aus bma 02/02

von Ulf Teschke

Es ist Mitte Juli. Auf der „Norröna” der Smyri-Line fragen wir uns, ob es nicht noch Alternativen zur einmal wöchentlich verkehrenden Fähre von Hanstholm aus gibt. Nicht nur, dass sich die 60-stündige Anreise über den aufgewühlten Nordatlantik sehr schaukelnd und nervraubend gestaltet, auch das zweitägige Abhängen auf den Färöer-Inseln in einer Jugendherberge ging uns mächtig gegen den Strich. Gut, das nächste Mal wollen wir, wie so oft, alles besser machen.
Froh, endlich wieder Land unter den Füßen zu haben, erreichen wir Donnerstagmorgen Seydisfjödur ganz im Osten Islands. Kaum ist nach 26 Kilometern die erste, für isländische Verhältnisse, größere Stadt Egilsstadir mit 1.600 Einwohnern erreicht, ist zunächst das Auffrischen der Lebensmittelvorräte und der einheimischen Geldreserven angesagt. Es scheint, als hätten die 1.200 Passagiere der Fähre alle dieselbe Idee gehabt, das Städtchen wird regelrecht von den Neuankömmlingen eingenommen.
Wir beeilen uns und wählen mit der BMW die Nordroute, um in den nächsten Tagen Reykjavik zu erreichen. Eine weise Entscheidung, wie wir wenig später erfahren, denn der Süden wird in den nächsten Tagen von schweren Regenfällen heimgesucht.

 

Nach wenigen Kilometern verlassen wir die gut ausgebaute Ringstraße und biegen auf die Schotterstraße nach Vopnafjördur ein. Der erste Pass, Hellisheidi, fordert fahrerisches Können. Ganz oben werden wir samt Maschine von einer Windböe fast von der Piste gewedelt. In diesem Fall kommt uns einmal positiv zugute, dass wir zu zweit und voll beladen auf einem Motorrad mit 450 kg Gesamtgewicht unterwegs sind. Wir folgen der Straße 85 und erreichen nach einer Aufwärmpause in Porshöfn bei Hraunhafnartangi den nördlichsten Punkt des isländischen Festlandes. Nur ein kleines Schild weist auf ihn hin. Den Leuchtturm können wir nicht mit dem Motorrad erreichen.
Weiter geht es durch die einsamsten Höfe Islands bis nach Asburgi, wo wir unser erstes Nachtlager aufschlagen. Selbst hier treffen wir noch bekannte Gesichter von der Fähre.
Am nächsten Morgen kämpfen wir uns über 50 Kilometer Grobschotterpiste zum Dettifoss. Der grandiose Wasserfall entschädigt für die anstrengende Fahrt.
Den nächsten Höhepunkt stellt der See Mytvatn dar. Gut kommen wir auf der Ringstraße voran. Doch am See droht Regen, außerdem werden Gäste und Einheimische dieser Gegend von den zahlreichen Mücken geplagt, sodass wir uns zur Weiterfahrt entschließen.
Am Godafoss begegnen wir dem isländischen Ministerpräsidenten. Warum er sich dort aufhält, können wir allerdings nicht klären.
Über Akurey, der zweitgrößten Stadt Islands, erreichen wir auf der 82 Dalvik. An der Tankstelle treffen wir ein Münchner Pärchen, das Probleme mit dem Gleichrichter seiner BMW hat. Scherzhaft (?) bemerken die beiden, unseren Gleichrichter nachts ausbauen zu wollen. Am nächsten Morgen sind sie vom Zeltplatz, der sich (wie so oft in Island) direkt nebem dem Fußballplatz mitten im Ort befindet, verschwunden. Zu unserer Freude ist das Campen, trotz guter sanitärer Einrichtungen, kostenlos. Unsere Maschine springt an, und so erfahren wir nicht, was aus dem Paar geworden ist.
Über Olafsfjördur und mehrere Tunnel erreichen wir die „Heringshauptstadt” Siglufjördur. Einmal im Jahr findet dort das Heringsfest statt, zu Ehren des Fisches, dem die Stadt ihren Reichtum verdankt. Wir haben Glück, denn als wir ankommen ist das Fest gerade in vollem Gange. Wir statten der örtlichen Pizzeria noch einen Besuch ab und fahren die 23 Kilometer lange Stichstraße wieder zurück, um über Hofsos, Saudarkrokur Skagaströnd am Hunafloi zu erreichen. Dort empfängt uns herrliches Wetter, sodass wir an einem rauschenden Fluss an einer Schafsranch unser Lager aufschlagen. Der Hofbogen erinnert uns an den Torbogen in „Spiel mir das Lied vom Tod”, und wir können es uns nicht verkneifen, ein paar entsprechende Fotos zu machen.
Am nächsten Tag erreichen wir auf der Ringstraße Reykjavik. Doch vorher lassen wir uns unsere erste kurze Hochlandberührung nicht nehmen. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter. Der grandiose Blick auf die Gletscher lässt die holprige Schotterpiste vergessen.
Reykjavik zeigt sich in kaltem Grau. Am Abend sind wir von der Stärke des Sturmes in der Stadt und von der eisigen Kälte überrascht. Den meisten Globetrottern scheint es ähnlich zu gehen. Ich habe selten so viele frierende Menchen auf einem Zeltplatz gesehen.
Am nächsten Tag können wir uns davon überzeugen, dass der Reiseführer mit seiner Aussage, dass Reykjavik nicht eben eine Stadt der tollen Sehenswürdigkeiten ist, nicht untertrieben hat. Wir fahren zum internationalen Flughafen an der ameri- kanischen Basis in Kevlavik raus. Die Provinzialität des internationalen Airportes überrascht uns. Von den Anwohnern erfahren wir, dass es des öfteren auch Ärger mit den Amerikanern vor Ort gibt.
Wie so oft wechselt die Witterung schlagartig. Auf unserem Weg zur blauen Lagune sehen wir uns plötzlich mitten im Nebel in einem schier endlos erscheinenden Lavafeld gefangen. Man kann kaum die Hand vor den Augen erkennen, und so zieht sich die Schotterpiste schon beängstigend lange hin. Unvorstellbar, dass wir kaum 60 Kilometer von Reykjavik entfernt sind.
Kaum haben wir die Küste erreicht, werden wir von aggresiven Vögeln bedrängt. In rasendem Sturzflug kommen sie während der Fahrt auf uns zu, um dann im letzten Moment auszuweichen. Schilder weisen daraufhin, dass wir nicht das erste Angriffsziel zu sein scheinen. Auf der Straße zerschmetterte Vögel zeugen davon, dass die Tiere das Spiel manchmal wohl auch übertreiben und nicht immer den rettenden Schlenker schaffen. Froh, diesen Abschnitt ge- meistert zu haben, ruhen wir uns nach dem Zahlen von 20 DM Eintritt in der warmen Quelle der blauen Lagune aus. Das Wasser erscheint allerdings nicht blau, sondern milchig- grau.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf Grund des hohen Ölverbrauches auf die Suche nach dem passendem Motoröl. In den wuchernden Vororten Reykjaviks kommen uns immer wieder amerikanische Städte als Vergleich in den Sinn. Das richtige Öl lässt sich allerdings auch bei Castrol nicht auftreiben. So machen wir uns mit der besten Alternative auf der Eins auf zu den Westfjorden. Um den Weg etwas zu verkürzen, wählen wir den Weg über die Fähre der Insel Flatey. Auch wenn es bei Ankunft schon spät ist, wagen wir noch den Trip über die grobe Piste zum westlichsten Punkt Europas nach Bjargtangar. Dort empfängt uns Einsamkeit und eisiger Wind. Ein grandioser Sonnenuntergang belohnt uns bei Patreksfjödur für die Anstrengungen des Tages.
Dann steht Isafjödur auf dem Programm – die „Metropole” des Nordens (3500 Einwohner). Der Weg dorthin ist weit und zieht sich im Nebel der geschotterten Bergpässe in die Länge. Stopps an den am Wegesrand liegenden Wasserfällen tun ihr übriges. Uns empfängt dann nach einer sechs Kilometer langen Tunnelfahrt strahlende Sonne. Wir beschließen, noch weiter über Bolungarvi bis Meiribakki zu fahren. Direkt an der Küste stehen zwei alte Fischerhäuschen mit Originaleinrichtung der Jahrhundertwende. Wir staunen über die Lebensbedingungen der damaligen Zeit.
Die Sonne lässt sich an diesem Abend nicht vertreiben, wir bleiben daher die Nacht über am nordwestlichsten Punkt unserer Tour. Ein wunderschöner Sonnenuntergang im Nordatlantik ist die Krönung dieses Abends. Es bleibt fast die ganze Nacht hell. Der Himmel ist noch so klar, dass es für isländische Verhältnisse zu schade ist, im Zelt zu schlafen, und ich übernachte im Freien.
Unsanft werde ich morgens von Schauern geweckt. Tiefe Wolken hängen über dem Tal. Wir fahren weiter nach Osten. Die Kälte macht uns an diesem Tag besonders zu schaffen. Auch zahlreiche Baustellen mit eisenbahnähnlichem losem Schotter erschweren das Vorankommen. Die Straße 61 zieht sich beharrlich an den zahlreichen Fjordufern lang. Doch wie so oft während dieser Tour haben wir Glück: Am Abend zieht der Himmel auf und es wird windstill. Ein verlassener Hof an der 643 nördlich von Drangsnes direkt an der Atlantikküste bietet einen idealen Lagerplatz. Da es sehr klar ist, wird es aber auch sehr kalt. Doch aus dem zahlreichen Treibholz lässt sich ein gewaltiges Strandfeuer entzünden, so dass wir an diesem Abend nicht zu frieren brauchen.
Unser nächstes Ziel ist Blönduos, denn von hier wollen wir eine Hochlandquerung wagen. Frohen Mutes biegen wir auf die F 35 Richtung Süden ein. Die Piste ist sehr gut und führt an zahlreichen Wasserkraftwerken vorbei. In weniger als zwei Stunden haben wir die heißen Quellen bei Hveravellir erreicht. Dort bewundern wir die brodelnden Wasserlöcher und rasten. Noch wissen wir nicht, dass uns fast 100 Kilometer grobe Waschbrettpiste bevorstehen. Diese zerrt im Laufe des Abends ziemlich an den Nerven, denn sie will einfach nicht enden. Das selbe Gefühl hatten wohl auch zwei schwedische Biker, denen wir zwei Mal hintereinander mit Benzin helfen mussten. Offensichtlich erreichten sie damit dann die Tankstelle bei Geysir. Wir sind froh, als wir den Wasserfall Gullfoss erreichen und genießen die prächtigen Farbenspiele der aufspritzenden Wassermassen in der Abendsonne. Ein Wochenendzeltplatz bei Laugarvatn ist unsere Bleibe für die nächsten zwei Nächte.
Uns fällt auf, dass die Eltern in Island für deutsche Verhältnisse recht jung sind. Wir erfahren später, dass in der Regel Anfang 20 geheiratet wird. Jede Familie scheint drei Kinder zu haben, zumindest ist das unser Eindruck. Entsprechendes Treiben herrscht auf dem Zeltplatz, bis tief in die Nacht wird gespielt und herumgetollt. Erst mit der Dämmerung so gegen ein Uhr kehrt etwas Ruhe ein.
Die nächste Etappe soll über Landmannalaugar durch das Hochland wieder zur Eins an die Südküste gehen. Leider kommen wir am Morgen erst recht spät los. Zunächst fahren wir die F 225 direkt am Vulkan Hekla entlang. Die Landschaft gleicht einem unbewohnten Planeten. Kein Wunder, der letzte Ausbruch liegt auch erst neun Jahre zurück. Wie wir im Reiseführer lesen, ranken sich viele Legenden um diesen Berg. Unter anderem soll er den Eingang zur Hölle beherbergen.
Die Straße wird zunehmend schlechter und weich. Es ist schwierig, zu Zweit auf dem Motorrad durch den losen Lavasand zu fahren. Dann sind drei breite Furten zu durchfahren. Das Wasser ist schafttief und wir kommen gut durch. Zum Zeltplatz in Landmannalaugar kommen wir allerdings nicht, da dazu ein Jeep erforderlich wäre.
Trotz leichten Nieselregens fahren wir auf der F 208 weiter Richtung Süden. Die zahlreichen Furten stellen jetzt größere Hindernisse dar. Jede kostet mindestens 15 Minuten, auch wenn wir allmählich Übung bekommen. Zum Glück hat es lange nicht mehr geregnet, so dass der Wasserstand selten über Stiefelschafthöhe geht. Reißende Strömung auf lockerem Untergrund flößt uns aber immer wieder Respekt ein.
Der Weg wird steiler und grober. An einer Stelle fahren wir uns auf einer Anhöhe mitten auf der Straße fest. Vorder- und Hinterrad stecken in einem Sandloch. Nur vereintes Schieben hilft weiter. An einigen Stellen hat sich der benachbarte Bach die Piste als neues Bett gesucht. Uns gelingt es aber, am Rand vorbei zu kommen. Als wir schließlich den Pass bei Eldgja erreichen, geht die Sonne unter. Es wird Zeit, einen Lagerplatz zu finden. Eine tiefere Furt bereitet uns noch etwas Kopfzerbrechen, bevor wir in der Dämmerung um Mitternacht den Zeltplatz bei Hrifunes erreichen.
Am nächsten Tag steht die Besichtigung des gigantischen Vatnajökullgletschers auf dem Programm. Lange Brücken führen die Eins hier über die Gletscherabflüsse, die direkt ins Meer fließen. Ein Teil der Überführungen wurden beim Ausbruch des Vulkans 1996 durch die zu Tale stürzende Flutwelle total zerstört. Im Visitorcenter informieren wir uns über weitere Details dieses gigantischen Naturschauspiels. Das Wechselspiel von Wolken, Nebel und Sonne bietet immer wieder neue faszinierende Blicke auf die gewaltigen Eismassen von Europas größtem Gletscher. Eine kurze Wanderung auf den zahlreichen Pfaden der Gegend rundet den Tag ab.
Unser letzter Tourentag bringt uns wieder an den Ausgangspunkt unserer Reise, nach Seydisfjödur, zurück. Wir fahren durch sehr einsame Gegenden die Ringstraße entlang. Erst 1974 wurde dieser südliche Teil an das Straßennetz Westislands angebunden. Die Stadt Höfn bietet ein wenig Abwechslung von den sonst sehr einsamen Höfen.
Doch der Weg ist noch weit. Da die Ringstraße insbesondere an den schwierigen und steilen Bergpassagen noch nicht asphaltiert ist, zieht sich der letzte Tag noch einmal in die Länge. Doch wir genießen trotzdem die letzten Sonnenstrahlen dieser Tour, an der sich nun die Fjorde entlang gut ausgebauten Straße schlängeln…