aus Kradblatt 12/14
von Berthold Reinken
Unruhige Zeiten – Kreidler Florett RS
Es war keine ruhige Zeit. Die Burschen waren nicht schneidig und die Mädels nicht sittsam. Aber auf die Guillotine haben die Richter trotzdem niemanden von uns geschickt.
Die Rede ist von den wilden „50er“ Jahren. 1969 bis 1972 war der Traum jedes 16-jährigen meiner Jugendgruppe ein Kleinkraftrad mit 50 ccm und 5 bis 6 PS (noch unbearbeitet). Dafür konnte man schon einige Klimmzüge machen. Ich gab extra das gerade erst angefangene Rauchen auf (dafür bin ich heute noch dankbar), trug Zeitungen aus, arbeitete als Tellerwäscher und sammelte Altpapier. Denn Vater und Mutter haben keinen Pfennig dazu bezahlt; konnten sie nicht, denn sie hatten ja nix. Ganz oben auf der Wunschliste von uns allen stand natürlich die Kreidler Florett RS mit 5,3 und später sogar brutalen 6,25 PS. Rot wie ein Ferrari und mit chromblitzendem Tank. 1800 DM waren aber 1970 ein Haufen Geld und das Angebot an gebrauchten RS knapp.
So fuhren die meisten unserer ca. 50 Leute umfassenden Mopped-Meute mit irgendwelchen Hilfsmitteln herum. Garelli von Neckermann, Meister oder Hercules, wobei auch letztere zu den teureren 50ern gehörte, hatte sie doch sogar eine geschobene Langschwinge. Ich selbst ergatterte für nur 400 DM eine zwei Jahre alte Zündapp KS 50 Supersport mit hochgelegtem Auspuff und 5,3 PS. Damit bewegte ich mich imagemäßig im Mittelfeld der Meute, an deren Ende zweifellos ein paar Garelli-Fahrer vegetierten. Unsere Meute nannte sich MTC Pax (Frieden) und war in Bremen zu Hause. Der Name war gar nicht mal so daneben, denn wir waren doch spürbar weniger in Raufereien verwickelt als der Rest der coolen Gangs. Ich persönlich zog es sowieso immer vor, noch eine Runde Mopped zu fahren, wenn die Luft irgendwo anfing zu knistern. So behielt ich immer einen kühlen Kopf, denn auf Integralhelme stiegen wir erst alle um, als Kumpel Richard mit Jethelm durch seine Verkleidungsscheibe sauste und wir ihn im Krankenhaus erst gar nicht erkannten. Helmhersteller Römer machte danach mit seinem 2000er ein gutes Geschäft bei uns. Sonntags war oft Kliniktag, denn irgendeiner von uns lag meistens dort, denn Gas wegnehmen bedeutete einfach zu viel Geschwindigkeitsverlust bei den Moppeds, was immer wieder mal unschön ausging. Überlebt haben wir aber alle und auch an schwere Folgeschäden kann ich mich nicht erinnern.
Es war jedenfalls immer viel los bei uns. So viel, dass das Bremer Jugendamt uns eines Tages in einen ausrangierten Kühlwagen der Bundesbahn ausquartierte, weil die Stimmung im Jugendheim wegen der Massen von schwarzen Lederbengels für einige immer bedrückender wurde.
Der alte Waggon stand auf einer großen Wiese, auf der wir spontan noch eine Cross-Strecke einrichteten.
Schon bald zerfiel die Meute aber. Die Mädels, die mehr und mehr unser Denken bestimmten, saßen (und so weiter…) lieber im trockenen Auto als auf der Hinterbank eines Moppeds. Der Einser-Führerschein wurde zwar oft für den geringen Mehrpreis von 100 bis 200 Mark noch gleich mitgemacht, aber für Auto und Krad fehlte den meisten doch das Geld. So siegten meistens die vier Räder und die Chancen bei den Bräuten stiegen gewaltig.
Was blieb, sind die Erinnerungen an wenige wilde Jahre und genau diese überkamen mich, als ich im Februar 2007 auf einer Oldtimer-Versteigerung zwei top erhaltene Kreidler Florett RS, Baujahr 1968, entdeckte. Ich nutzte die Chance, das Trauma eines unerfüllten Jugendtraumes zu beseitigen.
Es klappte und ich erhielt bei einer der beiden 50er (ich hatte vorsichtshalber für beide geboten) den Zuschlag bei einem Preis über dem Doppelten des damaligen Neukurses. Nun hatte ich doch noch eine RS und ich war gespannt auf die erste Ausfahrt.
Nun ist der Tag da! Wann der Traum das letzte mal gelaufen ist, weiß natürlich kein Schwein und so sind die ersten 50 Tritte auf den Kickstarter auch vergeblich. Weil ich keinen Bock auf Orthopäden habe, greife ich zu Startpilot und siehe da, qualmend und mit dem typischen Kreidlerknattern, das ich immer noch von damals in den Ohren habe, erwacht die RS zum Leben. Ich bekomme eine Gänsehaut.
Nun heißt es aufgesessen, den ersten Gang eingelegt und Gas… Na ja, Beschleunigung ist was anderes. Power habe ich zwar nicht erwartet, aber das ganze erinnert doch mehr an Mofa fahren. So nach und nach kommt der Renner in Schwung und erreicht schließlich nach ein paar Kilometern ca. 65 km/h, aufrecht sitzend wohlgemerkt. Ich erinnere mich an das 50er-Latein von damals. Manche Kumpels wollten mit ihrer RS um die 100 km/h erreicht haben. Ich denke, das war wohl liegend, bergab, mit Rückenwind und Polizei im Nacken. Aber wenn meine RS mal gründlich gecheckt wird, sollten wohl liegend 80 km/h drin sein.
Jetzt weiß ich auch wieder, warum früher niemand einen Kumpel auf der Rückbank mitnehmen wollte, wenn es um einen Ausflug ging. Damals benutzten alle irgendwelche Ausreden, von wegen Vergaser verdreckt oder Auspuff dicht usw. Tatsache war schon damals wie heute: So ein Mopped kommt mit zwei Personen gar nicht mehr aus dem Quark. Nur wenn wieder mal ein paar Mädels an unserem Waggon aufkreuzten, waren plötzlich alle Böcke top in Schuss und die Bräute hatten die freie Auswahl.
Dass die Kreidler eigentlich keine richtigen Bremsen besitzt, darauf war ich ja eingestellt, dass sie aber auch keine Blinker hat, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Also immer schön die Hand raushalten vor dem Abbiegen. Ich komme mir ziemlich blöd dabei vor. Haben wir das damals auch gemacht? Ich habe da meine Zweifel.
Eine Kreidler Florett RS ist etwas für Kenner. Das bestätigt diese Ausfahrt deutlich. Während kaum jemand Notiz von mir nimmt (damals haben wir glatt geglaubt, alle erschauern aus Ehrfurcht vor dem harten Hund), geschieht es doch plötzlich, dass ein Herr in den besten Jahren stehen bleibt und mir nachwinkt. Ich frage mich, ob er sich seinen Traum damals erfüllt hat.
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Kommentare
12 Kommentare zu “Kreidler Florett RS”
moin Berti,
das weckt geile Erinnerungen mit der Giftgrünen Kreidler RS ( übrigens eine der ersten mit Aluverbundfelgen)
Es waren traumhafte Zeiten, jeden Freitagabend Hamersen und Kuhmühlen 😊😊
wird Zeit für ne kleine Spätherbstrunde 😉
Klasse Idee für ein Treffen. Ich war zwar kein festes Mitglied im Club war aber sehr oft dabei .Coole Ausfahrten tolle Feiern im Alten Wagon.Mit den Ersten Mädchen Kontakten (👍smile ).
Gruss Michael Berkhan Kreidler GT.
😎Alter Schwede😇
Wir sind alle nicht jünger geworden, aber Dein Artikel und unser heutiges Telefonat, au weina😂
Hatten wir eine geile Zeit miteinander.
Wo sind denn die 47 Jahre geblieben??
Denke noch oft an unseren „Auftritt“ im Hauptbahnhof und an ein paar andere.😜
Gruß an alle Paxler
Kalle Ahlers
Klasse Beitrag von Dir!
ich fühlte mich wieder in die Jugendjahre versetzt.
War ja in der PAX Truppe ca.2 Jahre aktiv dabei.
Gruss an alle Ex-PAXler
Euer Norbert Jäger
1980 kam bei mir die große Freiheit Nr. 7, eine Kreidler RMC-S. Die Versicherung der RS war unbezahlbar über 700 DM im Jahr. Sie lief 45-VDO-Tacho-km/h, aber mit 78er statt 82 Düse im Vergaser und optimiertem kurzem Krümmerrohr glatte VDO-60 km/h. Voll überdreht bergab den steilen langen Weinbergweg runter dann der Rekord mit Kumpel Joachim hinten drauf (Zeuge) 94 km/h nach VDO (freier Fall), Motor hat gehalten.
Unfälle hatte ich nur ein paar, unbedeutende, einen heftigen, weil der Sch… 21 Watt Blinker an der 1-Amp ULO-Box versagte, aber der Autofahrer war trotzdem schuld, nix ernstes passiert. Meine erste Freundin habe ich bekommen, weil die Zündspule versagte und ich die Karre mit ihr heimschieben musste. Danke Kreidler…
Die Kreidler wird gerade restauriert und zur getunten RS mit 9 PS nach über 28 Jahren im Dornröschenschlaf im Keller, dann geht es über die Alpenpässe, nur so – zum Spaß.
Coole Sache – wenn du die Kreidler restauriert hast und sie (und die Geschichte) unseren Lesern vorstellen möchtest, würden wir uns über Text + Fotos sehr freuen. Mail mir einfach an die Kradblatt-Redaktion 🙂
🙄
Hey Berthold,
beim Lesen Deiner RS-Story kamen mir fast die Tränen und alte Bilder in den Kopf. 1972 habe ich als Schüler mit 16 Jahren die ganzen 6 Wochen der Sommerferien in einer Eisengießerei gejobt (Inhaber war der Vater meines Schulfreundes Clas) und sage und schreibe insgesamt 1.900 DM netto verdient. Das reichte, um mir im September ´70 eine nagelneue Kreidler RS zu kaufen. Meine Kumpels platzten vor Neid; Peter fuhr die von dir erwähnte Garelli (Schaltung rechts, Fußbremse links, 1. Gang hoch, die anderen runter). Ich durfte mit der Kreidler nie als Erster fahren, weil die anderen nicht mitkamen. Es war schon eine wilde Zeit. Mit 18 kam dann der 1.FS und die Kreidler wurde für die Anschaffung einer gebrauchten Honda CB 450 verkauft. Wenn ich heute auf Messen/Ausstellungen die alten 50er wieder sehe muss ich eine meine orange Kreidler denken.
Gruß Thomas
Moin du oller Paxi! Ist eine tolle Geschichte und es kommt mal wieder Kopfkino! 8)
Mit 60 in die Schleifmühlenwegkueve ( nasses Blaukopfpflaster) durchgescheuerte Manschesterhose und dann zwei durchschraubte Feierabende! Und dann auf zum nächsten Abenteuer!
Eine schöne Zeit!!
Gruß Heiner
Hallo Berthold!
Tolle Story. Habe genau die gleiche Kreidler RS 1976 besessen, war aus zwei Kreidlern zusammengesetzt worden. Ich hatte sie von meinem Bruder, der sie etwas „lädiert“ an mich abgetreten hatte. Er war damit nämlich mal in einer Kurve geradeausgefahren. In meiner Klicke war ich mit der RS immer Letzter, die Zündapps und Hercules waren durch die Bank schneller. Aber, es war ne tolle Zeit und die werde ich nie vergessen. Später fuhr ich dann Motorrad und musste feststellen, was eigentlich Alles an der Kreidler hätte besser funtionieren können aber nicht tat, wie z.B. die Bremsen, Fussrasten, Lenker, Armaturen usw. Als Mopedfahrer war man damals sehr, sehr anspruchslos, lag wohl damit zusammen, weil es keine andere Möglichkeit gab, mobil zu werden. Also, mach‘ s gut mit Deiner RS, weiterhin viel Spass damit. Ach, da fällt mir noch ein, ein ewiges Ärgernis an meiner RS war der Krümmer, der nie richtig am Zylinder halten wollte. Der ist oft während der Fahrt abgegangen.
Dann noch einen guten Rutsch ins neue Jahr 😉
Joy Knackstedt
Hallo Berthold,
bei diesem Bericht kommen mir doch viele längst verschollene Bilder wieder in den Kopf. Ich glaube, den Klang der Kreidler wird auch immer im Kopf bleiben.
Ich hatte selbst so ein Ding. Habe es 1975 gebraucht und eher schrottig gekauft. Dazu habe ich einen zweiten Zylinderkopf und -fuß und diverse Getriebeteile bekommen. Der Zylinder ist natürlich polliert und ein Rennzylinder wurde mir beim Kauf berichtet. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, dass ich beim Zweiradhändler um die Ecke regelmäßig auftauchte und immer wieder andere Düsen kaufte um noch mehr rauszuholen. Auch an der Übersetzung wurde rumgebastelt. Jedenfalls lief die Kiste tatsächlich eine Zeitlang über 100 km/h. Aber dann gab es wieder Probleme mit der Zündspule, bei der Gelegenheit wurde auch gleich eine größere oder auch mal ein zweite Lichtspule eingebaut. Naja, auf jeden Fall gab es auch einige Tage da lief das Teil wirklich nicht schneller als 70 km/h.
Die Beschleunigung fand ich damals riesig! Die war so gut, dass ich auch beim abfahren vom örtlichen Jugendheim das hinter mir sitzende Mädel verloren habe. 🙁 Aber sie sah es relativ gelassen und dreht anschließen noch eine Runde mit mir, danach wohl aber nie wieder 😉
Aber auch mir ging es so wie allen anderen auch, dass Auto war dann irgend wann praktischer.
Jedoch seit 1989 fahre ich, zumindest als zusätzliches Fahrzeug, wieder mit den 2 Rädern. Aber bisher nie wieder eine Kreidler Florett RS.
Ich wünsche Dir ganz viel Spaß und schöne Erlebnisse mit Deiner!
Es grüßt
Rüdiger
Moin, moin, hatte mir 16 Jahren ein wassergekühltes Kleinkraftrad von Zündapp. Alter schwede, das waren noch Zeiten.
Gruß
Uli
Mensch Berthold,
bei diesem Artikel kamen viele Erinnerungen hoch.
Danke dafür!
Gruß
Rainer & Silvia (die aus dem Süden)