aus bma 4/12

Text: Klaus Herder
Fotos: KTM, H. Mitterbauer, A. Barbanti

KTM 690 Duke Modell 2012In meiner über 30-jährigen Motorradkarriere gab es genau zwei Maschinen, die ich bereits nach nur wenigen Wochen wieder verkauft habe: Die eine war eine zweitaktende 125er-Wettbewerbs-Enduro von KTM, die andere ein Viertakt-Single in Gestalt der Yamaha SRX 600. Beides waren absolute Fehlkäufe, und beiden Motorrädern bin ich dafür nicht böse, denn der Fehler lag eindeutig bei mir. Das nur unter brüllend lautem Zweitakt-Geplärre nutzbare Drehzahlband von gefühlten 500/min bei der einen und die überhaupt nicht zum schicken Äußeren passenden Trägheit der anderen sorgten dafür, dass das Thema Einzylinder für meinen privaten Fuhrpark zukünftig keins mehr war. Das war Scheitern mit Ansagen. Fortan bestimmten Zweizylinder meine Begehrlichkeiten, gern in Boxer- oder großvolumiger V-Form. Durchaus kultivierte und trotzdem angenehm kräftige Singles vom Schlage einer BMW G 650 schafften es zwar immer wieder, meine Eintopf-Abneigung nicht in grundsätzlichen Hass umschlagen zu lassen, aber ein großer Einzylinder-Freund würde ich in diesem Leben nicht mehr werden. Dachte ich zumindest.

KTM 690 Duke Modell 2012Tja, und dann kommt ausgerechnet KTM daher und beweist, dass ein Einzylinder extrem kräftig und trotzdem absolut alltagstauglich sein kann, dass so ein Single für völlig normale und gnadenlos verschärfte Fahrweise gleichermaßen taugt. Nicht zu glauben: KTM! Die Verfechter purer Unvernunft, der Hersteller zweirädriger Kompromisslosigkeit, die österreichische Spaß-Manufaktur – ausgerechnet von diesen Durchgeknallten soll ein Eintopf angerührt worden sein, der Mehrzylinder-Fans zum Menüwechsel bewegen könnte? Gemach, zwar haben die Öschis nach eigenem Bekunden rund 90 Prozent der Duke komplett neu konstruiert, aber als Basis für die vierte Auflage des „Herzogs“ dient ein guter Bekannter: der 690er-LC4-Motor, der auch schon die R-Version der Duke III motorisierte. Die Basis-Duke trat bislang mit 654 cm³ und 65 PS an; besagte Duke R brachte es auf 690 cm³ und 70 PS. Vom allzu raubeinigen Charakter der beiden ersten Duke-Generationen (Duke I von 1994 bis 1998, Duke II von 1999 bis 2007) war die 2008 präsentierte Duke III zwar schon ein gehöriges Stück entfernt, fühlte sich in letzter Konsequenz aber immer noch deren Supermoto-Funbike-Vermächtnis verbunden. Oder anders gesagt: Das kantige, hochbeinige und eher unbequeme Kurvensuchgerät konnte und wollte nicht jedermanns Liebling sein.

KTM 690 Duke Modell 2012 MotorDa man in Mattighofen aber neben dem Spaß am Motorsport und am Image-Bilden mittlerweile auch Spaß am Verkaufen und Marktanteile-Gewinnen bekommen hat, fährt man zukünftig zweigleisig: Hardcore-Geräte wie 690 SMC R und 690 Enduro R bedienen weiterhin die Alles-oder-nichts-Fraktion; die 690 Duke (und bei den Zweizylindern auch die 990 Supermoto T) ist für die Kundschaft gedacht, die nicht permanent auf der Flucht und mit dem Messer zwischen den Zähnen unterwegs ist. Um dem 690er-Motor der Duke noch ein paar Manieren beizubringen, legten die KTM-Techniker kräftig Hand an. Ein neuer Zylinderkopf mit Doppelzündung ist die auffälligste technische Änderung. Sinn der Aktion: Die zweite, von einem eigenen Kennfeld gesteuerte und damit unabhängig von der „Hauptkerze“ feuernde Zündkerze sorgt im riesigen Topf dafür, dass das Gemisch viel effizienter entflammt wird. Ruhigerer Motorlauf, ein verbessertes Abgasverhalten und geringerer Verbrauch sind die gewünschten Effekte. Ein weiterer spürbarer Unterschied fällt unter den Oberbegriff „Ride-by-wire“: Statt Bowdenzug verbindet ein dünnes Kabel Gasgriff und Drosselklappe. Damit kann die Drosselklappe unabhängig von der Gasgriffstellung gesteuert werden, ein Gangsensor ermöglicht, dass in den einzelnen Gängen ein unterschiedlich konfiguriertes Mapping zum Einsatz kommen kann. Der Fahrer bestimmt über einen kleinen Schalter, der in einem Fach unterm Soziussitz untergebracht ist, ob die Gasannahme im Komfort-, Standard- oder Sport-Modus erfolgen soll. Da man gerade so schön dabei war, den Motor zu überarbeiten, widmete man sich auch der Verbesserung der (auch bisher schon recht ordentlichen) Standfestigkeit, überarbeitete zum Beispiel die Getriebelager und verdoppelte ganz nebenbei die Wartungsintervalle von 5000 auf 10000 Kilometer.

KTM 690 Duke Modell 2012 CockpitDer neue alte Motor steckt in einem bildschönen Gitterrohrrahmen aus Chrom-Molybdänstahl, der von einem Rahmenheck aus Aluminium-Druckguss ergänzt wird. Besagtes Heck war bislang ein geschweißtes Teil, das nicht unbedingt besser aussah oder funktionierte, dafür aber die Produktion um rund 150 Euro verteuerte. KTM hat beim aktuellen Jahrgang also Geld gespart – und diesen und an manch anderer Stelle ebenfalls gesparten Betrag beim Neupreis runtergerechnet, denn die aktuelle Duke ist mit 7495 Euro (plus ca. 250 Euro NK) 500 Euro günstiger als das Vorjahresmodell und sogar 1500 Euro billiger als 2010. Das ging nur teilweise zu Lasten der Ausstattung, ABS ist nun sogar serienmäßig an Bord: Das Bosch 9M+ überzeugt mit einer recht sportlichen Abstimmung und greift erst sehr spät ein. Anstelle eines gefrästen Bremssattels mit vier Einzelbelägen beißt nun aber ein gegossener Sattel mit zwei Belägen zu, und statt Radial-Handpumpen für Bremse und Kupplung darf nun an konventionelle Armaturen gelangt werden. Das mag den Technik-Gourmet etwas grämen, aber bei der Funktion gibt’s keinen wirklich spürbaren Unterschied, und die ordentliche Preisreduzierung ist durchaus ein überzeugendes Argument. Der Griff zur Kupplung geht dank eingebauter Servo-Funktion wie bisher schon superleicht; für deftige Bremsmanöver darf und muss dafür rechter Hand umso stärker reingelangt werden.

KTM 690 Duke Modell 2012 VollausstattungDas Tankvolumen legte von 13,5 auf 14 Liter etwas zu. Und da der Verbrauch durch die eingangs erwähnten Maßnahmen auf unter vier Liter im Landstraßenbetrieb sank, ist nun eine üppige Reichweite von über 350 Kilometern drin. Die WP-Federelemente sind nun nicht mehr komplett einstellbar, es lässt sich nur noch die Federvorspannung des Federbeins variieren. Aber wen stört das? Eigentlich niemanden, die gar nicht mal so unkomfortable Grundabstimmung passt zumindest im Solobetrieb immer und überall. Sollte die nunmehr zweiteilige (bisher einteilige) Sitzbank mit einem Doppelpack belegt sein und die Gangart auf miesem Belag etwas schärfer ausfallen, kommt das Federbein dann doch schon an seine Grenzen. Aber seit wann ist eine Duke ein Zweipersonen-Komfort-Reisedampfer? Eben! Komplett weichgespült wurde die Fuhre dann glücklicherweise doch nicht, die KTM ist und bleibt ein Instrument für Solisten. Ein piekfein verarbeitetes übrigens, denn an der tollen und auch im Detail sehr hochwertigen Machart hat sich ebenfalls nichts geändert. Der Auspuff steckte bislang direkt unterm Heck. Im Zuge massiver Tieferlegungsmaßnahmen – die Sitzhöhe sank von 865 auf deutlich menschenfreundlichere 835 mm – wanderte die komplett aus Edelstahl gefertigte Abgasanlage eine Etage tiefer. Und dort zeigt sich die wirklich einzige negative Auswirkung der diversen Sparmaßnahmen: Die Duke spart extrem am Sound. Der zur Zeit größte und stärkste Serien-Single der Welt donnert nicht, hämmert nicht, ballert nicht – er säuselt nur! Peinlich. Aber nicht wirklich dramatisch, denn Akrapovic und Co. können dem garantiert abhelfen. Über den bescheidenen Serien-Sound gibt es keine zwei Meinungen, über das neue Design vermutlich schon eher. Wobei die rundlicheren Formen vermutlich deutlich mehr Anhänger finden werden als das bisherige Stealth Fighter-Design mit seiner harten, gezackten Kanten. Das Ziel, die Duke massenverträglicher zu machen, wurde jedenfalls erreicht. Sie ist zwar rundlicher geworden, doch auch nur ansatzweise pummelig ist sie deshalb noch lange nicht.

KTM 690 Duke Modell 2012 SchwingeWie auch bei vollgetankt gerade mal 163 Kilogramm Kampfgewicht. Die (wenigen) direkten Wettbewerber wiegen 30 bis 50 Kilo mehr, leisten dafür aber rund 20 PS weniger, was zur Folge hat, dass der erste Duke-Fahreindruck immer noch ein sehr, sehr spezieller ist. Wer von einem „normalen“ Motorrad auf die KTM umsteigt, wähnt sich plötzlich auf einem Spielzeug, dem oft bemühten, aber nirgendwo besser passenden Fahrrad. Sitzhöhe, Lenkerposition, Kniewinkel – das passt für halbwegs Normalwüchsige (also Menschen zwischen 1,70 und 1,90 m) perfekt, und trotzdem strahlt die Fuhre anfangs eine gewisse Hektik und Nervosität aus. Kann ein richtig erwachsenes Motorrad so schlank, so leicht und bereits im Stand so ultrahandlich sein? Na klar, das ist immer noch eine Duke. Und die mag immer noch nicht Drehzahlen, die deutlich unter 3000/min liegen. Da zickt sie dann etwas, dem Sportmotor fehlen einfach die Schwungmassen. Doch das muss so sein, ist geradezu alternativlos. Der KTM-Entwicklungschef Philipp Habsburg brachte es in einem Interview sehr schön auf den Punkt: „Natürlich könnten wir zugunsten der Laufkultur auch fünf Kilogramm Schwungmasse draufpacken. Doch dann hätten wir genau die Motorcharakteristik, wegen der nur noch wenige einen Einzylinder kaufen: einen trägen, völlig unsportlichen Motor. So etwas passt nicht in unsere Philosophie.“

KTM 690 Duke Modell 2012Die Gratwanderung zwischen Sport-Charakteristik und Alltagstauglichkeit beherrscht die neue Duke nahezu perfekt, denn Ride-by-wire und Doppelzündung haben (unter anderem) dafür gesorgt, dass der Single beim Dreh am extrem leichtgängigen Gasgriff wunderbar kontrollierbar und angenehm sanft aus dem Teillastbereich im Stand loslegt. Da ist keine Kupplungszauberei gefragt, völlig problemlos, ganz ohne Gehacke hängt der überarbeitete LC4-Single am Gas – vorausgesetzt, man hat die besagte 3000er-Marke im Auge. Die 70 PS stehen wie bisher bei 7500/min an, das maximale Drehmoment von 70 Nm wird unverändert bei 5500/min gestemmt. Speziell zwischen 3000 und 4000 Touren und auch ganz oben – der Drehzahlbegrenzer greift erst bei 8600/min ein – hat der KTM-Eintopf aber spürbar zugelegt. Am wohlsten fühlt er sich zwischen 4000 und 7000/min, wobei ab 6000 Touren die spürbaren Vibrationen zunehmen, aber nie so heftig wie bei den Vorgängerinnen werden. Der optimierte Massenausgleich zahlt sich aus.

Wie sich die neue Duke fährt, lässt sich vielleicht in einem Satz zusammenfassen: Sehr muntere 70 PS treffen auf sehr leichte 163 Kilo plus einen saubequem untergebrachten Fahrer und ein superhandliches Fahrwerk mit, entsprechende Handkraft vorausgesetzt, sehr bissigen Bremsen. Noch Fragen? Unterdurchschnittliches Licht, mäßige Spiegel – solch Kleinkram interessiert vermutlich niemanden mehr, der das Vergnügen haben durfte, mit einer Duke am Sonntagmorgen durchs Revier zu toben. Den wesentlichen Unterschied zu den drei bisherigen Duke-Generationen macht der Umstand aus, dass mit der neuen Duke nicht nur der Sonntagmorgen Spaß macht. Sie ist jetzt auch ein Montag-bis-Samstag-Motorrad. Eins mit einem fan­tas­tischen Motor, mit ordentlichen Um­gangs­formen und mit einer Alltagstauglichkeit, die man von KTM-Singles bislang so nicht kannte.

Die neue Duke ist aber auch ein Motorrad, das so manch geliebtes Feind- und Weltbild in sich zusammenfallen lässt. Zum Beispiel jenes, das ich bislang in Sachen Einzylinder hatte. Eigentlich wäre in der Garage noch etwas Platz, und sooo groß ist die Duke ja nun wirklich nicht…