aus Kradblatt 1/18
von Michael Praschak, www.asphalt-süchtig.de

Kawasaki Z900 – Easy going…

Kawasaki Z900, Modell 2017 Beim Motorradfahre(r)n trennt sich Ende Oktober die Spreu vom Weizen. Während die Sport- und Schönwetter-Fahrer zu dieser Zeit in der Regel das geliebte Spaßgerät einmotten und die Mopete, aufgrund eines Saison-Kennzeichens, in den Winterschlaf schicken, kramt der Ganzjahres-Fahrer die dicken Handschuhe und das Thermofutter der Textil-Kombi raus und rüstet sich so für die zweite Saisonhälfte. Zählt man sich eher zur engagierten Fraktion und nennt man ein aktuelles Superbike sein Eigen, ist es vielleicht auch gar nicht so verkehrt, wenn man den leistungsstarken und mit Supersport-Pellen besohlten Boliden in der dunklen Jahreszeit in der Garage lässt. Doch auf welches Pferd soll man setzen, wenn man auch (aber nicht nur) in den kalten Monaten bei passenden Bedingungen eine zügige Runde drehen will?

Kawasaki Z900, Modell 2017 Die Anforderungen sind schnell sortiert. Sportlich und agil sollte das entsprechende Mopped natürlich sein. Da man bei niedrigen Temperaturen aber kaum noch 100 Prozent auf Attacke fährt, kann man bei Fahrwerk und Sitzposition getrost auf die letzte sportliche Konsequenz verzichten. Auch brutale Spitzenleistung spielt bei kaltem Asphalt und vielleicht feuchten Straßen weniger eine Rolle. Kompromisslose Supersportler sind also raus.

Kawasaki Z900, Modell 2017 Stattdessen wünscht man sich hier eine vorbildliche Leistungsentfaltung und Motorcharakteristik, um das Nervenkostüm bei mangelndem Grip nicht überzustrapazieren. Schlussendlich muss die fehlende Sportlichkeit natürlich noch kompensiert werden – zum Beispiel mit einer auffällig-aggressiven Optik.

Nimmt man all diese Punkte zusammen, landet man schnell in der Ecke der Roadster und kommt hier fast nicht an Kawasakis Z 900 vorbei.

Sozius auf Kawasaki Z900, Modell 2017 Wie diverse andere Hersteller aufgrund Euro4 in Zugzwang, legten auch die Grünen aus Akashi ihr Einstiegsmodell in der Roadster-Klasse für das Modelljahr (MY) 2017 neu auf und ließen dabei kaum einen Stein auf dem anderen. Nach vier Jahren mehr oder minder unverändert am Markt, war die Vorgängerin Z 800, sowohl beim Gewicht als auch leistungsseitig, nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Das fällt besonders beim Gewicht auf. Die 2017er Baby-Zett kommt zwar mit einem größeren Motor und muss auch das Mehrgewicht einer Euro4-konformen Abgasanlage tragen, ist aber dennoch erheblich leichter als ihre Vorgängerin. Das liegt vor allem am komplett neukonstruierten Stahl-Gitterrohrrahmen, der nur noch schlanke 13,5 kg auf die Waage bringt. Auch an der neuen Schwinge und den 5-Speichen-Felgen wurde Masse abgebaut. Insgesamt hat die Einstiegs-Zett stolze 19 Kilo abgespeckt und wiegt nur noch 210 Kilogramm.

Soziusplatz Kawasaki Z900, Modell 2017 Wie aber schon an der Modellbezeichnung abzulesen, musste die Zett nicht nur geben, sondern hat vor allem motorseitig deutlich zugelegt. Der nun 948 Kubikzentimeter große Vierzylinder (vorher 806 ccm), der in seinen Ursprüngen noch vom Aggregat der letzten ZX-9R abstammt, leistet laut Kawasaki nun 125 PS und überflügelt damit die direkte Konkurrenz im gleichen Preissegment um gut 10 Pferde. Auch beim Drehmoment fällt der Unterschied deutlich aus. Hier soll das Aggregat der Kawa bereits bei 7.700 Umdrehungen knapp 100 Newtonmeter abdrücken.

Und noch ein weiterer Punkt hebt die Z900 deutlich von ihren Herausforderinnen ab: die Optik. Zwar ist auch Yamahas MT-09 mit ihrem futuristischen Design ein Hingucker, kein anderes Motorrad in der Klasse verkörpert aber so sehr das Streetfighter-Image wie die Kawasaki. Die Z900 steht damit ganz im Erbe der ersten Z1000, die schon Anfang der 2000er den bösen Buben mimte.

Tatsächlich hat die Z900 optisch mehr mit der Ur-Z1000 gemein als die aktuelle Tausender. Kawasaki folgt zwar auch bei der Kleinen der „Sugomi“ Design-Philosophie der großen Zett (Sugomi = furchteinflößender/starker Charakter), die Gestaltung der Leuchteinheit der Neuner trägt aber mehr Gene der ersten Z 1000 in sich, als die große Schwester. Die wirkt mit der tiefgezogenen, insektoiden Front etwas aggressiver, die Optik der Z900 ist dafür gefälliger.

Cockpit Kawasaki Z900, Modell 2017 Der Rest des Designs wirkt wie eine Mischung aus Transformers und Alien. Immer wieder finden sich sehr technisch wirkende Applikationen wie die Rahmenabdeckung oder der aufwendige Tankdeckel, die von eher organischen Elementen wie den Backen an der Lampenmaske, den Fußrastenhalterungen oder den Bremssattelaufnahmen an den Gabelfüßen abgelöst werden. Auch der hochaufragende, fast buckelige Tank mit den ausgeprägten Mulden scheint eher lebendig als maschinenartig. Akzentuiert wird das Ganze durch den Rohrrahmen, der mit seiner giftgrünen Farbe fast so wirkt, als hätte man ihn in Alien-Blut getaucht. Dazu gibt es jede Menge Plastik-Zierrat, der einerseits das Gesamtkonzept abrunden und zum anderen technischen Notwendigkeiten – wie den Euro4-Vorschalldämpfer – kaschieren soll.

Kawasaki Z900, Modell 2017 Das passende Aussehen ist ja bekanntlich das eine, was wirklich zählt, sind die inneren Werte. Hier liegen die wahren Stärken der Z900, mit denen sie den Piloten bereits ab dem ersten Meter voll zu überzeugen weiß. Das Triebwerk der Neuen kann nicht nur mit mehr Hubraum und besseren Leistungswerten punkten, sondern glänzt vor allem auch mit einem ab Standgasdrehzahl seidenweichen Ansprechverhalten. In Kombination mit der gelungenen Ergonomie fühlt man sich auf der Z900 sofort wie zu Hause.

Das fällt besonders beim Erstkontakt im städtischen Feierabend-Verkehr auf. Dank des breiten Lenkers und der entspannten aber aktiven Sitzposition, schlängelt man auf der Zett schon an der zweiten roten Ampel leichtfüßig zwischen den Autos nach vorne und freut sich auf den Sprint bis zur nächsten Kreuzung. Aber halt, ein kleiner Wermutstropfen ist da doch. Die ausgewogene Sitzposition gibt es nämlich nur aus dem Zubehörkatalog, zumindest dann, wenn man eine Körpergröße von 1,75 Meter überschreitet. Kawasaki folgt bei der Z900 seiner „ERGO-FIT“-Technologie, bei der mit Hilfe verschiedener Komponenten die Abstände zu Lenker, Fußrasten und Boden variiert werden können. Hierzu gehört neben einstellbarem Kupplungs- und Bremshebel auch ein optionaler Fahrersitz. Da die Z900 im Originalzustand mit einer Sitzhöhe von lediglich 795 mm ausgeliefert wird, sollte man als länger gewachsener Mitteleuropäer den Standardsitz direkt beim Händler lassen und auf das 20 Millimeter höhere Zubehörteil setzen. Positiver Nebeneffekt: die Austauschvariante ziert ein schicker Kawasaki-Schriftzug und ist auch weniger rutschig.

Die Ampel wechselt auf grün und gibt endlich den Weg aus der Stadt frei. Beim Griff zum Kupplungshebel sind die Gedanken zur Sitzposition sofort vergessen. Dieser funktioniert nämlich – Kawasaki „Assist-Clutch“ sei Dank – extrem leichtgängig. Bei diesem System wirkt ein Unterstützungs-Nocken an der Anti-Hopping-Kupplung bei Normaldrehzahl als Servo-Mechanismus und zieht die Kupplungsnabe und die Steuerplatte zusammen. So sind hier weniger starke Kupplungsfedern nötig, was in geringerem Kraftaufwand beim Betätigen der Kupplung resultiert.

Nun heißt es nur noch, den ersten Gang des hervorragend zu schaltenden Getriebes einzulegen und die nominell 125 Vierzylinder-Pferde galoppieren lassen.

Kawasaki Z900, Modell 2017Auch hier gibt sich die Kawa keine Blöße. Es ist eine wahre Freude, wie linear und homogen der Reihen-Vierer seine Leistung abgibt und dabei mit Nachdruck Richtung Begrenzer eilt. Zwar schnellt die digitale Drehzahlnadel des schlichten LCD-Displays nicht mit der Vehemenz aktueller Superbikes in den roten Bereich, tut dies aber immer noch schnell genug, um bei der Landstraßenhatz beim Fahrer sportliche Gefühle zu wecken. So ertappt man sich auch hier wieder dabei, wie man auf dem eigentlich noch fremden Motorrad bereits nach weniger Kurven das Tempo spürbar anzieht und mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen die feine Gasannahme, das agile Handling und die guten Manieren des potenten, aber nicht überfordernden Triebwerks genießt. Vibrationen oder gar Lastwechselschläge kennt der Motor nicht.

Den extrem ausgewogenen Charakter braucht das Aggregat auch, denn im Gegensatz zur Konkurrenz verzichtet Kawasaki bei der Z900 auf elektronische Helferlein wie Riding-Modes und Traktionskontrolle.

Z-Licht - Kawasaki Z900, Modell 2017 Steigert man das Tempo im Landstraßen-Winkelwerk weiter, spürt man irgendwann aber doch, dass die Z900 eben kein echter Sportler ist. Zwar lässt sie sich leichtfüßig durch die Radien zirkeln und der Antrieb motiviert einen ständig zu mehr Gas und Drehzahl, als laut StVO in den meisten Fällen erlaubt, Fahrwerk, Bremse und Ergonomie lassen aber immer mal wieder durchblicken, dass man es nicht übertreiben sollte. Während das recht frühe Aufsetzen der klappbaren Rasten beim ersten Mal noch etwas überraschend kommt, deutet die Bremse zaghaft an, dass man sie lieber nicht zu hart rannimmt. Zwar geht die Bremsleistung der Kombi aus 4-Kolben-Sätteln und 300er Scheiben absolut in Ordnung, das zugehörige ABS ist aber recht konservativ ausgelegt und zeigt beim harten Ankern mit vereinzelten Regelimpulsen im Hebel, dass man das Ende der Sportlichkeit erreicht hat. Ähnlich verhält es sich mit den Federelementen der Z900. Das sportlich-komfortabel ausgelegte, in Zugstufe und Feder-Vorspannung einstellbare, Fahrwerk macht sehr viel mit, das Federbein weist bei allzu beherzter Gangart aber durch leichtes Gautschen (Pumpen) darauf hin, dass bei der Abstimmung der Fokus eher auf Komfort denn auf Sport gelegt wurde. Dabei lässt sich aber auch der flotte Ritt auf der Zett immer in der Rubrik „Easy Going“ verbuchen und das Lächeln auf den Lippen geht nie verloren.

Bei sportlicherer Gangart unter großgewachsenen Fahrern kann sich das ändern. Lebt man nämlich auf recht großem Fuß und steht man, wie beim sportlichen Fahren üblich, mit dem Vorfuß auf den Rasten, stößt man auf der rechten Seite mit der Ferse gegen die Aufnahme der Auspuffhalterung an der Soziusraste. Bei mir (Schuhgröße 46) ist hier so wenig Platz, dass die Ferse bei dieser Fahrhaltung durchgehend nach außen gedreht werden muss, was doch etwas nervig ist.

Trotz kühler Temperaturen während der Testtage kehrte die gute Laune spätestens an der Zapfsäule zurück. Auch mit längeren Autobahnetappen – die Z900 reißt dort locker die 240 km/h-Schallmauer(!) – lag der kombinierte Verbrauch bei lediglich 5,1 Liter.

Fazit: Motor, Fahrwerk, Ergonomie – Kawasakis neues Einstiegs-Modell ins Böser-Bube-Segment weiß zu gefallen. Dabei sind es vor allem die für ein Motorrad entscheidenden Eigenschaften wie Motorcharakteristik und Leistungsentfaltung sowie Ergonomie und Handling, mit denen die Zett überzeugen kann. Aber auch Fahrwerk und Bremsen gehen für einen Roadster für 9.000 Euro voll in Ordnung. Minuspunkte gibt es für die ab Werk fehlende Größentauglichkeit (Stichwort Sitzhöhe und Fußrasten) und die schmale Ausstattung. Auf verschiedenen Motor-Mappings kann die Z900, aufgrund des piekfeinen Ansprechverhaltens und der extrem homogenen Leistungsentfaltung des neuen Triebwerks, zwar problemlos verzichten, eine Traktionskontrolle als Sicherheits-Feature sollte, neben dem inzwischen obligaten ABS, in diesem Preissegment aber mit an Bord sein. Sucht man (wie der Autor) eine puristische Fahrmaschine mit sportlichen Einflüssen, einer eigenständigen Optik und tollen Manieren, findet man – Schuhgröße 44 oder kleiner vorausgesetzt – in der Kawasaki Z900 die passende Gefährtin.