aus Kradblatt 2/16
Text & Fotos: www.winni-scheibe.com

Experiment Zweitakter: Kawasaki 750 H2R Flat Tracker von 1975
Team-Kanemoto #19 Scott Brelsford

Harley Davidson XR750 Flat Track Werksmaschine 1975Die Claims sind abgesteckt. Im amerikanischen Flat Track Rennsport ist die Harley-Davidson XR750 Chef im Revier. Es hätte allerdings auch anders kommen können. Mitte der 1970er Jahre sollten zornige Zweitakter die Vorherrschaft beenden. Beinahe wäre es gelungen.

Indianapolis USA, August 1975. Ein riesiger Schock. Yamaha-Werksfahrer Kenny Roberts schob ein wahrhaftiges Monster-Bike an den Start. Im filigranen Flat Track Chassis saß der 120 PS starke Vierzylinder-Zweitakt-Rennmotor von der Yamaha TZ750. Im Finale kam es, wie es kommen musste. Auf den letzten Metern überholte der junge Draufgänger die Harley-Werksfahrer Corky Keener und Jay Springsteen mit ihren XR750 und gewann das Rennen. Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Umgehend änderte die AMA (American Motorcycle Association) das Reglement. Ab 1976 durften bei den Flat Tracks nur noch Maschinen mit maximal zwei Zylindern starten. Insider waren sich sicher, dass hinter allem die „Milwaukee-Mafia“, Harley-Davidson themselves, steckte.
Dabei war der Ausnahmekönner Kenny Roberts, er wurde 1978, 1979 und 1980 500er-Straßenweltmeister, längst nicht der Erste, der im Flat Track gegen die übermächtige Armada von Harley-Davidson mit einem Zweitakter für Wirbel sorgte. Doch sein spektakulärer Auftritt und die damit verbundenen Folgen sorgten in der Szene lange für Gesprächsstoff, und blieb den Fans fest im Gedächtnis haften. Fast vergessen sind die Jahre 1974 und 1975, als das Rennteam von Erv Kanemoto die Kawasaki 750 H2R Flat Tracker von den Racern Gary Nixon, Don Castro und Scott Brelsford betreute, und damit überhaupt erst die Idee von einem Flat Tracker mit Straßenrennmotor ins Leben rief.

Flattracker in AktionDer hochbegabte Techniker und Tuner mit japanischen Wurzeln war bereits seit Ende der 1960er Jahren bestens mit Kawasaki-USA verbunden. Als Mechaniker im Rennteam betreute er in 1973 die Kawasaki 750 H2R Straßenrennmaschine von Gary Nixon. In der damaligen Zeit gehörte Gary Nixon zu den erfolgreichsten und beliebtesten Racern in den USA. Mit Triumph wurde er 1967 und 1968 AMA Grand National Champion und Daytona-200-Sieger.

In den 1970er Jahren vertraute der Racer auf Kawasaki und Suzuki. Für die Saison 1974 sollte der Vollprofi als derzeitiger Suzuki-Fahrer im Kampf um die National Championship ebenfalls im Flat Track starten – nur eben nicht mit Suzuki.

Von einer echten Kawa-Werksmaschine konnte jedoch keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Die Kawasaki 750 H2R Flat Tracker entstanden auf Initiative von Erv Kanemoto, der inzwischen sein eigenes Rennteam gegründet hatte und damit nicht über sehr große Geldmengen verfügte als „Low Budget Racer“.

Kawasaki H2 Flattrack linksDas Fahrwerk ließ der Teamchef nach seinen Vorgaben beim Rahmenspezialisten „Champion“ in Kalifornien herstellen. Für das 750er H2R-Renntriebwerk brauchte Erv Kanemoto nur ins Regal zu greifen. Alle drei Zylinderköpfe wurden mit Dekompressionsventilen ausgestattet, durch Ziehen eines Hebels am linken Lenkerende wurden die Ventile geöffnet und der 7:1 verdichtete Motor ließ sich leichter anschieben. Die Rennkurbelwelle erhielt das Öl direkt über die Ölpumpe aus dem Vorratsbehälter, Kolben und Zylinder wurden von einem 1:30 Benzin-Ölgemisch geschmiert.

Nachdem der Triple in das neue Chassis eingebaut war, erfolgte das Anpassen der sich eng am rechten Rahmen anschmiegenden ungedämpften H2R-Rennauspuffanlage.

Kawasaki H2 Flattrack rechtsIm Flat Track wird grundsätzlich nur gegen den Uhrzeigersinn gefahren, das rutschige Rennoval besteht aus zwei Geraden und zwei Linkskurven. Eine Vorderradbremse ist im Flat Track verboten, hinten dient eine Scheibenbremse als Notstopper. Schalthebel und Brems­pedal fanden aus diesem Grund ihren Platz an der rechten Fahrzeugseite. Konsequent setzte Erv Kanemoto auf Gewichtsreduzierung, das Ergebnis von 120 kg konnte sich sehen lassen.

In der von Viertaktern, allen vorweg die Harley-Davidson XR750, beherrschten Domäne, war der giftige Kawa-Triple der schillernde Außenseiter. Das Zweitakt-Experiment verlief trotz Anfangsschwierigkeiten vielversprechend, schon zu Beginn der Saison 1974 konnte Gary Nixon etliche Achtungserfolge einfahren. Nicht ohne Folgen. Die eine Fraktion betrachtete die Offensive schon fast wie einen Angriff auf ein Nationalheiligtum, das sich unmissverständlich gegen die Harley-Racer richtete, die anderen fieberten euphorisch einer neuen Zeit entgegen. Leider sollte es anders kommen: bei Testfahrten im Sommer 1974 in Japan stürzte der Haudegen mit einer Suzuki und brach sich mehrfach beide Arme. Verletzungsbedingt musste er daher die Saison 1974/1975 abschreiben.

Renn Trockenkupplung Schalthebel Fuenfgang Renngetriebe und Hinterrad Bremshebel auf der rechten FahrzeugseiteFür 1975 waren aber bald die Weichen gestellt. Teamchef Kanemoto verpflichtete Don Castro und Scott Brelsford (Bruder von Mark Brelsford, dem Grand National Champion von 1972) und gab bei „Champion” zwei weitere Fahrwerke in Auftrag. Top-Favorit in der schwer umkämpften Meisterschaft war allerdings Yamaha-Werksfahrer Kenny Roberts. Das Allroundgenie hatte 1973 mit nur 22 Jahren – 1974 wiederholte er den Streich – die AMA Grand National Championship auf einer auf 750 ccm aufgebohrten Yamaha XS650 Flat-Tracker gewonnen. Mit dem Twin war Kenny Roberts der Konkurrenz auf der Harley-Davidson XR750 jedoch unterlegen, allein seinem außergewöhnlichen Fahrkönnen ist es zuzuschreiben, dass er ganz vorne mitmischen konnte. Kenny Roberts und Yamaha wollten aber 1975 unbedingt wieder Champion werden, koste es, was es wolle.

Kawasaki H2 Flattrack FrontDass ein Zweitakter die einzige Antwort sein konnte, zeigten die beiden Drift-Akrobaten von Erv Kane­moto. Yamaha baute nach diesem Muster für Roberts und andere den TZ750-Tracker, alles weitere ist Geschichte. Das Intermezzo der 750er Rennzweitakter im Flat Track war grell und schrill, aber leider nur von kurzer Dauer.
Noch ein Satz zur Tuner-Legende Kane­moto. Nachdem sich Kawasaki 1976 aus dem USA-Rennsport zurückgezogen hatte und er in diesem Jahr mit Gary Nixon mit der wassergekühlten Kawasaki KR750 in der Formel 750 Vize-Weltmeister geworden war, heuerte der Tuner bei Honda an. Er entdeckte und förderte Freddie Spencer, der 1983 als jüngster Rennfahrer 500er Weltmeister mit der Dreizylinder-Zweitakt-Honda wurde.

Kawasaki H2 Flattrack HinterradbremseAMA Grand National Championship
Dass die Uhren in den USA etwas anders ticken, braucht man niemandem zu erklären. Bestes Beispiel hierfür ist der Motorradsport. Schon immer hat man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein eigenes Süppchen gekocht. Bereits als es kurz nach 1900 mit den Wettrennen losging, bauten clevere Unternehmer quer durchs Land hölzerne Arenen. In diesen Motordromes, mit jeweils zwei bis zu 60 Grad geneigten Steilwandkurven, donnerten waghalsige Kerle auf speziellen 1000er Rennmaschinen ohne Kupplung und Getriebe und ohne Bremsen mit gut 200 Sachen über ungehobelte Holzplanken. Das Schauspiel war spektakulär, zog wie ein Magnet tausende von Besuchern an, kostete die Racer aber einen hohen Blutzoll. Schwere Unfälle und Tote gehörten zur Tagesordnung. Als Nachfolger der „Neck and Neck with Death“ Board Track Rennen etablierten sich die Dirt Track oder auch Flat Track Rennen auf flachen rutschigen Ovalkursen. Die Bahnen waren eine viertel, eine halbe oder eine Meile lang. Richtig los ging es mit dieser Sause nach dem Zweiten Weltkrieg. So eigen die Amis auch sein mögen, Grundwerte, wie die Vereinsmeierei, haben sie der Alten Welt abgeguckt. Für die Organisation von Sportveranstaltungen ist die AMA zuständig. Und damit die Motorradfans am Ende der Saison ihren Helden feiern konnten, wurde ab 1954 der „AMA Grand National Championship“ eingeführt.

Klingt vernünftig, machte für den Sport auch Sinn. Doch ganz so einfach war die Sache nicht. Die Meisterschaft war nämlich in drei Kategorien eingeteilt: Flat Track, als Bahnrennen, TT, eine Art Moto Cross und reinrassige Straßenrennen. Den AMA-Funktionären ging es damals bei diesem Reglement vorrangig um die Fahrer, der Beste sollte am Saisonschluss als „Grand National Champion“ gefeiert werden. Dieser Titel war die höchste Auszeichnung, die ein US-Rennfahrer erreichen konnte. Aus amerikanischer Sicht betrachtet, ein sehr wertvolles Prädikat, wertvoller als ein Titel in der Motorrad-Straßenweltmeisterschaft.

Die Rennen war enorm populär, die Profifahrer verdienten gutes Geld mit ihrem Sport. Besonders große Beliebtheit in dieser Serie genossen die Flat Track Läufe. Das Oval der fest gewalzten, mit Ölsand überstreuten, Lehmfahrbahn war für die Zuschauer perfekt überschaubar. Start, Kurvenfahrstil, Positionskämpfe und Überholmanöver ließen sich von den begeisterten Fans in der Arena hautnah mitverfolgen, vergleichbar mit der Atmosphäre in einem Fußballstadion.

Im Affenzahn raste die Meute auf die Kurve zu. Die Racer nahmen kurz das Gas weg, legten das Bike in Schräglage und streckten zum Ausbalancieren den linken Fuß raus, um dann im atemberaubenden Drift durch die Kurve zu segeln. Oft passte zwischen die Kontrahenten kaum ein Blatt Papier.

Optisch und akustisch waren die Vorstellungen für die Schlachtenbummler ein Genuss. Genau so müssen Viertakter mit offenen Megaphonrohren brüllen. Wer hier erfolgreich sein wollte, kam allerdings kaum um eine Harley-Davidson herum. Für den Flat Track hatten die Ingenieure von der Motor Company die XR750 entwickelt. Die speziellen Anforderungen schienen der XR750 wie auf den Leib geschneidert zu sein. Durch die enorme Durchzugskraft des V2-Motors, der guten Motorbremswirkung sowie dem tadellosen Fahrwerk brachte es der Milwaukee-Bahnracer zum „King in der Manege“. Nach dem Willen der HD-Manager soll es bis ans Ende der Welt auch so weiter gehen. Und kommt etwas dazwischen, ändert die AMA schnell das Reglement, so einfach ist das.

Importware
Kawasaki H2 Experte Juergen WeissNach dem Aus für die Zweitaktraketen verschwanden die Kawasaki 750 H2R Flat Tracker zunächst von der Bildfläche. Es gab keine Möglichkeit, die schnellen Bahnrenner in einer anderen Disziplin einzusetzen. Vielleicht wären sie endgültig vergessen worden.

„Im Sommer 2004 zeigte mir ein Insider Bilder von einem Kawasaki Flat Tracker, den er in einem privaten Museum in den USA gesehen hatte. Sofort erinnerte ich mich an die Geschichte und fragte bei dem Besitzer nach, ob ich das Bike kaufen könnte“, verrät Jürgen Weiss. Der in der Motorenentwicklung tätige ­Diplom-Ingenieur ist ausgewiesener Kawasaki Zweitakt-Experte und in der Szene als H2-Guru bekannt. Seine Sammlung umfasst alle 750er H2-Modelle, sowie „Spezial-H2“ mit z.B. Sonderfahrwerken und beherbergt die größte in Europa befindliche Sammlung von originalen H2R/KR750 Werksrennmaschinen.

Bald stand die Rarität aus den USA in seiner Garage. „Der technische Zustand war nicht berauschend. Den Tracker habe ich komplett überholt und so aufgebaut, wie er von Scott Brelsford mit der Startnummer 19 in der Saison 1975 gefahren wurde. Leider gibt es bei uns kaum eine Möglichkeit den weitgehend unbekannten Bahnrenner mal in Aktion einem interessierten Publikum zu zeigen. Dafür wird die außergewöhnliche Maschine bei Clubtreffen und bei Ausstellungen um so mehr bestaunt”, lässt Jürgen Weiss mit einem gewissen Stolz auf sein Tracker-Exponat wissen.

Technische Daten Kawasaki 750 H2R Flat Tracker von 1975

Motor
Luftgekühlter, schlitzgesteuerter Dreizylinder-Zweitaktrennmotor, Bohrung x Hub 71,0 x 63,0 mm, 748 ccm, Verdichtung 7:1, ca. 100 PS, drei Mikuni-Vergaser, Ø 38 mm, K&N-Luftfilter, pro Zylinder ein Dekompressionsventil, kontaktlose Kokusan-­Magnetzündanlage ohne Batterie, modifizierte H2R-Rennauspuffanlage, Mehrscheiben-Trockenkupplung, Fünfgang-Renngetriebe, Endantrieb über Kette

Fahrwerk
„Champion“ Flat Track Doppelrohr-Rennrahmen aus Stahl, Ceriani-­Telegabel, vorne 19-Zoll-Speichenrad mit Alu-Hochschulterfelge. 4.00-19 Pirelli MT53 Reifen. Stahl-Schwinge mit zwei Federbeinen, hinten 19-Zoll-Morris­-Magnesium-Gussfelge, ­4.00-19 ARROW-RA-Reifen, gelochte Scheibenbremse, Ein-Kolben-Bremszange, Gewicht 120 kg, Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h