aus Kradblatt 1/15
von Klaus Herder
Junge Wilde – auch fĂĽr wilde Alte: KTM RC 390
Mit den Superlativen ist das so eine Sache: „Nummer 1 unter den europäischen Motorradherstellern“ klingt natĂĽrlich prima. KTM trommelt sehr selbstbewusst und völlig zu Recht, denn nach StĂĽckzahlen sind die Ă–sterreicher tatsächlich ganz weit oben und konnten 2013 mit exakt 123.859 weltweit abgesetzten Motorrädern einen neuen Verkaufsrekord vermelden. 2014 dĂĽrften noch ein paar Exemplare dazukommen. Allerdings konnten sich namhafte Marken wie DKW, MZ, NSU und Simson auch mal Europa-, ja sogar Weltmeister nennen. Was aus ihnen wurde, dĂĽrfte bekannt sein. Dass Ruhm sehr vergänglich ist, hat aber auch schon KTM erfahren mĂĽssen. Den sportlichen HöhenflĂĽgen der 70er und 80er Jahre folgte Ende 1991 der Konkurs – Märkte können sich ganz schön schnell radikal verändern.
Doch im Unterschied zu den deutschen Ex-Rekordhaltern, die sich durch kaufmännische Schnarchigkeit und/oder ĂĽberraschende politische Wendungen in die Bedeutungslosigkeit verabschiedeten, hat KTM vorgesorgt. Besser gesagt: Der Chef hat vorgesorgt, denn der Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer verkĂĽndete bereits vor knapp fĂĽnf Jahren eine Modelloffensive fĂĽr StraĂźenmaschinen bis 400 ccm. Und was sich der hyperaktive Alpen-Mogul wĂĽnscht, wird eigentlich immer ratzfatz umgesetzt. Mit dem Erfolg, dass das vermeintliche „Kleingeraffel“ schon heute einen erheblichen Anteil am KTM-Erfolg hat. Die Ă–sterreicher haben eben frĂĽhzeitig kapiert, dass der europäische Markt zwar technisch immer noch der vermutlich anspruchsvollste der Welt ist (und darauf zum Beispiel mit der famosen 1190 Adventure reagiert), dass aber StĂĽckzahl und Umsatz – und wenn man es clever anstellt auch der Gewinn – mittlerweile nicht mehr mit alten, dicker werdenden Männern (wie dem Autor dieser Zeilen…) in Europa, sondern mit dem nach motorisierter Fortbewegung gierenden Nachwuchs in anderen Ecken der Welt gemacht werden. Zum Beispiel in Asien, Indien und SĂĽdamerika. Wie praktisch also, dass KTM schon seit 2008 eine enge Partnerschaft mit der indischen Bajaj Automotive Ltd. pflegt, einem der weltweit größten Hersteller von Zwei- und Dreirädern. So eng, dass die Inder mittlerweile mit 48 Prozent der Aktien an der KTM AG beteiligt sind, dem Mutterkonzern der KTM Sportmotorcycle GmbH.
Doch Bajaj ist nicht nur finanziell eingebunden, der Konzern sorgt in einem modernen Werk im indischen Pune dafür, dass KTM auch in den unteren Hubraumklassen mit einem hervorragenden Preis/Leistungs-Verhältnis kräftig mitmischen kann. Was über 300 KTM-Mitarbeiter im oberösterreichischen Mattighofen ersonnen haben, wird in Pune zusammengebaut und gelangt anschließend zwecks Qualitätskontrolle und Vertrieb zurück in die Alpenrepublik, sofern es nicht für den indischen oder asiatischen Markt gedacht ist. Zumindest alles, was KTM an Straßenmodellen bis zu den besagten 400 Kubik im Programm hat. Die KTM 125 Duke zum Beispiel beweist nun schon seit 2011, dass wenig Hubraum nicht viel Langeweile bedeuten muss. Mit der typisch frechen Formgebung durch KTM-Hausdesigner Gerald Kiska, einem hochmodernen und dabei sehr zuverlässigen Vierventil-Single und als erste 125er mit (serienmäßigem!) ABS hat die kleine Duke die Achtelliterklasse mächtig aufgemischt und sich als Primus in der Verkaufshitparade etabliert.
Der ganz kleinen Duke folgten 2012 die 200er- und 2013 die 390er-Duke – dem Baukastensystem sei Dank. Die drei kleinen Dukes verkauften sich auf Anhieb wie geschnitten Brot und machten zeitweise rund 25 Prozent der gesamten KTM-Stückzahl aus. Fahrberichte zu den Dukes finden sich <hier> im Kradblatt-Archiv.
2014 flog die 200er zumindest für Europa wieder aus dem Programm, dafür bekam die 125er aber ein vollverkleidetes Schwesterchen namens KTM RC 125. Und der folgte – welch Überraschung – das ebenfalls ultraleichte und superhandliche Spielzeug, um das es dieser Stelle endlich gehen soll: die KTM RC 390, deren kurzhubiger Single in Wahrheit gar keine 390, sondern exakt 373,2 ccm Hubraum beherbergt.
Das Stichwort „Baukasten“ fiel bereits, doch wer die ganze KTM-Familienpolitik in den unteren Hubraumgefilden darauf reduziert, tut den Ă–schis Unrecht. Mal eben kurz eine Verkleidung an die 390er Duke hängen und einen flacheren Lenker montieren – damit war es längst nicht getan.
So sehen die Gitterrohrrahmen von Duke und RC zwar auf den ersten Blick baugleich aus, doch die Geometrie des pulverbeschichteten RC-Stahlrohrgeflechts ist eine andere, noch mehr Handlichkeit versprechender steilerer Lenkkopfwinkel, geringerer Nachlauf und ein kĂĽrzerer Radstand machen den Unterschied. Die Federelemente stammen natĂĽrlich ebenfalls vom hauseigenen Zulieferer WP Suspension, doch eine straffere Grundabstimmung und mit 125 statt 150 mm auch ein etwas kĂĽrzerer Federweg der 43-mm-Upside-down-Gabel machen deutlich, dass es die KTM-Entwickler nicht mit einem „mal eben kurz umstricken“ bewenden lieĂźen.
Ein längerer Tank, der nun 10 statt 11 Liter fasst, geänderte Positionen fĂĽr FuĂźrasten und natĂĽrlich Lenker, eine neue zweiteilige Sitzbank (deren nach Höcker aussehendes Hinterteil ein erstaunlich bequemer Soziusplatz ist) und noch jede Menge vermeintlicher „Kleinkram“ sind weitere Unterschiede. Und natĂĽrlich die mit kleinen Projektions-Doppelscheinwerfern bestĂĽckte, schwer auf Moto 3 Grand-Prix-Renner machende Vollverkleidung. An der erkennen KTM-Insider ĂĽbrigens schon von weitem, ob sie es mit einer RC 390 oder doch nur mit der RC 125 zu tun haben. Merke: Die RC 390 trägt eine weiĂźe Seitenverkleidung, die der RC 125 ist schwarz.
ZurĂĽck zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten Duke 390/RC 390: Die vollgetankt 152 Kilogramm leichte Unverkleidete rennt maximal 160 km/h, die immerhin 12 Kilo schwerere RC schafft dank Vollverkleidung echte 172 km/h. Ursächlich dafĂĽr verantwortlich ist in beiden Fällen ein wassergekĂĽhlter, von einer Ausgleichswelle am ĂĽbertriebenen SchĂĽtteln gehinderter dohc-Single, der 44 PS bei 9500/min leistet und ein maximales Drehmoment von 35 Nm bei 7250/min stemmt. Einspritzanlage, Sechsganggetriebe, Edelstahl-Schalldämpfer mit geregeltem Katalysator – der Leser ahnt es bereits: Wir befinden uns bei den Gemeinsamkeiten. In beiden Spielzeugen stecken mit äuĂźerst haftfreudigen Metzeler Sportec M5 Interact bereifte 17-Zöller, vorn als 110/70er, hinten im 150/60er Format. Das serienmäßige, fĂĽr verschärften Einsatz auf abgesperrtem Geläuf abschaltbare ABS stammt von Bosch, die Stopper sind indische Brembo-Lizenzbauten namens BYBRE (was fĂĽr „By Brembo“ stehen dĂĽrfte). Vorn beiĂźt ein radial montierter Vierkolben-Festsattel in eine 300-mm-Scheibe; hinten greift sich ein Einkolben-Schwimmsattel einen 230-mm-Rundling.
Soweit die wesentlichen technischen Eckpunkte, jetzt geht’s endlich ran ans Gerät. Bereits bei der Sitzprobe sammelt der 5595 Euro kostende (und damit 600 Euro ĂĽber der 390er Duke liegende) Sportler ordentlich Pluspunkte; denn der Fahrer-Arbeitsplatz ist erstaunlich geräumig. Die Lenkerstummel liegen angenehm hoch, aber nicht zu hoch, und die 820 mm Sitzhöhe (20 mm mehr als bei der Duke) machen es Kurzbeinern und Menschen mit GardemaĂź gleichermaĂźen leicht, ihre unteren Extremitäten bequem unterzubringen.
Das digitale Cockpit punktet mit einer ĂĽppigen InformationsfĂĽlle, der Drehzahlmesserbalken ist fĂĽr Nicht-Adleraugen dann aber doch arg klein geraten.
Der Bremshebel lässt sich nicht verstellen – geschenkt, denn im bestens sortierten Powerparts-Zubehörprogramm ist ebendieses Teil zu finden, und irgendwoher muss der günstige Basispreis ja kommen.
Die Spiegelausleger mögen für halbwegs breitschultrige RC-Piloten zu kurz sein, doch das interessiert eigentlich niemanden mehr, wenn der Einzylinder bereits beim Anfahren erfreulich kräftig zupackt – dann geht der Blick nur noch nach vorn.
Durchaus kernig bollert der Single aus dem Unterflur-Auspuff und macht seinem Herrn recht schnell klar, dass er Drehzahlen unter 3000/min nicht mag und solche mit einer ausgeprägten Rappeligkeit bestraft, darüber aber ein sehr umgänglicher Geselle ist. Um 5000 Touren gönnt sich der sehr direkt am Gas hängende Motor eine kleine Verschnaufpause, um dann ab 6000 endgültig mit richtig Volldampf loszulegen. Und das über einen erfreulich weiten Bereich, denn erst zu Beginn der fünfstelligen Drehzahlmesser-Anzeige mahnt ein Schaltblitz zum problemlosen Gangwechsel, bei 10500/min greift ansonsten ziemlich hart der Drehzahlbegrenzer ein.
Natürlich kann die in 5,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigende RC 390 nicht aus einem fetten Hubraum-Reservoir schöpfen, eine nervöse Drehorgel ist sie deshalb aber noch lange nicht, und nicht jede etwas zu untertourige Gangart wird mit sofortiger Leistungsverweigerung bestraft. Kurz gesagt: Die größte der kleinen RCs ist erfreulich durchzugsstark, macht es ihrem Fahrer leicht und spielt gefühlt in der Halbliterklasse. Woran natürlich auch ihr geringes Kampfgewicht einen erheblichen Anteil hat. Zum Vergleich: Die alles andere als langweilige Kawasaki Ninja 300 ist 5 PS schwächer, wiegt 13 Kilogramm mehr – und macht auch schon richtig Spaß.
Auf LandstraĂźen, die gar nicht mal ĂĽbertrieben kurvig sein mĂĽssen (aber natĂĽrlich gern sein können…), spielt die RC 390 ihre ganzen Stärken aus: ein problemloser und fĂĽr seine Klasse sehr kräftiger Motor in einem stabilen Fahrwerk, gepaart mit wenig Masse, einer spielerischen Handlichkeit und messerscharfer Zielgenauigkeit. Dazu sauber zu dosierende Bremsen, die keine MĂĽhe haben, den Feger vehement einzufangen – wenn es eng wird auch mit fein regelnder ABS-UnterstĂĽtzung.
Auch und gerade als durchaus gestandener Motorradfahrer ertappt man sich auf der RC 390 recht schnell dabei (zumindest auf LandstraĂźen), sich die Frage aller Fragen zu stellen: „Braucht man eigentlich mehr Motorrad?“ Wer nicht gerade in Mittelgebirgs- oder Alpennähe wohnt (diese GlĂĽcklichen benötigen definitiv etwas mehr Druck, wenn es bergauf geht), wird bei der Beantwortung vielleicht einen Moment länger brauchen. Und – um am Biker-Stammtisch das Gesicht zu wahren – zu einer Kompromiss-Antwort neigen: „NatĂĽrlich kann man eigentlich nie genug Hubraum haben, aber als Zweit- oder Drittmotorrad ist die KTM RC 390 garantiert eine feine Sache.“ Wer diesen Gedankengang in die Praxis umsetzt, sei vorgewarnt: Zumindest der norddeutsche LandstraĂźen-Angaser wird in Zukunft ziemlich sicher fast nur noch auf der KTM unterwegs sein. Sie ist einfach so herrlich leicht (Stichwort: Rangieren in der Garage), sie ist einfach so prima sparsam (um die drei Liter), sie ĂĽberfordert einen nicht – und sie macht bei alledem einfach unverschämt viel SpaĂź (Stichwort: Bigbikes ärgern). Kurz gesagt: Sie bringt die guten alten Zeiten zurĂĽck, in denen Motorradfahren so wunderbar einfach war – zumindest in der Erinnerung.
Natürlich sind Motorräder vom Schlage einer KTM RC 390 erst einmal für die jungen Wilden gedacht. Aber wer auch noch als etwas älterer Motorradfahrer dazu neigt, ab und an über die Stränge zu schlagen, bekommt mit der nicht unbedingt anbetungswürdig, aber doch grundsolide verarbeiteten KTM ein herrliches Spielzeug geboten. Und wer womöglich bereits im Rahmen der Alters-Trägheit kurz vorm Wegdämmern ist, sollte erst recht eine RC-Probefahrt buchen: Die junge Wilde macht aus jedem Senior ganz automatisch einen wilden Alten.
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