aus bma 08/96

von Klaus Herder

Eh-Änn fünfhundert – na klar, das ist doch der Chopper mit dem Sportler-Motor aus der Gehpehzett fünfhundert. Richtig. Wem dieser Sachverhalt bekannt ist, der verfügt immerhin über ein gepflegtes Motorrad-Halbwissen. Echte Profis wissen mehr, nämlich, daß der Zweizylindermotor des ab 1987 verkauften Sportlers GPZ 500 S wiederum von einem Chopper abstammt, genauer gesagt von der 1985 präsentierten Z 450 LTD. Damit nicht genug: Allwissende verweisen an dieser Stelle auf den Umstand, daß der LTD-Motor ja eigentlich nichts anderes als ein halbiertes GPZ 900 R-Triebwerk sei. Und das ehemalige Kawa-Flaggschiff ging bekanntlich als Sportler durch. Mit etwas Mühe ließe sich die Reihe vermutlich bis zurKawasaki EN 500 Henne und dem Ei zurückverfolgen. Womit dann immer noch nicht geklärt wäre, was zuerst da war: Sportler oder Chopper? Egal. Oder auch nicht, denn die schier endlose Familiensaga trifft den Kern eines Problems. Das Problem an sich: Sechs Jahre EN 500 waren sechs Jahre unbefriedigender Verkaufszahlen. Kawasakis Mittelklasse-Chopper stand immer im Schatten der drei japanischen Mitbewerber. Eine Yamaha XV 535 war immer schöner, die Suzuki LS 650 immer uriger und die Honda VT 600 C immer erwachsener. Die EN 500 war stets ein gutes Motorrad, aber das reichte nicht. Chopperfahrer brauchen keine vier Ventile pro Zylinder, keine zwei obenliegenden Nockenwellen, keine Wasserkühlung und erst recht keine Ausgleichswelle. Die Kawa-Techniker hatten sechs Jahre lang Perlen vor die Säue geworfen.

 

Kawasaki EN 500Chopper-Fans brauchen kein gutes Motorrad, sie brauchen ein Gerät, um das man in der Garage herumschleichen und immer wieder „Mein Gott, ist die schön!” murmeln kann. Sie brauchen einen Untersatz, den der unbedarfte Nachbar mit einer „Harrlei” verwechselt, und der zumindest ansatzweise so etwas wie Vibrationen und/oder „Kraft aus dem Keller” produziert. Die EN 500 war zu glatt, namentlich ihr agiler Motor. Zarte Ansätze gab es 1994. Doch Drahtspeichenräder und ein neues Kleidchen brachten auch nicht den erhofften Verkaufsschub. Den soll es ab diesem Jahr nun endlich geben. 1996 startete Kawasaki mit einer verschärften Chopper-Offensive: VN 800 Classic, VN 1500 Classic und natürlich EN 500. Doch wo bei den beiden großen Schwestern vermeintlich stilechte V-Zweizylinder ihren Dienst tun, wird bei der 500er immer noch gegenläufig in Reihe gearbeitet. Doch im Gegensatz zu den Facelifting-Aktionen der Vergangenheit ging es dem Twin diesmal ans Eingemachte: Kleinere Vergaser (32er- statt 34er-Keihin), geringere Verdichtung (10,2 : 1 statt 10,8 : 1), 25 Prozent mehr Schwungmasse, eine neue Zündanlage und geänderte Steuerzeiten – die motorseitigen Veränderungen sind zahlreich. Die Leistung sank durch diese Eingriffe in der offenen Version zwar von 50 PS bei 8.500/min auf 46 PS bei 8.000/min, das maximale Drehmoment der neuen EN (45 Nm) liegt aber bereits bei 6.000/min an, die alte 500er stemmte ihre 44 Nm erst bei 7.300 Touren. Die Unterschiede bei der über die Gasschieber gedrosselten Stufenführerschein-Version sind noch deutlicher: alt 34 PS bei 7.500/min und 36 Nm bei 6.000´/min, neu 34 PS bei 7.000/min und 39 Nm bei nur 4.200/min. Ab Importeur wird die EN übrigens nur in der gedrosselten Version ausgeliefert. Die Umrüstung auf die volle Leistung ist Händlersache. An Materialkosten fallen dabei knapp 300 Mark an.
Kawasaki EN 500Die Motor-Modifikationen dienten nur einem Ziel: die EN 500 souveräner zu machen. Das gelang den Technikern vollauf. Aus der agilen Drehorgel wurde ein lässiges Druckmittel. Die Freude am Choppern beginnt bereits beim Starten. Vorausgesetzt der Chopper-Treiber betrachtet das Einfädeln des Zündschlüssels in das sehr weit vorn unterm Tank angebrachte Zündschloß nicht als umständliche Fummelei, sondern als beruhigendes Ritual. Beim zweistufigen Choke ist dagegen der direkte Weg der richtige: Der Hebel ist am Vergaser angebracht. Die Warmlaufphase ist ähnlich kurz wie bei der Vorgängerin, spätestens nach einem Kilometer konnte früher und kann auch heute noch die Starthilfe komplett zurückgenommen werden. Was allerdings völlig anders ausfällt, sind die Lebensäußerungen. Der Sound der neuen EN 500 ist deutlich dumpfer und kerniger als der des Vorjahresmodells. Großen Anteil daran hat die neue, optisch weitaus gefälligere Auspuffanlage. Doch nicht nur bei der Topf-Gestaltung leisteten die Kawasaki-Designer gute Arbeit. Die ganze Maschine geriet deutlich stilsicherer als ihre Vorgängerin. Dabei arbeiteten die Formgestalter nur nach einer altbekannten Regel des Chopperbaus, die da lautet: flach und lang. Das ’96er Modell der EN 500 sieht tatsächlich auf den ersten Blick gestreckter aus als die alte EN. Das war mit dem ursprünglichen Rahmen nicht mehr zu realisieren, das Doppelschleifen-Stahlkorsett ist eine völlige Neukonstruktion. Radstand, Nachlauf und Gesamtlänge legten zu (1595/151/2360 mm zu 1545/134/2290 mm), der Lenkkopfwinkel geriet mit 57 Grad um zwei Grad flacher als der der Ur-EN.
Kawasaki EN 500Kurzbeinige werden sich über die Reduzierung der Sitzhöhe freuen. Waren 730 mm bisher schon recht tief, so sind es beim aktuellen Modell nochmal zwei Zentimeter weniger. Und da man gerade so schön dabei war den Arbeitsplatz neu zu gestalten, legten die Ergonomie-Experten auch gleich bei Lenker und Fußrasten Hand an. Mit beidem kommen nun auch normalgewachsene Fahrer klar, Füße und Hände können nun endlich dort untergebracht werden, wo es eine bequeme Sitzhaltung gebietet. Die alte EN zwang ihren Fahrer dagegen in eine unnatürlich zusammengekauerte Stellung. Was flöten ging, ist die Soziustauglichkeit. Doch muß das von Nachteil sein? Zweipersonenbetrieb ist etwas für Tourer – Chopperfahrer sind bekanntlich „lonesome rider”. Mit einer Person sind das konventionelle Fahrwerk und die wenig spektakuläre Bremsanlage (Scheibe vorn, Trommel hinten) auch vollauf bedient. Die Handlichkeit der vollgetankt 215 Kilogramm schweren Maschine ist dabei erstaunlich gut. Das Schluckvermögen der in der Federvorspannung fünffach verstellbaren Federbeine reicht gerade eben aus, die Dämpfung fiel aber choppertypisch ungenügend aus. Das stört aber nicht weiter, solange der Fahrbahnbelag schön eben ausfällt.
Die Vorderradbremse verlangt nach einer kräftig zupackendenden Hand und verzögert auch bei vollem Einsatz eher mäßig. Die Trommel im Hinterrad läßt sich dafür recht gut dosieren, ihre unterstützende Tätigkeit ist äußerst wirksam.
Die Schräglagenfreiheit ist auch für Chopperverhältnisse völlig unzureichend. Im flotten Kurvengeschlängel setzten allerding meist nur die klappbaren Fußrasten auf. Wer sich vom ersten Schreck erholt hat, wird später vielleicht sogar Spaß an der ungefährlichen Fräsarbeit haben.
Der Tank ist nun nicht mehr ein Relikt aus der Zeit des Chopper-Barock. Das neue 15 Liter-Faß ist nicht nur schöner, sondern auch größer als der alte Tank (elf Liter). Das neue, Normalbenzin bunkernde Behältnis wird übrigens auch auf der VN 800 verbaut. Sprit nachfassen ist im Idealfall erst nach knapp 300 Kilometern angesagt. Lässiger Landstraßenbetrieb wird mit einem Verbrauch von 4,5 Litern/100 km belohnt. Zügige Autobahnjagd mit maximal 170 km/h in der offenen Version kostet rund zwei Liter mehr.
Etwas mehr kosten wird auch der Unterhalt der neuen EN 500. Zum einen, weil der Zahnriemen der alten EN durch eine pflegeintensivere O-Ring-Kette ersetzt wurde, zum anderen weil der EN-Pilot im neuen umfangreichen Originalzubehör-Programm ganz sicher das eine oder andere Chopper-Leckerli wie Lederpacktaschen oder Sissybar entdecken wird. Etwas günstiger fallen zukünftig die Werkstattkosten aus, denn ab Modelljahr 1996 brauchen Kawasakis nur noch alle 6.000 Kilometer zum Service (vorher alle 5.000). Als Eintrittsgeld in die EN-Welt verlangt der freundliche Kawasaki-Händler 10.890 Mark inklusive Nebenkosten. Das ist rein zufällig der gleiche Tarif, den sein Yamaha-Kollege für die XV 535 haben möchte.
Was früher eher eine Glaubensfrage war, ist mittlerweile nur noch eine Geschmacksfrage. Die EN 500 hat sich nämlich vom guten Motorrad zum ordentlichen Chopper gewandelt. Zumindest eine Probefahrt sollte das dem einen oder anderen Chopper-Fan wert sein.