aus bma 06/06

von Bernd Romeyke

„Upsala” schoß es mir durch den Kopf, als ich im Sommer 2002 mit meiner Aprilia SL 1000 Falco in Oschersleben die Schlüsselbeinkurve kennenlernte.
Dabei handelt es sich um jene, welche die Hatz auf der Zielgeraden einläutet und natürlich mit Wagemut genommen werden sollte. Und genau hier ist mir hübsch das Hinterrad weggegangen. Zwar konnte der Bodenkontakt vermieden werden, aber nachdem mir im Bruchteil einer Sekunde die Rechnung für die Sturzteile vor dem geistigen Auge erschienen ist, rollte ich auch schon auf dem Grünstreifen, ohne jeglichen Vortrieb, aus. Was war geschehen? Nun, als sich das Hinterrad wieder gefangen hatte, ist die Falco so durchgerüttelt worden, daß der Killschalter (Notaus-Sensor) das Schlimmste befürchten mußte und entsprechend seiner Existenzberechtigung handelte. Nach kurzem Aus- und wieder Einschalten der Zündung war aber alles wieder im grünen Bereich, und ich konnte die Fahrt fortsetzen.
Nichts desto trotz brachte mich dieses Erlebnis auf die Idee, mir eine „Rennhure” für kleines Geld zuzulegen, damit die neue Falco nicht urplötzlich beim Abwracker im Teileregal wiederzufinden ist.
Die Bemühungen, an eine taugliche Yamaha FZR 1000 zu gelangen, scheiterten allesamt. So kam es, daß ich eines Tages auf eine Kawasaki ZXR 750, Typ J, stieß, und das auch noch für einen handfesten Preis. Die leichten Mängel, die die ZXR haben sollte, konnte ich mir ja vor Ort anschauen. Hauptsache, das Motorrad läuft halbwegs.

 

Als ich dann bei dem Privatverkäufer auf dem Hof stand, war ich mir auf einmal gar nicht mehr so sicher. Von irgendwelchen Mängeln wußte ich zwar, von der lila-türkis-grünen Lackierung mit Kratzern auch, aber daß das alles so erheblich ausfallen sollte, ahnte ich nicht. Außerdem hatte ich mal gehört, daß die Kawa über die obligatorischen „Staubsauberschläuche“ auf dem Tank verfügen sollte. Die lagen nun in einem Karton voller Kleinteile neben dem Motorrad, während den Scheinwerfer die Reste einer sorgsam verstümmelten Verkleidung umgaben. Auf Anfrage sagte der Verkäufer, daß aus der Kawa mal ein Streetfighter werden sollte. Daher wurde mit dem Fuchsschwanz alles grobschlächtig abgesägt, was irgendwie nach Vollverkleidung aussah.
Da die Kawasaki aber erst 28000 km gelaufen hatte und vom Motor her noch recht gut klang, konnte ich den Preis aufgrund der optischen Verunstaltungen nochmals drücken und schlug zu. Verkleidungsteile würde ich schon irgendwo herbekommen, Farbe egal, da eh für die Renne. Mit Tape und Kabelbinder stellte ich aus den Resten wieder eine Art Verkleidung her und fuhr mit dem noch auf den Vorbesitzer zugelassenen Motorrad Richtung Heimat. „Möönsch, fährt sich gar nicht schlecht, so ein Vierer”, dachte ich bei mir als eigentlich eingefleischter Fan italienischer Zweizylinder.
Zuhause angekommen montierte ich die Blinker, und als es Abend war, fuhr ich noch schnell eine Runde ums Dorf. Ich hatte gerade das Ortsschild passiert, da schwanden die Drehzahlen und schließlich stand ich ganz! Da ich im Dunklen nicht feststellen konnte, woran die Kawa gestorben war, blieb mir nichts anderes übrig, als 6 km wieder nach Hause zu schieben. Am nächsten Tag begann die Fehlersuche. Daß sie auch einen ganzen Tag dauern würde, ahnte ich nicht. Ohne wirkliches Fachwissen oder gar ein Handbuch über die ZXR zu haben, begann ich zu stöbern, zerlegte fast das ganze Krad und fand nichts. Kurz davor, den Hobel auch ohne Rennstrecke verschrotten zu wollen, stieß ich auf ein leicht geöffnetes Sicherungskästchen mit einer sich darin befindlichen durchgebrannten Stecksicherung. Und nun, werter Leser, denken Sie sich bitte den Rest. Genau! Die Sicherung war für die Benzinpumpe zuständig, welche folglich nicht mehr pumpte! Das war´s. Von der Kawa bedient, meldete ich sie ab und schob sie in die hinterste Garagenecke.
Über den Winter begann ich dann, die fehlenden Teile des Motorrades im Internet und bei diversen Dorfhändlern zu sammeln, so daß ich den ersten Rennstreckentermin in Oschersleben 2003 mitnehmen konnte. Das Motorrad lief halbwegs zuverlässig und war reif für die Rennstreckenpremiere. Leider war das Training in Oschersleben so verregnet, daß ich kaum zum Fahren kam. Das wollte ich bei einem anderen Termin am Sachsenring nachholen. Bei 30° Celsius Tagestemperatur drehte ich dann meine Runden völlig entspannt, vernaschte noch einen Kumpel auf seiner 748 und freute mich tierisch darüber. Also doch fahrbar, die Kawa! Und wenn’s Moped hinfällt, eh egal. Aber die Kawasaki fiel nicht. Sie schlug sich sogar recht tapfer, und ich brachte sie in einem Stück wieder nach Hause, schaute lange auf sie hinab, länger und länger.
Nun, liebe Leserinnen und Leser, gehören Sie auch zu denjenigen, die jede Schraube weg legen, denn man könnte sie ja irgendwann mal brauchen, die keinem Metallteil irgendein Leid zufügen können, die sich wie ich an einer unaufgeräumten Motorradwerkstatt erlaben? Ja? Dann verstehen Sie mich nun sicherlich. Denn auf einmal kam mir der Gedanke, daß die Kawa für die Renne viel zu schade sei. Also faßte ich den Plan, das gute Stück wieder für den Alltagsgebrauch herzurichten. Ich besorgte mir Unterlagen und los ging es. Lackieren, schrauben, abstimmen, putzen, testen, schrauben, nochmal testen, anmelden und fahren. Ja, die Kawa macht wirklich unheimlichen Spaß, auch wenn es ein altes Motorrad mit nur 101 PS ist. Ich fuhr die ZXR eine Saison anstelle der Falco. Nachdem die Kawa zwei- bis dreimal bei der Ausfahrt verreckte, konnten alle Fehler, die hauptsächlich durch Verbastelungen in der Elektrik entstanden waren, beseitigt werden. Es kam sogar soweit, daß ich das Motorrad richtig lieb gewann, denn sie lief von nun an ohne irgendeinen Defekt. Mittlerweile bin ich bei knappen 60000 km und habe nur Verschleißteile gewechselt und die Ventile alle 10000 km eingestellt. Denjenigen, die es interessiert, kann ich die ZXR durchaus empfehlen. Man bekommt einen reellen Sportler für nicht allzuviel Geld, wobei ich mir einbilde, daß die J Modelle im Gegensatz zu den Vorgängern H1 und H2, welche sich seinerzeit noch mit mehr Kinderkrankheiten rumschlagen mußten, etwas im Gebrauchtpreis stagnieren.
Ansonsten liegt die Antwort auf Suzukis GSX-R 750 ein gutes Verhalten an den Tag. Vom Fahrwerk sollte man nicht zuviel erwarten. Früher galt das Motto „hart, härter, ZXR”, wobei die Federelemente lediglich in Zugstufe und Federvorspannung verstellbar sind und vom heutigen Standpunkt der Technik aus als eher unsensibel eingestuft werden können. Etwas geschmeidiger wird die Gabel unter Verwendung von Gabelöl mit geringerer Viskosität, wobei Rennstreckenambitionierte beim Bremsen schon mal in Kauf nehmen müssen, daß die Gabel auf Block schlägt. Leider!
Die Handlichkeit ist ür ein ca. 230 kg schweres Motorrad noch ok. Moderne Bereifung wie z.B. Conti Sport Attack oder Michelin Pilot Power fördern diese noch etwas. Dafür liegt die ZXR aber äußerst stabil in jeder Schräglage, und das auch noch recht transparent, was das Gefühl für den Grenzbereich anbelangt. Die Sitzhaltung ist selbstverständlich sportlich orientiert, was langläufiger Meinung zum Trotz nicht heißt, man könne keine längeren Strecken fahren. Das Körpergewicht, was die Hände abstützen, kann den Hintern schließlich nicht breit drücken. Man gewöhnt sich schließlich an vieles.
Der Motor war für damalige Verhältnisse eine echte Drehleier: Ab 6500 U/min gibt’s merklich Schub, bis bei 12000 U/min der Begrenzer eingreift. Der Bereich unter 6500 U/min ist für die gemütlicheren Zeitgenossen und für den Stadtverkehr da. Der Verbrauch pendelt sich, zumindest bei meiner Kawa, dann so um die 5,5 l ein. Wer die Gleichdruckvergaser aufzieht, erntet dem- entsprechend mehr Schub und auch Normalbenzindurchsatz. Aber eines sei gleich gesagt: Mit einem 14 Jahre alten Motorrad wird kaum mehr ein Blumentopf zu gewinnen sein, zumindest nicht in der Beschleunigung. Wer mehr will, braucht ein anderes Motorrad, denn Tunigmaßnahmen sind bei der „J” weitestgehend ineffizient und würden den Kostenrahmen im Verhältnis zum Anschaffungspreis sprengen. Dafür ist der im Gegensatz zu dem auf dem GPZ 750 basierenden H1+2 Motor eine absolute Weiterentwicklung. Der J-Motor wurde erstmalig mit einer Kipphebelwelle anstatt Tassenstößeln im Zylinderkopf ausgestattet, was das Einstellen des Ventiltriebes ungemein erleichter, da somit der Ausbau der Nockenwellen entfallen kann. Zum Getriebe ist eigentlich nicht viel zu sagen. Es funktioniert unauffällig und zuverlässig. Die Gänge lassen sich relativ leicht einlegen. Einzig bei betagteren ZXR kann es passieren, daß beim schnellen Hochschalten in höheren Drehzahlregionen vor allem mal der zweite Gang heraus hüpft. Grund hierfür ist der fortgeschrittene Verschleiß an den Schaltgabeln. Erwähnenswert ist, daß die Kupplung des J-Motors über eine technische Einrichtung verfügt, die sich von der Wirkung her ähnlich einer Rutschkupplung verhält. Man verbaute seinerzeit eine Feder, die beim Herunterschalten die übertragene Energie des Hinterrades aufnimmt und somit das Stempeln verhindert.
Die Bremsen sind auch ok, aber nichts Spektakuläres. Viele Kawas, darunter auch meine, quietschen beim Abbremsen sehr unangenehm. An dieser Stelle sei gleich gesagt, daß das Vermessen der Bremsscheiben auf eventuelle Unregelmäßigkeiten keine plausible Erklärung brachte. Tips zur Beseitung dieses Phänomens gibt’s viele. Ich habe für mich als die befriedigenste Lösung den Umbau der Bremsscheiben auf vollschwimmende Floater entschieden. Das Problem ist nun dauerhaft beseitigt. Außerdem habe ich die Bremspumpe, welche zu Fading neigte, gegen eine von der Suzuki GSX-R 1000 K4 ausgetauscht. Die Teile ähneln sich sehr, aber die Pumpleistung hat sich doch sehr zum Positiven gewandelt.
Ansonsten kann ich sagen, daß ich mit der ZXR sehr zufrieden bin. Wer einen tauglichen Gebrauchtsportler sucht, ist mit der Kawa nicht schlecht bedient. Ein weiterer Grund dafür ist die Schrauberfreundlichkeit, die dieses Motorrad an den Tag legt und bei den Mätzchen mancher Exemplare auch legen sollte. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, daß eine gepflegte und technisch mit Verstand gewartete ZXR problemlos läuft. Außerdem sorgen die obligatorischen Staubsaugerschläuche dafür, daß das Modell eventuell schon bald ein ganz kleines Kultbike werden könnte?! Teile gibt es satt und teuer sind sie auch nicht. Und wer sonst noch Tips zu Technik oder sonstigem braucht, wird unter www.ZXR750.de beraten. Ich für meinen Teil werde meine Kawa auf jeden Fall bis auf unbestimmt mein Eigen nennen, denn das hat sie sich verdient!