Neben Harley-Davidson und Victory kommt mit Indian eine weitere Marke aus den USA, die besonders die Fans des Cruisens anspricht. Hier kommen Jogis Eindrücke zur Indian Scout …
aus Kradblatt 10/15
Text: Jogi, penta-media.de
Fotos: Tine, Sandra, Jogi
Fahrbericht: Indian Scout
Der zurzeit kleinsten Indian könnte das gelingen, was zahlreichen Japan-Choppern und -Cruisern bisher verwehrt blieb. Die Scout spricht gezielt die Kundschaft an, die sonst an Harley-Davidsons Sportster interessiert ist. Japanische Bikes, obwohl technisch nicht selten überlegen, können den amerikanischen Lifestyle oft nicht glaubwürdig genug übertragen und kommen deshalb für viele Chopper- und Cruiser-Fahrer nicht in Frage, haftet ihnen doch immer irgendwie ein Hauch von Harley-Plagiat an. Das wird der exklusiven Scout garantiert nicht passieren, denn auch sie ist ein Original.
Wie die Sportster ist sie eine waschechte Amerikanerin und wird in Spirit Lake in Iowa/USA endmontiert. Die Tradition und Firmengeschichte von Indian reicht bis in das Jahr 1901 zurück, in dem das erste Indian Motorcycle in Springfield/ Massachusetts präsentiert wurde. Bereits frühere Scouts bewiesen sich im Krieg und auf Rennstrecken als leichte und zuverlässige Motorräder. Die Marke Indian gehört seit 2011 zum Polaris Industries Konzern, der auch die Marke Viktory in den letzten Jahren erfolgreich am Markt platzieren konnte. Damit hat Indian einen starken Partner mit über 3 Mrd. US $ Jahresumsatz im Rücken.
Anders als die Sportster setzt die Scout auf einen mit einer Ausgleichswelle kultiviert laufenden und wassergekühlten V2 Motor. Jeder Zylinder wird durch 4 Ventile, gesteuert von zwei Nockenwellen, gefüllt und entlüftet (DOHC = Double Over Head Camshaft). Mit 1.133 ccm und 100 PS bei 8.000 U/min hat die Scout in Sachen Motorleistung die Nase vorne. Das Verhältnis von 99 mm Bohrung zu 73,6 mm Hub ist recht kurzhubig ausgelegt und lässt den 60 Grad V2 enorm drehfreudig und elastisch seine Arbeit verrichten. Zwischen 2.000 und 8.000 U/min geht praktisch alles. Der Motor drückt bei 5.900 U/min 98 Nm. So lässt sich mit der Indian Scout wunderbar schaltfaul über die Landstraßen cruisen.
Nicht, dass das Schalten ein unangenehmer Akt wäre. Das Getriebe schaltet sich wunderbar präzise und abgesehen vom ersten Gang, der beim Einlegen ein typisches Klacken vernehmen lässt, nahezu geräuschlos. 4.000 U/min erwiesen sich als idealer Schaltpunkt. Die Übersetzungen schließen gut aneinander an, so dass sich locker und entspannt durch alle sechs Gänge steppen lässt. Die Leerlaufdrehzahl liegt bei 1.100 U/min. Zum Anfahren braucht man nur gefühlvoll die Kupplung kommen lassen. Sattes Drehmoment bereits im unteren Drehzahlbereich macht es möglich.
Ich behaupte, dass Motorräder sprechen können. Manchmal ist es ganz schrecklich, wenn ich einen Händler besuche und alle Maschinen im Verkaufsraum durcheinander sabbeln. Einige schreien lautstark „Kauf mich!“, während andere nur herumnuscheln wie Till Schweiger oder zunächst schüchtern gar nichts sagen. Wer ihnen jedoch aufmerksam zuhört, dem erzählen sie alle, wie sie am liebsten bewegt werden möchten und welche Geschwindigkeiten und Drehzahlen sie lieben.
Während einige Sportmaschinen „Gib mir alles“ flüstern, brummelt mir die Scout „Mach mal easy 80 im sechsten Gang“ ins Ohr. Bei dieser Geschwindigkeit dreht der Motor entspannte 2.600 Touren und gibt sich mit rund 4 Litern auf 100 Kilometern zufrieden. Der Winddruck ist kaum vorhanden und man thront bequem auf dem einzelnen, dick gepolsterten Ledersattel. Wenn man auf der Landstraße längere Zeit nicht auf seine Geschwindigkeit achtet, findet man sich wie durch Magie ständig bei Tempo 80 im sechsten Gang wieder.
Das Fahrwerk bügelt nahezu alle Stöße weg. Nur auf wirklich schlechtem Geläuf gibt es gelegentlich einmal einen Stoß in den Rücken, nämlich dann, wenn die hinteren 76 mm des Federweges ausgereizt sind. Das kommt nur selten vor.
Eine Hand am Lenker reicht völlig aus. Ja – ich weiß – eigentlich gehören beide Hände an den Lenker. Die Scout läuft ganz von alleine wie eine Dampflokomotive stoisch geradeaus. Würde der Gasgriff stehen bleiben, könnte man sie freihändig fahren. Die Beine leicht nach vorne gestreckt, ruhen die Füße lässig auf den Rasten. Der Motor läuft dabei rund, ohne übermäßige Vibrationen und in angenehmer Lautstärke. Erst oberhalb von 6.000 U/min nehmen die Vibrationen zu. Im praktischen Fahrbetrieb braucht man jedoch selten mehr als 5.500 U/min.
Auch die Auspuffanlage ist nicht für Krawallbrüder konzipiert worden. Der Sound ist zwar präsent, aber immer unaufdringlich und moderat. Wer bei niedrigen Drehzahlen stärker am Gas dreht, kann der Scout bestenfalls ein sonores Extra-Knurren entlocken. Mit steigender Drehzahl ist es mit dem Knurren schnell wieder vorbei. Tine und mir hat es gut gefallen, denn ein zu lauter Auspuff kann gewaltig nerven, wenn man ihn auf Reisen oder für einen Fahrbericht über mehrere Tage stundenlang ertragen muss. Das richtige Maß wurde sehr gut getroffen.
Die Motorleistung entfaltet sich leicht dosierbar und linear. Der „Ride-by-Wire“ – Gasgriff fühlt sich wie ein herkömmlicher Griff mit Kabelwicklung an. Hätte ich den Hinweis nicht zufällig in der Datensammlung gefunden, wäre es mir vermutlich gar nicht aufgefallen. Mit mehr Drehzahl entfacht sich auch mehr Leistung, völlig ohne Überraschungen, Leistungslöcher oder Turbo-Effekte. Überholvorgänge sind ab 4.000 Touren ein Kinderspiel.
Beim Beschleunigen und auch in der Höchstgeschwindigkeit kann die Scout ihre 100 Pferdestärken glaubhaft auf den Asphalt bringen. Dass sie über 200 km/h rennen kann, haben wir ihr einfach abgenommen und gar nicht erst getestet. Die Beschleunigung war bis 180 km/h brachial, unangestrengt und noch lange nicht am Ende. Wer möchte mit einem nackten Motorrad schon gerne länger über 120 km/h fahren?
Genauso unangestrengt kommen die Bremsen mit der, immerhin vollgetankt, 258 Kilogramm, schweren Dame, klar. Trotzdem, dass vorne und hinten mit nur einer Scheibe gebremst wird, liefern die Bremsen für einen Cruiser eine gute Verzögerung. Das serienmäßige ABS verhindert ungewolltes Blockieren. Die 40 mm Vordergabel zeigte sich verwindungssteif und von unseren Bremsversuchen völlig unbeeindruckt. Sie hat zwar einen Federweg von 120 mm, taucht aber auch bei schärferen Bremsungen nicht übertrieben tief ein, so dass die Scout immer Haltung bewahrt.
Obwohl weder Brems- noch Kupplungshebel verstellbar sind, liegen sie hervorragend in der Hand, weil sie relativ dicht am Griff positioniert sind. Auch Tine kam mit ihren etwas kleineren Händen prima damit zurecht. Übermäßige Handkraft ist zum Betätigen der Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung ohnehin nicht nötig.
Das ist auch gut so, denn wir sind der Meinung, dass die flache und gestreckte Scout, Menschen zwischen 1,65 m und 1,75 m am besten steht. Mit meinen 1,83 m sieht es schon nicht mehr ganz so ästhetisch aus, obwohl alles passt. Es passt sogar bei meinem 1,95 m langen Freund Tom noch alles, aber es sieht einfach unproportional aus, wenn er auf der Maschine sitzt. Abgesehen davon, dass auch seine kurze Hose beim Motorradfahren völlig uncool aussieht. Bitte schickt deshalb keine mahnenden Leserbriefe. Seine Frau hat ihn schon eindrucksvoll dafür gemaßregelt, dass er ohne Schutzkleidung für das Foto nur einmal auf dem Hof im Kreis herum gefahren ist.
Langgestreckte Kurven zu fahren macht mit der Scout viel Spaß. Engere Kurven erfordern dagegen Körpereinsatz und Schräglage. Der lange Radstand von 1565 mm beschert naturgemäß nicht nur einen wunderbaren Geradeauslauf, sondern beeinflusst auch die Kurvenagilität. Mit etwas Übung ist das jedoch kein Problem. Bis zu 31 Grad ist die Scout in die Kurve zu legen, dann erst erinnern die Fußrasten daran, dass man sie gerade nicht artgerecht bewegt. So bleiben automatisch stets genug Sicherheitsreserven für die Kenda K673 Bereifung übrig, die speziell für Indian in Taiwan produziert wird. Vorne rotiert ein 130er, hinten ein 150er Pneu mit schmückendem Indian-Schriftzug auf schwarzen 16 Zoll Alu-Felgen.
Der Lenker der Scout lässt sich nicht besonders weit einschlagen. Sehr früh gerät er an seine Anschläge. Wenden ohne rangieren zu müssen ist auf einspurigen Straßen nicht möglich. Im praktischen Fahrbetrieb ist das jedoch bedeutungslos.
Alle wichtigen Informationen sind auf dem klassischen, runden Tacho-Instrument abzulesen. Der Zeiger markiert die aktuelle Geschwindigkeit und auf dem LCD-Feld kann man alternierend Kilometerstände, Drehzahl, Uhrzeit und Kühlmitteltemperatur abrufen. Umgeschaltet wird mit einem kleinen Schalter links vom Lenker aus. Zusätzliche Lämpchen gibt es für den Blinker, das ABS, die Elektrik, Fernlicht und wenn der Tankinhalt langsam zur Neige geht. Eine Tankuhr fehlt. Wer einfach alle 250 Kilometer volltankt, wird mit dem Tankinhalt von 12,5 Litern nie Probleme haben.
Die Kühlmitteltemperatur schwankt während der Fahrt zwischen 80 und 90 Grad Celsius. Über 95 Grad hilft der elektrische Lüfter die Temperatur zu stabilisieren. An der Ampel und im Stau steigt die Temperatur rasch an, da der Motor sehr geschlossen und kompakt gebaut ist. Die Luft hat nur wenig Raum um kühlend zwischen den heißen Motorenteilen hindurchstreichen zu können, deshalb haben die Konstrukteure voll auf Wasserkühlung gesetzt. Die funktioniert hervorragend. Bei maximal 98 Grad Celsius pendelt sich die Kühlmitteltemperatur beim, im Leerlauf werkelnden, Motor ein. Allerdings wird der hintere Auspuffkrümmer ebenfalls sehr heiß dabei und auch das verchromte Hitzeschutzblech konnte nicht verhindern, dass sich Tine beim Wenden ihre Gore-Tex Hose daran leicht verkokelte.
Die Sitzhöhe ist mit nur 643 mm zwar sehr niedrig, aber die Maschine ist so breit, dass man bei einer Körpergröße von 1,65 m schon ein wenig Kontakt mit den Beinen zu ihr bekommen kann, wenn man zum Rangieren herumfüßelt. Am besten greift man gleich zu einer Hose aus hitzebeständigem Material oder stilsicher zu Leder.
Der Kühler wurde formschön in den Alurahmen der Scout integriert und ist von der Seite aus betrachtet kaum sichtbar. Der Rahmen besteht im Wesentlichen aus fünf Aluminium-Gussteilen. Die drei Hauptteile sind oberhalb des Motors mit verschraubten Stahlrohren verbunden. Der Motor dient im unteren Bereich als tragendes Teil. Diese Konstruktion wirkt recht unkonventionell, versteckt aber effektiv Kabel, Schläuche und Bowdenzüge für eine cleane Optik.
Auch die Batterie ist unsichtbar. Sie steckt unter dem leicht abzunehmenden Sattel. Trotzdem kommt man nicht gut an die Batteriepole heran, wenn man ein Ladegerät anschließen möchte. Die Firma Viking Cycles aus Lübeck, die uns diese Scout dankenswerter Weise für den Fahrbericht zur Verfügung gestellt hat, stattet deshalb jede Maschine vor der Übergabe an den Kunden kostenlos mit Ladesteckern aus. Infos gibt’s bei Viking Cycles in der Taschenmacherstraße 1 – 5, 23556 Lübeck. Telefon 0451/400700, www.vikingcycles.de.
Die Verarbeitung der Indian Scout ist vorbildlich. Wir konnten keine Mängel finden. Passungen und Oberflächen waren alle einwandfrei. Die verwendeten Materialien hinterlassen einen sehr wertigen Eindruck. Die Einfassung der Rückleuchte, die Spiegel und die Blinker-Gehäuse sind aus verchromtem Kunststoff. Alle anderen verchromten Teile sind aus massivem Metall gefertigt.
Indian gibt auf jede ihrer 2015er Maschinen 5 Jahre Garantie. Nach der 800 km-Einfahr-Inspektion möchte die Scout bei 4.000 km und danach nur noch einmal im Jahr oder alle 8.000 km zur Wartung gebracht werden. Die Maschine kann in vier verschiedenen Lackierungen geordert werden. Neben dem klassischen Indianer-Rot gibt es die Scout in Schwarz, Rauch-Schwarz oder Rauch-Silber. Die Preise beginnen bei 12.900 Euro.
Für Zubehör und individuelle Ausstattungen gibt es einen gesonderten Katalog, in dem Satteltaschen, Gepäckträger, diverse Edelstahllenker, Soziussitzkissen, Sturzbügel, Scheiben und vieles mehr zu finden sind. Für den stilsicheren Auftritt gibt es zur Maschine passende Original-Indian-Bekleidung und Accessoires in großer Auswahl.
Wir hatten uns eingangs die Frage gestellt, ob die Scout das Zeug hat Harleys Sporty Konkurrenz machen zu können. Die Frage kann man mit einem klaren „Ja“ beantworten, auch wenn beiden Maschinen ein scheinbar gegensätzliches Image anhaftet. Gilt die Sporty eher als rebellisch, ungehobelt und mit einem anrüchigen Schuss Bad Boy-Image versehen, so verkörpert die Indian eher den emotional gefestigteren, souveränen und konservativeren Typ mit einem Hauch von Exklusivität. Was bei Harley die „HOG“ (Harley Owners Group) darstellt, ist bei Indian die offizielle „IMRG“ (Indian Motorcycle Riders Group).
Letztendlich ist es ohnehin nicht der Verstand, sondern das Herz, welches uns die Entscheidung für ein Motorrad treffen lässt, je nachdem, was uns die Kandidatinnen vorher ins Ohr geflüstert haben.
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