aus bma 03/07

Text: Pabi
Fotos: Pabi/Yvy

Kawasaki VN 1600 Classic Tourer Der Berg ruft und ich brauche für den Weg zum Biker-Meeting nach Garmisch ein geeignetes Fortbewegungsmittel. Ein Cruiser soll es sein, bitteschön! Im Stile ein Harley-Davidson Elektra Glide will ich reisen. Unbehelligt von Wind, Wasser und Insekten. Und erst recht völlig unbeeindruck vom Treiben der anderen Verkehrsteilnehmer in ihren öden Blechdosen.
Nachdem ich letzte Woche auf einer Moto Guzzi California geglitten bin, muß nun Kawasakis Luxus-Cruiser VN 1600 Classic Tourer meinen erlauchten Hintern ans ganz andere Ende der Republik befördern. Wer allerdings schon bei der Guzzi dachte, es handele sich um ein respektabel fettes Eisen, dem wird schon beim Aufsitzen auf die VN Angst und Bange. Man verzweifelt schon beim Versuch, die 350 Kilo Trockengewicht vom Seitenständer in die Senkrechte zu hieven. Keine Chance! Da reicht das Eigengewicht und der Schmalz in den Muckis einfach nicht aus. Die Schlanken, gut Gebauten sollen ja auch eigentlich eher in der hinteren Reihe, auf dem bequemen Sozius-Sitz-Sessel mit üppiger Rückenlehne, Fußbrettern und aus Koffern bestehenden Arm- beziehungsweise Handtaschenablagen gediegen Platz nehmen. Manchmal selektiert eben schon die schlichte normative Kraft des Faktischen ganz ohne Machoanwandlungen die Männlein von den Weiblein. Kawas Antwort auf Schwarzeneggers terminalen Wunsch nach einem Big-Bike heißt VN 1600 Classic Tourer. Keine Frage!

 

Kawasaki VN 1600 Classic Tourer Steht die Fuhre allerdings annähernd im 90 Grad Winkel, ist das Gewicht, dank der niedrigen Sitzhöhe von 72 Millimetern und dem gezwungener Maßen breiten Stand des Fahrers, überhaupt kein Thema mehr. Es sei denn, Mann will rückwärts aus leicht abschüssiger Position vom Bordstein zurück auf die Fahrbahn rangieren. Rückwärtsgang – wo bist Du? Also absteigen und unter Einsatz aller Kraft am großen Geweih gezogen, bis der Kolloß in Fahrtrichtung steht. Dabei wäre ein Umfaller gar nicht tragisch. Das Teil ist so breit und flach, daß es sich besten-, oder eher schlimmstenfalls leicht auf die Seite, die weit ausladenden Trittbretter und üppigen Sturzbügel legen würde, ohne großen Schaden zu nehmen.
Nach so viel Muskelkraft soll jetzt aber mal das 1600er Vau-Zwo Kraftwerk seine Arbeit aufnehmen. Schlüssel drehen, warten, bis der analoge Tacho-Zeiger auf dem Tank-Dash-Board einmal hin und her gesaust ist und dann den Startknopf an der sehr wertig anmutenden Lenkerarmatur drücken. Dann blubbert es aus den beiden langen Chromrohren unter den Koffern zart nach hinten. Was die Abgas- und Lärmvorschriften der Euronauten zulassen, muß man mittlerweile als absolut artfremde Haltung hilfloser Lebewesen, denn nichts anderes ist ein seiner Lebensäußerungen beraubter Cruiser, werten. Vielleicht sollten wir als Motorradschützer mal eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verstümmelung, Nötigung und ähnlicher Delikte einreichen. Wer die Riesen-Endtöpfe an den neuesten INTERMOT-Modellpräsentationen gesehen hat, weiß, daß noch längst nicht das Ende dieses Leise-Wahns erreicht ist.
Kawasaki VN 1600 Classic Tourer Doch zurück zum realen Cruiser-Geschehen der Jetztzeit. Schließlich wollte ich heute noch in Garmisch ankommen. Mit einem mächtigen Hub am dicken Gasdrehgriff – Mensch, da haste ordentlich was in der Hand – läßt sich trotz aller Kastration ein deutliches Lebenszeichen entlocken. Das wird gehen! Mit einem ebenso deutlichen „Klonk” wemse ich den ersten Gang per Schaltwippe in die Verzahnung. Laß die Kupplung flott kommen und schon rauscht eine halbe Tonne inklusive Fahrer und Gepäck vom Hof. Apropos Gepäck! Nie war Verreisen mit dem Mopped so simpel. Obwohl ich wahrlich kein Freund von Koffern an Motorrädern bin – eigentlich bin ich überhaupt kein Freund von Koffern, egal wo und an was – begeistert mich in diesem Fall die Möglichkeit, einfach alles was man für eine längere Tour benötigt und sonst unter Einsatz all seines Gehirnschmalzes sinnvoll am Bike unterzubringen versucht, einfach in diese beiden riesigen Koffer zu pfeffern. Ja, so soll ein Tourer sein.
Trotzdem platziere ich auf dem ultrabreiten Tank noch einen Magnetrucksack für Kekse, Getränke und die Tourenkarte. Denn hinter diesem riesigen Windschild läßt es sich prima während der Fahrt Schlemmen. Vorausgesetzt, man trägt einen Jethelm.
Geschmeidig nimmt der Wonneproppen die S-Kurve zur Autobahn, hängt fröhlich blubbernd im vierten Gang am Gas und gleitet erhaben dahin. Schneller als man denkt, hat man den fünften und letzten Gang des sauber arbeitenden Getriebes eingelegt. Und rauscht fröhlich Kekse knabbernd dahin. Im Schweinsgalopp dürfen es auch mal 160 auf der Uhr sein. Allerdings ist das absolut nicht das Terrain des Cruisers. Klar, kann man ihn fliegen lassen, wenn es denn sein muß. Allerdings summieren sich dann Hubraum, Gewicht und Windwiderstand der drei Quadratmeter-Cruiser-Front zu einem Spritverbrauch von über sieben Litern. Im Schmusemodus um 120 km/h begnügt sich die Classic Tourer hingegen mit 5,5 Litern.
Kawasaki VN 1600 Classic Tourer Trotzdem ist der 1600er Motor für ein solches Eisen fast schon zu schlapp. Beim spontanen Einlöten, um störrische Bürgerkäfige zu überholen, wünscht sich der von auf der linken Spur heranfliegenden Nobelkarossen bedrohte Cruiserpilot einen kräftigeren Punch aus niedrigen Drehzahlen. Vielleicht dann doch lieber gleich zur VN 2000 greifen!? Für gemütliche Naturen reicht der Einskommasechser allerdings völlig aus, um äußerst bequem zu reisen und staunende Blicke, besonders reifer Herren, auf sich zu ziehen. Schneller als gedacht, kommt man schließlich mit der VN 1600 ans Ziel. 20 Liter reichen locker für 320 Kilometer bis zum nächsten Tankstop, und so ist die Strecke bis München schnell abgespult.
Überhaupt ist die Reiserei auf so einem Koffer eine ganz entspannende Geschichte. Auch ein Wolkenbruch am Starnberger See läßt sich damit gut ertragen. Etwas näher an die Scheibe gerutscht, erwischt einen der Regen gar nicht. Und auch bei Aquaplaning-fördernden Regenmassen rennt der Apparat unbeirrt geradeaus.
Mit knapp über 14.000 Euronen ist die VN 1600 Classic Cruiser zudem ein echtes Schnäppchen im Wettbewerb mit den amerikanischen Full-Dressern, die ja auch nicht mehr Hubraum vorzuweisen haben, aber bedeutend mehr kosten. Auf jeden Fall das richtige Gerät für einen echten Road-Captain!

Technische Daten:

Motor:
Flüssigkeitsgekühlter Zwei-Zylinder-Viertakt-Motor, Hubraum 1552 ccm, Bohrung x Hub 102 x 95 mm, Verdichtungsverhältnis 9,0:1, 4 Ventile pro Zylinder, elektronische Kraftstoffeinspritzung Euro 2, digitale Zündung, E-Starter, Fünf-Gang-Getriebe, 67 PS bei 4700 U/min, 127 Nm bei 2700 U/min.

Fahrwerk:
Doppelschleifen-Stahlrohr-Rahmen, 32° Nachlaufwinkel, 184 mm Nachlauf, vorn 43 mm Teleskopgabel, hinten Schwinge mit zwei Stoßdämpfern und vierfach einstellbarer Zugstufe.

Reifen/Bremsen:
Vorn 150/80-16, hinten 170/70-16, Bremsen vorn 300 mm Doppelscheibenbremse mit Doppelkolben-Bremssättel, hinten 300 mm Bremsscheibe mit Doppelkolben-Bremssattel.

Maße:
Radstand 1690 mm, Sitzhöhe 720 mm, Gewicht 350 kg, Tankinhalt 20 Liter.

Preis:
14.195 Euro.