aus Kradblatt 3/14
von Klaus Herder

 

KTM-1290-Super-Duke-WheelieEin zeitgemäßes Naked-Bike-Rezept ist eigentlich ganz einfach: Man nehme ein halbwegs erfolgreiches Superbike, entferne die Verkleidung, montiere ein paar gefällig bis böse (speziell Scheinwerfer!) aussehende Anbauteile und raube dem Motor eine gehörige Portion Spitzenleistung – PR-Stichwort „Optimierung im unteren und mittleren Drehzahlbereich“. Wer möchte, montiert noch ein paar billigere Bremskomponenten und Federelemente, fertig ist die nette Nackte.

Aber „nett“ ist bekanntlich die kleine Schwester von „scheiße“. Die Nachfolgerin der 2002 angekündigten, ab 2005 endlich verkauften und unter anderem 2007 kräftig modellgepflegten Super Duke sollte folglich alles andere als nett werden. Entwicklungsziel war relativ unbescheiden „das stärkste Naked Bike der Welt“, dem man auch noch ruhigen Gewissens den Kampfnamen „The Beast“ verpassen konnte.

KTM 1290 Super Duke MotorEICMA 2013: Das Biest ist Realität geworden. Statt 1000 cm3 und 100 PS sollen nun 1301 cm3 und 180 PS dafür sorgen, dass das Thema „Waffenscheinpflicht für Motorradfahrer“ wieder etwas mehr an Aktualität gewinnt. Wo vormals 100 Nm den gar nicht so kleinen Drehmomenthebel ansetzten, kümmern sich nun bis zu 144 Nm darum, dass aus dem Hebel eine ziemlich mächtige Keule geworden ist. Dabei folgt der 75-Grad-Vauzwo durchaus der eingangs erwähnten Rezeptur. Zumindest was das Thema Organspende angeht, denn der Twin ist eigentlich ein alter Bekannter, der 2008 mit 1148 cm3 und 155 PS in der RC8 debütierte. Die aktuelle Version des KTM-Superbikes holt aus 1195 Kubik sogar 175 PS und bis zu 127 Nm. Kurzer Blick zurück – richtig gelesen: KTM griff sich den Motor des aktuellen Superbikes und verpasste ihm fürs Naked Bike MEHR Leistung und Drehmoment. Respekt, das ist doch mal ein völlig anderer Ansatz!

Um dem auch nicht gerade schwachbrüstigen RC8-Motor noch etwas mehr Druck zu verpassen, legten die Österreicher noch einmal kräftig Hand an: Die Kolben wuchsen von 105 auf 108 mm, gerieten dank Formel 1-Technik und extrem flacher Bauweise aber je 50 Gramm leichter. Der Arbeitsweg legte mit kürzeren Pleueln um zwei Millimeter auf immer noch ziemlich kurzhubige 71 mm zu, was zusammen für 1301 cm3 sorgt. Kleinere Ansaugwege kümmern sich um mehr Laufkultur im Teillastbereich, die von 54 auf 56 mm vergrößerten Drosselklappen stellen sicher, dass der Über-Herzog immer genug zu futtern bekommt. Deren Steuerung erfolgt nicht etwa per schnödem Bowdenzug, sondern total elektronisch – Stichwort E-Gas oder auch Drive-by-wire. Der Fahrer zieht zwar an der Kordel, doch die Befehle der Gashand gehen erst einmal an den Zentralrechner. Der holt sich via Sensoren noch ein paar zusätzliche Informationen übers Geschehen im 62 Kilo leichten Motor und ermittelt dann die optimale Drosselklappenstellung, die über Stellmotoren realisiert wird. Das hat den Vorteil, dass sogar der gröbste Grobmotoriker am Gasgriff nicht verhindern kann, dass die Drosselklappen immer nur so viel durchlassen, wie die Brennräume verdauen können. Und das dient wiederum dem Ansprechverhalten und hält den Spritverbrauch in halbwegs erträglichen Grenzen, also um die sechs Liter. Um den Brennraum-Inhalt kümmern sich im übrigen je zwei Zündkerzen, mit getrenntem Mapping, versteht sich.

KTM-1290-Super-Duke-CockpitDie ganze motorische Wucht hat mit einem Kampfgewicht von vollgetankt 213 Kilogramm (plus Besatzung…) zu tun. Das sind zwar zehn Kilo mehr als bei der 990er Super Duke, aber dafür hat die 1290er auch ein paar Helferlein serienmäßig an Bord, die bei der raubauzigen und versoffenen Vorgängerin auch nicht für Geld und gute Worte zu bekommen waren. Als da wären: eine mit Schräglagensensoren bestückte Traktionskontrolle MTC (Motorcycle Traction Control) und ein ABS von Bosch. Das ABS bietet die beiden Programme „Street“ und „Supermoto“ und lässt sich auch ganz abschalten. Der Supermoto-Modus erlaubt im Unterschied zum Street-Programm etwas mehr Schlupf am Vorderrad und ein blockierendes Hinterrad – unglaublich wichtig für Spielkinder, die gern mit quergestelltem Gerät ums Eck stechen. Drei Fahrmodi kümmern sich ums große Ganze: „Street“ und „Sport“ unterscheiden sich in der Gasannahme, liefern aber immer den vollen Schub; „Rain“ begrenzt“ die Leistung auf mehr oder weniger regenfreundliche 100 PS. Alle drei Fahrprogramme unterscheiden sich auch in ihrer Zusammenarbeit mit dem MTC.

KTM 1290 Super DukeEs sind also jede Menge elektronische Helferlein an Bord, und es stellt sich die Frage, ob das denn zum von KTM so fleißig vermarkteten Biest-Image passt. Klare Antwort: Jein! Mit aktivierten Fahrerassistenz-Systemen ist die neue Duke ein bärenstarker, dabei aber ausgesprochen umgänglicher Geselle. Kein Vergleich zur einfach nur drehzahlgierigen, im unteren Bereich zickigen und hackenden 990er. Bereits ab 3000/min liegen immer über 100 Nm an, doch auch schon 1000 Touren tiefer nimmt der Motor sauber Gas an und zieht ohne (Konstantfahr-)Ruckeln durch. Richtig wohl fühlt er sich zwischen 3000 und 7000 Touren. Da vibriert fast nichts, es bollert kernig, aber nicht prollig aus dem Edelstahl-Topf, und in Sachen Durchzug ist es dem Drehmoment-Bullen völlig egal, ob man im dritten oder vierten Gang im Winkelwerk vollstreckt. Druck ist einfach immer und überall vorhanden. In Verbindung mit der lockeren, vorderradorientierten und dabei sehr bequemen Sitzposition sorgt das für ein völlig neues Super ­Duke-Gefühl. Da ist nicht mehr eine hektische Diva am Hyperventilieren, da strahlt ein cooles Muskelpaket ungemeine Souveränität aus. Und sprintet, wenn es denn mal pressiert, in unter neun Sekunden aus dem Stand auf Tempo 200 und macht erst bei über 270 km/h Feierabend. Um von 60 auf 140 km/h durchzuziehen, vergehen nur etwas über sechs Sekunden – nicht vergessen: Wir reden hier über ein unverkleidetes Motorrad, auf dem man ziemlich erhobenen Hauptes unterwegs ist.

KTM 1290 Super Duke HinterradWer auf den ganzen Elektronik-Zauber pfeift und ABS und MTC abschaltet (was vernünftigerweise nur im Stand funktioniert), lernt den etwas anderen Super Duke-Charakter kennen. Okay, ein richtig fieses Biest wird sie auch dann nicht, aber der Respekt vor 180 PS und bis zu 144 Nm, die die perfekt haftenden Dunlop Road­smart 2 mächtig auf Temperatur bringen, stellt sich dann doch deutlich schneller ein. Wie gut, dass KTM vom radikalen Fahrwerkslayout der 990er abrückte und der 1290 fast schon konventionelle Werte für Lenkkopfwinkel, Nachlauf und Radstand spendierte. Und – erstmalig an einer KTM zu finden – eine bildschöne (aber auch etwas schwerere) Einarmschwinge. Der neue Motor im alten Fahrwerk hätte ziemlich schnell für Opfer der Grenzen der Physik gesorgt. So aber gibt’s ein jederzeit gut berechenbares, herrlich rundes und neutrales Fahrverhalten. Wo früher nervös und hektisch gearbeitet wurde, ist nun zielgenaues und ultrastabiles Vorgehen angesagt – Skalpell statt Brechstange.

KTM 1290 Super Duke KolbenMit dem neues Chassis – nach bester KTM-Tradition ein toll gemachter und nur 9,2 Kilo wiegender Gitterrohrrahmen aus Chrom-Molybdän-Stahl – bekam die Super Duke auch eine neue Abstimmung der voll einstellbaren WP-Federelemente spendiert. Die ganz harte Tour ist Geschichte, jetzt geht’s harmonischer zur Sache. Lange Wellen, kurze Absätze – die Upside-down-Gabel und das direkt angelenkte Federbein stecken alles lässig weg, ohne den Kontakt zur Fahrbahn zu verwässern. Die Dämpfung ist straff, aber alles andere als unkomfortabel und unterm Strich goldrichtig fürs engagierte Landstraßen-Toben, gern auch auf nicht ganz so ebenem Belag. Für allerbeste Verzögerung sorgen an der Vorderhand radial montierte Brembo-Monobloc-Zangen an 320-Millimeter-Scheiben. Und das sind echte Zweifinger-Stopper, die, von grob zulangenden Zeitgenossen bedient, fast schon etwas zu bissig zupacken. Wer über eine auch nur halbwegs normal entwickelte Feinmotorik verfügt, wird von Dosierbarkeit und Wirkung aber begeistert sein.

Für die in Schwarz und Orange lieferbare 1290 Super Duke R ruft KTM recht selbstbewusst 15495 Euro auf, das Vorgängermodell kostete satte 3500 Euro weniger. Und trotzdem ist die neue Super Duke ihr Geld wert, denn sie ist nicht nur deutlich besser ausgestattet und in Details noch liebevoller gemacht, sie kann auch alles – wirklich alles – sehr viel besser als die 990er. Bei der 1290er muss Zickigkeit nicht als Charakter verklärt werden, sie kombiniert einen bärenstarken und trotzdem kultivierten Motor mit einem Fahrwerk, das auch im wirklichen Leben und nicht nur beim Supermoto-Training Spaß macht. Die 990er war wirklich kein schlechtes Motorrad, sie war und (ist) ein herrliches Spielzeug für Spezialisten und Fans, die genau wissen, auf was sie sich einlassen, vergleichbar mit den ebenso sympathisch-verrückten Buell-Jüngern.

Für die 1290 Super Duke R bietet KTM ein Zubehörprogramm an, das Navi-Halter, Heizgriffe und Packtaschen genauso wie Wave-Bremsscheiben, Sturzpads und ein 194-PS-Racekit beinhaltet. Und damit recht klar zeigt, was dieses Motorrad kann: praktisch alles. Wer weder Platz, noch Zeit oder Geld für einen größeren Motorrad-Fuhrpark hat, kauft mit der neuen Super Duke vermutlich richtig. Mit ihr kann man im Urlaub, aber auch beim Renntraining glücklich werden. Und im Alltag sowieso. Ob sie – wie von KTM behauptet – tatsächlich ein Biest ist, muss jeder für sich entscheiden. Wenn dem so sein sollte, ist sie aber ein sehr sympathisches und gehört garantiert zur Unterart Schmunzel-Monster.