aus bma 02/98

von Klaus Herder

Richtig gelesen, es geht um eine 125er. Eigentlich interessiert Sie ein solcher Kleinkram ja nicht. Schließlich sind Sie ein harter Vielfahrer mit mindestens 100.000 Kilometern im Jahr – und das bei jedem Wind und Wetter. Deutet man Ihre Erzählungen richtig, müssen Sie den Motorradführerschein schon seitKTM 125 LC2 rund 60 Jahren haben und waren so um die 85 mal beim Elefantentreffen oder bei der Krystall-Rally. Doch Sie sollten weiterlesen, denn vielleicht haben Sie ja einen 16-jährigen Teenager in der Verwandtschaft, der bald Ihren väterlichen Rat in Sachen Motorrad braucht. Oder vielleicht hat Ihr Arbeitskollege seinen Autoführerschein vor dem 1. April 1980 gemacht und darf damit maximal 15 PS starke 125er fahren. Wäre doch nett, wenn ein alter Hase wie Sie ihn beraten könnte. Doch Vorsicht: Möglicherweise bringen die nachfolgenden Zeilen Ihr Weltbild durcheinander. Es geht nämlich um ein Motorrad für Menschen, die gar kein Interesse an sagenhaften Kilometerleistungen, durchweichten oder abgefrorenen Gliedmaßen und x-fachen Treffenbesuchen haben. Es geht um ein ganz und gar unvernünftiges Motorrad, das einfach nur für ein oder zwei Stunden an einem sonnigen Sonntagmorgen aus der Garage geholt werden sollte, um damit gewaltig Spaß zu haben. Jawoll, wir nehmen es vorweg: Die KTM LC2 macht riesig Spaß. Und das nicht nur Einsteigern, die zwangsläufig mit 125 ccm unterwegs sein müssen, sondern allen,die sich lieber auf dem Motorrad als im Fitneßstudio austoben wollen, aber daraus keine vom Hubraum abhängige Philosophie machen wollen.

 

KTM 125 LC2Die Achtelliter-KTM hat bis auf die Motorleistung alles, was ein handfestes Sportgerät auszeichnet. Der stabile Einschleifenrahmen aus Stahl wird auch in den über 50 PS starken Werks-Crossern verbaut – in der LC2 zerren gerade mal 14 PS am Chrommolybdänrohr. Gabel und Zentralfederbein der österreichischen Enduro stammen vom italienischen Zulieferer Paioli. Der Arbeitsweg der bewährten Teile beträgt vorn 250, hinten sogar 280 Millimeter. Das macht den vollgetankt gerade mal 121 kg leichten Hüpfer kiesgrubentauglich. Die Reihe edler Ausstattungsdetails läßt sich fortsetzen: Schwinge und Felgen aus Aluminium, Brembo-Bremsscheiben vorn und hinten – für’s Vorderrad sogar mit Doppelkolben-Bremssattel, Stahlflex-Bremsleitungen, Kupplungs-Schnellverstellung, gezahnte Fußrasten und bruchsichere Kunststoffverkleidungen. Die Schalter und Armaturen stammen von der großen Viertakt-Schwester LC4.
Doch trotz lauter Profi-Ausrüstung haben die KTM-Techniker auch an die Amateure gedacht. Die LC2 braucht nicht angekickt zu werden, denn ein kleiner E-Starter bringt den membrangesteuerten Zweitaktmotor zuverlässig in Wallung. Damit das auch im kalten Zustand bequem klappt, ist der Chokehebel griffgünstig am Lenker montiert. Serienmäßiges H4-Licht macht die Heimfahrt erträglich, wenn es in der Kiesgrube mal wieder spät geworden ist, und die ebenfalls im Lieferumfang enthaltene Kofferbrücke bietet Platz für’s kleine Kampfgepäck.
KTM 125 LC2Der wassergekühlte Einzylindermotor ist ein guter Bekannter. Die Konstruktion stammt von Yamaha, gebaut wird er als Lizenzprodukt von Minarelli in Italien und zum Einsatz kommt er unter anderem in der Yamaha DT 125 R und der Sachs ZX 125. Dafür, daß sich die Enduros aus Japan, Deutschland und Österreich trotz gleicher Motoren in ihrer Charakteristik deutlich unterscheiden, sorgen unterschiedliche Vergaser und vor allem unterschiedliche Auspuffanlagen. So steckt bei der KTM zum Beispiel ein ungeregelter Katalysator im Topf – die Yamaha muß ohne Abgasreinigung auskommen. Der KTM-Minarelli-Motor läuft bereits nach wenigen hundert Metern rund, die Starthilfe kann vollständig zurückgenommen werden. Das Auspuffgeräusch ist im Leerlauf und bei niedertouriger Fahrweise sehr dezent gedämpft. Das Problem ist nur, daß mit der LC2 niemand niedertourig fahren wird. Die Gasannahme ist hervorragend, der Single liebt Drehzahlen, und das sehr eng gestufte Sechsganggetriebe verführt zu fleißiger Schaltarbeit. Zwingend notwendig sind die mit bissigem Zweitaktfauchen einhergehenden Drehzahlorgien nicht – für eine 125er ist die LC2 erstaunlich durchzugsstark – doch sie machen einfach jede Menge Spaß. Der Schalthebel verlangt nach entschlossener Betätigung mit grobem Schuhwerk, zum Ausgleich funktioniert die Kupplung aber butterweich.
Der Spaß am LC2-Treiben beginnt bereits lange vor der Kiesgrube. Im Großstadtdschungel sind 860 mm Sitzhöhe einer weit vorausschauenden Fahrweise dienlich. Der flach montierte und kaum gekröpfte Lenker macht die KTM noch handlicher als sie ohnehin schon ist. Die Vorderradbremse läßt sich perfekt dosieren und packt, wenn’s sein muß, auch bei Zweifingerbedienung brutal zu. Der hintere Stopper läßt es etwas ruhiger angehen und unterstützt wirkungsvoll. Die Gefahr, durch zuviel Komfort schläfrig und unaufmerksam zu werden, besteht bei der LC2 nicht: Die Sitzbank ist schmal, hart und weit auf den Zehnliter-Tank gezogen. Sobald der Untergrund lose wird, empfiehlt sich ohnehin eine stehende Haltung – die Fahrerfußrasten sind für eine solche Fahrweise goldrichtig positioniert.
KTM 125 LC2Was dann im Gelände passiert, mag der mittelschwer enduroerfahrene Biker kaum glauben: Die LC2 ist eine 125er, die die Grenzen des Fahrers und nicht die der Technik aufzeigt. Wer glaubt, den vermeintlich schwächlichen Achtelliter-Winzling schnell ans Limit treiben zu können, irrt sich gewaltig. Heftige Sprünge, engste Kehren, brutale Steilabfahrten – die LC2 macht alles klaglos mit und verträgt immer noch mehr. Die praxisgerechte und robuste Machart der KTM macht auf der einen Seite zwar auch Anfängern Mut, es im Gelände mal etwas forscher zu probieren, doch andererseits können sich auch bzw. gerade fortgeschrittene Hobbyfahrer mit der LC2 wunderbar austoben. Die kleine KTM ist keine Maschine, von der man nach zwei Wochenenden Dreckschleudern die Nase voll hat, sondern eine langfristige Herausforderung. So gesehen ist der Kaufpreis von 8080 Mark ein gut angelegter Batzen Geld – die hochwertige Ausstattung und das bis auf den zu langen Seitenständer nahezu perfekte Finish machen die LC2 im wahrsten Sinne des Wortes preiswert.
Die Hard-Enduro ist ab Werk als 80- oder 100 km/h-Modell zu bekommen. Wer später umrüsten möchte, muß Auspuff, Kettenrad und Kette austauschen und ist mit rund 800 Mark dabei. Die KTM ist zwar als Einsteiger-Gerät gedacht, doch sie kann auch all jene glücklich machen, für die das Motorradfahren nicht Lebenseinstellung, sondern „nur” genußvolles Dritt- oder Viert-Hobby ist. Und wer als verbissenes „Windgesicht” mal ausnahmsweise über den eigenen Schatten springen kann, entdeckt mit einer LC2 als Zweitmaschine vielleicht einen ganz neuen Spaß am Motorradfahren.