aus bma 09/06

von Günter Pfeifer

Kawasaki ZRX 1100 / Bruno Gespann Der Kawasaki ZRX 1100 hat sicher niemand ins Stammbuch geschrieben, daß sie als Gespannantrieb verwendet werden sollte. Doch warum eigentlich nicht ?
Optisch vergleichbar mit der legendären Z 1000 R wurde sie bei ihrem Erscheinen 1996 als Drehmomentwunder von Kawasaki angepriesen. Und wie lautet die alte Gespannfahrerweisheit? „Drehmoment ist durch nichts zu ersetzen.” Also sind die 106 Nm bei 5000 U/min der ZRX 1100 ein sehr gutes Argument für den Gespannbetrieb. Und auch die 72 kW bei 8500 U/min versprechen Spitzenleistung. Eine mittlere Kolbengeschwindigkeit von 20,3 m/sek bei 10500 U/min weisten die ZRX allerdings als Renner aus. Wie sollte es bei Kawasaki auch anders sein, allerdings dürfte diese Drehzahl im Gespannbetrieb kaum erreicht werden.
Da wäre aber noch die Sache mit dem Antrieb über O-Ringkette. Bis in die 80er Jahre war diese Frage das wichtigste Auswahlkriterium bei der Entscheidung für die Zugmaschine. Deshalb waren auch BMW und Moto Guzzi die bevorzugten Gespannmotorräder. Im heutigen Gespannbau hat die Frage Kette oder Kardan, nur noch eine untergeordnete Bedeutung, weil sich die Qualität der Ketten erheblich verbessert hat. Von Ketten, die gerissen sind und auch noch das Motorengehäuse zerschlagen haben, hört man heute nichts mehr. Besseres Material und die Einführung von O-Ringketten in Verbindung mit guten Schmiermitteln erlauben Laufleistungen von bis zu 20.000 Kilometern. Moderne Kettenschmiersysteme verlängern die Lebensdauer einer Kette ebenfalls. Der Kettenantrieb hat im Gespannbetrieb sogar noch einen erheblichen Vorteil. So läßt sich die Übersetzung durch den Einbau entsprechender Kettenräder oder Ritzel problemlos ändern. Hohe Drehzahlen im letzten Gang sind für den Fahrer und auch den Passagier störend, außerdem schreibt auch der Gesetzgeber eine Änderung der Übersetzung von maximal 7% vor. Besonders wichtig für den Gespannbauer wird eine Übersetzungsänderung dann, wenn moderne Niederquerschnittsreifen wegen des besseren Verschleißverhaltens eingesetzt werden sollen. Kette und Kardan sind im Gespannbau heute gleichberechtigt.

 

Dies wußten auch Erich Kaletta und Armin Plaumann vom Gespannbauer Roadrunner in Süderbrarup. Sie haben das ZRX/Bruno-Gespann gebaut und mit einem Scottoiler zur perfekten Kettenpflege ausgestattet.
Kawasaki ZRX 1100 / Bruno Gespann Die ZRX 1100 bekam zur Führung des Vorderrades eine geschobene Road- runner-Schwingengabel mit dreifacher Einstellmöglichkeit. Vorn und hinten laufen 15 Zoll-Aluscheibenräder mit Reifen 175/60R15 und 185/55R15 aus dem Autoregal. Diese Bereifung hat den Vorteil der längeren Laufleistung. Ebenfalls ein Road-runnerprodukt ist der Doppelschleifen-Hilfsrahmen mit dem an vier Punkten die Verbindung zwischen Zugfahrzeug und Beiwagen hergestellt wird. Die Konstruktion als Doppelschleife hat den Vorteil, daß die Kraftverteilung auf beiden Seiten des Zugfahrzeuges angreift und somit eine bessere Gesamtfestigkeit ergibt. Am Motorradrahmen sind keine Schweißarbeiten erforderlich, da alle Anbindungen über Schellen erfolgen. Ein Ruckdämpfer arbeitet mit Gummiselentbuchsen. Am Hinterradantrieb waren ebenfalls keine Änderungen erforderlich. Die Federbeine hinten erhielten 25mm Vorspannhülsen. In der Vorderradschwinge versuchen einstellbare Bilsteinfederbeine mit den Unebenheiten der Fahrbahn fertig zu werden.
Der Seitenwagen stammt aus der Fertigung von Jörg Bosse aus Lütjenburg und hört auf den Namen „Bruno”. Es ist ein 1,5 Sitzer mit bequemen Polstersitz und einer Sitzbreite von 700 mm. Das sehr sauber verarbeitete GFK-Boot hat im hinteren Bereich einen abschließbaren Kofferraum mit einem Volumen von ca. 150 Litern. Da paßt auch das etwas größere Urlaubsgepäck hinein. Der Platz für den Passagier ist mit einer Fußraumlänge von 1350 mm auch reichlich bemessen und eine Windschutzscheibe schützt ihn vor Fahrtwind und anderen Unbilden der Witterung. Die saubere Innenraumbeschichtung, die qualitativ gute Verarbeitung, hochwertiges Material und die exakten Spaltmaße unterstützen den guten Gesamteindruck. Das Boot sitzt auf einem Roadrunner-Fahrwerk. Ein Blickfang ist auch das 13 Zoll-LM-Rad mit seiner Bereifung 165/65R13. Verzögert wird es über eine hydraulische Kombibremse. Wobei jeweils eine Bremszange von der Hand- und die zweite von der Fußbremse angesteuert wird. Ein einstellbarer LSL-Lenkungsdämpfer an der Innenseite der Vorderradschwinge verhindert ungewollte Lenkausschläge.
Bei herrlichem Sonnenwetter holten wir das schöne Kawasaki/Bruno-Motorradgespann beim Gespannbauer in Süderbrarup ab und nach einer kurzen Einweisung, irgendwelche Fragen, die beantwortet sein wollen gibt es immer, brummte der ZRX-Motor nach dem Druck aufs Starterknöpfchen leise vor sich hin. Gang rein und los.
Kawasaki ZRX 1100 / Bruno Gespann Es ist ein Gespann an dem einfach alles stimmt. Die Sitzposition des Fahrers ist nahezu perfekt. Alle Instrumente, Schalter und Bedienelemente sitzen da, wo man sie erwartet und entsprechen heutigem Qualitätsstandard. Bereits auf den ersten Kilometern stellt sich ein positives Fahrgefühl ein. Das Gespann bleibt sehr sauber in der Spur und folgt willig den Lenkeingaben des Fahrers. Mit erstaunlich wenig Kraftaufwand läßt sich die Fuhre durch alle Kurven steuern. Wir fahren über kleinere Straßen von Süderbrarup in Richtung Flensburg. Dort benutzen wir die Umgehungsstraße in Richtung Dänemark mit dem Ziel „Hot Dog Havn”, also Annies Kiosk. Insider wissen es natürlich. Dort gibt es die besten Hot Dogs und das beste Softeis der Welt, oder wenigstens Dänemarks, und außerdem treffen sich dort alle ,die auf zwei Rädern unterwegs sind. Schnell ist das Gespann von Sehleuten umlagert, und es müssen viele Fragen beantwortet werden. Die Optik ist auch deswegen so ansprechend, weil Maschine und Beiwagen gleichfarbig und in hoher Qualität lackiert sind. Außerdem sieht das Gespann klassisch aus, genauso wie man sich ein Motorradgespann vorstellt und nicht wie heute oft üblich so, als käme es von einem anderen Stern.
Es ist nicht nur landschaftlich ein Genuß in Dänemark an den Ochseninseln vorbei, an der Förde entlang zu fahren, auch das Gespann bereitet pure Fahrfreude. Durch die guten Straßen in DK schwebt das Fahrzeug regelrecht über den Asphalt. Und auch meine Frau, als Passagier im Boot, empfindet das so. Nach einer Pause am Kiosk benutzen wir die gleiche schöne Straße weiter in Richtung Sonderburg. Während der Fahrt sollte man gelegentlich ein Auge auf die Geschwindigkeit werfen, denn man ist leicht zu schnell, und die Polizisten in DK sind als gnadenlos bekannt. Der wassergekühlte Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor mit Vierventiltechnik und zwei obenliegenden Nockenwellen läuft dank Ausgleichswelle sehr ruhig und vibrationsfrei. Doch, wassergekühlt? In der Tat, die sichtbaren Kühlrippen sind eine Showeinlage und dienen nur der Optik.
Das Getriebe läßt sich leichtgängig durch die fünf Gänge schalten, und die etwas längeren Schaltwege werden einen Gespannfahrer kaum stören. Brems- und Kupplungshebel sind vierfach verstellbar und können somit jeder Hand angepaßt werden. Die hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung läßt sich leicht bedienen.
Die Doppelscheibenbremse vorn mit Sechskolbensätteln und 310er schwimmend gelagerten Scheiben ist ein Sahnestück. Gut dosierbar und im Bedarfsfall fest zupackend, wird sie jederzeit mit der kinetischen Energie des Gespannes fertig. Auch ein physikalisch bedingter Rechtsruck im Gespann bei Betätigung der Kombi-Seitenwagenbremse ist recht gering.
Kawasaki ZRX 1100 / Bruno Gespann Vor Sonderburg liegt die Ortschaft Düppel (dän. Dybøl) mit der historischen Mühle, einem Geschichtsmuseum und dem Aussichtspunkt. An diesem geschichtsträchtigen Ort liegen die 1848 erbauten Düppeler Schanzen. Bis zur Schlacht auf diesen Schanzen, also bis 1864, gehörte Flensburg zu Dänemark. Dannevirke oder Danewerk ist die 30 Kilometer lange Verteidigungsanlage, die Grenze zu Dänemark.
An diesem Ort lohnt es sich eine Pause einzulegen. Und da sich auch mein Passagier die Beine vertreten möchte, schauen wir uns im Museum und im Bistro um.
Wir benutzen die Hauptstraße Nr. 8 um die E 45 zu erreichen. Die 8 ist stark befahren, und das Gespann kann zeigen, was in ihm steckt. Schnelles Beschleunigen zum Überholen kein Problem, Lenkvorgänge präzise und ohne großen Krafteinsatz. Der Motor hängt willig am Gas und dreht sauber hoch. In scharf gefahrenen Rechtskurven kommt es erst recht spät zum Kontakverlust des Beiwagenrades mit der Fahrbahn. Doch warum geschieht das eigentlich? Dazu muß man die Physik bemühen: Wenn ein beliebiges Fahrzeug eine Kurve fährt, entsteht Fliehkraft. Die Personen im Wagen werden zur Seite gedrückt. Wird diese Fliehkraft stärker als das Haftungsvermögen der Reifen, dann kommt es zum ungewollten Flugmanöver. Beim Fahren von Rechtskurven mit einem Seitenwagen sind mehrere Faktoren ausschlaggebend. Die nach außen drängende Fliehkraft wird umso stärker, je enger die Kurve ist. D.h. je größer der Kuvenradius ist, desto schneller kann er durchfahren werden. Im Umkehrschluß allerdings wird der Seitenwagen blitzartig steigen, wenn der Lenkeinschlag zu groß ist. Dabei spielt zwangsläufig die Geschwindigkeit eine entscheidende Rolle. Durch die Verlagerung des Gesamtschwerpunktes beginnt das Motorrad zu kippen, und der Beiwagen kommt hoch. Nun benimmt sich das Gespann so wie eine Solomaschine und geübte Fahrer könnten sogar eine acht damit fahren. Liegt der Schwerpunkt noch über dem Radkontakt zur Fahrbahn, kann der Fahrer durch Wegnehmen des Gases oder leichtes Bremsen den Beiwagen wieder senken.
Soviel kurz zur Theorie. Da sich in der Praxis meine Frau strikt weigert in den Kurven zur Verlagerung des Schwerpunktes im Boot herumzuturnen, muß ich mich zwangsläufig einer gemäßigten Fahrweise befleißigen.
Wir erreichen bei Ellund die A7 und können in Deutschland eine etwas schnellere Gangart anschlagen. Alle bereits genannten positiven Eigenschaften beweist die ZRX/Bruno auch auf der Autobahn. Die Big Bike ZRX erreicht auch mit Seitenwagen hohe Reisegeschwindigkeiten. Hier setzt nur das Durchhaltevermögen des Fahrers Grenzen, denn hinter der recht kleinen Scheibe versuchen die Arme immer länger zu werden.
Die Spurrillenempfindlichkeit ist akzeptabel. Das Gespann versetzt nur geringfügig und bleibt dabei immer kontrollierbar. Gerade dieses ist bei vielen Gespannen, die mit Autoreifen gefahren werden, ein Problem. Hierbei spielen Reifenwahl und vor allem der Luftdruck eine große Rolle. Breitreifen mit niedrigem Querschnitt werden nicht über zwei bar gefahren. Dadurch wird die Empfindlichkeit bei Spurrillen geringer, und die eigene Dämpfung des Reifens erhöht sich. Einige Gespannfahrer versuchen das Problem mit einem Rollerreifen auf dem Vorderrad zu lösen.
Zusammenfassend muß man dem Roadrunner ZRX 1100 – Bruno Gespann eine perfekte Alttagtauglichkeit bescheinigen.
Meiner Frau müßte ich lediglich eine geschlossene Kabine spendieren. Denn bei schneller Gangart ist der ZRX-Motor nicht gerade ein Leisetreter. Dazu kommt noch, daß der Auspuff zwischen Zugfahrzeug und Beiwagen liegt. Zur Belästigung des Passagieres durch Auspuffgase im Boot kommt es aber nicht.
Den Bruno-Seitenwagen gibt es in mehreren Ausstattungsvarianten, u.a. auch mit klappbarem Einstieg und mit optionellen Zubehörteilen. Der Kunde kann sich bei der Firma Roadrunner sein Gespann nach seinen Wünschen bauen lassen. Grenzen setzt ihm dabei nur sein Bankkonto. Er kann jedoch sicher sein: Bei diesem Gespann stimmt auf jeden Fall das Preis/Leistungsverhältnis.
Wer bereits eine ZRX 1100 besitzt, für den würde der Komplettumbau in der von uns gefahrenen Version mit 14.150 Euro zu Buche schlagen. Nähere Auskünfte geben Erich Kaletta und Armin Plaumann von Roadrunner unter Tel. 04641/988740.