aus bma 08/01

von Klaus Herder

ZRX 1200 SKawasaki-Händler haben es zur Zeit nicht leicht. Die deutschen Grünkittel haben arg darunter zu leiden, dass ihre japanische Mutter in jüngster Vergangenheit modellpolitisch ziemlich viele Fehler machte. Beispiele gefällig? Entweder kamen neue Kawas zu spät (ZX-12R), in falscher Verpackung (Drifter) oder gar nicht (Reise-Enduro, großer Tourer). Zum allgemeinen Marketing-Chaos passte es da doch ganz gut, dass ausgerechnet die gelungene und durchaus erfolgreiche ZRX 1100 Anfang 2001 eine Nachfolgerin bekam. Kaum ein anderes Kawasaki-Modell hätte eine Modellpflege weniger nötig gehabt, aber das kernige Fast-Naked-Bike feierte bereits 1996 Premiere und war damit nach Einschätzung der Kawasaki-Strategen wohl dringend modellpflegebedürftig.
So kam es also zur neuen ZRX, die es in drei Ausführungen gibt. Die nackte Basis-Version mit Rundscheinwerfer heißt ZRX 1200 und kostet 17.720 Mark. Die 500 Mark teurere ZRX 1200 R trägt eine winzige Cockpitverkleidung mit Rechteckscheinwerfer und erinnert an die Superbikes, mit denen ein Eddie Lawson Anfang der achtziger Jahre die US-Rennszene aufmischte. Diese R-Version ist der alten ZRX 1100 wie aus dem Gesicht geschnitten. Für nochmals 500 Mark mehr gibt’s die ZRX 1200 S mit rahmenfester Halbschalenverkleidung und etwas anders gestaltetem Cockpit.
Nun mögen die Kawasaki-Kaufleute manchmal etwas merkwürdig agieren, die Kawasaki-Techniker arbeiten anscheinend immer noch in bester japanischer Tradition nach dem Motto „schneller, höher, weiter”. Bei der ZRX-Modellpflege beschränkten sie sich nämlich nicht auf ein simples Aufbohren zwecks Hubraumzuwachs, sie spendierten dem flüssigkeitsgekühlten Vierzylinder eine Radikalkur. Nur die Getrieberäder und die hydraulisch betätigte Kupplung blieben unverändert. Der Rest ist praktisch völlig neu. Die ursprünglichen Werte für Bohrung und Hub lauteten 76 und 58 mm. Daraus wurden mittels neuer Kolben, Pleuel und einer neuen Kurbelwelle 79 und 59,4 mm – macht 1165 statt 1052 ccm. Die Kolben laufen übrigens nicht mehr in Stahlbuchsen, sondern direkt in beschichteten Alu-Zylindern, was Produktionskosten und Baubreite spart und den Motor leiser arbeiten lässt. Motorgehäuse und Zylinderkopf sind natürlich auch völlig neu und der Ölkreislauf wurde ebenfalls kräftig modernisiert.

 

SchräglageDie heftige Bautätigkeit im Motorinneren war natürlich kein Selbstzweck, die Techniker hatten immer ein deutliches Leistungsplus und noch fettere Drehmomentwerte als Ziel. Heraus kamen eine Spitzenleistung von 122 anstelle von 106 PS und ein maximales Drehmoment von gewaltigen 112 statt auch nicht gerade schwächlicher 98 Nm. Wie unglaublich zurückhaltend und bescheiden der Japaner an sich sein kann, sieht man daran, dass sich alter und neuer Motor äußerlich praktisch nicht unterscheiden. Lediglich die in Magnesiumfarbe lackierten Motordeckel und die neue, glänzende Edelstahl-Auspuffanlage verraten dem Kenner, dass es sich um den 1200er-Motor handelt.
In Sachen Arbeitsplatzgestaltung änderte sich grundsätzlich wenig: Der Fahrer fühlt sich auf einer ZRX auf Anhieb wohl. Perfekt gekröpfter Lenker, Kupplungs- und Bremshebel vierfach einstellbar, Chokehebel am Lenker, moderate 800 mm Sitzhöhe und eine nicht zu breite Bank – da passt alles. Sehr lange Menschen können mit ihren Kniespitzen allerdings in etwas zu engen Kontakt mit den unteren Verkleidungsenden kommen, doch unter 1,95 m Körperlänge sitzt alles im grünen Bereich. Sozias sollten deutlich kleiner sein, um sich wohl zu fühlen. Die Sitzbank ist zwar ausreichend lang, und die Haltegriffe taugen auch etwas, nur sitzen die Soziusrasten für langbeinige Mitfahrer etwas zu hoch.
Das Startverhalten ist kalt wie warm tadellos; kernig brabbelt der Reihenvierer im Leerlauf aus der Vier-in-eins-Anlage. Und überhaupt – der Kawa-Sound: weiß man manchmal nicht so recht, warum man schon so lange und immer noch ein heimlicher Kawa-Fan ist, dann wird einem spätesten beim heiseren Röhren eines Kawasaki-Vierzylinders wieder klar, was die Grünen so einzigartig macht. Den Sound bekommt kein anderer Hersteller so geil hin. Die ZRX 1200 S tönt natürlich auch in bester Kawasaki-Tradition. Bleibt nur eine Frage: Wo bitte gibt’s die passende und schwer illegale Racing-Anlage?
CockpitZurück zum Fahrbetrieb: Standgas, die nicht gerade übermäßig leichtgängige Kupplung kommen lassen und – oioioioioi, das geht ab. Irgendwo da vorn trabt eine Büffelherde mächtig los, und die vollgetankt immerhin 250 kg schwere ZRX hängt direkt im Schlepptau. Gigantisch, wie das Ding abgeht. Ungemein lässig, überhaupt nicht giftig und doch ziemlich brutal schiebt die Fuhre ab. Da muss gar nicht mal extrem heftig am ebenfalls nicht übermäßig leichtgängigen Gasgriff gedreht werden, damit es sehr, sehr zügig voran geht. Das Fünfganggetriebe verlangt nach klarer Ansage und beherzter Bedienung, dann klappt’s auch mit kurzen Schaltwegen und exakter Rastung.
Bei Tacho 100 liegen im lang übersetzten fünften Gang 3500 U/min an. Wer es wissen will, erreicht das Landstraßenlimit bereits drei Sekunden nach dem Losfahren. Bei Tempo 130 zeigt der Drehzahlmesser 4500 Touren. Just ab dieser Drehzahl kommen trotz Ausgleichswelle hochfrequente Vibrationen durch, die auch über den Rest des Drehzahlbands spürbar bleiben. Das ist aber nicht wirklich nervend und für eingeschlafene Körperteile langt’s auch nicht. Doch von turbinengleicher Laufruhe ist der Kawa-Motor einigermaßen weit entfernt. Dafür gibt’s Durchzug satt. Immer und überall kommt der Sechzehnventiler bärig zur Sache. Der Schaltfuß hat eigentlich Ruhe, wenn nicht gerade irgendeine Ampel dazwischen kommt.
Bis 160 km/h ist der Windschutz hinter der Halbschalenverkleidung überraschend gut, darüber wird’s spürbar zugiger, aber nicht wirklich anstrengend. Wer die Kordel bis zum Anschlag zieht, ist nach gar nicht mal so langer Zeit mit 240 km/h Vmax unterwegs. Richtig Spaß macht das dann nicht mehr, gemütliches Autobahn-Bummeln mit rund 200 km/h bringt mehr Laune. Allerdings nicht sehr lange, denn die ZRX 1200 S ist – vorsichtig formuliert – ein Schluckspecht. Die Fuhre zieht sich das Normalbenzin dermaßen ungehemmt in die vier Keihin-Vergaser, dass bei sehr zügiger Autobahnfahrt bereits nach spätestens 160 Kilometern auf Reserve geschaltet werden muss. Dann sind von ehemals 19 noch fünf Liter im Tank, was unter ungünstigen Bedingungen gerade mal für weitere 50 Kilometer langt.
Wer gemütlich bummelt – was mit der ZRX theoretisch zwar machbar, in der Praxis aber äußerst unwahrscheinlich ist – fackelt um und bei sechs Liter auf 100 Kilometern ab. Dynamischere Fortbewegung wird mit Verbräuchen von sieben Litern und mehr bestraft. Das ist eindeutig zu viel, der ungeregelte Katalysator und das Sekundärluft-System – beides serienmäßig – beruhigen das Umweltgewissen daher auch nur teilweise. Ein wenig tröstlich ist, dass es außer der Benzinuhr im Cockpit auch noch einen herkömmlichen Benzinhahn gibt.
Bremse hintenKommen wir zu etwas viel Erfreulicherem: dem Fahrwerk. Im Vergleich zur ZRX 1100 hat die Neue einen etwas längeren Radstand und einen größeren Nachlauf. Als Tragwerk weiterhin dient ein konventioneller Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr. Die klassische Telegabel mit 43 mm Standrohrdurchmesser ist voll einstellbar, was auch für die beiden mit wichtig aussehenden Ausgleichsbehältern bestückten und etwas weiter vorn montierten Federbeine gilt. Die ebenfalls ungemein sportlich aussehende Alu-schwinge bekam neu profilierte Unterzüge – was früher kreisrund war, ist nun oval. Die Grundabstimmung der ZRX ist eher soft, auf Veränderungen der Federbasis sowie der Zug- und Druckstufendämpfung reagiert die Kawasaki aber recht deutlich, und so sollte eigentlich jeder mit etwas Geduld seine sportlich-straffe Lieblingsabstimmung finden können. Einlenkverhalten, Zielgenauigkeit und Geradeauslauf sind hervorragend, die in der Erstausrüstung montierten Bridgestone BT 20 sind eine tolle Klebensversicherung. Etwas gewöhnungsbedürftig arbeitet die mit Tokico-Sechskolbensätteln bestückte Dop- pelscheibenbremse im Vorderrad. Die Stopper sind eindeutig keine Zweifinger-Bremse, brauchen eine relativ hohe Handkraft, beißen dafür bei entschlossenem Zugriff aber auch ziemlich heftig zu. Mit etwas Übung sind durchaus sehenswerte Ich-bremse-später-als-meine-Kumpels-Aktionen machbar. Die hintere Einzelscheibe ist eine nette und gut zu dosierende Unterstützung. Nicht wirklich bissig, aber auch nicht ganz nutzlos.
Was gibt’s sonst noch? Zum Beispiel hervorragendes Abblend- und Fernlicht, praktische Gabelprotektoren, ein großes Staufach unter der Sitzbank und einen vorbildlichen Exzenter für die Hinterradachse, der das Kettespannen zum Kinderspiel macht. Noch einfacher würde das mit einem Hauptständer gehen, doch den gibt’s leider nicht, weil die wichtigen Unterzüge der Hinterradschwinge im Wege sind. Eine Zeituhr gibt’s leider auch nicht, doch das wäre es dann eigentlich schon mit den Verbesserungswünschen. Das Thema Verbrauch hatten wir ja bereits.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass Kawasaki ein sehr gutes Motorrad noch etwas besser gemacht hat. Die zusätzliche Portion Hubraum sowie das Leistungs- und Drehmoment-Extra waren nicht wirklich notwendig und die dafür eingesetzte Manpower hätte Kawasaki an anderer Stelle vielleicht dringender nötig gehabt, aber nett ist’s trotzdem. Die ZRX 1200 S und ihre beiden Schwestern gehören jedenfalls nicht zu den Modellen, die den Kawasaki-Händlern schlaflose Nächte bereiten müssen.