der noch mehr leiden muB. Ein armer Hund, der bestimmt keine Kohle für ein Auto hat. Vielleicht sollte man ihm was zu essen kaufen…?
Ich muß versuchen, irgendwie auch ohne Striptease an die Kohle zu kommen. Also, ersten Schal lockern, Regenkombireißverschluß aufziehen. Mist! Der Zip ist für abgestorbene Finger viel zu klein, der Entwurf stammt bestimmt von einem Autofahrer. Nierengurt auf und dann versuchen die Hand bis zur Geldbörse durchzuschieben. Nein, so geht das nicht. Erst noch die Lederjacke öffnen, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Nun noch den Hosengürtel und dann die Lederhose aufmachen. Verdammt! Schamviolett stelle ich plötzlich fest, daß es wohl kein Augenpaar auf der gutbesuchten Tankstelle gibt, welches nicht gespannt jede meiner Bewegungen verfolgt.
Egal – die aufsteigende Wut macht die steifen Arme etwas beweglicher. Auch mein Kreislauf ist wieder in Schwung gekommen. Auf ein Neues. Den rechten Arm so tief wie möglich im Regenkombi versenken. Die kalten Zähne zusammenbeißen und die Hand wacker auf das Ziel zubewegen. Noch eine Linksdrehung, etwas springen… Ah -, mit den Fingerspitzen kann ich die Oberkante bereits fühlen! Schnell noch ein Kontrollblick: Des Tankwarts Miene scheint noch eine Spur grimmiger geworden zu sein. Er hält meine Show bestimmt für einen miesen Trick, um mich in einem unbeobachteten Augenblick heimlich davonzustehlen.
Wenn der wüßte, wie sehr ich mich nach seinen beheizten Sanitäranlagen sehne. Aber erst muß bezahlt werden Also wacker weiterkämpfen. Wie Quasimodo auf einem BreakdanceWettbewerb springe ich nun ein paarmal, um meine Hand ruckartig in die Gesäßtasche der Jeans zu zwängen. Pock! Mist, das war der Kombireißverschluß. Zornig schiebe ich meine Finger dennoch weiter… Geschafft! Merkwürdig, daß keiner klatscht, denke ich. Scheiß Publikum. Des Tankwarts Züge hellen sich merklich auf, als ich endlich den Kassenraum betrete.
Auf meine Frage nach dem Toilettenschlüssel entgegnet er: „Dachte schon, Du wolltest das gleich an der Zapfsäule erledigen.”
Stechender Schmerz wie tausend Nadelstiche kündigen das Auftauen der Finger an. Die Prozedur des Wiederanziehens ist äußerst nervend. Der Schlitz im Regenkombi ist um zehn Zentimeter länger geworden und lässt sich nicht mehr verschließen.
Mit Schal Nummer Zwo und einem Packgummi wird das Leck notdürftig geflickt. Viel frischen Wind werde ich da noch tanken. Egal, bloß weg hier. Helm auf. Verdammt, das Visier beschlägt sofort . Also offen lassen. Die zweiten Handschuhe über und rauf auf den Bock. Zündung an und Starten! Der Motor singt mein Lieblingslied, gibt es etwas Schöneres als erstens… und zweitens Motorradfahren? Keine halbe Stunde mehr bis zumZiel und ab hier werde ich jeden Kilometer genießen.