Kawasaki ZX10R Modell 2016Das sportliche Image pflegt Kawasaki schon lange. Mit dem aktuellen Sport-Flaggschiff ZX-10R legten die Grünen aus Akashi ihre Messlatte ein wenig höher. Michael von Aspahltsüchtig hat sie für uns gefahren …

aus Kradblatt 8/16
von Michael Praschak, www.asphalt-süchtig.de

 

Kawasaki ZX-10R, Modell 2016

Kawasaki ZX10R Modell 2016Irgendwie stand ich schon immer auf Grün. Mein erstes Mopped war 1997 eine grüne Simson S51 B und obwohl ich diese schon kurz darauf gegen eine silbergrauer 125er Schönheit aus Noale tauschte, war es mit Vollendung des 18. Lebensjahres keine Aprilia RSV Mille, die zum unbedingten Objekt der Begierde wurde, sondern eine grün-lila lackierte Kawasaki ZX-6R, Modell G.

Als es dann 2003 leise Gerüchte um ein 1000er Superbike aus Akashi gab, war die Vorfreude groß. Noch größer war dann allerdings die Enttäuschung, als die ersten Bilder veröffentlicht wurden. Die ZX-10R kam zwar auch wieder im typischen Kawa-Grün, den Rest fand ich optisch anfangs aber irgendwie nicht so geil. 2005 kaufte ich mir dann trotzdem eine. Aus ästhetischen Gründen schlug mein Herz damals zwar für Yamahas R1 – Sitzposition, Fahrverhalten, Motorcharakteristik und ein unschlagbares Angebot ließen mich dann aber doch zur Kawa greifen. Eine Vernunft­entscheidung sozusagen. Danach verschwanden die neuen Kawasaki-Modelle erst von meinem Radar und anschließend auch die Marke aus der Königsklasse.

Kawasaki ZX10R Mit der Waffe aus Akashi zu den Waffenschmieden nach EisenachDie Wende kam dann 2011, als Kawasaki mit einem komplett neuen Design nicht nur optisch wieder punkten konnte, sondern auch mit nominell 200 PS, einer serienmäßigen Traktionskontrolle und einem optionalen ABS zur Konkurrenz aufschloss.

Nun schicken die Grünen die nächste Evolutionsstufe ins Rennen und auf die Straße und neben zwei WM sowie einem Vize-Weltmeistertitel aus den vergangenen 3 Jahren hat sie jede Menge technischer Neuerungen im Gepäck, die direkt aus den Erfahrungen aus der Super­bike-WM abgeleitet sind.

Kawasaki ZX10R Infozentrale 2016 nur minimal veraendertDoch wie schlägt sich die neue Waffe aus Akashi mit Spiegeln, Blinkern und Euro-4-Abgasanlage auf öffentlichen Straßen und damit abseits ihres angestammten Reviers? Ist sie ein reinrassiges Renneisen, das zwar auf dem Kringel alles herzubrennen vermag, im Alltag aber nur für Masochisten taugt? Oder schafft sie den Spagat zwischen Bestzeit und Brötchen holen? Um diese Frage zu beantworten, ging es für unsere Test-Zehner 1500 km dahin, wo sie wohl am meisten bewegt werden wird – auf deutsche Landstraßen.

In der Regel muss ich mich an Neuvorstellungen immer erst gewöhnen. Normalerweise bekommt man neue Moppeds zuerst im Internet oder in Magazinen zu sehen und meistens bin ich dann mit dem neuen Design erst mal unzufrieden. So ging es mir bei der neuen BMW, bei der R1 und so war es auch bei der Zehner. Hier stört mich bei der Präsentation das wenig schlanke Design und der Verkleidungsfortsatz an der Front. Aber auch diesmal war es wie immer: Eigentlich alles gar nicht so schlimm. Im Gegenteil.

Kawasaki ZX10R Blinker und Kennzeichenhalter gibt es in schoenerZum einen dienen auch die optischen Änderungen der Performance­steigerung, was ich per se fast immer gut finde, zum anderen wirkt die Kawa live lange nicht so klobig, wie es auf den Bildern scheint. Und während die neue Yam oder die Panigale durch ihre modernen, scharf geschnittenen Züge punkten, führt Kawa die Linie des Vorgängermodelles fort. Ein etwas böserer Blick, eine etwas ausladendere Kanzel, sonst scheint sich beim Design nicht viel getan zu haben. Ok, da ist noch der geänderte Auspuff und das neu gestaltete Heck, sonst ist die Form vertraut. Daran ändern auch die neue, hochwertigere Lackierung und das aggressivere Aufkleber-Dekor nichts. Gleicher Rahmen, gleicher Tank, gleiches Cockpit. Selbst im Direktvergleich alt gegen neu fällt vor allem auf, dass selbst die Fußrastenanlage und die Motordeckel der Ahnin gleichen, wie ein Ei dem anderen. Aber der Eindruck täuscht.

Die augenscheinlichste Veränderung ist mit Sicherheit die neue Showa Gasdruckgabel an der Front, die durch den roten Ausgleichsbehälter nicht nur ziemlich cool und rennmäßig aussieht, sondern die so das erste Mal überhaupt in der Serienproduktion zum Einsatz kommt. Direkt daneben werkeln etwas unauffälliger, aber nicht weniger spektakulär, Brembo M50 Sättel und beißen bei Bedarf mit Vehemenz in 330er Bremsscheiben.
Während die Front etwa ausladender ist, scheint das schwarzgrüne Kleidchen auf den ersten Blick zwar unverändert, ist aber sogar etwas knapper geschnitten und gibt so mehr tiefere Einblicke in den Bereich, in dem die meisten Veränderungen vorgenommen wurden. Denn auch wenn der Motor äußerlich dem Vorgänger gleicht, hat sich hinter den Deckeln einiges getan. So zeichnet sich das 2016er Modell durch eine größere Airbox und neue Drosselklappen aus, Zylinderkopf, Brennräume und Kolben wurden überarbeitet und auch die Kurbelwelle blieb nicht unangetastet.

Und wenn man der jungen Dame gerade so in den Ausschnitt schaut, sollte man auch die Abgasanlage eines Blickes würdigen. Denn Krümmer und Endschalldämpfer sind aus feinstem Titan und kompensieren so das Gewicht des neuen Vorschalldämpfers. Dieser wurde durch die kommende Euro-4 Norm nötig, die ab 2017 für alle neuen Motorräder Pflicht wird. Dank der vielen Änderungen verspricht Kawasaki trotz der neuen Emissionsvorgaben stolze 200 PS im Serientrimm.

Kawasaki ZX10R Mit der Gruenen ins GrueneDamit man die Ponys auch gut im Griff hat, wurde das Elektronikpaket umfangreich überarbeitet und erweitert. Die ehemals dreistufige Traktionskontrolle verfügt nun über fünf Regelstufen und eine Bosch IMU (Inertial Measurement Unit). So erkennt das System ab 2016 auch Bewegungen um die Längs- (Schräglage) und Querachse (Wheelies/Stoppies), bezieht diese in die Berechnungen mit ein und macht das System voll renntauglich. Während Stufe 5 alles wegregelt, was irgendwie an ein Rutschen erinnern könnte, lässt Stufe eins sogar lange Drifts am Kurvenausgang sowie ausgeprägte Wheelies über Kuppen und beim Beschleunigen zu. Geil! Da sich das zugehörige ABS im Gegensatz zur TC aber nur mit einem externen Dongle und nicht über die Bord­elektronik abschalten lässt und das System recht konservativ regelt, werden Stoppies immer unterbunden. Nicht so geil. Der Rest der Haben-Liste macht mit programmierbarem Schaltblitz, einstellbarer Launch-Control, regulierbarer Motorbremse(!), drei Motormappings und einem Schaltautomat wunschlos glücklich. Na ja, fast. Ein Schaltautomat mit Blipperfunktion wäre noch schöner gewesen. Den gibt´s aber – genau wie das einstellbare ABS – nur in der Kawasaki-Kit-Version.

Kawasaki ZX10R linksAber eigentlich spielt das für unseren Test alles kaum eine Rolle. Denn seien wir mal ehrlich: Launch-Control, 200 PS Top-End-Leistung und zwei WM-Titel sind zwar gut fürs Ego, aber im Alltagsgebrauch völlig irrelevant. Umso schöner war dann die Erfahrung beim ersten Aufsitzen und auf den einführenden Autobahnkilometern. Die Zehner empfängt den Piloten in einer überraschend komfortablen Sitzposition. Man sitzt nicht wirklich auf dem Motorrad, aber auch nicht wirklich drin, die Füße und Beine finden wie von allein auf die Rasten und in die Tankmulde und Arme und Handgelenke müssen erstaunlich wenig Gewicht tragen. So entspannt fährt man also Weltmeistertitel ein.

Kawasaki ZX10R gestripptDer positive Eindruck setzt sich auch bei höheren Autobahngeschwindigkeiten fort, denn hier macht sich zusätzlich noch die, hinsichtlich Aerodynamik optimierte, Frontverkleidung bemerkbar. Die ist etwas ausladender und bietet mit der höheren Scheibe so guten Windschutz, dass sich die Fahrt bis 150 km/h mehr oder weniger so anfühlt, als bummle man einfach so vor sich hin.

Die Autobahnetappe offenbarte dann aber auch ein kleines Manko. Das Kombiinstrument wurde fast unverändert aus dem Vorgängermodell übernommen und man merkt ihm die fünf Jahre Altersunterschied zu modernen Dashboards deutlich an. Von Tageskilometerstand bis Traktionskontrolle und von Motormapping bis Momentanverbrauch bekommt der Fahrer hier zwar fast alles angezeigt, was vor und während der Fahrt von Bedeutung ist. Die angezeigten Symbole sind aber teils so klein, dass man wirklich sehr genau hinschauen muss, was da elektronisch gerade Sache ist. Und apropos Momentanverbrauch: Der Bordcomputer aktualisiert zwar alle drei Sekunden Status Quo und ich weiß jetzt, dass die Zehner bei 230 km/h 10,8 Liter und bei 100 km/h nur 4,1 Liter verbraucht, wie weit ich mit der aktuellen Tankfüllung noch komme, verrät einem das Motorrad aber nicht. Da wäre mir eine schnöde Balkenanzeige lieber gewesen. Aber, keine Angst: Eine Reserveleuchte gibt es natürlich.

Kawasaki ZX10R Der einzige wirkliche Haken an der Zehner schafft den Spagat zwischen Rennstrecken und TourentauglichkeitNachdem das Thema Autobahn schon frühzeitig abgehakt werden konnte, nutze ich die Kawa in den ersten Tagen als reines Alltagsmopped. Ich fuhr damit zum Einkaufen, zum Grillen, in den Park.
Drei Dinge sind hier besonders aufgefallen. Nummer eins ist das in der Übersetzung geänderte Getriebe. Wie schon beim Vorgängermodell ist der erste Gang sehr lang übersetzt, die Gangstufen 2 bis 6 sind aber näher zusammengerückt. Das sorgt dafür, dass man auch bei Dreißig noch entspannt im ersten Gang umherrollen kann, ohne den Fußgängern mit hohen Drehzahlen auf den Sa.., äähh, die Passanten zu belästigen. Durch das enger gestufte Getriebe kann man aber auch im fünften Gang völlig relaxt mit Innenstadttempo umherrollen, ohne dass beim Gasanlegen böse auf der Kette rumgehackt wird. Zweiter auffälliger Punkt: die geringe Motorleistung unter 5000 Touren. In Kombination mit dem sehr langen ersten Gang unterbindet die Zehner so leider den lässigen Understatement-Ampelstart. Souverän, mit niedriger Drehzahl, den Dosen ab dem ersten Meter davon surfen ist leider nicht. Um zügig vom Fleck zu kommen, braucht es Drehzahl und das kostet definitiv Coolness-Punkte.

Kawasaki ZX10R Brembo M50 330er Bremsscheiben und GasdruckgabelDie holte die Grüne mit Punkt drei aber locker wieder rein: Dem Superbike-Auftritt.
Egal, ob vorm Supermarkt, beim Tankstopp, oder an der roten Ampel, fast bei jeder Gelegenheit wurde ich auf das Motorrad angesprochen. Auch beim Sound muss sie sich keinesfalls verstecken. Trotz Euro 4 ist der Klang der Neuen rauer und bassiger als der der Vorgängerin, was sie schon bei Standgas sehr angriffslustig erscheinen lässt.

Die Zehner ist aber nicht nur gut fürs Ego und die Ohren, sondern glänzt natürlich auch in den Disziplinen Hausstrecke und vor allem auf der Langstrecke. Dass man mit einem Brenneisen neuester Generation auf vertrautem Terrain den Dicken markieren kann, wird jetzt nicht wirklich überraschen und so verhält es sich auch bei der ZX-10R. Solange das Geläuf von guter Qualität ist, ist sie eine absolute Macht. Das straffe Fahrwerk bietet enorm viel Rückmeldung, ohne Gesäß und Rücken überzustrapazieren und trotz ihrer mächtigen Erscheinung ist die Kawa extrem agil, winkelt spielend ab und zieht satt durch die Radien.

Kawasaki ZX10R Modell 2016 FrontZU eng sollte es aber nicht werden, denn die Kombination aus lang übersetzten erstem Gang und wenig Leistung bei niedrigen Drehzahlen ist in langsamen Kehren eine echte Spaßbremse. Dass man bei Sportlern in solchen Situationen mal die Kupplung zur Hilfe nehmen muss, ist nichts Neues. Dass man mit einem ganzen Liter Hubraum anschließend aber nicht aus dem Quark kommt, ist da schon eher eine Überraschung. Da dies aber das einzige Manko ist, das während der engagierten Landstraßenhatz die Freude etwas trübt, ist das locker zu verschmerzen.

Doch auch wenn Kawasaki die 2016er Zehner auf Sport getrimmt und als neues Eisen im Kampf um die Superbikekrone geschmiedet hat, überrascht das Motorrad vor allem auf den Distanzen, die weit über den schnellen Turn oder die Fahrt zum Motorradtreff hinausgehen. Und ein kleines Detail an den Soziusrasten verrät, dass selbst die Kawasaki Ingenieure nicht nur die Rennstrecke im Sinn hatten. Hier findet man nämlich Befestigungshaken für Gepäckrolle und Co.

Launch-Control, Gasdruckgabel, Schalt­automat – die neue Zehner bringt alles mit, was man braucht, um direkt aus der Kiste auf die Piste starten zu können. Dank ihrer ausgewogenen Sitzposition und dem hervorragenden Windschutz kann sie auch auf der Landstraße überzeugen. Kann man die Tatsache verschmerzen, dass man Nebenstraßen der dritten Kategorie und Bergsträßchen mit Serpentinen eher nicht in längere Touren einplanen sollte, hat die Zehner auf jeden Fall Wollmilchsau-Charakter. Es fehlen zwar die Eier, aber wer ist schon perfekt.