aus bma 07/03

von Thomas Beekmann

KTM 950 Adventure SMit dem ersten Serien-Zweizylindermotorrad der Firmengeschichte will KTM nun zeigen, was eine Reise-Enduro wirklich leisten sollte. Langstreckenhaltbarkeit unter extremsten Bedingungen bei maximalem Komfort verspricht uns KTM. Wen wundert’s, ist die Adventure S doch ein direkter Ableger der siegreichen 950 Rally, ohne viele Änderungen. So stecken noch 95% der Werksmaschinen Rallyetechnik in der Serienmaschine. Ein Blick in die Eckdaten der Zweizylinder mit der technischen Bezeichnung LC 8 machen auf jeden Fall neugierig.
Leicht und sportlich soll sie sein. Und das ist die Adventure auf jeden Fall. Mit Ihren 198 kg Leergewicht und einer Leistung von 98 PS bei 8000 U/min sollte wohl genügend Fahrspaß aufkommen. Die 942 ccm Hubraum bringen die Adventure bei 6.000 U/min auf 95 Nm Drehmoment. Ausgestattet ist die LC 8 mit einem wassergekühlten Zwei-Zylinder Vier-Takt-Motor mit DOHC Steuerung, der selber nur 58 kg wiegt. Möglich wurde dies u.a. durch eine neuartige Multifunktionswelle, die als Masseausgleich, Zentrifuge zur Gehäuseentlüftung, Wasserpumpen- und Steuerkettenantrieb dient sowie das E-Starter-Zwischenrad trägt. Der Nockenwellenantrieb über Stirnräder, der den Zylinderkopf um 25% kleiner werden ließ und eine neue Kurbelwelle mit geringerer Schwungmasse, die den kompakten V-Motor mit 75° Zylinderwinkel antreibt, trägt ebenso dazu bei. So finden wir auch den E-Starter raumsparend zwischen den Zylindergehäusen.

 

Diese Fakten überzeugten und in der Firma Böse-Bikes in Martfeld ein kompetenter KTM-Vertragshändler gefunden, konnte die KTM bestellt und der Urlaub eingereicht werden – sollte doch der Test der Adventure in Dänemark starten. Zwei Wochen später stand sie da. Eine imposante Erscheinung, irgendwie größer als die restliche Riege der Reise-Enduros. Die gewaltige Größe der S-Version zeigte sich dann auch sofort beim Aufsteigen. Ein wenig sportlich sollte man schon sein, um die 915 mm hohe Sitzbank zu erklimmen. Kleinere Fahrer sollten sich dann doch lieber für die kleinere Schwester, die KTM 950 Adventure, entscheiden. Diese hat nur (!) eine Sitzhöhe vom 880 mm. Ansonsten unterscheiden sich die beiden Versionen nur im Federweg, Bodenfreiheit und der Farbgebung, wobei die S-Ausführung in orange-schwarz und die kleinere Schwester in silber-schwarz gehalten ist. Eine Besonderheit bei dem Orange ist der Metallic-Effekt, der je nach Stand zur Sonne orange-gelb oder orange-grün schimmert – eine echte Augenweide.
KTM 950 Adventure SBei Dauerregen machten wir uns dann auf den Weg nach Dänemark. Vollbepackt mit zwei großen Gepäckrollen und dem Trägersystem für Touratec-Alukoffer sorgte die Adventure S, trotz einer leichten Hecklastigkeit, für gute Fahreigenschaften; selbst bei Regen. Eine Optimierung der Fahreigenschaften kann, und das sogar während der Fahrt, mit dem ausklappbaren Einstellring für die hydraulische Schnellverstellung der Federvorspannung erreicht werden. Die Serienbereifung von Pirelli kann auch bei Regen überzeugen und machte auch im späteren Geländeritt eine gute Figur. Sollte der Pirelli Scorpion auch noch eine angemessene Gesamtlaufleistung bringen, dann ist dieser wohl ein empfehlenswerter Allrounder für Touren und Offroad-Ausflüge. Bei der Fahrt durch das verregnete Norddeutschland bot die Verkleidung und der Knieschluss der KTM einen befriedigenden Regenschutz. Den Rest hielt das neue Regenzeug aus dem Zubehörsortiment von KTM ab, das man wegen seiner Dichtigkeit und dem niedrigen Eigengewicht nicht mehr missen möchte.
In Dänemark verlockte uns die Sonne zu der ersten Kurvenhatz auf den Nebenstraßen bei Tönning. Die KTM ließ sich, trotz Gepäck, willig in die Kurven legen und freute sich geradezu auf die nächste. Erfreulich dabei ist das neutrale Kippverhalten, das wohl an dem niedrigen Schwerpunkt der Maschine liegen dürfte. Das klauengeschaltete Sechsgang-Getriebe verrichtet gute Arbeit bei kurzen und präzisen Schaltwegen und macht überraschend wenig Schaltgeräusche. Der Zweizylinder möchte immer schön brav über 2.500 U/min gehalten werden, dreht aber auch freudig hoch, um ab einer Drehzahl von 5.500 U/min richtig bissig zu werden. Für schaltfaules Cruisen ist die Adventure also nicht gedacht – eher für ein sportliches, aber entspanntes Reisen. Die Bremsen lassen sich gut dosieren und sind im letzten Drittel fast schon bissig. Verantwortlich dafür ist die Bremsanlage von Brembo, die vorne mit zwei 300 mm Bremsscheiben und hinten eine 240 mm Singlescheibe mit jeweils schwimmenden Zwei-Kolbenzangen bestückt ist. Die Hinterradbremse hat zudem einen im Bremszylinder integrierten Ausgleichsbehälter.
KTM 950 Adventure S CockpitEine Besonderheit bei der KTM sind die beiden über einen Ausgleichsschlauch verbundenen Tankbehälter mit separaten Tanköffnungen und Benzinhähnen, die leider etwas ungünstig unterhalb des Wasserkühlers in der Innenseite der Verkleidung angebracht sind. Abgesehen davon, dass man da schlecht ran kommt, sind verdreckte Benzinhähne praktisch vorprogrammiert. Benötigt werden die Benzinhähne der einzelnen Tanks zwar nicht zur Umschaltung auf Reserve, da das Cockpit über eine Tankstopp-Distanzanzeige verfügt, jedoch empfiehlt KTM unbedingt das Schließen der Hähne, um ein eventuelles Überlaufen der Tanks bei Seitenständerbetankung zu verhindern. Dieses Phänomen trat jedoch auch nach mehrmaligen Tanken mit Seitenständer und bei offenen Ben-zinhähnen nicht auf. Das Gesamtfassungsvolumen beider Tanks liegt bei ungefähr 22 Liter plus 3 Liter Reserve und reicht selbst mit schweren Reisegepäck für gute 400 Kilometer.
Wattwandern mit der LC 8. Auf der dänischen Insel Rømø zwischen Sønderby und Lakolk konnten wir dann auf der Strandstraße die Fahrqualitäten der KTM Adventure auf Sand und Watt testen. Das spurstabile Fahrwerk mit seinem pulverbeschichteten Gitterrohrrahmen folgte beherzt allen Lenkmanövern. Spätestens jetzt wurde einem klar woher die Namenswahl der Maschine kommen könnte. Vorsicht jedoch vor dem Salzwasser, eine gründliche Motorradreinigung nach dem Ritt über dem Watt versteht sich von selbst. Auf der Landstraße sowie auf der Autobahn macht das Fahren mit der KTM 950 Adventure S richtig Laune. Das Windschild gibt befriedigenden Windschutz und die Instrumente lassen sich bei Tag und Nacht prima ablesen. Ein absolutes Highlight im Cockpit ist das digitale Multifunktionsinstrument für Geschwindigkeitsanzeige, Gesamt- und Tageskilometerzähler (Trip 1 und Trip 2), Kühlwassertemperatur, Tankstopp-Distanzanzeige und Uhrzeit. Ein Tripmaster-Lenkerschalter zum bequemen umschalten zwischen den drei Kilometerzählern kann nachgerüstet werden. Neben dem Multifunktionsgerät findet sich der analoge Drehzahlmesser, der selbst im Gelände noch gut lesbar ist. In der Tankverkleidung ist zwischen den beiden stabilen Nylontanks ein Staufach eingelassen, das auch den Sicherungskasten aufnimmt.
KTM 950 Adventure SNach den vielen Kilometern auf der Landstraße war es nun Zeit, dass die KTM ihr Temperament im Gelände zeigen konnte – und sie wollte. Egal ob Schotterwege, sandiges Gelände oder leichte Kletterpartien, für die Adventure S ist es keine Quälerei. Die Federung ist sehr gut und mit einem Federweg von 265 mm vorne sowie 260 mm hinten auch mehr als ausreichend dimensioniert.
Hier zahlt sich das niedrige Gewicht und der tiefe Schwerpunkt aus und mit 316 mm Bodenfreiheit hat man auch genĂĽgend Freiraum zum Unterfahrschutz. Das einzige derzeit zu beanstandende Bauteil an der KTM ist wohl die Ableseskala zum Kettenspannen. Anstatt bei den besser abzulesenden Einkerbungen zu bleiben, hat man an der Unterseite der Skala runde Einbuchtungen eingelassen. Diese machen eine exakte Ausrichtung des Rades zur reinen Fummelarbeit.
Der Kaufpreis für die KTM 950 Adventure von ca. 12.500 Euro ist zwar kein Schnäppchen, jedoch jeden Cent wert. Im Zubehörangebot gibt es neben den gängigen Kofferträgersystemen auch ein Roadbook-Kit sowie den im Rennen verwendeten Titan-Enddämpfer Akrapovic. Der fehlende Hauptständer sollte unbedingt nachgerüstet werden, da der Seitenständer auf geraden und festen Untergrund angewiesen ist. Ein besonderer Dank gilt dem Team des KTM-Vertragshändlers Böse-Bikes aus Martfeld, der alles Unmögliche möglich gemacht hat, dass der Reisetermin nicht verschoben werden musste – trotz Lieferschwierigkeiten.

 

 

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