aus bma 07/05

Text: Jens Riedel
Fotos: Riedel/Bartels

Hyosung GT 650 Nun ist es passiert. Was im Autobereich vorgemacht wurde, soll nun auch auf dem Motorradsektor funktionieren: Käufer finden für Fahrzeuge „Made in Korea”. Längst haben wir uns an die Roller aus dem ostasiatischen Industriestaat gewöhnt. Nun kommt das erste richtige Motorrad von dort zu uns. Hyosung GT 650 Naked heißt die Vorreiterfuhre.
Mit Rollern und ganz ansehnlichen 125ern hat Hyosung hier zu Lande bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Eher im Verborgenen ihr Dasein fristen zwei 250er-Maschinen, da diese Klasse heutzutage kaum mehr eine Rolle spielt. Die große GT knüpft vom Design zum einen an die eigenen 125er- und 250er-Straßenmaschinen an, zum anderen nimmt sie unverhohlen Maß an der SV 650 von Suzuki. Das japanische Erfolgsmodell stand ganz klar Pate. Von ihm haben die koreanischen Konstrukteure den mächtigen Alu-Rahmen und den V2-Motor abgeschaut – aber nicht geklaut. Auch wenn Cagiva, CCM oder Beta gerne beim Antrieb ins Regal der Japaner greifen, die Hyosung-Ingenieure haben tatsächlich eine Eigenkonstruktion zwischen die Räder gepflanzt. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Aggregat ist dazu angetan, (Fahr)Spaß zu bereiten.
Zweiter großer Pluspunkt der Naked ist – natürlich – ihr Preis. 4999 Euro will ein Hyosung-Händler auf seinem Konto sehen, wenn sich jemand der GT 650 annehmen möchte und bereit ist, eventuell herablassende Blicke der übrigen Biker-Schar in Kauf zu nehmen. Nicht nur die reine Zahl zeigt, dass die Summe eine klare Kampfansage darstellt. Selbst zu den Produkten im eigenen Hause ist der Abstand extrem knapp kalkuliert: Die Preisdifferenz zur Hyosung 250 beträgt gerade einmal 1109 Euro. Immerhin, die vollmundige Versprechung auf der Intermot vor zwei Jahren, nicht mehr als 5000 Euro verlangen zu wollen, hat man eingehalten. Etwas anderes bleibt den Koreanern aber wohl auch kaum übrig, wenn sie wenigstens mit dem kleinen Zeh Fuß auf dem Markt fassen wollen. Denn der – zugegebenermaßen prägnante – Hyosung-Werbeslogan „Ridden by the world” ist mehr Wunsch als Realität und mag allenfalls auf die südkoreanische (Zweirad)-Welt zutreffen.

 

Hyosung GT 650 Wir machen mit freunlicher Unterstützung von Motorrad Greinert in Nienburg die Probe aufs Exempel. Der erste Anblick der Naked löst keine großen Begeisterungsstürme aus. Zu eng ist die optische Nähe zur SV und den kleineren Hyosung-Modellen. Alles ist aber gediegen und macht einen ordentlichen Eindruck. Lediglich Heck- und Frontansicht wirken etwas billig, aber mit ein paar Blinkern oder Scheinwerfern aus dem Zubehörhandel lässt sich das sicher schnell und individuell korrigieren.
Der 90-Grad-V2 hängt in einem offenem Doppelrohrahmen und bringt 647 Kubik mit. Problemlos nimmt der Vierventiler nach dem Druck auf den E-Schalter seine Arbeit auf. Es dauert zwar einige Zeit, bis der Choke zurückgenommen werden kann, aber danach steht ein mehr als akzeptabler Vortrieb zur Verfügung. Der wassergekühlte V2 begeistert dabei mit einem kernig-knackigen Klang aus dem mit U-Kat bestückten End-rohr. Der an unserer Testmaschine montierte Gualdi-Auspuff ist zwar etwas lauter als der Originaldämpfer, von der Akustik her aber nahezu gleich. Satter Sound ist ohnehin eine Spezialität von Hyosung. Die Leerlaufdrehzahl wirkt zwar so knapp bemessen als ob der Motor jeden Augenblick absterben wolle, aber der Schein trügt. Die Naked 650 setzt sich stets problemlos und ohne Sperenzien aus dem Stand in Bewegung.
Von 3000 bis 7500 Umdrehungen fühlt sich das 76 PS starke Triebwerk pudelwohl. Die Hyosung überzeugt dabei mit einer gleichmäßigen Kraftentfaltung, die auf der Landstraße jederzeit für souveränen Schub sorgt. Schweißperlen produziert der V2 beim Überholen selbst längerer Autokolonnen nicht. Das maximale Dreh-moment von 68 Newtonmetern liegt bei 7500 Umdrehungen an.
Wer die Nadel allerdings noch über die Siebeneinhalb-Marke schieben möchte, der bekommt plötzlich einen merklich müderen Motor zu spüren. Der letzte Gang empfiehlt sich da nur für das Abspulen monotoner Autobahnkilometer. Das geht bis 170 km/h auch voll und ganz in Ordnung, wenn im sechsten Gang eben jene besagten 7500 Umdrehungen auf der Uhr stehen. Auch wenn wir es nicht ausprobiert haben: Die versprochene Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h dürfte aller Wahrscheinlichkeit nur im fünften Gang zu schaffen sein. Wem eh auf einer unverkleideten Maschine 150 km/h Dauertempo mehr als genug sind, der kann aber auf alle Fälle auf der Hyosung glücklich werden.
Hyosung GT 650 Lob verdienen die Bremsen, auch wenn sie weder von Brembo noch von Nissin stammen. Die 300-Millimeter-Doppelscheibe vorn und 230 mm hinten sorgen für erstaunlich gute Verzögerungswerte, die die Hyosung auch nicht aus der Ruhe bringen. Vorne neigen die Beläge allerdings zu leichtem Rubbeln. Die Vordergabel zeigt kaum Anzeichen zum Abtauchen. Ohnehin ist die Federung (vorne wie hinten 120 mm) deutlich hart ausgelegt. Möglicherweise wird damit doch leichten Fahrwerksschwächen Tribut gezollt, denn die 650 will mit etwas Nachdruck und leicht erhöhter Konzentration gesteuert werden. Sie fordert ihren Fahrer. Nach der ersten Fahr(t)stunde hat man sich allerdings daran gewöhnt und kann sich lustvoll fast ganz dem Punch des Motors und dem satten Sound hingeben.
Die Sitzposition ist angenehm und leicht sportlich, ohne auf Dauer zu ermüden. Kupplung und Getriebe arbeiten klaglos, fordern aber ebenfalls etwas Nachdruck. Die Schalter, Hebel und Armaturen wirken vertraut, auch wenn man Einstellschrauben an Kupplungs- oder Bremshebel vergeblich sucht. Vor zehn Jahren ging’s ja schließlich auch überall ohne. Ärgerlicher ist da schon das Fehlen eines Helmhakens, einer Uhr und eines Hauptständers. Letzterer ist wohl ein Beweis, dass auch Hyosung mit dem Rotstift kalkulieren muss. Der Seitenständer könnte außerdem etwas kürzer ausfallen, damit die Maschine in allen Lagen sicher steht.
Auf der anderen Seite überrascht die koreanische Kampfansage vorne mit einer Upside-Down-Gabel, deren Vorspannung sich sogar einstellen lässt. Sechs Gepäckhaken und eine Warnblinkanlage sind ebenfalls ein Wort. Und Kontrollleuchten, die ihren Namen auch bei Tageslicht verdienen, sind heutzutage selbst bei den großen Herstellern noch nicht immer selbstverständlich. Auch die gewinkelten Ventile an den serienmäßigen Pirelli-Reifen erleichtern den Umgang mit der „Großen” aus Korea.
In das Kapitel Kuriosität darf hingegen die Tankanzeige fallen. Nachdem achteinhalb Liter aus dem vollgetankten 17-Liter-Blechfass durch die beiden Gleichdruckvergser verschwunden sind, leuchtet ein grünes Lämpchen mit der Aufschrift „1/2” auf. Nähert sich der Spritvorrat bis auf drei Liter dem Ende, fängt die orangene und mit „E” (= empty) gekennzeichnete Kontrolllampe an zu leuchten. Auch die schlichte Kettenspannvorrichtung ist etwas eigentümlich.
Und was lehrt uns das Ganze nun? Nicht nur der Preis ist heiß, sondern auch der Motor ist überraschend gut gelungen. Das Fahrwerk kann hingegen noch einen Schuss mehr Stabilität vertragen. Doch darauf haben auch die Japaner bei ihrer Großoffensive vor 30 Jahren noch nicht den al-lergrößten Wert gelegt.
Fazit: Aller Anfang ist schwer, aber unterm Strich ist das Ergebnis doch ganz passabel. Die Hyosung wird kaum dazu angetan sein, überzeugte Motorradfahrer zu einem Markenwechsel zu bewegen. Ältere Wiedereinsteiger, denen es reicht, am Wochenende die Sonntagsfahrer zu verblasen, können auf ihr aber durchaus den dritten Frühling erleben, ohne allzu tief in die Tasche greifen zu müssen. Und junge Einsteiger bekommen eine bezahlbare Neumaschine angeboten, die durchaus eine Alternative zum Gebrauchtkauf darstellen kann.
Größtes Manko der GT 650 Naked ist, dass sie auf den ersten Anhieb keine überschäumenden Emotionen weckt – zumindest das verstanden die Japaner Anfang der 70er-Jahre besser. Vielleicht ändert sich das ja, wenn eine Version mit Halbschale im Spätsommer nachgereicht werden soll.
Ach ja, da wäre ja noch etwas: Zumindest im Prospekt taucht auch schon eine größere Ausgabe der 125er- und 250er-Chopper-Modelle Aquila als Cruiser-Variante auf. Die sieht nun wirklich scharf aus! Einführungstermin steht noch nicht fest, steht da aber zu lesen. Der hängt mit Sicherheit auch vom Erfolg der GT ab.