aus Kradblatt 5/16
von: Jochen Vorfelder
KTM Duke 690 / R Modell 2016
So richtig beeindruckt bin ich auf Anhieb nicht. Die beiden größten Einzylinder-Dukes, die KTM zur Zeit auf den Markt bringt, protzen sicher nicht durch schiere Muskelmasse und kommen auch im Modelljahr 2016 ziemlich zierlich daher. Wenn sie nicht das aggressive KTM-Ornat tragen würden – man könnte sie für zwei langweilige Einsteiger-Mopeds halten.
„Bloß nicht unterschätzen, die gehen wie irre. Und wir lieben sie. Denn ohne diese Dukes gäbe es KTM in seiner jetzigen Form gar nicht“, schwärmt Thomas Kuttruf, Pressechef der Mattighofener, bei der Vorstellung der zwei neuen Einzylinder. „Die Fahrzeuge und vor allem der LC4-Motor haben uns in schwierigen Zeiten am Leben gehalten. Heute sind wohl insgesamt 75.000 Stück unterwegs.“ Irgendwas muss also dran sein an den Dingern …
Massive Kinderkrankheiten anno 94
Dass das Wohl der Österreicher – und der Sprung zum nach abverkauften Stückzahlen größten Hersteller in Europa – von der Duke abhing, war bei deren Launch wirklich nicht abzusehen. Gut, im Jahr 1994, als die Ur-Duke für die Straße von den Geländespezialisten an den Start geschoben wurde, war die Maschine spektakulär: 50 PS aus einem einzigen, 609 Kubik großen Topf und dabei nur 145 Kilo Gewicht, das hatte sonst niemand im Angebot. Der andere Einzylinder mit ebenfalls 50 PS, die Suzuki DR 800 S BIG, war im Vergleich mit über 80 Kilo Mehrgewicht eine fette Schlotze.
Doch wer sich vor inzwischen über zwanzig Jahren die schnelle Schwester Leichtfuß zulegte, handelte sich unweigerlich auch jede Menge Ärger ein: Die orangen Straßensportgeräte machten richtig Druck, aber nicht sehr lange. Motorplatzer waren an der Tagesordnung. Viele Ur-Duke-Eigner kannten irgendwann ihre Werkstattbesitzer besser als ihre Kinder. Wenn die Dinger dann doch mal liefen, dann höchstens unwillig: Die Duke-Diven wurden 1994 noch ohne Elektrostarter geliefert; ganz schlecht, weil sie gerne absoffen und notorische Schlechtstarterinnen waren. Die Dukes der Anfangsjahre waren für das Gros der Motoristen faktisch unfahrbar – was wiederum den Reiz und den guten Ruf bei den extremistischen Käufern ausmachte.Den Ruch der unfahrbaren, brutalen Keule haben die Einzylinder-Duke – und der sukzessiv auf 690 Kubik aufgebohrte LC4-Motor – jetzt nach mehreren Fahrwerks- und Motorgenerationen vollständig abgelegt. Die Fan-Gemeinde ist inzwischen riesig; die Modelle sind seit etwa 2008 trotz der unbändigen Kraft auch gemächlich zu bewegen. Jetzt 2016 kommt KTM mit dem Versprechen, die Duke sei nun vollständig erwachsen, aber keinesfalls kastriert.
„Die Duke geht nach wie vor wie Schmitz Katze. Aber eben nur dann, wenn sie soll. Im Ruhemodus kann die Duke inzwischen auch ganz sanft,“ sagt Thomas Kuttruf. Und wirft provokant hinterher: „Wir würden das ja gerne vergleichen und uns dem Wettbewerb stellen. Aber wir sind ja die Einzigen, die noch Einzylinder mit soviel Kubik und Power im Portfolio haben.“ In der Tat: 690 Kubik und 75 PS, die Traute hat sonst kein anderer Hersteller.
Kernsanierung made in Mattighofen
Wie grundlegend die Techniker in Mattighofen ihren Verkaufsschlager diesmal angegangen sind, sieht man auf den ersten Blick … gar nicht. Denn optisch hat sich nicht viel getan: weiter typisches, spitzes KTM-Design aus dem Gestaltungshause Kiska mit markanter Nase und luftigem Heck, schwarzer Gitterrohrrahmen; Orange dominiert als Signalfarbe. Die Standardausführung hat schwarze Felgen, die 690 R die orangen.
Wo also sind die Unterschiede? Die liegen – und hier bietet sich ein Griff in die Begrifflichkeit der modernen Geräte-Medizin an – in einer aufwendigen und dramatischen OP am offenen Herzen: Austausch des Herzklappenmuskels! Will übersetzt heißen: Ein Schmiedekolben mit jetzt stolzen 105 Millimeter Durchmesser, vereint mit kürzerem Hub, macht den Herzschlag des LC4-Kraftwerks noch schneller und liefert ein noch breiter nutzbares Powerband. So weit, so gut.
Was in Sachen Leistungsabgabe allerdings richtig zu Buche schlägt, sind die weiteren operativen Eingriffe im Zylinderkopf: Der sieht von außen aus wie zuvor, ist innen aber komplett anders. Der neu verbaute Ventiltrieb, bei dem eine Nockenwelle die beiden Einlassventile steuert, schafft Raum für eine zweite Ausgleichswelle, die – so die Theorie – alle Vibrationen, die einem massiven Eintopf eigen sind, dramatisch vermindern sollen.
Kleiner Kampfstier in Rage
Wie fühlt sich das nun in der Praxis an? Schlicht super. Erster Gang rein, runter vom Parkplatz. Der Einzylinder ruckelt natürlich immer noch, wenn er unter 2500 Umdrehungen fällt. Doch kein Vergleich mehr zu den Zitter- und Rüttelpartien früherer Tage: Das nutzbare Drehzahlband liegt beim aktuellen LC4-Motor zwischen 2.500 und 8.000 Umdrehungen und das Aggregat gibt die Power fast gutmütig und linear frei. Vibrationen in Betrieb: fast auf Null reduziert.
Aber es bollert noch lustvoll. Trotz heftiger Umbauten am Ansaug- und Abgassystem, damit der Motor die Abgasnorm Euro 4 erfüllt, raunzt und faucht die Eintopf-Duke wie ein
junger Kampfstier. Das Rodeo macht (s)tierische Laune; beim Ritt in die ersten Bergstrecken macht sich auch bemerkbar, dass das betankte Fahrzeug mit rund 150 Kilo unglaublich leicht und damit extrem beweglich und ansprechbar ist.
Man thront erhaben auf der angenehm harten und schmalen, neuerdings zweigeteilten Sitzbank hoch hinter dem Lenker; der Massenschwerpunkt liegt unterm Tank nahe dem Vorderrad. Der Fahrer spürt dadurch permanent, was sich Grip-technisch an den Metzeler M7 RR Sportec-Reifen tut; die Dukes warten bei allem Geschwindigkeiten entspannt auf Befehle und vor allem auf klare Ansagen an die Brembo-Bremsanlage.
Denn Dampf – um nicht zu sagen Überdruck, den man sorgsam im Zaum halten sollte – haben die beiden Dukes für den Normalbetrieb reichlich. KTM tut gut daran, im Standard-Modell 690 und in der R-Version die komplette Elektronik zu verbauen, die in dieser Klasse inzwischen opportun ist: ABS (abschaltbar), wahlweise Kurven-Schräglagen-ABS (bei der R), Traktionskontrolle und Motorschlupfregelung MSR halten im Zusammenspiel mit vier Fahrmodi (Supermoto extra) die Großkalibergeschosse sicher in der Spur. Die WP-Gabel und die neuen Gabelbrücken sorgen für hohe Stabilität und präzises Handling; am Fahrwerk gibt es kein Jota zu mäkeln.
Richtig zur Sache gehen die Dukes, wenn sie freie Bahn haben; dafür hatte KTM bei der Presse-Vorstellung extra eine Rennstrecke angemietet. Hier zeigen sich dann die Unterschiede zwischen den beiden Modellen: Bei der Beschleunigung und in der Spitzengeschwindigkeit um die 188 km/h liegen sie fast gleichauf. Doch die 690 Duke R glänzt mit dem strafferen Fahrwerk und der Vielzahl der individuellen Einstellmöglichkeiten. Sie meldet durch Akrapovič-Auspuff 75 statt 73 PS und ist eindeutig die rasantere unter den schnellen Schwestern. Die R hat vor allem die knackigeren und besseren Bremsen; die vorderen Stopper der Standardversion fühlen sich auf dem Rundkurs nach mehrmaligem, harten Zugriff doch vergleichsweise teigig an.
Die 690 R bringt auch das „Track Pack“ schon mit, welches beim Standardmodell 299 Euro Aufpreis kostet: Das Elektronik-Set beinhaltet die Fahr-Modi „Sport“, „Street“ und „Rain“ mit verschieden modulierten Motorcharakteristika. Verknüpft mit der Steuereinheit ist auch eine KTM-Traktionskontrolle, die bei Street und Rain zunehmend weniger Antriebsschlupf anlegt. Der mitgelieferte „Supermoto“-Modus für das ABS schaltet das System am Hinterrad ganz ab.
Angezeigt werden die jeweiligen Einstellungen im neuen Farb-TFT-Kombiinstrument – und wenn ich schreibe „angezeigt“, dann bedeutet das: immer! Gut lesbar! Auch bei Sonne! Mit dem Cockpit ist KTM ein designtechnischer Befreiungsschlag gelungen, an dem sich andere Hersteller in Zukunft gerne orientieren mögen. Alle nötigen Informationen gut im Blick, schöne Schrift, klare Kontraste, ein schneller Tag- und Nachtwechsel, in einem Wort: Chapeau.
Manische Mechaniker
Die Standardausführung der Duke 690 steht mit 8.395 Euro zu Buche; die R-Ausführung kostet pralle 10.295 Euro. Das ist schon viel Moos für einen Eintopf. Zudem: Mit jedem Modelljahr kriegt der Käufer weniger für sein Geld.
Wie das? Die KTM-Ingenieure haben offensichtlich die Verfolgung des Leichtbaus zu ihrem allein selig machenden Lebenselixier erklärt. In der R&D-Abteilung in Mattighofen wird deshalb um jedes Gramm gerungen. Das hat Folgen: Wer zum ersten Mal eine komplette Duke-Hinterradschwinge in der Hand hält, ist sprachlos. Die über 70 Zentimeter lange Alu-Forke, die Fahrzeug und Fahrer auch unter Höchstbelastung präzise führt, wiegt unter vier Kilogramm.
Der komplette LC4-Motor bringt trotz der Masse, die 690 Kubik und Sechsganggetriebe umbauen, auch nur noch 38 Kilogramm auf die Waage. Wie das geht? Durch Detailwahnsinn. Die Zylinderkopfabdeckung des Motors hat gerade noch eine Titan-Materialstärke von 2 Millimetern. Thomas Kuttruf sagt: „Wir gehen an die möglichen Grenzen ran.“
Das tut der Käufer auch, wenn er die grenzwertigen Preise berappt. Aber bei KTM – und speziell der neuen 690er Dukes – kann er mit Fug und Recht behaupten: Auch wenn es teuer kostet, ist weniger doch immer mehr.
Fahrzeugbrief:
- Hersteller: KTM
- Typ: 690 Duke
- Motor: Einzylinder-Viertaktmotor
- Getriebe: Sechsganggetriebe
- Hubraum: 690 ccm
- Leistung: 54 kW/73 PS bei 8.000 U/min
- Drehmoment : 74 Nm bei 6.500/min
- Höchstgeschwindigkeit: 188 km/h
- Gewicht: 148,5 kg trocken
- Tankinhalt: 14 l
- Preis: 8.395 Euro / 10.295 Euro (R)
—
Kommentare