aus bma 8/10

Text: www.winni-scheibe.com
Fotos: Scheibe, Werk

Kawasaki Zephyr 1100 1992Neue Motorräder werden am Computer konstruiert. Meistens, heutzutage jedenfalls. Früher, Anfang der 1990er Jahre, war vieles anders. Damals haben sich die Kawasaki-Manager von ihrem Gefühl leiten lassen. Die Zephyr entstand aus dem Bauch heraus. Sie war 1990 das erste neoklassische Naked Bike und wurde zu einem sensationellen Verkaufserfolg.

IFMA 1990, in Köln. Mit dem Senior Manager, Marketing Divison Kawasaki Heavy Industries, LTD., diskutierte ich über zwei brandheiße Neuheiten, die Kawasaki mit zur Messe gebracht hatte: die Zephyr 550 und die Zephyr 750. Sie wurden zu den heimlichen Stars der IFMA.

Iwasaki-san (san = japanisch: „Herr“) lächelte mich an und fragte mich nach meiner Meinung. „Tolle Bikes”, gab ich zu Protokoll, „umwerfend, klassisch schön, mit Technik zum Anfassen und”, zaghaft hinzufügend, „fast so schön wie Motorräder von früher.” Meine letzte Bemerkung schien dem Top-Manager allerdings näher zu interessieren. „Wie früher?”, fragte er. „Ja, wie früher die Z1”, entgegnete ich. Für einen Augenblick herrschte Totenstille. Mir rutschte fast das Herz in die Hose. Hatte ich Iwasaki-san, Kawasaki und die japanische Nation mit diesem Vergleich etwa beleidigt? Die Stimmung änderte sich jedoch schlagartig. Iwasaki-san lachte herzlich: „Ja, die Zephyr ist unsere neue Z1.” Und gleich darauf verriet der Senior Manager auch, wie es zu den neuen Modellen gekommen war.

Kawasaki Zephyr 1100 1996Mit der 900 Z1 hatte Kawasaki 1972 einen Meilenstein gesetzt. Damals gab es nichts Vergleichbares, die Z1 war die stärkste Maschine, die es damals zu kaufen gab. Dazu kam der Motorrad-Boom fast zeitgleich voll in die Gänge. Bis dato hatten sich die japanischen Hersteller jedoch an ein „Gentlemen’s Agreement” gehalten, keine Maschinen über 750 Kubikzentimeter Hubraum zu bauen. Doch Kawasaki scherte aus dieser Vereinbarung aus, ganz nach dem Motto „Größer und stärker als alle anderen”. Ein Image, das die Motorräder aus Akashi geprägt hatte und weiterhin prägen sollte. Die neue 900er-Vierzylinder-Maschine mit 79 PS und über 200 Sachen Spitze schlug anno 1972 ein völlig neues Kapitel in der Motorradgeschichte auf. In Fachmagazinen sprachen Tester ehrfurchtsvoll von „schierer Gewalt” und später von „Frankensteins Tochter”. Die Motorrad­szene war ganz aus dem Häuschen.

„Die Z1 hat sich fest ins Gedächtnis der Motorradfahrer gebrannt”, ließ mich Iwasaki-san wissen. „In Japan gibt es eine engagierte Club-Szene und wir von Kawasaki wurden immer wieder mal gefragt, ob und wann wir eine neue Z1 bringen? Das ging über Jahre so, bis bei einem Manager-Meeting plötzlich die Frage an die Runde gestellt wurde: Wollen wir eine neue Z1 bauen?”.

Kawasaki Zephyr 750 Fahrwerk 1991Was einige Manager zunächst als Spaß verstanden, wurde schon bald ernsthaft diskutiert. Die eine Fraktion favorisierte das Wiederaufleben der Ur-Z1 von 1972, als 100-prozentig authentischer Nachbau, mit den Produktionseinrichtungen von damals gefertigt. Die andere Gruppe war für die Entwicklung einer neuen Maschine, allerdings im klassischen Stil, sozusagen als Hommage an den Z1-Mythos. Die erste Variante musste schnell verworfen werden. Entsprechende Fertigungswerkzeuge waren verschlissen, unbrauchbar oder überhaupt nicht mehr vorhanden. Auch die Kostenanalyse sah hier eher düster aus. So fiel die Entscheidung zugunsten einer Neuentwicklung. 5Entgegen dem Trend der 1990er Jahre, moderne Maschinen mit Hightech-Komponenten wie Alurahmen, Monofederbein, schnittiger Vollverkleidung und wassergekühltem Triebwerk auszustatten, besannen sich die Kawasaki-Techniker aufs Wesentliche. Die Motoren der neuen Zephyr-Modelle basierten auf den bekannten luftgekühlten DOHC-Vierzylinder-Aggregaten von der GPZ550 und der Z650 mit bewährter Zweiventiltechnik. Auch das Fahrwerk zeigte sich eher konservativ: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Tele­­skopgabel und zwei Federbeine. Die weiteren Zutaten wie verchromte Rundinstrumente, breiter Lenker, Tropfentank sowie bequeme Sitzbank mit unverwechselbarem Entenbürzel hätten glatt von der Z1 stammen können. „Hört sich mutig an und war es im Grunde genommen auch”, betonte Iwasaki-san, fügte jedoch gleich hinzu: „Aber wir waren fest vom Erfolg unserer Zephyr-Idee überzeugt. Alle im Team kannten den Stellenwert der legendären Z1, eigentlich konnten wir gar nichts falsch machen.” Als die Zephyr 550 und Zephyr 750 auf der IFMA 1990 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden, konnte noch niemand den Verkaufserfolg wirklich voraussagen. Aber erahnen. Denn die Resonanz beim Messepublikum war überwältigend. Und auch die Fachpresse zelebrierte in Headlines wie „Back to the Roots”, „Nur das Wesentliche zählt”, „Mit der Nase im Wind” und „Motorrad fahren pur” die Reinkarnation des nackten, luftgekühlten Vierzylindermotorrads. Der Schachzug von Kawasaki, alte Ideale in die Gegenwart zu transferieren und in zwei Retrobikes zu packen, ging voll auf.

Kawasaki Zephyr 550 1991Die knapp 200 Kilogramm schwere 550er gab es wahlweise mit einsteigertauglichen 27 PS (ab 1994 mit 34 PS) oder mit der vollen Leistung von 50 PS. Für günstige 8.490 DM gab es als Gegenwert ein ausgewachsenes Motorrad mit Allroundqualitäten. Fälschlicherweise wurde die Zephyr 550 damit gleich in die Schublade der Anfänger-Bikes gesteckt. Völlig zu Unrecht. Hecht im Karpfenteich wäre eine treffendere Bezeichnung gewesen. Spielerisches Handling in Kombination mit agiler Motorcharakteristik garantierte höchsten Fahrspaß – für Einsteiger wie für Routiniers. Die ähnlich aufgebaute Zephyr 750 begnügte sich mit bescheidenen 72 PS Spitzenleistung bei 215 Kilogramm Leergewicht. Bescheiden deshalb, weil anno 1990 in dieser Hubraumklasse 100 PS längst das Maß der Dinge waren. Doch Naked Bikes werden nicht mit Vollgas über die Autobahn geprügelt, da war man sich im Kawasaki-Werk in Akashi sicher. Klassische, unverkleidete Maschinen sind etwas für Genießer. Für Motorradfahrer, die Dampf aus dem Drehzahlkeller bevorzugten und keine „Drehorgeln” wollten. Die auf kurvigen Landstraßen ihre Philosophie vom Motorradfahren ausleben und sich bei einer anschließenden Kaffeepause am klassischen Zephyr-Styling erfreuen. Ein Bike fürs Herz, für die Seele. Und das zum überschaubaren Preis von 9.990 DM. Das Zephyr-Rezept ging vollends auf, die beiden Motorräder verkauften sich wie warme Semmeln.

Doch Kawasaki wäre nicht Kawasaki, wenn man nicht noch eins draufgesetzt hätte. Schon Ende 1991 rundete die gleichnamige 1100er die Zephyr-Familie nach oben ab. Das Triebwerk stammte von der – in Deutschland nicht erhältlichen – Voyager 1200 ab. Genau genommen war dieses 262 Kilogramm schwere Big-Bike die legitime Nachfolgerin der legendären Z1. Die Zephyr 1100 prahlte zwar nicht (mehr) mit Synonymen wie „schiere Gewalt” oder „Frankensteins Tochter”, doch überzeugte das neue Flaggschiff mit ausgewogenen Fahreigenschaften, spurstabilem Chassis, hervorragender Bremsanlage und einem kraftvollen 93-PS-Triebwerk. Ein Big-Bike par excellence, mit den Tugenden eines nackten, luftgekühlten Reihenvierers ausgestattet. Für Leute, die sich selbst nichts mehr beweisen brauchten. Durchzug und Spitzenleistung waren die wahren Werte, der Fahrspaß erschloss sich beim schaltfaulen Kurvensurfen. Die Zeitreise, zurück auf die Spuren der Z1, hatte allerdings ihren Preis: 14.245 DM war den Kawa-Managern dieses Erbe wert.

Kawasaki Zephyr 750 Tacho 1996Während die kleine Zephyr mit ihren Gussrädern weitgehend unverändert bis 1999 im Angebot blieb, legte Kawasaki bei den beiden großen Schwestern fürs Modelljahr 1996 ein paar Brikett nach. Bei der 750er stieg die Leistung von 72 auf 76 PS. Der Neoklassiker rollte zudem nun stilecht auf Drahtspeichenrädern und betört durch eine eng an die Z1 angelehnte Zweifarblackierung. Auch die Zephyr 1100 rückte von nun an mit Drahtspeichenrädern und gar Dreifarbdekor aus. Beide Modelle blieben bis Modelljahr 1998 im Programm.

Wie im Falle der 900 Z1 hatte sich schon bald rund um die Zephyr-Modelle ein großer Zubehör- und Tuning-Markt sowie eine rührige Fan- und Clubszene etabliert. Engagierte Websites und Interessengemeinschaften, Zephyr-Treffen, liebevoll gepflegte Originalmaschinen und phantasievolle Custom-Umbauten prägen das Bild. Das Zephyr-Trio ist mittlerweile zum Kult geworden, die Faszination liegt in ihren Genen: In jeder Zephyr steckt ein gutes Stück Kawasaki-Historie, ein Andenken an die Z1 von 1972. Gleichzeitig sind die Neoklassiker ein Beweis dafür, dass Mut belohnt wird. Der Mut, ab und an zu seinen Wurzeln zurückzukehren.

Auf dem Secondhand-Markt geben alle drei Maschinen eine gute Figur ab. Für junge Einsteiger, aber auch für ältere Neu- und Wiedereinsteiger ist die 550er eine gute Empfehlung. Die Preise für eine gebrauchte Zephyr 550 liegen bei 1500 bis 2500 Euro. Gleich etwas teurer ist die Zephyr 750. Dafür bekommt man ein ausgewachsenes Motorrad. Für die 750er werden im Schnitt zwischen 1800 und 3000 Euro verlangt. Die große Zephyr 1100 schlägt deutlich teurer zu Buche. Hier beginnt der Einstandspreis bei 3500 Euro und für die letzten Modelle mit Speichenrädern können bis zu 6000 Euro verlangt werden.

Fan-Sites im Internet:
www.IGZephyr.de, www.kawasaki-zephyr.de
www.zephyr-treff-ruhr.dewww.zephyristen.de