Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 8/21 von Mathias Thomaschek, www.zweirad-online.de

Jahrgangslotterie – weitere Corona-Nachwirkungen …

Mathias Thomaschek

Nachdem das Jahr bereits kräftig vorangeschritten ist, stellt sich der Fachhandel markenübergreifend die Frage, ob und wann 2021er Modelle vor dem Jahreswechsel deutschen Boden erreichen werden. Und Endkunden fragen sich angesichts von teilweise immer noch gespenstisch leeren Ausstellungsräumen, ob das Modelljahr 2021 überhaupt noch geliefert wird. Oder ob es einfach ausfällt und bereits im Dezember der 22er Jahrgang nachrückt.

Tatsächlich ist das eine einmalige Situation. Bisher tauchten regelmäßig im Spätsommer erste Erlkönigfotos auf, im Herbst folgten die Präsentationen für Fachhandel und Presse. Danach dauerte es normalerweise nicht mehr lange, bis die ersten frischen Modelle beim Händler standen und anlässlich diverser Frühjahrsaktionen für Stückzahlen und Umsatz sorgen sollten.

Und heute? Wenn ich mit den Händlern spreche, höre ich unterm Strich immer den gleichen Tenor: Ja, wir könnten momentan verkaufen wie nie – nein, niemand kann uns sagen, wann die nächste Lieferung eintrifft. Ja, mit dieser Gesamtsituation sind wir unzufrieden.

Natürlich gab es in dieser Branche schon immer Lieferverzögerungen, seit die Modelle nicht mehr in einer Fabrik gefertigt, sondern aus weltweit zusammengekauften Komponenten komplettiert werden. Wenn da ein Rädchen hakt, stoppt alles.

Auch Naturkatastrophen haben schon massiv in die Vorfreude kaufwilliger Biker eingegriffen. Ein Erdbeben in Japan z. B. brachte vor einigen Jahren bei Honda die Fließbänder aus dem Takt und sorgte bei der damals sehr gefragten neuen Africa Twin für einen ärgerlichen Lieferstopp. Aber dann konnte man relativ schnell verkünden: Die Reparatur des beschädigten Werkes dauert soundso lange, die Seefracht dann noch einmal eine klare Anzahl an Tagen. Also stehen am Tag X wieder Fahrzeuge beim Händler.

Das geht heute nicht mehr. Denn bis auf ein paar ganz wenige Marken (BMW z.B.) hat die gesamte Branche als wichtigstes Werkzeug zur Bestimmung verbindlicher Liefertermine nur eine Kristallkugel.

Klasse, sagt da der gerade diplomierte BWLer, Verknappungen waren schon immer verkaufsfördernd. Was ja nicht ganz falsch ist. Wenn aber aus der Verknappung eine Modelllotterie wird, weil niemand etwas Verbindliches sagen kann, darf oder will, während die Saison zügig ihrem Ende entgegen geht, könnte es vielleicht sein, dass sich mancher Interessent doch lieber eine sündteure Golfausrüstung oder ein Segelboot kauft. Obwohl, dieser Gedanke ist evtl. auch nicht richtig. Können Bootsbauer und Golfschlägerproduzenten eigentlich liefern? Ich weiß es nicht.

Und – um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen – was kommt jetzt eigentlich, wenn wieder mal was kommt? Die 2021er Late Edition, oder gleich die 2022-Kollektion? Ich weiß auch das nicht – und damit bin ich scheinbar nicht allein. Manchen Händlern treibt die Liefer- und Modellsituation Angstperlen auf die Stirn und sie hoffentlich nicht unverschuldet in die Insolvenz.

Ach was, alles Gejammere, sollen sie doch in der Werkstatt ihre Brötchen verdienen sagen manche. Arbeit ist ja angeblich genug da. Das schon, aber da fehlen die Fachleute, die sie erledigen …

Mein Fazit (passt nicht nur für unsere Branche): Erst in Zeiten wie diesen offenbart sich in vielen Dingen, wie perfekt vorher alles funktioniert hat.