aus Kradblatt 11/16
von Berthold Reinken
Indian Chieftain – Full American Metal …
Ich hab’s ja gewusst: Ich bin gefährdet. Nachdem ich mir vor drei Jahren – nur mal so zum Probieren – eine Harley-Davidson Fat Bob gekauft habe, die ich immer noch besitze und inzwischen 10.000 Kilometer damit gefahren bin (habe ja noch zwei andere Kräder, die bewegt werden müssen), schleiche ich inzwischen immer wieder um die dicken Indians beim Vertragshändler Natuschke & Lange in Delmenhorst herum. Einem aufmerksamen Dealer entgeht so was natürlich nicht und so war es nur eine Frage der Zeit, bis mir eine Probefahrt auf der Chieftain angeboten wurde.
An einem der letzten schönen Tage im Oktober stehe ich schließlich mit dem Transponder (Zündschlüssel gibt es, wie bei meiner Harley, nicht mehr) vor dem gewaltigen Krad. Nach kurzen Rangierübungen im Sitzen, um das erste Gefühl für den Boliden zu bekommen, drücke ich den Starterknopf auf dem Tank und bin überrascht von der Geräuschkulisse. Das kann doch nicht die serienmäßige Auspuffanlage sein! Manuel Endler klärt mich mit einem Grinsen auf: Es handelt sich um die US-Töpfe. Nun denn, ich liebe dumpfes Grollen beim Kradfahren und so rolle ich vorsichtig vom Hof.
Schon nach ein paar Kilometern ist mir aber klar, dass dieser Auspuff mir persönlich zu laut ist oder auf einer Frequenz wummert, die inkompatibel für meine Ohren ist. Ich frage mich, was aus einer deutschen, Euro4 kompatiblen, Anlage wohl noch rauskommt. Ein direkter Vergleich wäre interessant. Notfalls gibt es aber auch hier, wie bei Harley, Zwischenlösungen im Zubehörmarkt.
Ich brauche gut 50 Kilometer Kurvenstrecke, bis ich mich an die rund 400 zu bewegenden Kilos (vollgetankt) soweit gewöhnt habe, dass ich einigermaßen zügig ums Eck komme. Mit jedem Kilometer macht es aber mehr Spaß und so ziehe ich immer frecher am Draht. Der 1800 ccm-Motor tut sich allerdings etwas schwer mit dem Gewicht. Wieviel PS mag er haben. Die Firma Indian schweigt sich darüber aus, auf der Website finden sich keine Leistungsdaten. Unter 3000 U/min tut sich recht wenig, danach geht’s aber deutlich voran und es macht viel Freude.
Das 6-Gang-Getriebe ähnelt dem eines älteren LKW und das Auffinden des Leerlaufs muss man sicher länger üben. Dafür reicht eine dreistündige Probefahrt nicht aus.
Starken Krafteinsatz benötigt auch die Vorderradbremse. Um aus höherer Geschwindigkeit kräftig zu verzögern, gewöhne ich mir an, gleichzeitig das Hinterrad abzubremsen, so wie es mir in der Fahrschule vor Urzeiten eingebläut wurde. Dann gibt es auch keine Probleme. Allerdings blockiert das Hinterrad auch auf trockener Straße sehr schnell und das ABS setzt ein.
Fährt man die um 125 Millimeter elektrisch verstellbare Windschutzscheibe ganz hoch, genießt zumindest ein 178 cm großer Fahrer wie ich besten Windschutz. Ich schaue dann aber nicht mehr über die Scheibe, sondern hindurch.
Auch auf schlechteren Straßen, die bekanntlich in unserem Land immer mehr werden, kann ich über den Federungs-Komfort nicht klagen. Ist man mit zwei Personen oder viel Gepäck unterwegs, lässt sich das Federbein mit der integrierten Pumpe der Last anpassen.
Neben Tempomat und Reifendrucküberwachung bietet die Chieftain serienmäßig ein 100 Watt-Soundsystem mit Radio, Bluetooth und Smartphone-Schnittstelle. Griff- und Sitzheizung müssen allerdings extra bestellt werden.
Die Bedienknöpfe des Radios und des Bordcomputers am linken Lenkergriff sind leider mit Handschuhen sehr fummelig und ungenau zu schalten. Eine lesbare Beschriftung ist nicht vorhanden und man wird bei der Bedienung zu sehr vom Fahren abgelenkt. Ferner ist der Knopf zum Heben und Senken der Windschutzscheibe nur zu erreichen, wenn die linke Hand vom Griff genommen wird. Einen so langen Daumen wie sonst nötig hat wohl niemand. Referenzklasse dafür ist, das auch bei Sonnenlicht perfekt ablesbare Display des Bordcomputers.
Schade, dass nach ca. 150 gefahrenen Kilometern die Zeit schon wieder knapp wird und ich den Heimathafen der Indian in Delmenhorst ansteuern muss. Gerne wäre ich noch ein paar Stunden länger gefahren, was meine Zeit an diesem Tag aber nicht zulässt.
Fazit: Ja, tatsächlich, ich bin gefährdet. Sollte Indian die unglückliche Bedienung des Radios und der Scheibenverstellung verbessern, könnte ich mir durchaus vorstellen umzusteigen. Eine Indian sieht man ja doch immer noch recht selten. Ob es allerdings die Chieftain oder ein anderes Indian-Modell wird, weiß ich noch nicht. Da freue ich mich schon auf die nächste Saison und diverse Probefahrten.
Technische Daten
Preis: ab 28.250 €
Garantie: 5 Jahre
Hubraum: 1811 ccm
Max. Drehmoment:
138,9 Nm / 2600 U/min
Gewicht leer: 370 kg
Gewicht vollgetankt: 385 kg
Tankinhalt: 20,8 Liter
Endantrieb: Zahnriemen
Sitzhöhe: 660 mm
Nachtrag:
Auf der Intermot in Köln stellte Indian Anfang Oktober 2016 sein neues „Ride Command™ Infotainment System“ vor, das bei den 2017er Chieftain und Roadmaster Modellen serienmäßig zum Einsatz kommt (oben, im Bild unten das alte System). Das Neue verfügt über ein großes Touchscreen-Display mit intuitiver Bedienoberfläche und frei wählbarer Informationsanzeige. Es versteht Zweifinger-Gesten, Pinch-to-Zoom und jede Menge mehr. Das System kann man sich in Wort, Bild und Video auf der Indian-Website www.indianmotorcycle.de anschauen. Mehr Infos und Beratung gibt es natürlich beim nächstgelegenen Indian-Vertragshändler.
Die Fotos zeigen das 2016er Cockpit und das 2017er mit dem neuen Infotainment-System
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