aus bma 08/06

von Jens Rademaker

Kawasaki ZZR 1400Der erste Eindruck entscheidet sehr viel, sei es nun zwischenmenschlich oder bei der Wahl des nächsten Motorrades. Wie wärs damit: Breites Grinsen, großer Schlund und sechs aggressiv leuchtende Augen. Ein Motorrad für deutsche Hände, das ursprünglich für den amerikanischen Markt entwickelt wurde. Auf der anderen Seite vom Teich heißt das gute Stück ZX-14, und damit sollte schon klar sein, in welche Reihe sich dies Gefährt einzugliedern weiß. Im Nachhinein stellt sich mir nur die Frage: „Was wollen die Amis damit?” Zur Erklärung kommt nun folgendes: Damals, wir schrieben das Jahr 1999, testeten wir die brachiale Dynamik der Suzuki Hayabusa. Zu schnell, zu stark und nicht zu bändigen klang es zu der Zeit aus vielen Ecken. Doch siehe da, sie fand ihr Plätzchen in den Herzen und auf der Bahn. Als Kawasaki anno 2000 mit der ZX-12 R nachlegte, verwies diese die Konkurrenz auf die hinteren Plätze. Es wurde also wieder mal Zeit, dachten sich die Designer in Akashi, das eigene Pferd im Stall zu übertrumpfen. Heraus kam die Kawasaki ZZR 1400.
Der gewählte Name für Deutschland ist dabei leicht mißverständlich, denn mit der ZZR 1200 hat die Neue kaum etwas gemeinsam. Allein das Äußere unterscheidet sich von der Zwölfer wie ein Gepard von der Hauskatze. Was sich unter der windschnittigen Verkleidung verbirgt, sind andere Welten. Der wassergekühlte Vierzylinder-Reihenmotor, der mit zwei Ausgleichswellen versehen wurde, ist eine komplette Neuentwicklung. Das Monocoque-Chassis aus Aluminium wurde extra für die Ansprüche der ZZR 1400 entworfen.

 

Beim ersten Aufsitzen machen sich die wenigen Gemeinsamkeiten mit der ZZR 1200 bemerkbar. Die Kawa wirkt sehr lang (obwohl der Radstand nur 1460 mm beträgt), und das Gewicht von 260 kg fahrfertig paßt auch eher zur Sporttourergruppe der ZZR 1200. Wie auch bei der Älteren bieten die großen Spiegel viel Rücksicht. Die Sitzposition ist sportlich orientiert (die Sitzhöhe beträgt lediglich 800 mm), und die Stummel schmiegen sich hervorragend in die Greifer des Testers.
Kawasaki ZZR 1400 Schluß mit dem Gerede, Schlüssel umgedreht und dem Aufleuchten aller Lampen und Anzeigen im Cockpit kurz zugeschaut, dann das Knöpfchen drücken, und grummelnd nimmt das Herzstück die Arbeit auf. Die ersten Meter ist man noch vorsichtig, denn schließlich warten unter dem Piloten 190 feurige Rösser darauf, von der Leine gelassen zu werden. Doch der vorsichtige Respekt ist völlig unbegründet, denn auf den ersten Kilometern auf der Bundesstraße zeigt sich das PS-Monster von der zahmen Seite. Die Gasannahme ist sauber und reagiert so, wie sie soll. Kein ständiges Durchdrehen des hinteren Sockens an jeder Ampel, denn im Drehzahlbereich unter 3000 Touren passiert fast gar nichts, im Bereich bis etwa 6500 U/min fühlt man sich recht wohl und hat genügend Druck für jede Lage. Hier zeigt die Kawa ihren größten Schwachpunkt: Wer bei Tempo 90 Überholen will, der schaltet besser in den vierten Gang zurück, damit er zügig am Vorrausfahrenden vorbeikommt, ansonsten wird der Überholweg unnötig lang, denn der Drehzahlmesser zeigt bei diesem Tempo im sechsten Gang gerade mal 2500 Touren an. Wer die Drehzahlbereiche jenseits der 6500er Marke erkunden will, der braucht eine freie Strecke, denn ab diesem Punkt erfährt man Beschleunigung pur. Also ab auf die Autobahn, und die Leistung mal richtig auskosten. Die Auffahrt nimmt man lässig im ersten oder zweiten Gang, dann ein kurzer Blick nach hinten und dann: Gasanschlag! Weniger als fünf Sekunden später überschreitet der Tacho die 200 km/h-Marke. Wenige ungezählte Sekunden darauf (der Tester war damit beschäftigt den Verkehr im Auge und die Kraft-Maschine unter Kontrolle zu halten) setzt der elektronische Begrenzer ein. Andere Sportmotorräder schaffen das auch, was die ZZR allerdings herausstechen läßt ist die Zeitspanne, die man benötigt um die Nadel von 200 auf 300 km/h zu bringen. Selbst bei Tempo 280 merkt man den Schub noch immer, und dieser ist nicht eben gering. Deutlich zeigt der Motor hierbei, daß er noch weiter will, als der Begrenzer zuläßt.
Auf der Strecke überholt die Realität nun all die Ungläubigen. Ob Stern, Ringe oder die Niere, alles wird zum Status des potentiellen Opfers degradiert. Wer bei Tempo 230 in den vierten Gang zurückschalten kann um mit der brachialen Gewalt einer Cruise Missle an den Beutetieren vorbeizupreschen, als befänden sie sich im Parkmodus, der sollte den Horizont im Auge behalten, denn dieser springt dem Raketenreiter mit aggressiver Brutalität ins Gesicht. Kawasaki ZZR 1400Der Zeiger des Tachos überfliegt die Striche bis zur Marke 300 (Nominell „nur“ 298) km/h, vergleichbar eines guten Sportwagens im Tempobereich 50 bis 120 km/h.
Also merke: Wecke nur dann den Drachen, wenn du ihn besiegen kannst, bzw. wenn die Straße auf weite Sicht frei ist. Nach dieser respekteinflößenden Erkenntnis sind nun die kurvigen Nebenstraßenqualitäten gefragt.
Trotz des nicht geringen Kampfgewichts bewegt sich „ZZR – the Hunter – 1400” leicht und präzise entlang der gewählten Linie durch die Kurven. Das vorsichtig dosierte Hinausbeschleunigen stellt sich gar nicht so schwer dar, denn das Aggregat reagiert wie gesagt recht sanft und gut dosierbar. Lediglich die Straßenverhältnisse im Wiehengebirge versetzen der agilen Fahrt einen Dämpfer durch dezente Regengüsse und nasses Laub auf dem Asphalt.
Als wahres Wunder stellen sich die Stopper heraus. Zur Betätigung der vorderen Anlage genügt der Zeigefinger. Der Druckpunkt ist sauber erfühlbar, und nach kurzer Bewegung des Fingers ist der Anschlag zur Vollbremsung erreicht. Das ABS setzt spät ein und ermöglicht sogar Stoppies (nur für erfahrene Piloten empfohlen). Das Fahrwerk wird mit jeder Situation spielend fertig, ob nun Hochgeschwindigkeit oder flottes Kurvengewirbel. Entscheidend tragen dazu zwei Punkte bei: Der Tank reicht bis weit unter die Sitzbank, wodurch der Schwerpunkt nach unten verlagert wird; die Ausgleichswellen lassen den Motor so ruhig laufen, daß dieser als tragendes Teil fest mit dem Rahmen verschraubt werden konnte und so zur besseren Steifigkeit beiträgt. Trotz der recht kurzen Federwege (vorne 117 mm, hinten 122 mm) bügelt das Fahrwerk (voll einstellbare 43mm USD-Telekopgabel, voll einstellbares Monofederbein) alles glatt, was Deutschlands Pisten zu bieten haben. Obwohl man auf den Einbau eines Lenkungsdämpfers verzichtet hat, zappelt die ZZR 1400 in keiner Situation.
Eher hochgewachsene Fahrer werden auf längerer Fahrt Beinprobleme bekommen, denn die Fußrasten sind hoch angebracht, was dann einen sehr engen Kniewinkel ergibt. Der Verbrauch von etwa 5,8 Litern Superbenzin auf 100 km verlockt da schon eher zu langen Touren. Bei der Autobahnhatz stört lediglich, daß die Verkleidungsscheibe etwas niedrig ist und man sich schon arg zusammenfalten muß, um dem gröbsten Wind zu entgehen. Pluspunkt ist hierbei, daß man mit keinerlei Verwirbelungen zu kämpfen hat. Wer also neckische 13.995 Euro (plus Nebenkosten) auszugeben gedenkt, nur noch nicht weiß wofür: Der macht sich am Besten auf zum Kawasaki-Vertragshändler, dort gibt es eine Geldanlage, die zum Spaß auch noch Adrenalin verspricht.
Bleibt die Frage offen, ob man so etwas unbedingt braucht: 200 PS (inkl. Ram-Air), fast 300 km/h. Von meiner Seite aus: Nicht wirklich. Aber mal ehrlich, Champagner, Testarossa, Fotohandy, DVD-Player, Navigationssystem usw., diese Sachen braucht man auch nicht wirklich, aber sie versüßen das Leben ungemein. Und somit sag ich: „Life is short, let’s live!”