aus Kradblatt 9/23 von Jogi,
Fotos: Tine, www.penta-media.de

Ein „Oldie“ für Genießer …

Jawa 300 CL - Fahrspaß steigt nicht automatisch mit Hubraum und Leistung
Fahrspaß steigt nicht automatisch mit Hubraum und Leistung

Jawa? Das hab ich irgendwann doch schon einmal gehört oder gelesen…
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ie Marke Jawa entstand bereits 1929 aus einer Munitions- und Waffenfabrik in Tschechien. Nicht nur Motorräder, sondern auch PKW wurden unter dieser Bezeichnung gebaut. Der Name Jawa setzt sich aus dem Namen der Firmengründers František Janeček und seinem ersten Motorradmodell, einer im Lizenzbau gefertigten Wanderer K500 zusammen, die dann Jawa 500 OHV hieß.

Perfekte Retro-Optik
Perfekte Retro-Optik

In Westdeutschland wurden Jawa Mofas in den 1970er Jahren bis zum Anfang der 1980er tatsächlich über die Versandhäuser Quelle und Neckermann angeboten und erfreuten sich großer Beliebtheit – nicht nur der günstigen Preise wegen. Jetzt fällt es mir auch wieder ein: es parkten einige dieser Mofas im Fahrradständer unseres Schulhofes. Ganz großes Kino, wenn sich damals einer so ein Mofa oder Moped leisten konnte und die Eltern auch noch die Zustimmung dafür gaben.

In der ehemaligen DDR hingegen wurde der Import von Jawas bereits Mitte der 70er wieder eingestellt, denn sie konnten sich gegen die Simson aus Suhl nicht durchsetzen, obwohl die Marke Jawa auch im Rennsport durchaus erfolgreich war. 1963 waren beachtliche 250.000 Jawa und ČZ-Jawa-Lizenz-Nachbauten im Arbeiter- und Bauernstaat angemeldet.

Die Jahresproduktion von Jawa Motorrädern lag in den 80ern bei stolzen 100.000 Zweirädern, brach aber auf Grund politischer Umschwünge rapide ein. 1991 waren es nur noch 20.000 und 2017 sogar nur noch 1.300 Maschinen. Strengere Abgasvorschriften machten den Verkauf in der EU unmöglich. 

Die notwendige Motorentechnik hat sich Jawa deshalb von Rotax aus Oberösterreich und Shineray aus China gekauft, um sie für aktuelle Modelle zu modifizieren. Gefertigt werden die Motorräder für den europäischen Markt nun unter Lizenz bei „Classic Legends Pvt“ in Indien, einem Unternehmen des Mahindra Konzerns. Auch bei RVM in Argentinien werden lizensierte Jawas gebaut, jedoch nicht nach Europa exportiert.

Kleine Straßen bringen viel Spaß
Kleine Straßen bringen viel Spaß

Bei uns in Norddeutschland hat Felix Urbanek vom „Tipicamp-Nord“ in Kaltenkirchen Jawa ins Sortiment aufgenommen – ein Grund, ihm einen Besuch abzustatten.

Jawa 300 CL: Reichlich mit Chrom ausgestattet und in markentypischem Rot gehalten, brauchten wir die Jawa 300 CL nicht lange zu suchen. Sympathie auf den ersten Blick, was für eine wunderschöne Maschine! Diesen Satz könnte ich noch 3x wiederholen und unterstreichen, obwohl es nicht besonders verwunderlich ist, denn bei Jawa wurde stets auf einen ästhetischen Motorradbau mit harmonischen und wohl proportionierten Formen geachtet.

Angelehnt an das Design der Jawa 350 Typ 354 (1954–1964), erscheint die Jawa 300 CL wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Reduziert auf das Wesentliche, bedarf es kaum einer Einweisung, um mit ihr ohne Studium ad hoc losfahren zu können. Die Maschine erklärt sich von selbst. Ist das nicht toll?! Ich bin kein Freund von langen Bedienungsanleitungen und sofort begeistert.

Ungewohnt: Die Nadel dreht nach unten
Ungewohnt: Die Nadel dreht nach unten

Die Instrumente sind formschön ins Lampengehäuse integriert. Außer Geschwindigkeit, Kilometern und Tankinhalt wird nichts auffällig angezeigt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Geschwindigkeitszeiger. Er startet in der 2-Uhr-Stellung, statt wie üblich gegen 8 Uhr. Ein Drehzahlmesser erübrigt sich, man fährt nach Gehör. Die Kontrollleuchten auf der güldenen Tachoscheibe sind bei Sonneneinstrahlung nur schwer zu erkennen. 

Das ABS regelt nur die vordere 280 mm Scheibenbremse, denn hinten wirkt eine Trommel. Die Bremswirkung ist unspektakulär und passt zum gutmütigen Charakter der Jawa. Unterhalb von 5 km/h stellt das ABS seine Funktion ein. Die Bremsanlage stammt aus dem guten Hause Brembo, wie der unmissverständliche Schriftzug BYBRE zu erkennen gibt.

Brems- und Kupplungshebel sind nicht einstellbar, passen jedoch prima in meine Handschuhgröße-XL-Hände. Außerdem bedarf es keiner besonderen Kräften die Hebel zu bedienen.

Ebenso universal passend ist die bequem gepolsterte Sitzbank, auf der man je nach Körperlänge einfach hin und her rutschen kann bis alles sitzt. Sonderlich viel Platz für den Sozius bleibt allerdings nicht. Mit der Sitzhöhe von nur 765 mm kommt hingegen jeder klar.

Gemütlich Reisen mit der Jawa
Gemütlich Reisen mit der Jawa

Der Einzylinder-Motor mit seinen beiden obenliegenden Nockenwellen (d. h. DOHC) leistet 17 kW bzw.
23 PS bei 7.000 U/min und sorgt dafür, dass die 179 kg leichte Jawa bis zu 125 km/h Fahrt aufnimmt. 

Der geneigte Leser hat bereits bemerkt, dass die Maschine für die entschleunigte Art der Fortbewegung konstruiert wurde. Trotzdem ist man mit der Jawa in der Lage, stressfrei im Verkehr mitzuschwimmen. 

Der 295 ccm Motor läuft wunderbar rund und zieht gleichmäßig aus den unteren Drehzahlen heraus. Bei 5.750 U/min liegt das höchste Drehmoment von 25 Nm an.

Im Vergleich zur direkten Konkurrentin, der ebenfalls aus Indien stammenden Royal Enfield 350 Classic, ist die Jawa nicht nur 16 kg leichter, sondern sie ist durch ihren flüssigkeitsgekühlten Motor stets temperaturstabil. Sollte es ihr einmal zu warm werden, schaltet sich am Kühler ein kleiner Lüfter ein. Außerdem kann sie im Vergleich trotz 55 ccm weniger Hubraum mit 3 PS zusätzlicher Motorleistung aufwarten. Das zieht zwar nicht die Wurst vom Teller, aber macht die Jawa zumindest auf dem Papier dynamischer.

Unkomplizierte Bedienung ohne Conectivity & Co.
Unkomplizierte Bedienung ohne Conectivity & Co.

In der Praxis ändert sich jedoch nicht wirklich etwas. Ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich, wenn ich nicht zu anderen Geschwindigkeiten genötigt werde, mit gemütlichen 70 km/h auf dem Tacho unterwegs bin, obwohl die Verkehrssituation mir freien Lauf gewährt. 

Jedes Motorrad hat ein Tempo bei dem es besonders gut fährt. Bei der Jawa 300 CL scheint es Tempo 70 im 6. Gang zu sein. Genau das Richtige für Genießer, die auch gerne etwas von von der Landschaft mitbekommen wollen. Gemeinsame Ausfahrten sind deshalb insbesondere mit
Gleichgesinnten empfohlen.

ByBre von Brembo mit ABS vorne
ByBre von Brembo mit ABS vorne

Das Handling der nicht allzu schweren Maschine gestaltet sich recht einfach. Ihr Fahrverhalten ist problemlos und spurstabil, auch wenn es über 100 km/h hinaus gehen sollte. Die schmalen Reifen, 90/90 18 Zoll vorne, 120/80 17 Zoll hinten, auf Speichenfelgen, tragen dazu bei.

Mit 135 mm Federweg an der Vorderradgabel und 100 mm an der hinteren Schwinge wird alles souverän ausgebügelt, was einem auf Asphalt begegnen könnte.

Das 6-Gang Getriebe schaltet sich präzise, nur der Leerlauf ist manchmal schwer zu finden, weil das N-Kontrolllämpchen bei Sonneneinstrahlung wie erwähnt kaum sichtbar ist. Beim Einlegen des ersten Ganges hört man zur Bestätigung ein herzhaftes, aber nicht ungesund hart klingendes „Klong!“.

Die Jawa verfügt über einen verchromten Doppelauspuff, der nicht nur optisch sehr schön gelungen ist, sondern akustisch auch durch seinen unaufdringlichen, sonoren Klang erfreut.

Viel Chromfläche ist auch am Tank zu sehen. Dieser ist liniert, fasst 13,2 Liter und ermöglicht auch größere Etappen ohne Tank-Stopp. Alleine dieser wunderschöne Tankdeckel … und die Hupe … Diese Maschine verfügt über zahlreiche liebevolle Details, die den Augen schmeicheln und ihr einen besonderen Charakter verleihen.

Auch cool: die mattschwarze Jawa 350 CL Pérák mit Solositz
Auch cool: die mattschwarze Jawa 350 CL Pérák mit Solositz

Ich kann nicht leugnen, dass ich ziemlich verliebt um dieses Motorrad herumgeschlichen bin und es auch sehr genossen habe, es fahren zu dürfen. Vermutlich würde es bei mir in einem Verhältnis von einer Stunde relaxter Fahrzeit zu zwei Stunden meditativen Putzens enden. Deshalb werde ich wohl bei meiner leicht schmuddeligen Enduro bleiben. Zumindest noch für diese Saison, denn ich habe die Jawa 300 CL ziemlich ungern wieder bei Felix abgegeben. Der UVP beträgt übrigens 6.580 € inkl. NK, viele positive Reaktionen von Passanten gibt es gratis dazu.

Wer es gerne weniger chromig und etwas cooler hätte: Felix hat auch eine mattschwarze Jawa 350 CL Pérák mit Solositz im Angebot.

Das Tipicamp Nord findet man beim Ohland Park im Kisdorfer Weg 15–17, Gebäude E, Halle 11, 24568 Kaltenkirchen oder online unter www.tipicamp-nord.de.