aus bma 01/09

von Klaus Herder

Kawasaki Ninja 250 R (Mod. 2009)Wenn Sie diese Zeilen lesen, haben Sie Weihnachten und Silvester hoffentlich heil überstanden und laufen in Sachen Motorrad vermutlich etwas auf Reserve. Das Wetter ist aller Voraussicht nach winterlich mies, Ihr Mopped steht traurig in der Garage, und bis zum Saisonstart ist es noch verdammt lange hin. Mal ehrlich: Möchten Sie in dieser unbefriedigenden Gesamtsituation unbedingt etwas über ein Vernunft-Motorrad für Anfänger, Wiedereinsteiger, Motorrad fahrende Berufspendler und kleine Frauen lesen? Wahrscheinlich nicht, denn höchstwahrscheinlich sind Sie gar kein Anfänger, Wiedereinsteiger oder ein Motorrad fahrender Berufspendler. Und eine kleine Frau sind Sie schon mal gar nicht. Mit ziemlicher Sicherheit sind Sie ein netter männlicher Mittvierziger, der mit Haarausfall, leichtem Übergewicht und schwer pubertierendem Nachwuchs zu kämpfen hat. Eben ein typischer Motorradfahrer und bma-Leser. Und dem gehen japanische 250er, die nicht die Kürzel GT oder RD in der Typenbezeichnung tragen und 30 Jahre alt sind, gelinde gesagt, am Arsch vorbei.

Doch um ein ebensolches Motorrad soll es hier gehen. Halt, stop – bevor Sie jetzt ansatzlos zum Kleinanzeigenteil wechseln oder das Studium Ihrer Lieblings-Klolektüre sogar ganz einstellen, habe ich eine gute Nachricht für Sie: Eigentlich kommt die 250er, um die es hier gehen soll, gar nicht aus Japan. Womit wir auch schon bei der (vermeintlich) schlechten Nachricht wären: Die Kawasaki Ninja 250R kommt aus Thailand, wo übrigens auch die Kawasaki ER-6n und diverse Triumph-Modelle montiert werden. Doch abgesehen davon, daß die thailändische Verarbeitungsqualität der japanischen praktisch nicht nachsteht, hat die Sache einen echten Vorteil: Das Teil ist unverschämt günstig. 4445 Euro, nagelneu, mit Garantie. Also in einer Größenordnung, die das Kawasaki-grüne oder dezent-schwarze Spielzeug als Zweit- oder Drittmotorrad interessant macht.

Kawasaki Ninja 250 R (Mod. 2009)Genau das ist es, worauf diese Geschichte hinaus will: Dieses knuffige Motorrad ist auch und besonders für gestandene Motorradfahrer interessant, die das alljährliche Stärker-schneller-böser nur noch anödet, und die sich eigentlich nichts mehr beweisen müssen. Wenn wir alten Säcke uns nämlich insgeheim fragen, welche motorisierten Untersätze in unserer Zweirad-Karriere eigentlich am meisten Spaß gemacht haben, werden die Antworten möglicherweise „mein Kleinkraftrad” oder „mein erstes Motorrad” lauten. Natürlich verklärt die Erinnerung immer ein wenig, aber das Gefühl, ein Fahrzeug wirklich zu beherrschen, es an seine Grenzen zu bringen und damit womöglich größere und stärkere Fahrzeuge ärgern zu können, ist einfach ziemlich gut. Bei einem 150-PS-Eisen kräftig am Quirl zu drehen, kann jeder Depp. Zumindest auf der Geraden. Mit einem vermeintlich untermotorisiertem Kleinteil flott unterwegs zu sein, ist da schon eine ganz andere Herausforderung. Und diese Herausforderung gönnen sich erstaunlich viele Oldies: Wer sich die Starterlisten bei Mofa- und Rollerrennen anschaut, wird dort erstaunlich viele Vertreter der Ü-40-Generation entdecken.

Für die bietet die Kawasaki Ninja 250R einen äußerst „seniorenfreundlichen” Arbeitsplatz. Ob 1,65 Meter kurz oder 1,90 Meter lang; ob Spargeltarzan oder Holstengeschwür-Träger – auf der vollgetankt 172 Kilo leichten Kawa sitzt jeder bequem. Jeder! Die 765 mm Sitzhöhe und das perfekt dimensionierte Sitzkissen haben maßgeblichen Anteil am Draufsetzen-und-sofort-wohlfühlen-Effekt. Der sportlich-enge Kniewinkel erinnert an alte Zeiten und ist etwas für Menschen, denen der Begriff „Knie-schluß” noch etwas sagt. Der relativ breite Lenker sitzt dafür hoch genug, um ohne übermäßigen Druck auf die Handgelenke und aufrecht sitzend durch den Stadtverkehr wuseln zu können. Und er ist niedrig genug montiert, damit man sich außerorts hinter der erfreulich viel Windschutz bietenden Verkleidung zusammenfalten kann. Die Handhebel sind nicht verstellbar und die Spiegelausleger zu kurz – geschenkt, denn wir erinnern uns: 4445 Euro. Das Cockpit im Stil der 80er Jahre informiert übersichtlicht, jedweder LCD-Zirkus ist gottlob abwesend.

Kawasaki Ninja 250 R (Mod. 2009)Stichwort 80er Jahre – welch brillante Überleitung zum Herz der Mini-Ninja. Unterm sauber verarbeiteten Kunststoffkleid und im nicht minder ordentlich gemachten Brückenrahmen aus Stahl steckt ein alter Bekannter. Der flüssigkeitsgekühlte Reihenzweizylinder sorgt bereits seit über 20 Jahren für zuverlässigen Vortrieb und hat maßgeblichen Anteil daran, daß die 250er zu einem der weltweit erfolgreichsten Kawasaki-Modelle wurde. In Deutschlang bislang eher unbekannte, ist die EX250 (so lautet das interne Kawa-Kürzel) zum Beispiel in den USA die bestverkaufte Kawasaki. Was auch damit zu tun haben dürfte, daß die auch als GPX 250R bzw. ZZR 250 vermarktete Maschine in Amiland bislang nur 2999 US-Dollar kostete. Fürs 2008er-Modell gab’s eine umfangreiche Modellpflege, die der mit den Kosenamen „Ninjette” oder auch „Baby Ninja” versehenen Maschine laut Kawasaki 70 Prozent Motoren-Neuteile, größere Räder und eine komplett neue Auspuffanlage bescherte. Die Amis zahlen jetzt 500 Dollar mehr, was im Vergleich zum alten Europa immer noch unverschämt günstig ist. Doch bevor die Schnäppchenjäger unter unseren Lesern den Begriff „Eigenimport” vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen, sei noch auf einen gravierenden Unterschied hingewiesen, der den Kauf in den USA uninteressant macht: Die US-Version wird über zwei 30er-Keihin-Vergaser mit Sprit versorgt, die Europa-Ninja bekommt den Kraftstoff über eine Einspritzanlage zugeteilt – und die ist für die Einhaltung der Euro-3-Grenzwerte und damit für die Zulassung zwingend erforderlich.

Kawasaki Ninja 250 R (Mod. 2009)Flüssigkeitskühlung, Einspritzanlage, Doppel-Drosselklappen, Vierventil-Zylinderköpfe, Tassenstößel, Sechsganggetriebe – das ist ein durchaus moderner Motor, mit dem ganz sicher über 40 PS locker machbar wären. Kawasaki läßt es bei 33 PS gut sein, denn damit paßt sie perfekt zur 34-PS-Stufenführerscheinregelung, die maximal 0,16 kW pro Kilogramm Trockengewicht erlaubt – die Ninja reizt das Limit mit 0,155 kW praktisch aus. Aber wir wollten ja nicht über ein Einsteigermotorrad berichten. Hier geht’s um ein Alte-Männer-Spielzeug. Und wir Senioren fühlen uns wie in besten Teenager-Zweitakt-Tagen, wenn es darum geht, der 250er Leistung zu entlocken. Ohne hohe Drehzahlen geht nichts. Gar nichts. Okay, ab 3000 Touren nimmt der Twin sauber Gas an, doch die Drehzahlmessernadel sollte schon senkrecht stehen, also irgendetwas zwischen 7000 und 8000 U/min anzeigen, damit das Spielzeug wenigstens etwas zum Feuerzeug wird. Die Höchstleistung liegt ohnehin erst bei 11000 U/min an, und bis zum Eingreifen des Drehzahlbegrenzers dreht die Viertaktorgel noch munter 2000 U/min höher. Drehzahlbegrenzer? Jawohl, was auf Fireblade, R1 und Co. im Alltagsbetrieb eine eher selten genutzte Einrichtung ist, wird auf der Ninja 250R zum regelmäßigen Spielpartner. Das mag für gestandene Drehmoment-Surfer befremdlich wirken, hat aber durchaus seinen besonderen Reiz, weil es eben unheimlich locker und spielerisch abläuft. Der muntere Twin wirkt nie angestrengt, hat spürbar Spaß an der Drehzahl-Orgie und verkraftet die heftigen Kurbelwellen-Rotationen völlig problemlos. Hier wird nicht ein harmloser Uralt-Motor erbarmungslos gequält, hier wird eine genau für diesen Einsatzzweck gebaute Konstruktion artgerecht genutzt. Die besagten Langzeiterfahrungen attestieren der kleinen Ninja zudem sehr hohe Zuverlässigkeit, es darf also mit absolut ruhigem Gewissen kräftig georgelt werden.

Die butterweiche Kupplung und das praktisch ohne spürbaren Widerstand zu schaltende Sechsganggetriebe machen die Sache rund und kommen fleißig zum Einsatz; denn ein maximales Drehmoment von 22 Nm bei 8200 U/min ist nicht unbedingt das, was einer schaltfaulen Fahrweise zuträglich wäre. Für den Sprint von 0 auf 100 benötigt die 250er rund siebeneinhalb Sekunden, was im Vergleich mit Mittelklasse-Motorrädern natürlich eher mäßig ist, sich aber relativiert, wenn man durchaus ordentlich motorisierte PKW zum Vergleich nimmt. Als Höchstgeschwindigkeit verspricht Kawasaki 160 km/h, doch oberhalb der Autobahn-Richtgeschwindigkeit wird’s dann doch schon sehr zäh. Aber aus genau dieser Not macht der gereifte Fahrer eine Tugend. Plötzlich haben Steigungen und Gefällstrecken wieder eine elementare Bedeutung. Plötzlich gewinnt der Begriff „Windschatten” wieder an Brisanz – alles wie früher, nur noch viel unterhaltsamer; denn früher mußte man Kleingeraffel fahren, heute darf man es. Aber natürlich nicht am liebsten auf der Autobahn, sondern im Winkelwerk zweitklassiger Landstraßen. Anbremsen, Abwinkeln, Umlegen, Durchstechen, Angasen – Motorrad fahren kann so einfach sein. 110/70-17 vorn und 130/70-17 hinten sind genau die Größen, die man fürs unendliche Links-rechts-links-rechts-links-rechts braucht. Was man allerdings nicht braucht, sind die „IRC Road Winner”, die übrigens auch aus Thailand stammen. Der japanische Hersteller IRC mag gute Fahrradreifen bauen, das geniale Fahrrad-Handling der Ninja 250R hätte speziell aber bei Nässe bessere Reifen verdient gehabt. Die Universalwaffe Bridgestone BT 45 ist eine viel bessere Wahl für den frühstmöglichen Tausch.

Kawasaki Ninja 250 R (Mod. 2009)Zum munteren Kampf mit den Elementen gehört auch der Umgang mit Bremshebel- und Pedal. Vorn und hinten je eine Scheibe mit je einem Doppelkolben-Sattel, das muß reichen. Und es reicht völlig, denn die kinetische Energie einer Ninja 250R spielt eben nicht in der Superbike-Liga. Natürlich sind das keine Super-Duper-Zweifinger-Megastopper, aber ordentlich dosierbar und in der Wirkung völlig ausreichend sind sie allemal. Sie passen wie die stinknormalen, nur hinten in der Federvorspannung verstellbaren Federelemente bestens zum Grundcharakter der Discount-Kawa. Und der lautet „völlig unkompliziert”. Wer immer schon das unterschwellige Gefühl hatte, daß sein Motorrad deutlich mehr kann als er selbst, braucht ein Zweitmotorrad wie die Ninja. Die beschert einem nämlich Glücksgefühle, die man auf den übermotorisierten Prestige-Bikes selten bis gar nicht hat: „Ja, ich habe die Technik mal wieder ausgereizt! Ja, ich habe auf meiner Hausstrecke wieder ein paar Sekunden gefunden! Ja, ich habe dem Langweiler mit der noch langweiligeren 600er im Kurvenlabyrinth gezeigt, daß auch klein gemein sein kann!”

Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, meine Beigeisterung für die 250er-Kawa darf nicht als ein pauschales „Wir-brauchen-keine-Superbikes-mehr” gedeutet werden. Ich mag dicke, fette, hubraumstarke Maschinen. Aber ich habe auch mit Freude zur Kenntnis genommen, daß eine 250er als zusätzliches Spielzeug hervorragend in die Garage paßt. Auch und gerade, wenn sie so völlig problemlos (und so unverschämt günstig…) wie die Kawasaki Ninja 250R ist. So ganz nebenbei taugt das extrem sparsame Gerät (3,1 Liter Durchschnittsverbrauch auf der Landstraße!) auch ganz hervorragend als Untersatz für Anfänger, Wiedereinsteiger, Motorrad fahrende Berufspendler und kleine Frauen. Aber darüber wollen Sie hier doch wirklich nichts lesen, oder?