aus bma 09/07

von Jens Rademaker

Kawasaki ZX-6R (Mod. 2007) Das Bansenshukai, die älteste erhaltene Ninjutsu-Enzyklopädie sagt, daß ein wahrer Schattenkrieger harmonisch mit der Umwelt verkehrt und sein intuitives Feingefühl so weit entwickelt, daß er den Lauf der Dinge des Universums erkennen und sich ihnen anpassen kann. Kurz gesagt: Alles Unwesentliche aus dem Leben entfernen, um fähig zu werden sich zwischen den Reichen der Helligkeit und der Dunkelheit frei zu bewegen.
Das erste Unwesentliche, von dem sich die Ingenieure bei der Entwicklung der neuen ZX-6R trennten, waren die überschüssigen 37ccm (wie im Motor der alten ZX-6R) um wieder die wettkampftauglichen 599ccm vorweisen zu können. Und der Wettkampffaktor spielt bei der neuen 6er Ninja eine bedeutende Rolle, denn eins schon mal vorweg: Die ZX-6R Modell 2007, ist für die Anforderungen auf der Rennstrecke entworfen worden. Das heißt nicht, daß sie auf der Straße nichts zu suchen hat, sondern, daß man ihr volles Potential nur auf einem Rundkurs ausnutzen kann und sollte.
Die erste Inaugenscheinnahme des kleinen Schattenkriegers offenbart viele Neuerungen. Für alle, die das Technische nicht interessiert, hier die kurze Zusammenfassung: Viel Neues, viel Cooles. Nun bitte auf Seite 08 weiter lesen, dort kommt die Praxis. Für alle Anderen: Auf ans Eingemachte! Kawasaki hat hier ein Motorrad entwickelt um Rundenrekorde aufzustellen und Preise abzuräumen.
Der komplett neuentwickelte Motor ist nun wesentlich kompakter und hält die Massen so besser zusammen. Kompakter heißt hier 40 mm kürzer und ebenso 40 mm schmaler. Das neue Triebwerk leistet 125 Pferdestärken, und mit Ram-Air-Einsatz sollen sogar 131 PS auf die Straße gebracht werden. Die flachere Kraftstoffpumpe ist gleichzeitig auch noch leichter geworden. Polierte Ansaugkanäle optimieren nun die Strömung des Kraftstoff-Luftgemisches. Die extrem leichten Nockenwellen kommen direkt aus dem Renneinsatz und sorgen für das Plus an Leistung im mittleren und oberen Drehzahlbereich. Der Auspuff unter der Sitzschale ist ja nichts Neues mehr, der von der Ninja erfüllt aber die Euro-III-Norm, ohne die Leistung des 599 ccm-Motors zu beschneiden. Der Sammler für die verbrauchte Luft versteckt sich unter dem Motor und senkt somit den Schwerpunkt noch weiter. Auch bei dieser Ninja hat Kawasaki nicht auf den Back-Torque Limiter verzichtet, somit bleibt das Hinterradstempeln für Ninja-Treiber weiterhin ein Fremdwort. Das die 41 mm Upside-Down-Gabel komplett einstellbar ist, wundert niemanden mehr. Das Bottom-Link-Uni-Trak-Federbein bietet ebenso alles, was man braucht (Federvorspannung, stufenlos einstellbare Druck- und 25-fach einstellbare Zugstufendämpfung).

 

Kawasaki ZX-6R (Mod. 2007) Zur Verzögerung bedient man sich vorn zwei gelochter, halbschwimmend gelagerter 300 mm messender Bremsscheiben im Petal-Design und den radial montierten Nissin Vierkolbenzangen. Hinten findet sich das kleinere Gegenstück, nämlich 210 mm, ebenfalls im Petal-Design (ähnlich dem Wave-Design, nur dezenter geschwungen). Doch zugelegt hat die 6er auch: So wurde am Fahrwerk fleißig gebastelt und heraus kam ein Radstand von 1405 mm (statt früher 1390 mm) und ein Nachlauf von 110 mm (früher 106 mm). Das Trockengewicht stieg mal eben auf 167 Kilogramm, was im Vergleich zu den direkten Gegnern fast als kolossal zu bezeichnen ist.
Jetzt aber raufgesetzt und abgedüst. Der Akashi Bike Store in Bremen, Tel. 0421/936060 stellte uns die kleine Ninja für ein paar ausgesucht Testkilometer zur Verfügung, na dann mal los. Die ersten Kilometer zeigen die erste Umbaumaßnahme: Die Verkleidungsscheibe. Ich bin zwar nicht besonders lang gewachsen, aber wenn ich den oberen Bereich der Instrumententafel nur unter Quasimodo-Bedingungen sehen kann (Immerhin alle Drehzahlen über 13.500, also da wo es richtig spannend wird), was machen dann erst Ninja-Piloten über 1,80 m Längenmaß? Eine Racingscheibe sollte hier Problemlos Abhilfe schaffen, und auf lange Sicht kommt man eh nicht umhin, sie für die Rennstrecke zu optimieren. Bleiben wir beim Cockpit: Der analoge Drehzahlmesser dominiert das Geschehen. Der digitale Anteil der Infotafel besticht durch seinen gut abzulesenden Tachometer. Die digitale Ganganzeige im Drehzahlmesser ist ein cooles Feature, manchmal aber nur schwer zu erkennen.
Kawasaki ZX-6R (Mod. 2007) Der Rest der Maschine sitzt einfach perfekt. Das Chassis ist straff und die Kurvenlage auf Landstraßen unserer Breitengrade einfach genial. Mit der 600er ist man immer Herr der Lage, und sie bietet immer und überall noch Reserven, aus denen man schöpfen kann, wenn es mal eng wird. Beschleunigen wird zum Genuß, wenn sich die Drehzahlen jenseits der 10.000 bewegen und dem Doppelrohr im Heck ein gieriges Fauchen entweicht. Die Gänge rasten präzise ein, und Lastwechsel sind der Kawasaki fremd. Doch nun zum inzwischen ja bekannten ADAC-Fahrsicherheitszentrum in Lüneburg, um die ZX-6R in ihren natürlichen Lebensraum (oder zumindest an-nähernd) zu entlassen.
Der Motor zieht wunderbar gleichmäßig durch und wird dabei vom satten Sound aus dem Dämpfer begleitet. Die Bremsanlage ist feinfühlig und packt beherzt zu. Mit jedem Anbremsen lernen wir die Anlage mehr zu lieben. Das Fahrwerk bietet hervorragende Stabilität und fängt alles auf, was man ihm entgegenwirft. Der Leistungseinsatz am Kurvenausgang kommt nicht schlagartig, und somit bleibt die Linienwahl genauso wie geplant. Besonders erwähnenswert wäre da noch der weich einsetzende Drehzahlbegrenzer: Die Motorsteuerung regelt die Leistung am Ende des Drehzahlbandes sanft etwas herunter und ermahnt so zum Schalten (OK, das macht der hektisch blinkende Schaltblitz auch, aber manchmal sind die Augen, einschließlich Winkel, woanders…). Die ZX-6R läßt sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen. Nach dem kurzen Regenguß am Vormittag wartet man nur darauf, daß die Strecke endlich trockener wird. Als dann die Sonne zaghaft blinzelt, werden die Zeiträume, an denen man den Fotografen passiert, immer kürzer. Schnell reihen sich die Runden aneinander, und das Vertrauen in die Maschine wächst proportional zu den gefahrenen Kurven.
Die Kawasaki ZX-6R Ninja ist fast die eierlegende Wollmilchsau, denn sie ist „die” Wahl für Rennstreckenjunkies und ebenso für den „Ich fahr höchstens 1000 km im Jahr” Gelegenheitsfahrer, bzw. für Frischfleisch, denn ihre super Straßenlage und die einzigartige Kombination von Motor, Kupplung, und Bremse gleicht sie fast alle Fahrfehler aus. Außerdem kann man sie auch mit 98 oder gar 34 PS-Drosselsatz bekommen. Man muß nur noch die Kleinigkeit von 10.665 Euro zuzüglich Nebenkosten auf den Tresen hauen, und schon ist Green X-Mas.