aus bma 01/02

von Andreas Busch

Kawasaki W 650 „Die sieht aber noch gut aus! Wie alt ist die denn?” Diese Frage hat jeder Kawasaki W 650-Fahrer bestimmt schon einige Male gehört, wenn er seine Maschine in der Stadt, vor einem Ausflugslokal oder sonstwo abgestellt hat. Wenn er dann antwortet: „Die ist gerade mal zwei Monate alt”, dann gibt es erstaunte Gesichter und zweifelnde Blicke.
Seit drei Jahren ist Kawasakis zweites echtes Retro-Bike auf dem Markt. Das erste hieß Estrella 250, hatte einen Einzylindermotor mit 17 PS und war ein Flop. Die meisten von uns haben dieses hübsche Maschinchen schon längst wieder vergessen. Wird es der W 650 ähnlich ergehen? Oder wird sie sich durchsetzen können? Optisch hat sie allemal das Zeug dazu.
Die Maschine ist schlicht und ergreifend wunderschön, orientiert sich an den britischen Klassikern BSA Lightning und Thunderbolt, weniger an der Triumph Bonneville, mit der sie oft verglichen wird. Die hat nämlich ihren eigenen Nachfolger, eine moderne Bonnie, die erst nach dem Erscheinen der Kawa vorgestellt wurde.
Den 60er-Jahre-Look haben die Japaner konsequent durchgezogen: Klassischer Stahlrohrrahmen, flache schmale Sitzbank, verchromte Schutzbleche, Faltenbälge an der Telegabel und Leichtmetall-Speichenräder. Sogar die Reifen sehen aus wie vor 30 Jahren und wurden eigens für die W 650 entwickelt. Mit Chrom wurde nicht gespart, aber glücklicherweise auch nicht übertrieben. Wer es wirklich unbedingt überall blitzen lassen will, besorgt sich die beiden zusätzlichen original Kawasaki-Chromsätze. Optisch ist die Kawasaki auf jeden Fall ein Genuss. Aber wie fährt sie sich?

 

Kawasaki W 650 Bis etwa 120 km/h ist die Welt in Ordnung. Die W 650 ist handlich, die Schräglagenfreiheit sehr groß, die nostalgischen Reifen haften wie Klebstoff auf der Straße. Schmale verwinkelte Sträßchen, schnelle Kurvenkombinationen – da ist die Kawa in ihrem Element. Das Bike macht einfach Spaß. Die W 650 ist flink und deutlich schneller und dynamischer als die weitaus stärkeren Chopper vom Schlag einer Kawasaki VN 1500 oder Suzuki Intruder. Aus dem Stand auf 100 km/h in knappen fünf Sekunden – das ist für ein 50 PS-Motorrad einmalig. Der Durchzug aus unteren Drehzahlen ist beeindruckend, der Sound kann süchtig machen. Kupplung und Getriebe sind gewohnter japanischer Standard.
Die Klagen kommen erst später. Dann nämlich, wenn es etwas schneller voran gehen soll. Für den kräftigen Motor ist das kein Problem. 178 km/h Höchstgeschwindigkeit stehen im Fahrzeugschein. Aber dieses Tempo ist auf der W 650 nur etwas für Hartgesottene. Pendeln, Wackeln, Zittern, Taumeln – die Kawa macht alles auf einmal. Die Zeiten der schwachen Fahrwerke sollten doch eigentlich spätestens seit Beginn der 90er-Jahre vorbei sein.
Die hintere Trommelbremse arbeitet unauffällig, aber keineswegs schlechter als eine entsprechende Scheibe. Vorn bemüht sich eine einsame 300 Millimeter-Scheibe einigermaßen erfolgreich, das Fahrzeug zu verzögern. Leider wandert ein Teil der Bremsenergie direkt in die unterdimensionierte Telegabel und verbiegt sie spürbar. Das muss nun wirklich nicht sein. Mit Nostalgie hat das nichts mehr zu tun. Dass es auch anders geht, beweist die neue Triumph Bonneville, die auch bei Top-speed und in schnellen Kurven stabil läuft wie auf den berühmten Schienen. Allerdings kostet die Engländerin auch über 2000 Mark mehr und ist nicht halb so gut ausgestattet wie die Kawasaki.
Kawasaki W 650 An der W 650 ist alles dran. Elektronischer Tachometer mit Zeituhr (ist eigentlich ein Stilbruch, sieht aber keiner), Drehzahlmesser, Elektro- und Kickstarter, Haupt- und Seitenständer. Gegen das schlechte Gewissen gibt es ein Abgasreinigungssystem, das die Maschine immerhin in die Schadstoffklasse Euro 2 rutschen lässt. Das dürfte die Kfz-Steuer in Grenzen halten, falls es doch einmal irgendwann zu einer abgasabhängigen Steuer kommen sollte.
Womit wir bei den Kosten wären: Sind 12.990 DM zu viel für ein 650-Kubik-Motorrad, das alt aussieht und es in mancher Beziehung (Fahrwerk!) auch ist? Der Preis ist knapp kalkuliert. Kawasaki hat auch an diesem Modell gespart, was sich in Details – so zum Beispiel an der Lackqualität und Rostvorsorge – zeigt. Auf der anderen Seite bietet die Maschine einen super Motor, einen erwachsenen, kräftigen Parallel-Twin mit einer teuren Königswelle. Leichtmetallfelgen, Zweifarbenlackierung und Chrom gehen natürlich auch ins Geld. Der Preis für dieses alltagstaugliche, vollwertige Motorrad ist daher in Ordnung.
Die Maschine ist für Stadtverkehr, Touren und Reisen gleichermaßen geeignet. Der Zweipersonenbetrieb ist unproblematisch (all das gilt nur bis zu dem oben erwähnten Geschwindigkeitsbereich!).
Der Benzinverbrauch ist gemessen an den beeindruckenden Fahrleistungen mit vier Litern eher bescheiden. Die Spezialreifen (mit Schlauch!) sind auch nicht teurer als andere. Kawasakis Ersatzteile sollen angeblich die günstigsten der vier japanischen Hersteller sein. Wer ein bisschen herumtelefoniert, kann bei der Anschaffung ohne weiteres bis zu 3000 DM vom Listenpreis sparen.
Und noch etwas spricht für die Kawasaki W 650: Sie bereitet auch im Winter und an verregneten Wochenenden Freude. Wie das? Ganz einfach. Für dieses Motorrad gibt es eine der umfangreichsten Biker-Homepages überhaupt (www.w-650.de). Die Internetseiten sind vorbildlich. Man kann sich gemütlich zurücklehnen und durch die ansprechend gestalteten Seiten blättern wie in einem schönen Buch. Es gibt unzählige Fotos aus allen möglichen Ländern und von Umbauten, Historisches, Tests und Berichte sowie einen Gebrauchtteile- und Zubehörmarkt. Aber auch handfeste Tipps kommen nicht zu kurz.
Zum Schluss sollten wir vielleicht den Blick ins ferne Japan richten. Dort werkeln die Entwicklungsingenieure von Kawasaki vielleicht gerade an der W 650 herum und überlegen krampfhaft, was sie besser machen könnten. Nun, meine Herren, die W 650-Fraktion hätte da ein paar Vorschläge: zum Beispiel könnten wir sehr gut auf die Ausführung mit dem superhohen Lenker, diesem unmöglichen Elchgeweih, verzichten. Der flache Lenker ist prima, als Alternative könntet ihr einen halbhohen, nicht so stark gekröpften anbieten. Dann wünschen wir uns dringend eine stärkere Vorderradgabel. 42 oder 43 Millimeter statt der mickrigen 39, das müsste schon reichen. Und im Vorderrad ist genug Platz für eine zweite Bremsscheibe (okay, okay, wir wissen, dass es die in den 60er-Jahren nie gegeben hat).
Ach ja, schaut euch auch die Sitzbank mal ganz genau an. Ein ganz klein wenig breiter und weicher könnte sie schon sein. Fällt doch gar nicht auf! Und bitte macht sie schön flach, ohne Stufe. Nach hinten habt ihr richtig Platz verschenkt, da sind noch ein paar Zentimeter drin. Außerdem habt ihr die Lichthupe vergessen. Oder war das Absicht? Und seht euch mal die Kettenabdeckung zum Reifen hin an. Ein bisschen mickrig, findet ihr nicht?
Ihr könntet gerne auch etwas am Rahmen tun. Den Radstand verlängern zum Beispiel, damit wir die Motorleistung auch ausnutzen können. Der Zweizylinder ist nämlich ein Gedicht, einfach super. Obwohl – wenn ihr das mit dem Fahrwerk und den Bremsen hinkriegt, dann könnte man ja auch gleich… Wir dachten so an 850 Kubik, Leistung etwa 65 PS. Das wär’s doch. Nur so als Reserve. Das wäre dann kein nostalgisches 60er-Jahre-Retro-Bike mehr? Mag sein. Aber dafür ein saugutes Motorrad.
Ach, wisst ihr was? Lasst die W 650 einfach so, wie sie ist. Wir kommen damit schon klar. Und für die andern baut ihr eine W 850, mit 65 PS, Doppelscheibenbremse, stabiler Telegabel und kräftigem Rahmen. Für ein paar Mark mehr. Wir warten.