aus Kradblatt 7/23 von Ralf Tausche
Big Bike der 1990er Jahre …

Sommer im Jahr 1992, ich komme aus der Hein Gericke Filiale in Bremen. In der Hand die gerade erworbenen Sommerhandschuhe, gehe ich zu meiner neuen Honda CBR 1000 F im rot-schwarzen Design. Ein paar Meter entfernt stehen ein paar ältere Männer an ihren alten Motorrädern, Bol d’Or, XS & Co. Die Herren selbst, so kurz über 50 Jahre …
Ein Jahr vorher, im Sommer 1991, ruft ein etabliertes, deutsches Motorradmagazin zum großen Sporttourer Vergleich in den Wertungsklassen „Sport“ und „Tour“ auf. Kandidaten waren hier: BMW K 100 RS, Honda CBR 1000 F, Kawasaki ZZR 1100, Triumph Trophy 1200, Suzuki GSX 1100 F und Yamaha FJ 1200. Um es vorwegzunehmen, in dem auf zwei Magazinausgaben geteilten Test gewannen die ZZR 1100 die Wertung „Sport“ und die GSX 1100 F die Wertung „Tour“.

Die Suzuki GSX 1100 F fahre ich persönlich bis heute, die Honda besaß ich als 1992er sowie als 1996er Modell in der Ausführung mit dem dualen Bremssystem. Eine ZZR hatte ich auch immer auf der Wunschliste, aber es sollte dann doch etwas länger dauern, um hier in der To-do-Liste ein „Erledigt“ notieren zu können.
Die 1990er Preisliste von Kawasaki enthielt erstmalig die ZZR 1100 neben der auch noch erhältlichen (geistigen?) Vorgängerin ZX10, diese dann für 15.530 DM. Von der ZX 10 erbte die ZZR ihren Motor, hier aber mit mehr Hubraum und dem neuartigen RAM AIR Staudrucksystem, welches eine erhöhte Luftzufuhr für die Airbox mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit realisierte und somit zusätzliche Motorleistung generierte. Ach ja, hier war es aber Suzuki, die die Begrifflichkeit „RAM AIR“ im Motorradsegment bereits 1973 zuerst verwendete – allerdings nur in Verbindung mit der Art der Motorkühlung einer zweitaktenden GT 250.
Wie es damals üblich war, gab es die ZZR 1100 C nur mit 100 PS ab Werk. Das C steht für die erste Modellreihe, denn ab Modelljahr 1993 folgte das überarbeitete D-Modell.
Mit „nur“ 100 PS lief die Kawa schon echte 244 km/h Topspeed, in der offenen Version standen gute 150 PS zur Verfügung. In einem zeitgenössischen, englischen Motorradtest im Vergleich mit einer Yamaha FZR 1000 wurde eine Höchstgeschwindigkeit von echten 276 km/h für die ZZR ermittelt, der optimistische Tacho zeigt gerne schon mal gute 300 km/h an. Die Angaben für den Sprint von 0–100 km/h liegen bei 2,8 Sek. und 0–200 km/h bei 8,9 Sek., wenn man hier den Rechercheergebnissen der Quelle Internet Vertrauen schenken darf. Fahrwerte also, die heute noch als beachtlich betrachtet werden dürfen, wenn man die Kategorie der heutigen 150 PS Klasse zum Vergleich heranzieht.

Bis zum Jahr 1996 war die ZZR auch das schnellste Serienmotorrad auf dem Markt. Dann fiel die freiwillige 100 PS Beschränkung der Motorradhersteller, die CBR 1100 XX kam mit 164 PS und 290 km/h, dann folgte die GSX 1300 R Hayabusa mit mehr als 300 km/h Topspeed. Die ZX 12 R mit 180 PS war die Antwort von Kawasaki. Irgendwann stand dieses Höchstgeschwindigkeits-Wettrüsten doch zu sehr in der öffentlichen Kritik; auch die von Tony Mang per Hubschrauber gefilmte Vollgasfahrt auf der Autobahn kam bei den nicht Motorrad affinen Mitmenschen leider nicht so gut an. Als Konsequenz drosselten die Hersteller die Fahrzeuge auf eine V-max von 299 km/h, Tachoskalenwerte zeigten dann nur noch zahme 280 statt 340 km/h an. Das war so Anfang der 2000er Jahre, meine ich.
2000 ist dann auch ein Wert, in Euro bemessen, wofür man eine gut gepflegte ZZR bekommen kann; eher das D-Modell, als das seltenere C-Modell – meiner persönlichen Meinung nach die hübschere Variante, vor allen in der Rot-Schwarzen Farbkombi.
Und genau so eine stand dann doch plötzlich in der heimischen Garage. Gut, ich war jetzt nicht Eigentümer aber zumindest temporärer Besitzer. Mit zunehmendem Alter bewahrheitet sich die Erkenntnis, dass man nicht alles sein Eigentum nennen muss was man sich an materiellen Dingen wünscht, um glücklich zu sein.

Genug der Philosophie, widmen wir uns der „Motor-Manie“. Einiges, im wartungs- und verschleißtechnischen Sinn musste an der ZZR erledigt werden und für die heiß ersehnte Probefahrt war noch etwas Geduld erforderlich. Nach Vergaserrevision & Co. erfolgte dann endlich der große „Ausritt“ und das bei allerschönstem Wetter.
Die Sitzposition auf der ZZR ist betont sportlich, der Kniewinkel bei 176 cm Körpergröße meinerseits aber recht angenehm. Sicherlich wäre Bremen/Malmö auf der GSX 1100 F, aufgrund der eher auf Tour ausgelegten Sitzposition, angenehmer abzuspulen.

Gute 84.000 km Laufleistung zeigt der Tachometer der Kawasaki schon an. Die Instrumente gefallen durch eine perfekte Anordnung, Qualität und hervorragende Ablesbarkeit. Eine Tankanzeige ist nicht vorhanden (die gab es dann später beim D-Modell), hier informiert eine Warnlampe über den zur Neige gehenden Kraftstoffvorrat.
Los geht’s, volle 150 PS verspricht der Fahrzeugschein und wie im großen Motorradtest aus dem Jahr 1991 schon festgestellt wurde, zieht der Motor sauber und ohne Einbrüche fast ab Standgasdrehzahl an. Dreht man das Triebwerk nur bis 6000 U/min, ist man schon recht zügig unterwegs und die lineare Kraftentwicklung, ohne jegliche Leistungseinbrüche, ist dabei echt angenehm.
Fahreindrücke im Jahr 2000: „Puh, ist schon etwas unhandlich das Ding“ entgegnet mir ein Motorradkumpel als er von meiner damaligen zweiten CBR 1000 F Dual absteigt, die er im kurzfristigen „Erfahrungsaustausch“ gegen seine Yamaha YZF 750 R wechselte. Respektive empfand ich das auch so und dies deckt sich hier ebenfalls mit den Ergebnissen des damaligen Motorradtest der 91er Modellvariante der Honda. Wiederum bestach der Motor der CBR durch den kultviertesten Motorlauf, wobei er aber auch Drehzahlen oberhalb von 6000 U/min benötigte, um entsprechend zügig in dieser Motorradklasse voranzukommen. Der Leistungscharakteristik einer GSX 1100 F attestierte man, dass es völlig egal ist welche Drehzahl am Motor ansteht, Leistung gibt es immer. Das Triebwerk der ZZR bestach dadurch, dass es in den oberen Drehzahlregionen noch an Leistung zulegte, während den Konkurrenten im Testfeld sprichwörtlich schon die Luft ausging. Dies spiegelt auch meine persönlichen Erfahrungen wider, die ich mit den drei Motorrädern in den ungedrosselten Motorvarianten hatte.

Als damals schon hervorstechendes Konstruktionsmerkmal liegt bei der ZZR die Steuerkette für den Ventiltrieb an der linken Seite des Motors, was eine optimale Gestaltung der Ansaugwege für die Gemisch Aufbereitung ermöglichte. Mit der Vorstellung der GPZ 900 R führte Kawasaki diese Anordnung des Nockenwellenantriebes ein. Nach und nach übernahm dann auch die Konkurrenz diese Bauweise.
Leergewicht 260 kg, verspricht der Fahrzeugschein der ZZR, etwas schwerer als die CBR aber leichter als die GSX. Erstaunlich leicht lässt sich die Kawasaki auch im Stand rangieren, man möchte meinen die Radlager laufen in einer extra Lage Teflon. Das spiegelt sich auch beim Handling in Fahrbetrieb wider: leichtfüßig, agil und stabil. Man kommt sehr schnell mit der ZZR zurecht, fühlt sich wohl auf ihr, spürt aber auch, dass sie mehr Sportler als Tourer ist, was sich am recht spärlichen Windschutz bei höheren Geschwindigkeiten bemerkbar macht. Mit einer Spoilerscheibe aus dem Zubehör lässt sich dieser sicherlich verbessern.

In der Preisgestaltung rangierte die Kawasaki mit 17.900 DM gemeinsam mit der CBR mit 17.795 auf einem höheren Niveau. Die Suzuki war mit 15.310 DM doch recht günstig. Der Vollständigkeit zuliebe wurden im Motorradtest die BMW K 100 RS mit 20.800 DM und die Triumph Trophy 1200 mit 18.600 DM angegeben. Die Yamaha rangierte mit 15.900 DM auf der Preisebene der GSX 1100 F. Eine ABS-Bremsanlage, heutzutage nicht mehr wegzudenken und mehr als sinnvoll, war optional lediglich für die BMW und die Yamaha erhältlich.
Lange ist es her, dass diese Motorräder neu und aktuell waren und mittlerweile ist doch einiges an Wasser durch den Dorfbach gerauscht. Meines Wissens liest man schon das eine oder andere Mal von einem defekten Getriebe bei der ZZR, was ich ohne Bewertung mal so stehen lassen möchte.

Das Exemplar, welches sich in meiner Garage einfand, mit eingangs erwähnten 84.000 km auf dem Tacho, zeigte hier keine Auffälligkeiten. Aus dem persönlichen Erfahrungsschatz konnte ich schon bei der kleinen Schwester ZZR 600 feststellen, dass sich mit der Zeit und unter dem Einfluss der stetigen Abstrahlwärme des Motors, die Airbox, also das Luftfiltergehäuse, so verzieht, dass es dem Motor leider ermöglicht wird, ungefilterte Luft anzusaugen, was unter anderem natürlich eine gewisse Funktionslosigkeit des RAM Air Systems zur Folge hat. 250 € kostet eine neue Airbox für die 1100er, die hier bei dem Exemplar in der heimischen Garage ebenfalls verzogen war. Eine zeitwertgerechte Reparatur ist mit etwas handwerklichem Geschick aber durchaus möglich. Ansonsten gestaltet sich die dicke Kawa als sehr reparaturfreundlich, was die Zugänglichkeit der Bauteile betrifft. Während man sich zum Beispiel bei einer GPX 600 R die Finger bricht, um den Vergaser irgendwie zwischen Luftfiltergehäuse und Fahrzeugrahmenzügen herauszufummeln, grinst einen die Vergaserbank bei der ZZR sprichwörtlich an, wenn Tank und Airbox abgebaut sind. Auch das Prüfen und Einstellen des Ventilspiels gestaltet sich echt easy: Zündspulen raus, Ventildeckel ab, Spiel messen und bei Einstellungsbedarf die Schlepphebel zur Seite schieben und das darunter aufliegende Ventileinstellplättchen, auch Ventilshim genannt, entsprechend austauschen, fertig.

Für meine Motorradfahrergeneration ist die ZZR 1100 gewiss ein Meilenstein und ich persönlich mag diese Big Bikes der 1990er Jahre – man ist halt damit „groß“ geworden und verbindet damit viele schöne Erinnerungen. Es ist aber auch nicht so, dass ich gegen neue Motorräder Vorbehalte habe und in der Vergangenheit verhaftet wäre – aber wenn das eigene Motorrad, mit welchem man schon etliche Jahre fährt und einen immer wieder begeistert und zufriedenstellt, haben es „Neue“ halt einfach schwer. ABS wäre aber schon prima.
Inzwischen ist es wieder mal Sommer, ich komme aus der Louis Filiale in Bremen (Hein Gericke ist längst Geschichte), ich benötigte noch Bremsflüssigkeit für die ZZR und während ich an meiner Suzuki aus dem Baujahr 1989 stehe und meine Sachen sortiere, blicke ich einige Meter entfernt auf eine Gruppe sehr junger Männer und Frauen, vielleicht so um die 22 Jahre jung und auch ihre Motorräder sind alles recht aktuelle Modelle. Zeit ist dann wohl doch nur eine ständige Wiederholung der Geschehnisse und die einzige Variabel ist die Perspektive – und zwar die der Eigenen.
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Kawasaki ZZR 1100 C, Bj. 1992”
Ich habe deinen Kommentar nicht nur gelesen, ich habe es genossen beim lesen!!!!!!